Monika Peter

Der Chemiekasten

Stephan, der älteste unserer drei Söhne wünschte sich zu seinem 12. Geburtstag nichts anderes als einen Chemiekasten. Das war ganz im Sinne seiner Brüder, dem drei Jahre jüngeren Markus und dem fünfjährigen Matthias.
Im Quelle-Katolog war genau der Wunschtraum  abgebildet. Jeden Tag schauten sie ihn sehnsüchtig an, die Seiten hatten schon Eselsohren.
 
Als dann endlich der 11. September da war, fiel der erste Blick des Geburtstagskindes sofort auf die große blaue Schactel: Er hatte ihn tatsächlich bekommen - seinen Chemiekasten.
Bei der üblichen Geburtstagsparty wurde das Geschenk von allen Seiten gebührend bewundert, aber anfassen war nicht erlaubt!
Am Abend packten dann die drei Brüder andächtig den Karton aus, sie begutachteten die Reagenzgläschen, die Fläschen und Tüten, die kleinen Meßbecher und Löffelchen. Aber vor allem anderen hatte es ihnen der kleine Spirituskocher angetan.
Mir wurde ein wenig mulmig zu Mute und die Jungs mußten mir versprechen, dass sie den nur anzünden, wenn ich oder Papa zu Hause waren. Außerdem durften sämtliche Experimente nur im Spielkeller gemacht werden. Das war zwar der einzige Raum im Haus, wo ich nichts zu sagen hatte, aber die Buben versprachen mir alles...
 
In den nächsten Tagen habe ich meine Kinder fast nicht wieder erkannt: So brav und einträchtig waren sonst nur kurz vor Weihnachten. Kein Geschrei, kein Streiten und keiner beklagte sich über den anderen.
Eigentlich hätte mich das stutzig machen sollen - aber ich dachte mir, dass die Brüder meine täglichen Standpauken endlich ernst genommen hatten: Dass man nämlich ohne streiten viel besser miteinander spielen kann.
Ab und zu schaute ich nach ihnen und durfte dann die selbstgemachten Seifen, bunten Kristalle und andere Wunderwerke bewundern.
Und dabei wurde mir langsam klar, warum die Burschen so "gut" miteinander auskamen.
Es herrschte nämlich eine strenge Hierarchie:
"Chef und Anschaffer" war natürlich Stephan,
"Assistent und Zubringer" war Markus
und Matthias war der "Aufputzer und Laufbursch"!
Wenn einer von den zwei Angstellten nicht parierte, flog er...
 
Nach einiger Zeit waren die Chemikalien verbraucht, aber das war für die Jungforscher kein Problem.
Bei uns im Ort gab es einen sehr netten und verständnisvollen Drogisten. Der versorgte die angehenden Chemiker begeistert mit allem, was sie brauchten. Natürlich gab er ihnen auch noch Ratschläge und Tipps, wenn sie Fragen hatten - und die hatten sie genug...
 
Ein paar Tage später, die Buben waren wieder im Keller, wurde es plötzlich dort unten sehr laut:
Türen und Fenster sind auf - und zugeflogen und einer hat fürchterlich geplärrt.
"Um Gotteswillen, jetzt ist etwas passiert!" dachte ich und rannte voller Panik die Kellertreppen hinunter.
Zu sehen war nichts - aber zu riechen!!!
Es stank so bestialisch, dass mir buchstäblich der Atem stockte...
Der "Chef " hat verzweifelt die Türe auf - und zugeschwenkt
und sein "Assistent" machte das gleiche mit dem Fenster, damit dieser fürchterliche Duft nach draußen ziehen konnte.
Der "Aufputzer und Laufbursch"war ausgefallen:
Der hat zwischen würgen und heulen um Luft gekämpft!
 
Ich schwankte zwischen Schrei - und Lachkrampf...,
entschloß mich aber unter diesen Umständen die Flucht zu ergreifen,
bevor wir alle vier in "faulem-Eier-Nebel" erstickt wären.
 
Der "Chef" hat mir dann draußen mit grünlichem Gesicht weinend gestanden, dass sie eine Stinkbombe gebastelt hatten.
"Hätte auch alles prima geklappt, wenn nicht der Dussel (Aufputzer und Laufbursch) das Gläschen umgeschmissen hätte..."
Der Übeltäter schluchzte herzzerreißend, er hatte ja von zwei Seiten Ärger zu erwarten: Vom "Chef" und von mir!
Im ersten Moment war ich so wütend, dass ich am liebsten allen dreien den Hintern versohlt hätte.
Aber denen war so übel, dass sie keine andere Strafe mehr brauchten.
 
In der folgenden Woche habe ich dann mit Hilfe von meinen drei "Assistenten und Aufputzern" versucht, den Gestank von Schwefel und faulen Eiern aus dem Haus zu putzen.
Und der "Chef und Anschaffer" war diesmal ICH...
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.07.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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