Daniela Rabenstein

Wahrheit

 
„Wenn ich mir keine Gedanken und Sorgen um dich machen würde, wüsste ich jedenfalls über eines der Dinge, die mich beschäftigen, bescheid“, schrieb ich ihr an einem verregneten, grauen Tag.
 
Viel später sitzen wir uns gegenüber, von anderen, fremden Menschen umgeben.
 
„Wie fühlt es sich an?“, fragt sie mich. „Es ist doch noch nicht vorüber, oder?“
 
Ich lache kurz und blicke dann tief in ihre Augen.
„Nein, das ist es nicht. Und ich weiß auch nicht, ob es bald vorbei sein wird.“
 
Ihr Gesicht wird fragender, neugieriger.
„Also, wie fühlt es sich an?“
 
Ich lege meine Finger ineinander. Mein Blick senkt sich auf die hölzerne Tischplatte.
 
„Wenn ich dich sehe, fühlt es sich an wie ein wunderbarer Regenschauer an einem warmen Sommertag. Meine Seele ist erfüllt mit Lachen und Wärme. Ich könnte die ganze Welt umarmen. Wenn ich hingegen weit von dir entfernt bin, fühlt es sich an, als hätte man einen Teil von mir weggenommen.“
 
Sie grübelt einen Moment, ihre Augen ziehen Kreise durch den Raum.
 
„Glaubst du, dass es bald vorbei sein wird?“
 
Diese Frage kann ich ihr ohne weiteres nicht beantworten. Ich seufze kaum hörbar.
„Ich wünschte, ich wüsste es. Aber ich bin ratlos – meistens jedenfalls.“
 
Meine Antwort scheint sie nicht zufrieden zu stellen. Sie bohrt weiter.
 
„Möchtest du, dass es bald vorbei ist?“
 
„Ich weiß es nicht…“
 
Sie unterbricht mich. „Dann sag’ mir, was deine Intuition dir rät.“
 
„Für mich wäre es besser, wenn es bald vorbei ist. Es sind zwar unglaublich schöne Gefühle, aber leider nicht immer. Sehr oft ist einfach nur Traurigkeit unter das Lachen gemischt. Ich kann nicht mehr so weitermachen. Wenn ich hier nicht die Notbremse ziehe, komme ich unter die Räder; falle in ein Loch, aus dem ich allein wohl nicht herauskomme.“
 
Der Ausdruck der Freude verschwindet von ihren Zügen. „Das klingt nicht schön.“
 
Mein Blick, der vorher auf ihrem Gesicht weilte, schaut auf die Wand hinter ihr. Meine Stimme klingt nicht mehr so selbstbewusst.
 
„Nein, das ist es auch nicht. Aber es ist die Wahrheit.“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.08.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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