Conny Kirsten

Der Weg des Kriegers

Ein müder Krieger, einst von den Idealen seines Landes verraten und verkauft,
schleppte sich nach einem Marsch durch das feindliche Land zu einer Quelle.
Als er in das Wasser hineinsah, begegnete er zu seiner Verwunderung seinem
Spiegelbild. Er schüttelte nur den Kopf, denn dass er von solch Gestalt sein
sollte, hätte er nie vermutet.
Vorbei die Zeiten, in denen ein Krieger seinem Feind Auge in Auge stand,
stolz und voll von Ehre beseelt. Tapferkeit und Mut zählten damals,
Schwerter und Kampfeskunst. Ach, lang ist´s her, dachte er noch, bevor er
müde aufstand und zu einem Haufen Sand schlurfte, der sein Nachtlager werden
sollte. Er ließ sich langsam darauf nieder und versuchte erfolglos
einzuschlafen.
Sein Spiegelbild hatte ihm einen Mann gezeigt, der noch genauso aussah, wie
er einst ausgezogen war, um Ruhm und Erfahrungen mit nach Hause zu bringen.
Ein bißchen älter vielleicht anhand der Fältchen um seine Augen, die zwei
kleinen Narben an seinem Kinn und ja... der Ausdruck seiner Augen. Sie
sahen so verwundert drein, so hell und klar.
Warum eigentlich? fragte er sich. Müssten sie nicht einen harten Blick
haben, stechend und voller Bitterkeit? Oder müde, resigniert und
hoffnungslos? Doch nein, sie schauten ihn an, als würden sie ihn bitten, den
Weg weiter zu gehen, nicht zu zweifeln. Wer zweifelt denn hier? fragte er
sich zynisch. Ich... bestimmt nicht.
Er lachte lautlos vor sich hin. Wer erlaubt sich in dieser beschissenen Welt
schon Zweifel? Das ist etwas für Leute mit viel Zeit zum Nachdenken,
beschloss er, drehte sich auf die Seite und wollte schon den ersten Schnarcher
von sich geben. Da zuckte er zusammen, fuhr wie von einem Wüstenskorpion
gebissen von seinem Lager hoch und starrte in den ziemlich schwarzen Nachthimmel.
Den Weg? Welchen Weg sollte er denn weitergehen? Gibt doch nur einen Weg,
flüsterte er lächelnd. Den bis zum Ende. So oder so.
Aber für welches so, musste er sich dem Himmel sei Dank nicht entscheiden.
Das nahmen ihm schon die anderen ab. Oder?
Viel zu viele Fragen für eine solche dunkle Nacht, fand er und wollte sich wieder
im Sand vergraben.
Hm, knurrte er nach einer Weile, wieso musste er das eigentlich nicht selbst
entscheiden? Er setzte sich aufrecht hin. Verflixt, er war müde und wollte
endlich schlafen. Wenigstens mal die Augen zumachen, nicht nachdenken,
sondern vergessen. Ausruhen.
Welcher Weg war ihm denn bestimmt? Welchen Weg wollte er denn einst gehen?
Den Weg des Kriegers. Aber so hatte er ihn sich nicht vorgestellt. Nicht mit dem,
was am Ende für ihn dabei übrigblieb:
Ein Leben voller Erinnerungen, bitterer Erinnerungen, aufgegebener Ideale und
müder Knochen.
Das also ist mein Weg? fragte er sich entgeistert.
Vollends des Schlafes beraubt stand er auf und ging zur Quelle zurück.
Er strich mit seiner linken Hand über die Wasseroberfläche und kratzte sich
mit der Rechten an seinem stoppeligen Kinn. Er berührte seine Narben und lächelte
plötzlich traurig. Verrückt, so ein Leben, sein Leben. Und doch hatte er es
sich so ausgesucht. Er schaute auf das Gesicht im Wasser, dass in dem
blassen Mondlicht nur zu erahnen war. Ja, er war ein Krieger. Und es war ihm
ernst damit gewesen. Er straffte die Schultern. Und warum sollte er so sein
wie diese, die ihn verraten und verkauft hatten? Warum nicht den Kampf des
Kriegers kämpfen ...? Er allein konnte entscheiden, wie er seine Aufgaben
erfüllen würde, er allein konnte wissen, wie es in ihm aussah. Und er allein
konnte entscheiden, ob die anderen bei ihrem unfairen Kampf gewinnen würden.
Nein, flüsterte er in die fast schwarze Nacht hinaus, das lasse ich nicht
mehr zu. Ihr besiegt mich nicht! Er kniete vor der Quelle nieder, gelobte
sich die Treue und schwor, den Weg im Namen aller aufrechter Krieger zu
gehen. Unabhängig der Waffen, der Orte und der Mächtigen.
Er schloss die Augen, merkte, wie der kommende Schlaf ihm Frieden schenken
würde und schlief endlich ein.

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