Werner Kistler
In Bedrängnis
Seit Monaten schon arbeitete ich alleine in meinem Büro. Zu
früheren Zeiten bestand unser Team aus drei Mitarbeitern. Aber das war
Vergangenheit.
Es klopfte ganz zaghaft an meiner Bürotür.
Jemand brachte bestimmt wieder Akten zur Ablage. Wieder neue Arbeit.
Langsam aber sicher türmte sich nun die Blätter zu schwindelnden Bergen
an. Ich öffnete die Tür.
In der Öffnung standen zwei junge Frauen und hielten auf
einem Tellerchen ein Stück Zwetschgenkuchen mit Sahne. Es war
also keine neue Arbeit. "Wir möchten uns für die gute
Zusammenarbeit bedanken. Ohne ihre Mithilfe, hätte ich meine
Veröffentlichung nie beenden können." Ganz gerührt stammelte ich
ein:"Das wäre aber wirklich nicht nötig gewesen." Wohlweislich,
dass der Kuchen bei meiner Diabeteserkrankung, wirklich nicht
förderlich war. Trotzdem nahm ich den Teller an und bedankte mich
ganz herzlich. Hätte ich die milde Gabe doch nie
angenommen! Das bekam ich in den folgenden Wochen deutlich zu
spüren. Wie ein Freibrief entpuppte sich die Gabe. Täglich
besuchte mich nun die Spenderin in meinem Büro und forderte eindeutige
Tribute. Als glücklich verheirateter Familienvater trotzte ich
aber jeglichen Bemühungen und blieb standhaft.
Aber
mein Telefon stand kaum noch still. Leider musste ich alle
Telefongespräche annehmen , weil ich auch Publikumsverkehr hatte. Die
Leitung war durch die ständigen Anrufe der liebeshungrigen Kollegin
ständig besetzt. Dieses wiederum verärgerte die Patientenschaft.
Schließlich unterstellte man mir, dass ich wohl den Hörer neben den
Apparat legen würde. Das tat ich aber nicht.
Eines
Tages fing der Terror auch daheim an. Der Störenfried begann von nun an
, auch mein privates Reich zu boykottieren an. Ein appelieren an die
Vernunft ihrerseits, half genau so wenig, wie zu drohen. Unser
Familienleben hing schon bedenklich schief, denn meine Frau glaubte mir
nicht richtig. Die erste Zeit ignorierte sie die Versuche der
Möchtegernkontrahentin. Aber mit jedem weiteren Wagnis, schwand ein
wenig Vertrauen mehr. Die Nevensäge stellte sich aber auch sehr
geschickt an. Schließlich handelte es sich hier ja auch um eine
Psychologin. Die Attaken gestalteten sich immer heftiger. Meinem Chef,
die ganze Misere zu erzählen, half mir auch nicht weiter. Er meinte,
ich sollte mal richtig ausspannen und einmal drei Wochen Urlaub
nehmen. Das könne ja nicht so ganz stimmen und sicherlich würde
ich mir die Sache nur einreden.
Also suchte ich einen
Arzt auf. Dieser legte erst einmal ein ernstes Gesicht auf, was
mir auch nicht half. Aber er hatte dann doch noch eine gute Idee
und schlug mir einen Kururlaub vor. Meine Familie könnte ich ja dann
mitnehmen und wäre so in häuslicher Umgebung und doch in ärztlicher und
professioneller Obhut.
Entspannen in frischer Luft, täte
zusetzlich meiner Genesung gut. Aber an der "Mütze" hatte ich bestimmt
keinen. Wenn man den Arzt so reden hörte, hätte man es aber glauben
können.
Auf diesen Urlaub freute sich die ganze Familie.
Damit wir auch wirklich entspannen konnten , wählten wir die Anreise
mit dem Zug und nicht mit dem Auto.
Zwei Tage Urlaub in
herrlicher Berg- und Waldregion lagen nun schon hinter uns. Wir lebten
wie "Gott in Frankreich", als das Telefon in unserem Zimmer läutete.
Wer sollte uns denn um diese Zeit anrufen? Niemand
kannte unseren Aufenthaltsort. Meine Frau nahm den Hörer ab und meldete sich. Sie griff in die Nachttisch-
schublade
und holte eine Trillerpfeife heraus, setzte die Pfeife an den
Mund und blies so kräftig in den Hörer, dass ein
ohrenbetäubender Pfiff ertönte. "So jetzt hab`ich es dem Flittchen aber
gegeben!"
Es lag ein Triumph in ihrer Stimme. Bis heute wissen wir nicht, wie die nervende Anruferin an unsere
Hoteladresse gelangte. Aber von diesem Tag an, kehrte Ruhe in unser Heim.
Werner Kistler
Die Geschichte ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit
lebenden oder toten Personen, wäre rein zufällig und nicht beabsichtigt.Werner Kistler, Anmerkung zur Geschichte
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.07.2005.
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