Josef Haider

Oenothera parviflora

„Jeder Mensch trägt einen Wunsch in sich, einen Traum den er nie verwirklicht.

 

Ein zartes Pflänzchen, dass gegossen wird, wenn das Leben seine Schattenseiten zeigt.

 

 

 

Jeder Mensch trägt einen Wunsch in sich, einen Traum den er sich bewahrt aber niemals lebt.

 

Eine einsame Insel in der Weite des Ozeans, unbewohnt, aber doch vertraut.

 

 

 

Jeder Mensch trägt einen Wunsch in sich.“

 

 

 

 

 

Mit feuchten Händen speicherte Michael die letzten Zeilen seines Romans und gab, mit sich selbst zufrieden, den Druckbefehl. Seite für Seite schoss das Produkt seiner zweijährigen Arbeit aus dem Lexmark Z 52, bis der Stapel mit den 256 Seiten komplett war. Er ließ sich tief in seinen Sessel fallen, öffnete mit einer Hand eine Dose Bier, die andere benötigte er zum Rauchen einer Zigarre, und prostete dem Bildschirm zu.

 

Es war bereits 16.30 und die Postämter schlossen um 17.00. Er nahm sein Manuskript, verpackte es in ein Paket und adressierte es an den Rowohlt-Verlag. Michael verehrte Henry Miller und da dieser seine Romane im genannten Verlag publizierte, entschloss sich Michael das dortige Lektorat anzuschreiben.

 

Als Michael das Postamt betrat überkam ihm das unbestimmte Gefühl etwas Verbotenes zu tun. Am liebsten hätte er am Eingang kehrt gemacht und seinen Roman in die Mülltonne geworfen. Als der Postbeamte das Paket etikettierte, spürte Michael die Schamesröte in seinem Gesicht. „Ich gebe das nur für einen Freund auf“ sagte er hastig, entrichtete die 4,20 Euro und ging postwendend.

 

Michael war 32 Jahre alt und arbeitete seit seinem 15 Lebensjahr in unterschiedlichen Firmen im Hochbau. Derzeit arbeitete er bei der Firma Beweg, einem privat geführten Unternehmen, das in ganz Österreich Fertighäuser verkaufte. Michael war für die Tischlerarbeiten zuständig. Seit dem er denken konnte, fand er gefallen daran Geschichten zu erfinden. Bereits als sechsjähriger hat er sich selbst jeden Abend eine Gute Nacht Geschichte erzählt. Vor zwei Jahren begann er damit, seine Geschichten niederzuschreiben. Seine Arbeitskollegen wussten nichts von diesem Hobby. Jede freie Minute zog sich Michael zurück und schrieb. Selbst in den Mittagspausen schrieb er jeden Werktag eine kurze Lyrik um sein Sprachverständnis zu trainieren. Einmal jedoch, fand ein Arbeitskollege ein solches Gedicht. Schonungslos wurde es am Mittagstisch rezitiert.

 

 

 

Gedankenverloren und träumend

 

Hab’ ich diesen Tag verbracht

 

Alle Aufgaben des Lebens säumend

 

Habe ich nur an dich gedacht.

 

 

 

Jeder kleinste Gedanke in mir

 

Einzig nach dir strebt

 

Hab’ das lose, unvollkommene Bild von dir

 

Zu einem herrlichen Ganzen zusammengewebt.

 

 

 

„Ein fünfzehnjähriges Mädchen, mit der Sauklaue eines Bauarbeiters, erlebt wohl gerade ihren ersten Frühling“, lautete das vernichtende Urteil eines Arbeitskollegen. Der zweideutige Begriff der „Scheisshauslyrik“ machte sofort die Runde. Michael wäre am liebsten im Erdboden versunken. „Hoffentlich merkt niemand, dass ich dieser Scheisshausdichter bin“, dachte er sich und versteckte sich hinter seinem Glas Bier. 

 

Selbst seiner Frau verschwieg Michael seine Leidenschaft. Er schämte sich, hatte Angst, sie würde ihn nicht mehr ernst nehmen. Ein echter Mann schreibt doch keine Geschichten. Wenn Michael Zeit zum Schreiben brauchte, erzählte er seiner Frau er würde sich mit Freunden treffen, in Wirklichkeit fuhr er mit seinem Auto zu einer Waldlichtung, packte seinen Laptop aus und begann zu schreiben. Manchmal nahm er sich auch ein Hotelzimmer, schrieb die ganze Nacht durch und fuhr frühmorgens nach Hause. Im Stiegenhaus kippte er noch schnell ein Bier und rauchte zwei Zigaretten um den typischen Gasthausgeruch mit nach Hause zu bringen.

