Peter war verstört. Es wurde lautstark gegen die Tür
gehämmert. Unentschlossen saß er im Bett und lauschte.
Sein Herz pochte heftig. Ängstlich starrte er ins
Halbdunkel der Dämmerung. Das Getöse wurde intensiver.
Noch immer unentschlossen, aber neugierig, warf er die
Decke zur Seite. Nackt schlich er durch den Wohnraum in
den Vorraum. Furchtsam starrte er die Tür an. Sie
vibrierte unter den massiven Schlägen. Knirschend und
krachend gab sie schließlich nach. Holzsplitter wirbelten
durch die Luft. Eine mächtige Faust hatte die Tür
durchschlagen. Peter stand da wie angewurzelt. Die zweite
Faust demolierte den Rest der Tür. Eine große, breite
Gestalt, schwarz gekleidet, trat aus der Finsternis des
Flures, in das dämmrige Licht des Vorraumes. Kam auf ihn
zu. Peters Augen weiteten sich. Aus einem entstellten,
unnatürlich blassen Gesicht, starrten ihm zwei kalt
blickende Augen entgegen. Langsam, als wäre dieses Wesen
sich seines Sieges gewiss, streckte es Peter die
wuchtigen Arme entgegen. Noch immer unfähig sich zu
bewegen, wollte Peter seine Angst hinausbrüllen. Doch nur
ein krächzender Laut kam über seine Lippen ...
Ruckartig setzte er sich im Bett auf. Sein Herz pochte
noch immer heftig. Er schwitzte. Auf der Straße polterte
die Müllabfuhr. Gott sei Dank, nur ein Albtraum.
Mit der Wirklichkeit kamen nun auch leichte
Kopfschmerzen. Wieder einmal zu viel getrunken. Wie fast
jeden Tag. Unvernünftig. Aber eine Möglichkeit, die immer
vorhandene, nagende Angst zu unterdrücken. Mit leicht
zitternden Fingern griff er nach der, auf dem Nachttisch
liegenden Zigarettenpackung und blickte dabei zum Wecker.
Neun Uhr. Er fischte sich mit zwei Fingern eine Zigarette
heraus, steckte sie sich zwischen die Lippen und griff
nach dem, neben dem Wecker liegenden, Wegwerffeuerzeug.
Als er die Zigarette angezündet hatte, schwang er sich
ächzend aus dem Doppelbett. Wehmütig betrachtete er die
zweite Hälfte des Bettes. Normalerweise war das Isabellas
Teil des Bettes. Doch letzte Nacht war alle ein wenig
blöd gelaufen.
Isabella und er hatten Thomas zu einem gemütlichen
Treffen eingeladen. Sie hatten alle viel getrunken.
Thomas leider zu viel. Ihm kamen dumme Gedanken und er
wollte allem ein Ende bereiten. Da er in seinem Rausch
nicht dazu zu bewegen war in Peters Wohnung zu bleiben,
hatte Isabella ihn begleitet um ihn vor eventuellen
Dummheiten abzuhalten.
Thomas tat ihm leid. Er verkraftete diese Situation am
wenigsten. Gestern war er an der Schwelle zum Selbstmord
gestanden. Er war jedoch sicher, dass Isabella ihn wieder
zur Vernunft gebracht hatte.
Er strich sich eine Strähne seiner halblangen, blonden
Haare aus dem Gesicht und ging ins Badezimmer. Als er am
Standspiegel im Vorzimmer vorbeikam, betrachtete er
seinen groß gewachsenen Körper. Noch immer athletisch.
Obwohl er, seit der Zeit, als alles begonnen hatte,
keinen Sport mehr betrieb. Andererseits, drei Monate
waren keine Ewigkeit. Auch wenn er seither ziemlich
gegenteilig lebte. Früher trank er kaum und rauchte nur
mäßig.
Er bestieg die Duschkabine, drehte die Wasserhähne auf
und mischte sich das Wasser sehr warm, aber nicht zu
heiß, ab. Es war angenehm, wie es auf seinen Nacken herab
prasselte.
Er würde gerne leben wie früher.
Ja früher.
