Reinhard Schanzer

Das kleine Häschen

Das kleine Häschen.
Die Tage vergingen noch nicht mit einer solchen Geschwindigkeit wie als Erwachsener, schließlich war er ja noch ein Kind.
Der fremde Mann war jetzt immer öfter zu Besuch bei seiner Mama, die er zu diesem Zeitpunkt noch für eine von seinen Tanten hielt und der kleine Junge hatte nicht mehr gar so viel Angst vor ihm wie ganz am Anfang.
Eines Tages waren sie alle drei zu Besuch bei einem Onkel, der in der Stadt lebte. Zum erstenmal in seinem Leben durfte er mit einem Omnibus fahren, da es auf dem Kindersitz mit dem Fahrrad dann doch zu weit gewesen wäre.
Er war fasziniert von diesem großen Fahrzeug und hatte tiefen Respekt vor dem dicken Fahrer, der dieses Monstrum anscheinend mit einer Leichtigkeit beherrschte.
In der Stadt angekommen, war es nur noch ein relativ kurzer Fußmarsch bis zum Hause des Onkels.
Dieser Onkel war sehr freundlich zu dem kleinen Jungen. Er zeigte ihm sein großes Haus, seinen Garten und führte ihn dann zu einem Hasenstall am Rande des Gartens.
In diesem Stall wimmelte es nur so von kleinen Häschen, denn die Häsin hatte erst vor kurzem einen ganzen Wurf Junge bekommen. Überall hoppelte es herum.
Die Augen des kleinen Jungen strahlten, er war ganz vernarrt in diese niedlichen Tierchen, die sich sogar von ihm streicheln ließen und dabei ganz neugierig blickten.
Sie hatten ein ganz weiches und samtiges Fell, fast noch weicher als das von Minka,  seiner Lieblingskatze zuhause.
Der Onkel hatte dies natürlich bemerkt und er schmunzelte vergnügt.
Während sich die Erwachsenen unterhielten, spielte der Junge die ganze Zeit im Garten mit den niedlichen Tieren.
Zum Abschied schenkte ihm der brave Onkel gleich zwei von den kleinen Häschen: Ein weißes und ein schwarzes. Er zeigte ihm auch, welche Blätter sie ganz besonders gerne fressen würden und wies ihn an, ja ganz besonders gut auf die beiden aufzupassen.
Der kleine Junge war Überglücklich, er hielt den Karton mit den beiden Häschen auf der Heimfahrt mit dem Omnibus ganz fest in beiden Händen. Durch die Löcher spähte er immer wieder hinein, ob die beiden Tiere auch wirklich noch da waren.
Zuhause angekommen erzählte er seiner Großmutter und seinem Großvater ganz aufgeregt, was er bei dem lieben Onkel in der Stadt alles erlebt hatte. Die Fahrt mit dem großen Omnibus  und daß er sogar ein Geschenk mit nach Hause bekommen hatte.
Ganz stolz öffnete er den Karton und zeigte seinen Großeltern die beiden Häschen.
Mutti, Mutti, schau mal, was ich gekriegt habe!, rief er ganz aufgeregt.
Anschließend holte er vom Speicher eine alte Holzkiste, die er als neue Heimat für die beiden neuen Kuscheltiere verwenden wollte. Sein Großvater hatte es ihm erlaubt, diese Kiste zu verwenden.
Diese legte er mit Heu aus, wie es ihm der nette Onkel gezeigt hatte, stellte eine kleine Schale Milch hinein und einige Büschel von dem Gras, das diese Tiere angeblich so gerne fraßen. Als Deckel legte er ein Sieb von der alten Putzmühle darauf.
Es wurde schon dunkel und es war Zeit, schlafen zu gehen. Seine Gedanken aber drehten sich immer noch um den heutigen Ausflug und die beiden Häschen des netten Onkels.
Gleich am nächsten Tag holte er die beiden Häschen aus der Kiste, um sie auf der Wiese vor dem Haus grasen zu lassen.
Leider hatte er jedoch vergessen, einen Zaun zu errichten, so daß er ziemliche Mühe hatte, die beiden Tiere zusammenzuhalten. Immer wieder versuchte eines von ihnen einen Haken zu schlagen und auszubüxen.