 

Um seinen Roman endlich fertig stellen zu können, wollte er drei Wochen ungestört daran arbeiten. Er schenkte seiner Frau daher zu ihrem Geburtstag einen dreiwöchigen Urlaub auf Malta und gab vor, leider nicht mitkommen zu können, da er auf der Baustelle unabkömmlich sei. Ihre Schwester begleitete sie spontan.

 

Das Schreiben wurde, ähnlich wie jede andere Sucht, Problem und Problemlösung zugleich. Michael musste immer mehr Lügen erfinden um zum Schreiben zu kommen und die Probleme die er im Leben hatte, verarbeitete er in seinen Geschichten.

 

Einmal, als er sich maßlos über seine Chef ärgerte, erfand er eine neue Gestalt in seinem Roman, die in Aussehen und im Charakter seinem Vorgesetzten entsprach und ließ in mit dem Motorrad auf einer Gebirgsstraße tödlich verunglücken, nachdem er auf einen Ölfleck ausrutschte und die Kontrolle über seine Kawasaki Cruiser verlor.

 

Zwei Tage nachdem seine Frau aus dem Urlaub nach Hause gekommen war, reichte sie die Scheidung ein. Die Hinweise, dass er eine Geliebte hatte waren erdrückend. Nicht nur, dass sie herausfand, dass er während ihres Urlaubes gar nicht bei der Arbeit war, es gab darüber hinaus noch genügend andere Beweise für seine Untreue: unzählige Hotelrechnungen, fingierte Telefonate und Freunde mit denen er sich angeblich getroffen hat, wobei die Nachweislich nicht am besagten Ort waren.

 

Vielleicht hätte Michael die Ehe noch retten können, hätte er jetzt die Wahrheit gesagt. Er war Schriftsteller und er hat nur Zeit für seine Kunst gebraucht. Aber nein, er konnte nicht. Zu tief saß seine Unsicherheit und sein Misstrauen den Menschen gegenüber. Stattdessen begann er einen neuen Roman zu schreiben. Er handelte von einem gutaussehenden Bauarbeiter, der ohne sein Zutun von den Frauen begehrt wurde. Auch wenn er versuchte ein treuer Ehemann zu sein, so wurde er von den liebestollen Frauen auf raffinierte Art und Weise verführt.

 

 

 

Die Wochen vergingen und Michael hörte noch immer nichts vom Rowohlt-Verlag. Als er schon gar nicht mehr damit rechnete, fand er ein Kuvert in seinem Briefkasten, Absender Rowohlt-Verlagsgesellschaft. Michael spürte sein Herz schlagen. Verstohlen blickte er sich um. Wieder überkam ihm das Gefühl etwas Verbotenes zu tun. Er steckte das Kuvert in die Innenseite seiner Jacke und ging die 256 Stufen zu seiner Wohnung in den 10. Stock empor. Mit dem Lift wollte er nicht fahren, da er befürchtete dort einen Bekannten zu treffen, der unangenehme Fragen stellen könnte.

 

Als das Schloss in seine Wohnungstür fiel, zückte er sofort den Brief aus seiner Jacke. Mit schweißnassen Händen öffnete er das Kuvert, und hielt plötzlich inne. Eine unsagbare Angst überkam ihm. Er fühlte, dass er noch nicht bereit war. Noch konnte er den Inhalt des Briefes nicht lesen. Er musste noch etwas warten. Eine Stunde nur oder einen Tag, vielleicht aber auch einen Monat oder zwei. Nur jetzt, jetzt war er noch nicht bereit!

 

 

 

„Jeder Mensch trägt einen Wunsch in sich, einen Traum den er nie verwirklicht.

 

Ein zartes Pflänzchen, dass gegossen wird, wenn das Leben seine Schattenseiten zeigt.

 

 

 

Jeder Mensch trägt einen Wunsch in sich, einen Traum den er sich bewahrt aber niemals lebt.

 

Eine einsame Insel in der Weite des Ozeans, die angesteuert wird, um der Realität zu entfliehen.

 

 

 

Jeder Mensch trägt einen Wunsch in sich.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die kleine Nachtkerze ist eine 40 cm große Blume, die in Unkrautbeständen und auf Schuttplätzen wächst,  sandigen Boden und Wärme liebt. Sie benötigt zwei Jahre um sich zu entfalten und öffnet ihre Blüten nur in der Nacht und nie länger als eine halbe Stunde. Für diese Zeit erstrahlt sie in voller Schönheit, während sie die restliche Zeit zwischen dem Unkraut kaum zur Geltung kommt. Ihr wird eine große heilende Wirkung nachgesagt. Sie soll unter anderem vor allem dabei helfen, zwischen Tag und Nacht, Realem und Phantasiertem zu Unterscheiden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.08.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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