Er konnte sich noch gut erinnern wie alles begonnen
hatte. Eine TV-Show hatte sich darauf spezialisiert,
übersinnlich begabte Menschen vorzuführen. Man zeigte
einem verblüfften Publikum dumme Kunststücke. Diese Show
wurde sehr beliebt und dadurch von vielen anderen Sendern
kopiert. Immer mehr parapsychologisch Begabte, Menschen
wie Isabella, Thomas und er, wurden aufgespürt. Wie viele
davon Scharlatane waren, blieb natürlich unklar.
Schließlich begann sich auch die Wissenschaft dafür zu
interessieren. Der PSI-Detektor wurde entwickelt. Er
reagierte auf eine spezielle Form von Gehirnwellenmuster,
welches angeblich nur bei PSI-Begabten vorkam. Wer jenes
Muster aufwies, galt als Begabter. Ob er wollte oder
nicht.
Durch die sprunghaft ansteigende Zahl parapsychologisch
begabter Menschen verunsichert, fühlten sich die
"Normalen" allmählich bedroht.
Aus diffuser Angst wurde Hysterie. Aus PSI-Begabten,
wurden PSI-Mutanten. Ein Name der viel bedrohlicher
klang.
Am Endpunkt stand die momentane Situation. PSI-Mutanten
wurden von einer, eigens dafür ins Leben gerufenen
Organisation, der Parapolizei, gehetzt und getötet.
Eine moderne Hexenjagd.
Als er mit seiner Morgentoilette fertig war,
bekleidete er sich. Nun fühlte er sich frischer. Sogar
die Kopfschmerzen waren nun kaum mehr fühlbar. Mit
federnden Schritten ging er zu seinem PC und schaltete
einen der vielen Radiosender ein. Es liefen die
Nachrichten. „... diese Pflichtuntersuchung gilt ab dem
nächsten Montag. Sobald sie die Vorladungen erhalten,
haben sie sich zu den darin angeführten Terminen, in den
dafür vorgesehenen Gesundheitsstellen zu melden. Sollten
sie dies, ohne besondere Begründung nicht tun, ist eine
Verwaltungsstrafe in der Höhe von tausend Euro, sowie
eine Zwangsvorführung, vorgesehen. Und nun zum Wetter
..."
Peter hörte nicht mehr zu. Nun war es so weit. Es
wunderte ihn, dass so etwas nicht schon eher geschehen
war. Vielleicht wollte man bisher vermeiden, die
normalen Bürger all zu sehr zu belästigen. Er hatte
längst den Verdacht, dass PSI-Detektoren in vielen
öffentlichen Gebäuden installiert worden waren. Daher
mied er Ämter, Polizeiwachen, Spitäler und was es sonst
noch so gab.
Nun wurden die Menschen dazu gezwungen öffentliche
Gebäude zu betreten.
Jedenfalls, war das die effizienteste Art, die
sündteuren PSI-Detektoren einzusetzen. Jene, in den Wagen
der Parapolizisten eingebauten Detektoren, waren zwar
mobil, aber die Parapolizisten fuhren unsystematisch
durch die Gegend. Wenn sie einen PSI-Mutanten erwischten,
war es eher Glückssache. Wobei Peter sich eingestehen
musste, dass das Netz der Parapolizei immer dichter
wurde.
Die Regierung ließ sich die Jagd auf PSI-Mutanten
einiges kosten. Wahrscheinlich weil sie von vielen
anderen Dingen, welche die Bevölkerung erregen könnte
ablenkte.
Sein Mobiltelefon läutete. Er ging zur Couch, auf der
es lag und stellte per Knopfdruck die Verbindung her. Es
war Isabella. Ohne zu grüßen fragte sie: „Hast du
vielleicht die Nachrichten gehört?"
„Ja."
„Gut. Dir ist doch klar, dass diese Untersuchung nur
ein Vorwand ist, um Leute wie uns besser aufspüren zu
können."
„Allerdings."
„Wir müssen verschwinden. Erinnerst du dich an das
Haus, das ich geerbt habe?"
„Ja natürlich. Wie könnte ich die Grillpartys, die wir
dort oft gefeiert haben, vergessen."
