Detlev Eilhardt

Klangversuche


 
Hier, unter diesem Baum, in dieser Wiese, muß es gelegen haben; setze den Spaten an und fast sanft gibt die Erde nach. Erst zaghaft durchtrenne ich die wenigen Wurzelstränge des Grases, die fast spürbar im Griff ihr Reißen verkünden, doch bald achte ich nicht mehr auf Rücksichtnahmen. Wüst das Schachten, das Schaufeln und Graben und es gelingt mir, am Stamm hinab zu gleiten; umgeben von erdigem Modergeruch tauche ich in die Wiese, dämpft das Loch jeglichen Ton.
Manchmal bröselt etwas getrocknete Erde vom Rand ab, rieselt lautlos und staubt in meine Schweißtropfen auf der Brust. Ein tönerner Teint, dort, wo die Haut nackt meiner Aktivität ausgeliefert ist. Ob ich sie später reinigen werde?
Hebe ich den Kopf außerhalb des Trichters, prallen unterschiedliche Laute auf meine Trommelfelle; Zirpen sonnenwarmer Grillen, Fiepen eiliger Nager, langweiliges Abspulen der immergleichen Tonfolge eines Buchfinken, entferntes Rauschen schneller Fahrzeugreifen, Wispern zitternder Blätter über mir.
Ziehe ich den Kopf unterhalb der Bodenlinie, verstummen sofort sämtliche Geräusche. Nicht ein langsames Absenken – nein – ein vollkommen sauberer Schnitt. Hebe und senke ich den Kopf immer nur knapp über oder unter die Linie, erziele ich den selben Effekt, als drücke ich meine Daumen in die Gehörgänge. Mit der Zeit verlagere ich das Auf und Ab in meine Zehenspitzen, wippe nur noch in einem wenige Millimeter umfassenden Spielraum, erzeuge so einen Rhythmus.
Variiere, gestalte, betone – ja, lerne sogar, die Intensität und Lautstärke zu modulieren. Richte ich mich nach dem Buchfink, gelingen mir einige raffinierte Tonfolgen, fast eine Melodie, allerdings ohne Wiederholungen. Mitunter reichlich atonal, aber ich hatte weit weniger erwartet.
Plötzlich plagt mich der Eifer, will alle Möglichkeiten dieser Tonscheidewand ausschöpfen; klettere aus dem Erdfass, entledige mich meiner Kleidung, werfe sie achtlos zwischen die Margeriten und staubenden Grasähren, um dann wieder konzentriert in das Loch zu springen. Dabei verflüchtigen sich die Bässe zuerst, die Höhen schmelzen in ihrer Frequenz von unten nach oben und verstummen rasiermesserscharf auf Höhe eben dieser Scheidewand.
Ich wiederhole den Vorgang unzählige Male, ganz angespannt mit all meiner Sinneslust, versuche jedem Sprung einen gewissen Charakter abzuringen, widme mich zeitlos meiner gewonnenen Erfahrung. Bei einem Versuch rutsche ich unbeholfen mit der Ferse ab, muß mich rasch mit der rechten Hand abstützen, um nicht mit dem Kopf auf die Kante zu schlagen. Dadurch nähert sich mein rechtes Ohr der irdenen Wand auf eine Handbreite und alle Geräusche bündeln sich in einem Füllhorn vor dem linken Ohr, verklingen im imaginären Schneckengang. Danach verfalle ich auf das Rutschen, das zögerliche Gleiten über den Rand, kralle die Finger ins Gras und lasse mich rückwärts in Etappen absacken, aber hier endet der Hörgenuß. Versuche es noch mit dem Kopf voraus, aber die Konzentration, nicht auf den Kopf zu fallen, überwiegt bei weitem und so verschiebe ich das Experiment in die Zukunft. Vielleicht werde ich es mit einem Helm erneut ...
... dabei kam ich an diese Birke, um hier das vermutete Blatt zu finden. Den Liebesbrief, hier begraben, um das Ende der Beziehung zu symbolisieren.
Erschöpft setze ich mich in das kniehohe Gras, umklammere die Beine, schaukele kurz und über den Rücken abrollend winde ich mich durch die Halme, die Blätter, streife den verkrusteten, staubigen Schweiß von meiner Haut. Nähere mich wieder diesem Loch, rutsche rücklings über den Rand und bleibe unten liegen, das Rund Himmel über mir, schließe die Augen, weil die Sonne in diesem Rund weilt.
Jetzt so liegen bleiben, die Kühle der Erde im nackten Rücken, die Beine angewinkelt und die Lider geschlossen. Da ist trüber Geschmack im Mund – bin ich solange gelegen, bis das Grundwasser diese Mulde flutete oder fühle ich einfach nur, unter Wasser zu liegen – weich, warm – fast schwerelos. Draußen defilieren Gestalten in weißen Hemden, deren Konturen gegen die Sonne und durch die Lichtbrechung des Wassers koronaartig verlaufen. Eine Prozession unterschiedlicher Größen, verschiedener Haut- und Haarfarben; eigenartige Geräte aus robusten Stöcken grob gezimmert feierlich schwenkend – an ihren erhobenen Enden flattern zeitlupenhaft weiße Fahnen.
Unter dem Blätterdach der Birke gerät die Gesellschaft ins Stolpern und fällt lautlos aus meinem Blickfeld, Bindfäden wabern in diffuse Wolken verknäult hinter ihnen her und mir ist, als rufe jemand meinen Namen.
Sie muß schon eine Weile dort sitzen. Meine Kleidung liegt sortiert neben dem weißen Gartenstuhl, ein Bein hat sie hochgeschlagen und es wippt rhythmisch mit der Sandale.
Suchst Du nach dem Brief, ihre Frage und jetzt sehe ich das weiße Blatt zwischen Finger und Daumen. Ihr Lächeln macht mich meine Nacktheit vergessen.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.08.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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