Hannelore Sagorski

Lehrstellensuche

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Zum  Glück hat sich meine schwangere Schwester Jenny angeboten, mit mir zur Berufsberatung zu gehen. Im Vorfeld mache ich mir schon mal ein paar Gedanken. Ich möchte gern etwas machen, wo ich mit Menschen zu tun habe, Krankenschwester wäre nicht schlecht. Aber bei der Berufsberatung holt man mich schnell auf den Boden der Tatsachen zurück. Für eine Ausbildung zur Krankenschwester muss ich den Realschulabschluss haben, und mindestens siebzehn Jahre alt sein. Der Berufsberater  macht mir den Vorschlag, noch zwei Jahre eine berufsbegleitende Schule zu besuchen,  aber ich will auf keinen Fall  noch länger in die Schule gehen, das kotzt mich jetzt schon an. Also schaut er, was für mich in Frage kommt.  Es bleibt nicht viel übrig, nur Verkäuferin, Friseurin, und Zahnarzt- oder Arzthelferin. Die Zahnarzthelferin lasse ich gleich wieder streichen. Ich habe nämlich keine Lust mir ständig die Zahnruinen von anderen Leuten anzuschauen, oder alten Menschen das Gebiss aus dem Mund zu nehmen. Und Friseurin, ne, das muss ich auch nicht haben, ich weiß von einigen älteren Mädchen aus der Schule, dass sie Probleme mit den Händen wegen der Chemikalien hatten. So bleibt zum Schluss nur Verkäuferin, oder Arzthelferin. Der Berufsberater gibt mir gleich  Adressen für eine Bewerbung mit. Ich bin richtig stolz, und freue mich schon auf die Zeit nach der Schule. Da werde ich endlich mein eigenes Geld verdienen, denn mein Taschengeld reicht hinten und vorne nicht. Jenny bremst mich ein wenig, und meint, als Lehrling verdient man auch nicht so viel, und man muss erst mal eine Lehrstelle haben. Ich winke nur ab, und sage, „ich habe schneller eine Lehrstelle, als du dein Baby.“

 

 

 Zu Hause setze ich mich auch sofort hin, und schreibe meine ersten Bewerbungen. Beim Anblick meines Zeugnisses bin ich mir aber nicht mehr so sicher, dass ich schnell eine Lehrstelle finden werde. Bis jetzt haben erst zwei Mädchen aus meiner Klasse eine Lehrstelle, und die haben ein verdammt gutes Zeugnis. So vergehen die nächsten Wochen und Monate, und auf meine Bewerbungen erhalte ich nur Absagen. Aber in der nächsten Woche hab ich mal wieder einen großen Tag. Ein Vorstellungsgespräch in einem Porzellan- und Haushaltsladen. Langsam wird es Zeit, denn wir haben Anfang April, und zum August beginnt das neue Ausbildungsjahr. Außerdem    hatte ich heute in der Post noch eine Adresse von einem Handarbeitsgeschäft. Handarbeiten fand ich immer grässlich, aber egal. ich nehme was ich kriegen kann. Wenn es im Porzellangeschäft nichts wird, gebe ich meine Bewerbung im Handarbeitsgeschäft gleich persönlich ab.

 

 