„Wir werden vorerst dort untertauchen. Ich hole Thomas
ab. Wir treffen uns gleich dort. In Ordnung?"
„In Ordnung. Pass‘ auf dich auf. Ich liebe dich."
„Keine Angst. Bis später. Ich liebe dich auch." Sie
unterbrach die Verbindung.
Peter blickte eine Weile nachdenklich vor sich hin.
Sein Blick schweifte dabei über den gläsernen Couchtisch
auf dem noch die Flaschen, Gläser und Teller des
gestrigen Gelages standen. Entschlossen griff er
schließlich nach der, ebenfalls auf der Couch liegenden
Daunenjacke und verließ die Wohnung .
Die kalte und feuchte Novemberluft kroch ihm unangenehm
in die Kleidung. Die kahlen Bäume wirkten wie Skelette
auf ihn. Auf dem bräunlich grünen Rasen tummelten sich
Krähen. Der graue Himmel und das matte Tageslicht
vervollständigten den deprimierenden Eindruck, den all
das auf Thomas machte.
Aber hier war er wenigstens sicher. Die Detektoren der
Parapolizisten hatten nur eine Reichweite von zwanzig
Metern und ein Wagen der durch den Park fuhr, würde
auffallen.
Er sah in einiger Entfernung eine Parkbank und
schlenderte lustlos auf sie zu. Ihm war noch etwas übel
und er hatte einen ziemlichen Brummschädel. Er ärgerte
sich über sich selbst. Gestern Nacht hatte er sich sehr
dumm benommen. Ein Glück, dass Isabella und Peter so gute
Freunde waren.
Freunde und Schicksalsgenossen.
Wer weiß, welchen Blödsinn er gestern noch gemacht
hätte, wenn Isabella nicht gewesen wäre.
Er erreichte die Bank, und setzte sich schwermütig. Mit
klammen Fingern suchte er in den Taschen seiner
Lederjacke nach den Zigaretten.
Die Zigarette, welche er kurz darauf rauchte, schmeckte
eigentlich nach gar nichts. Jedoch aus purer Gewohnheit
rauchte er weiter.
Längst hätte er an seinem Arbeitsplatz sein müssen.
Aber der gestrige Tag war wohl sein letzter Arbeitstag,
für längere Zeit, gewesen. Isabellas Anruf hatte ihn
heute morgen aus dem Schlaf gerissen. Sie hatte ihm die
Sache mit der Pflichtuntersuchung geschildert, und ihm
erklärt, ihn um zehn Uhr vor dem Park abzuholen.
Er ließ die halb gerauchte Zigarette fallen und blickte
auf seine Armbanduhr. Noch etwa fünf Minuten. Gemächlich
erhob er sich und trottete in Richtung Straße.
Interessehalber versuchte er sich auf die Gedanken
der, spärlich vorhandenen, Passanten zu konzentrieren.
Nichts. Sein Kater hatte seine, ohnehin nicht besonders
ausgeprägten, telepathischen Fähigkeiten, vollständig
gedämpft.
Vorsichtig musterte er seine Umgebung. Keines der
abgestellten Fahrzeuge erschien ihm verdächtig. Auf der
vierspurigen Straße herrschte noch immer dichter Verkehr.
Er lehnte sich gegen einen Laternenmast und wartete.
„Ein Scheißverkehr.", fluchte Stawinski und schloss
wieder auf den, vor ihm stehenden Wagen auf. Stop-and-go-
Verkehr. „Was machen die alle um diese Zeit auf der
Straße?", regte er sich weiter auf.
„Auf der Stadtautobahn hat es eine Massenkarambolage
gegeben. Das elektronische Leitsystem ist plötzlich
ausgefallen. Und das bei Nebel.", erklärte Ziemann
gelangweilt. Stawinski nervte ihn. Jeden Tag die selbe
Leier. Er hatte das phänomenale Talent, immer etwas zu
finden, worüber er nörgeln und fluchen konnte. Es war
wirklich kein Honiglecken mit ihm in einem Team zu
fahren.
„Biegen wir da vorne ab.", schlug Ziemann vor. „Sieht
besser aus."