Bei dem Versuch, das weiße Häschen wieder einzufangen, stolperte er plötzlich über das kleine Häschen, das schon wieder einen Haken geschlagen hatte und er flog der ganzen Länge nach ins Gras.
Er drehte sich schnell um, um das Häschen nicht entkommen zu lassen, aber das kleine weiße Häschen lag zu seinen Füßen und bewegte sich nicht mehr.
Eine dunkle Ahnung stieg in dem kleinen Jungen auf.
Sollte etwa gar...???   NEEEIIIN!!!!!
Er hob das leblose Tier auf, streichelte es und versuchte, ihm etwas von dem Gras zu füttern, an dem es gerade vorhin noch so eifrig geknabbert hatte.
Aber das kleine Tier bewegte sich nicht mehr.
Völlig hilflos rief er nach seiner Großmutter, die im Garten beschäftigt war und von dem ganzen Geschehen nichts mitbekommen hatte.
Diese kam ganz erschrocken angerannt, um zu sehen, was denn gar so Schlimmes passiert war, konnte aber auch nicht mehr tun, als das schwarze Häschen wieder in die Kiste zu stecken und dem kleinen Jungen zu erklären, daß das weiße Häschen jetzt tot sei.
Eine ganze Welt war plötzlich für den kleinen Jungen zusammengebrochen und sogar die Sonne hatte sich deutlich verfinstert.
Das kleine Häschen, mit dem er soeben noch gespielt hatte, sollte jetzt tot sein?
Das Häschen von dem freundlichen Onkel, dem er doch versprochen hatte, besonders gut darauf achtzugeben?
Bittere Tränen schossen ihm in die Augen und er heulte nur noch Rotz und Wasser an der Schürze seiner Großmutter.
Er konnte sich lange nicht beruhigen und wollte immer wieder nach dem toten Tier sehen, aber seine Großmutter hatte es bereits heimlich mitgenommen und im Garten vergraben.
Als er sich später wieder etwas beruhigt hatte, ging seine Großmutter mit ihm in den Garten und zeigte ihm die Stelle, wo sie das weiße Häschen begraben hatte.
Der kleine Junge lief daraufhin auf die Wiese hinaus, um dort einige Gänseblümchen zu pflücken und auf den Grabhügel zu stecken.
Bestimmt würde sich das kleine Häschen darüber freuen?
Ob es jetzt schon im Himmel war? Oft blickte er zu den weißen Wolken hinauf, ob er dazwischen irgendwo das kleine weiße Häschen hoppeln sehen konnte.
Als der Großvater abends von der Feldarbeit zurückkam, erzählte ihm der kleine Junge, sofort, was heute Schlimmes passiert war und er mußte dabei wieder heftig weinen.
Der Großvater aber strich ihm nur beruhigend über den Kopf und tröstete ihn.
Als seine Mamatante spät abends genervt von der Arbeit nach Hause kam, gab es von ihr erst einmal mit dem Bettklopfer eine Tracht Prügel, weil er doch das Häschen umgebracht hatte.
Dieser Bettklopfer bestand aus geflochtenen Weidenruten und die Mama benutzte ihn immer dann, wenn er etwas angestellt hatte.
Das letzte Mal, als er an der Zentrifuge den Karbid in die Milch geschüttet hatte, bekam er von ihr auch eine Tracht Prügel mit diesem Bettklopfer. Und sogar sein Großvater hatte mit ihm geschimpft!
Dabei hatte es doch so schön geschäumt...
Es tat zwar höllisch weh, aber Weinen konnte er heute nicht mehr, er hatte alle seine Tränen bereits für das kleine Häschen vergossen.
 

Diese Geschichte ist der zweite Teil einer mehrteiligen Biographie mit dem Titel: "Der Bastard".
Kommentare und Rückmeldungen dazu (natürlich auch Kritische) sind herzlich willkommen.
Das erleichtert eine Fortsetzung der Geschichte Ungemein! (lächel)
Reinhard Schanzer, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.07.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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