 Und dann stehe ich an einem verregneten  Apriltag vor dem besagten Porzellanladen. Das Schaufenster sieht richtig edel aus. Nur das teuerste Geschirr liegt in den Auslagen. Mit klopfenden Herzen betrete ich das Geschäft. Drinnen herrscht emsiges Treiben. Verkäuferinnen sind damit beschäftigt, Waren auszupacken, oder Kunden zu bedienen. Alles wirkt in diesem Laden kalt und steril, sogar die Verkäuferinnen. Am liebsten würde ich gleich wieder gehen, denn in diesem Laden fühle ich mich bestimmt nicht wohl. Aber ich habe keine Wahl, ich muss zusehen, dass ich eine Lehrstelle bekomme, da kann ich nicht mehr wählerisch sein. Also setze ich mein schönstes Lächeln auf, und frage nach der Chefin. Nach kurzer Zeit kommt eine aufgetakelt  Schabracke auf mich zu. Die Frau muss kurz vorm Rentenalter sein, nein, eher noch kurz vorm Sprung in die Urne, ist übermäßig geschminkt, und gekleidet, wie eine junge Frau. Bei der Frau passt wirklich nichts zusammen, das Gesicht nicht zur Kleidung, oder umgekehrt. Wenn meine Lage nicht so ernst wäre, würde ich sicher herzhaft loslachen. Aber so strecke ich ihr meine Hand entgegen, und sage, „Katja Lorenz, ich habe einen Vorstellungstermin.“ Die Dame sagt erst mal nichts, sondern mustert mich von oben bis unten. Dann sagt sie mit hochgezogener Nase, „Also Fräulein Lorenz, mit Jeans und Pulli können sie hier natürlich nicht bedienen, und ihre langen Haare müssten sie zusammenbinden.“ Sie lässt ihren Blick schweifen, und ruft, „Fräulein Sonja, kommen sie doch bitte mal, ich möchte Fräulein Lorenz zeigen, wie ein Lehrling bei uns gekleidet sein müsste.“ Ein junges Mädchen kommt auf mich zu. Schöne blaue Augen schauen mich aus einem hübschen Gesicht an, aber alles andere ist, auf deutsch gesagt, einfach Scheiße. Sie trägt einen braunen Faltenrock, der bis zur Wade reicht, dazu braune Pumps, und als Krönung eine rosa Rüschenbluse. Ich kriege Brechreiz, wenn ich sowas sehe. „So muss ich rumlaufen, wenn ich hier arbeiten will,“ frage ich ungläubig. „Ja, so in dem Stil wünsche ich mir unsere Auszubildenden.“ Ich kann es nicht glauben, die Chefin scheint einiges zu verwechseln. Die Lehrlinge  laufen rum, wie alte Jungfern, und die Chefin selber stolziert durch die Gegend wie ein Teenager, und macht sich dadurch zur Witzfigur. Sie scheint meine Bedenken zu erraten, und sagt, „wenn sie sich nicht an die Kleiderordnung halten wollen, brauchen wir uns gar nicht weiter zu unterhalten.“ Für mich klingt das wie ein Rauswurf, aber ich lasse mich ungern so von oben herab behandeln, und muss mal wieder das letzte Wort haben. „Ja, ich glaube hier ist einiges schief gelaufen, ich hatte mich nämlich als Verkäuferin beworben, und nicht als Mitarbeiterin, in der Geisterbahn.“ Mein Gegenüber schnappt nach Luft, und will etwas sagen. Da halte ich es für besser schnell zu verschwinden. Ich höre noch, wie sie mich als gehirnloses Püppchen bezeichnet, aber ich kann darüber nur lachen. Plötzlich stehe ich draußen im Regen, und mir wird schlagartig klar, dass es wieder nicht geklappt hat mit der Lehrstelle. Eigentlich müsste ich traurig sein, aber auf so eine Lehrstelle kann ich gut verzichten, da gehe ich lieber Toiletten putzen. Außerdem habe ich ja noch die Adresse von dem  Handarbeitsgeschäft. Ein Blick auf den Zettel mit der Adresse, sagt mir, dass ich erst mal quer durch die Stadt muss.

 

 

 

Inzwischen regnet es ziemlich heftig. Ich habe keinen Schirm dabei, aber jetzt ist mir schon alles egal, schlimmer kann es nicht mehr werden.

 