Stawinski murmelte etwas unverständliches, schaltete
aber den Blinker ein. Mit griesgrämiger Miene lenkte er
den Wagen in die Querstraße. „Viel besser sieht‘s da
auch nicht aus.", kommentierte er.
Ziemann seufzte. „Wenigstens stehen wir nicht mehr.",
erwiderte er.
Ein kurzer Piepton war zu hören gewesen. Der PSI-
Detektor hatte einen Moment lang angesprochen.
„Ein PSI-Mutant.", erklärte Ziemann vom Jagdfieber
gepackt.
Stawinski meinte mit gelangweiltem Tonfall:
„Wahrscheinlich im Gegenverkehr. Wie willst du da
herausbekommen, in welchem Wagen der sitzt?"
Ziemann blickte nach hinten. Vor dem Park, an einen
Laternenmast lehnend, stand ein etwa zwanzig Jahre alter,
schmächtiger Typ, in engen Jeans und Lederjacke. „Und
wenn‘s der ist?", fragte er.
Stawinski blickte in den Rückspiegel. „Na gut.
Versuchern wir´s.", stimmte er widerwillig zu. An der
nächsten Kreuzung wendete er die Limousine. Ziemann war
direkt überrascht, dass er dies ohne jeden weiteren
Kommentar tat.
Thomas blickte noch einmal auf seine Uhr. Isabella war
schon zu spät dran. Bei dem Verkehr kein Wunder.
Eine endlose Blechlawine wälzte sich schon die ganze
Zeit, in niedrigem Tempo, an ihm vorbei.
Erst als ein Hupkonzert ertönte, registrierte er, dass
eine grüne Limousine, einige Meter von ihm entfernt, auf
der Fahrbahn stehen geblieben war. Die Insassen, zwei
Männer mittleren Alters, in langen schwarzen Mänteln,
waren eben dabei auszusteigen. Der Beifahrer griff in die
Brusttasche. Thomas erschrak, als er die Waffe in seiner
Hand erblickte.
Parapolizisten!
Er stieß sich vom Laternenmast ab und wandte sich in
Richtung Park.
Fort von hier!
Es knallte ohrenbetäubend.
Ein stechender Schmerz durchfuhr seinen linken
Oberschenkel.
Thomas stolperte noch einige Schritte weiter und
stürzte. Mit seinem Händen fing er den Sturz ab.
Versuchte auf die Beine zu kommen. Ging wieder in die
Knie.
Ein weiterer Schuss.
Er fühlte einen heftigen Schlag gegen den Rücken. Die
Wucht war so groß, dass er, mit weit von sich gestreckten
Armen, vornüber fiel. Sein Gesicht schlug hart auf dem
kalten Asphalt des Gehsteiges auf. Brennender Schmerz
breitete sich in seinem Oberkörper aus. Alles schien sich
von ihm zu entfernen. Geräusche wurden undeutlich.
Schwärze begann ihn zu umhüllen.
Den zur Sicherheit, aus nächster Nähe abgegebenen
Schuss in seinen Kopf, registrierte sein Bewusstsein
nicht mehr.
Isabella wurde ungeduldig. Nervös trommelte sie, im
Rhythmus der Musik aus dem CD-Player, mit ihren langen
Fingernägeln auf das Lenkrad. Sie war schon achtzehn
Minuten zu spät dran und hing noch immer in diesem Stau
fest.
Wieder ging es ein Stück weiter. Sie legte den ersten
Gang ein und trat gefühlvoll auf das Gaspedal. Der Motor
ihres roten Sportwagens brummte satt als sie auf das
Fahrzeug vor ihr aufschloss.
Sie hatte ihn sich gekauft, als die Sache mit der
Parapolizei begonnen hatte. Die damalige Erbschaft hatte
ihr glücklicherweise nicht nur das Haus verschafft,
sondern auch einiges an Bargeld.
Nochmals drei Meter weiter. Zwanzig Minuten zu spät.
Der kleine Flitzer war schnell und wendig. Genau
richtig um einem Wagen der Parapolizei zu entkommen.
Peter und sie lebten vom restlichen Geld der Erbschaft,
seit sie zu den Verfolgten gehörten.
Endlich war die Kreuzung, an der sie abbiegen musste,
in sichtbarer Nähe. Es konnte sich nur noch um Minuten
handeln.
Erleichtert bog sie schließlich in jene Straße ein, an
der Thomas auf sie warten sollte. Hätte er ein
Mobiltelefon besessen, sie hätte längst angerufen. Doch
er war einer jener Exoten, die darauf verzichteten. So
hoffte sie, dass er noch auf sie warten würde.
Vor dem Park sah sie einen Menschenauflauf. Sie
drosselte die Geschwindigkeit um zu sehen was da los war.
Eine unheilvolle Ahnung befiel sie.
Hinter der Menschentraube erkannte sie zwei Männer in
dunklen Mänteln. Einer hielt eine Pistole in der Hand.
Sie schienen ziemlich erfolglos zu versuchen, die Menge
zu zerstreuen. Auf dem Gehsteig lag eine Gestalt. Sie
erschrak. „Thomas.", murmelte sie erschüttert.
Der Detektor der Parapolizisten hatte sicher reagiert
als sie vorbeigefahren war. Aber das bereitete ihr keine
Sorgen. Die waren zu beschäftigt. Außerdem war der
Verkehr zu dicht, um sie identifizieren zu können.
„Diese Schweine.". zischte sie wütend und traurig
zugleich. Tränen stiegen ihr in die Augen. Mühsam kämpfte
sie dagegen an und gab wieder Gas. Sie schaltete die
Freisprechanlage ein und versuchte Peter zu erreichen, um
ihm die traurige Neuigkeit zu erzählen.
Er meldete sich nicht. Was war geschehen? Hatte man
auch ihn erwischt? Zu Wut und Trauer, gesellte sich nun
die Angst um ihren Geliebten. Nervös wischte sie ihre
lange schwarze Haarmähne zur Seite, obwohl sie ihr nicht
ins Gesicht gefallen war. Sie schaltete vom CD-Player auf
eine Radiostation um. Vielleicht brachte man etwas in den
Nachrichten.
Nachdem Peter von der Karambolage auf der Stadtautobahn
gehört hatte, schlug er sich quer durch die Stadt, zur
Landstraße durch.
Das Häusermeer lag nun hinter ihm. Wurde durch eine
monotone Landschaft ersetzt. Graue Felder bis zum
Horizont. Unterbrochen von den kahl in den Himmel
ragenden Bäumen, künstlich gepflanzter Windschutzstreifen
und den mächtigen Stahlgerippen sich über die Ebene
hinziehender Hochspannungsleitungen- Der Himmel wirkte,
grau verhangen, ebenso trist.
Er beschleunigte seinen, schon recht schäbigen
Kleinwagen auf die erlaubte Höchstgeschwindigkeit. Seine
Augen tränten etwas. Zu viel Rauch. Die Zigarettenpackung
war schon wieder fast leer. Um das Fenster zu öffnen war
es ihm draußen jedoch zu kühl. Und die Klimaanlage
funktionierte schon lange nicht mehr.
Er zuckte zusammen, als er von einem Wagen mit
aufheulendem Motor überholt wurde. Schnell verschwand das
Gefährt aus seinem Blickfeld.
Immer diese Angst, diese innere Anspannung.
Er konzentrierte sich auf die Musik aus dem CD-Player,
um sich zu beruhigen und abzulenken. Es waren die Hits
aus jener Zeit, zu der er Isabella kennengelernt hatte.
Sie war ihm damals, in der Videothek , sofort
aufgefallen. Ihre hochgewachsene, schmale und doch sehr
weibliche Gestalt, war das erste, das ihn, aus einiger
Entfernung auf sie aufmerksam werden ließ. Besonders
jedoch faszinierte ihn ihr blasses Gesicht mit den vollen
Lippen, umrahmt von einer dichten Mähne langer schwarzer
Haare, und diese großen, beinahe schwarzen Augen, die ihr
eine geheimnisvolle Ausstrahlung verliehen.
Erst einige Zeit später kam er dahinter, das auch sie
parapsychologisch begabt war.. Er war Telepath, sie
Telepathin und Telekinetin. Letztere Fähigkeit
beherrschte sie jedoch nicht. Sie brach nur bei starken
Angstzuständen, ohne bewusst gesteuert werden zu können,
hervor.