Eine Stunde später habe ich mein Ziel erreicht. Aber welch ein Unterschied zum Porzellangeschäft. Es ist ein kleiner Laden, und die Auslagen im Schaufenster sehen richtig  ärmlich aus. Wolle in allen Farben, Spitzendeckchen, wie sie meine Oma hat, Handarbeitshefte mit Strick- und Stickanleitungen. Unbehagen steigt in mir auf, weiß ich doch gerade, was ein Kreuzstich ist. Aber egal, ich gehe da jetzt rein, mehr als rauswerfen können sie mich auch nicht. Langsam ziehe ich den Umschlag mit den Bewerbungsunterlagen aus meiner Tasche. Ich bekomme einen Schreck. Der Umschlag ist vom Regen total durchnässt, und zerknittert. Er sieht aus, als hätte ich mein Butterbrot darin eingepackt. Mit meinem Ärmel versuche ich ihn etwas glatt zu streichen, dabei verschmiere ich auch noch die Schrift von der Adresse. So eine Scheiße, heute geht aber auch alles schief. Vielleicht sollte ich lieber morgen noch mal wieder kommen. Nach kurzer Überlegung betrete ich den Laden dann doch. Als erstes stehe ich vor einem  großen Spiegel, und eine merkwürdige Person schaut mich an. Bei genauerer Betrachtung, stell ich fest, dass ich selbst diese Person bin. Ich sehe scheußlich aus, die Haare triefen vor Nässe, und hängen angeklatscht vom Kopf herunter, so könnte ich wirklich bald in der Geisterbahn anfangen. Weiter komme ich nicht mit meinen Gedanken, denn ein älterer Herr fragt mich, ob er mir weiterhelfen kann. „Ich hätte gern die Chefin gesprochen,“ versuche ich selbstbewusst zu sagen. Er lächelt mich an, und sagt, „ich bin die Chefin.“ Irritiert  schaue ich ihn an, denn ich hatte eine ältere Dame erwartet, so im Hexenformat Schnell habe ich mich wieder gefangen, strecke ihm meine Hand entgegen, und sage, „ich bin Katja Lorenz, und will mich auf die Lehrstelle als Verkäuferin bewerben. Dabei drücke ich ihm meinen zerknitterten Bewerbungsumschlag in die Hand. Er wirft schmunzelnd einen kurzen Blick darauf, und legt ihn zur Seite. „Mein Name ist Asmuss, und wir Beide gehen am besten  nach hinten ins Büro, da können wir uns ungestört unterhalten.“ Dort drückt er mir ein Handtuch in die Hand, damit ich mir die Haare abtrocknen kann. Danach kommt er mit einem  heißen Becher Tee, und meint, mir wäre vom Regen bestimmt ganz schön kalt. Stimmt, aber ich merke es erst jetzt, wo meine Anspannung etwas nachlässt. Ich finde ihn auf Anhieb sympathisch, und sage, „sie können Katja zu mir sagen.“ Wieder schmunzelt er, und sagt, „dann erzähl mir doch mal, warum du Verkäuferin werden willst.“  „Weil ich gern mit Menschen zu tun habe“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. „Und, hast du auch Ahnung von  Handarbeiten“, fragt er. Auf diese Frage hatte ich schon gewartet, jetzt erledigt sich wieder alles von alleine. Ich könnte ihm ja erzählen, dass ich meine Socken selber stricke, und in meiner Freizeit Tischdecken aussticke. Aber ich sage, „nein, es ist doch egal, ob ich Wolle oder Wurst verkaufe.“ Jetzt fängt Herr Asmuss an zu lachen, und sagt, „naja, auf den Mund gefallen bist du ja nicht, solche Leute kann man im Verkauf immer gut gebrauchen.“ Ein wenig Hoffnung keimt in mir auf, vielleicht habe ich ja Glück, und er nimmt mich. Jetzt hält er mir erst mal einen Vortrag über Pünktlichkeit und Disziplin, und ich nicke immer schön mit dem Kopf. Allmählich schweift unser Gespräch immer weiter ab. Am Ende unterhalten wir uns dann  über Sport und die neuesten Filme. Ich merke gar nicht, wie die Zeit vergeht. Nach ungefähr einer Stunde sagt er,  „gut Katja, ich glaube, wir sollten es miteinander versuchen, aber nicht, dass du in meinem Laden auch noch Kuckucksuhren verkaufst.“ Jetzt müssen wir Beide lachen. „Sie nehmen mich wirklich“, frage ich ungläubig. Er nickt mit dem Kopf, und gibt mir die Hand darauf. „Den Anfangstermin schicke ich dir mit der Post. Deine Adresse wird ja bei den Bewerbungsunterlagen sein“, sagt er zum Abschied. Etwas benommen verlasse ich das Geschäft. Solange habe ich nach einer Lehrstelle gesucht, und jetzt kann ich es einfach nicht glauben, dass es geklappt hat. Es dauert eine Weile, bis ich begreife, dass das Suchen ein Ende hat.

 

 

 Es regnet draußen immer noch, aber ich schreie meine Freude heraus, und springe durch die Pfützen. Einige Passanten bleiben stehen, und schauen mir kopfschüttelnd nach. Als mich ein junger Mann im Vorbeigehen fragt, ob man mich gebissen hat, schaue ich mich kurz um, und schon ist es passiert. Ich werde von einem harten Schlag an der Stirn getroffen. Mir wird ein wenig schwindelig, und ich sehe Sterne durch die Luft tanzen. Als ich wieder klar gucken kann, sehe ich einen Laternenpfahl direkt vor meiner Nase stehen Da bin ich doch in meinem Glückswahn tatsächlich gegen einen Laternenpfahl gelaufen, der hätte sich ja nun wirklich einen anderen Platz aussuchen können.. Mit der Hand taste ich meine  Stirn ab. Ich spüre eine ganz schön dicke Beule. Mit einem nassen Taschentuch versuche ich die Beule zu kühlen, damit sie nicht allzu groß wird, aber mir ist heute alles egal, endlich habe ich eine Lehrstelle.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.08.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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