Damals hielten sie es noch für einen riesigen Zufall,
dass gerade sie zu einem Paar geworden waren. Inzwischen
aber wussten sie, wenn man den diversen Hetzberichten in
Zeitschriften und TV-Programmen, in diesem Punkt, glauben
schenken durfte, dass zehn Prozent der Menschheit solche
Begabungen besaßen. Zumindest hatten sie das Muster, auf
das die Detektoren ansprachen.
Ein heftiger Gedankenimpuls riss ihn in die Gegenwart
zurück.
Überraschung, Erkenntnis und Jagdtrieb.
Die dunkle Limousine an der er vor kaum einer halben
Minute vorbei gefahren war!
Nun, es ließ sich nicht mehr ändern. Selbst wenn er
sich auf die ihn umgebenden Gedanken konzentriert hätte,
wäre dieses Zusammentreffen unvermeidlich gewesen. Denn
die Richtung aus der die Gedanken kamen, ließ sich leider
nicht bestimmen.
Peter gab Vollgas. Mit der rechten Hand griff er
währenddessen ins Handschuhfach und holte jenen Revolver
hervor, den er sich über einen Bekannten organisiert
hatte. Isabella war damals nicht sehr erfreut gewesen,
als er ihr seine neueste Anschaffung gezeigt hatte. Aber
er wollte nicht völlig wehrlos getötet werden. Wollte
nicht so hingerichtet werden, wie der größte Teil jener,
die von den Parapolizisten gestellt wurden.
Er legte die Waffe auf den Beifahrersitz.
Die Limousine erschien im Rückspiegel. Wurde schnell
größer.
Ohne die Geschwindigkeit zu reduzieren, raste Peter in
die nächste Kurve. Das Heck brach aus. Die Reifen
kreischten. Mit Mühe schaffte er es, den Wagen aus der
Kurve zu lenken, ohne einen der Alleebäume zu rammen.
Die Verfolger näherten sich weiter. Ihr Fahrzeug war
dem seinen weit überlegen. Er war froh, dass die Straße
sehr kurvig war. So konnte er wenigstens vor ihnen
bleiben.
Eine Haarnadelkurve.
Knapp davor schaltete er auf den zweiten Gang. Die
Räder blockierten. Im Fahrerraum begann es verschmort zu
riechen. Sein Kleinwagen drehte sich beinahe. Wieder
hochschalten. Gas geben.
Sie klebten an ihm. Ließen nicht locker.
Der kurvige Teil war nun leider vorbei. Es folgte eine
sehr lange, gut ausgebaute, Gerade.
Hier rechnete er sich keine Chancen aus.
Seine Verfolger setzten zum Überholen an.
Peter fuhr Schlangenlinie um sie daran zu hindern.
Die Parapolizisten beeindruckte dies nicht sonderlich.
Sie rammten seinen Wagen am Heck.
Der Kleinwagen geriet ins Schleudern. Peter schaffte es
aber, ihn wieder unter Kontrolle zu bringen.
Seine Gegner fuhren nun links neben ihm her.
Peter rammte die Limousine seitlich. Hoffte, seine
Häscher so von der Straße zu drängen. Sein Wagen
schlingerte danach jedoch mehr, als der seiner Verfolger.
Der Beifahrer hielt jetzt eine Pistole aus dem
geöffneten Seitenfenster. Als er abdrückte, trat Peter
das Bremspedal bis zum Boden durch.
Das Projektil zerstörte die beiden Seitenscheiben als
es quer durchs Cockpit jagte.
Erschrocken verriss Peter das Lenkrad. Der Kleinwagen
brach aus, drehte sich mehrmals mit qualmenden Reifen,
und rutschte zwischen zwei Alleebäumen in den
Straßengraben. Staub und Erde wurden hochgewirbelt
Peter der nicht angegurtet gewesen war, schlug zuerst
mit dem Kopf gegen das Lenkrad, denn auch der Airbag
funktionierte anscheinend nicht mehr, und wurde dann auf
den Beifahrersitz geschleudert.
Er hörte wie die Limousine gewendet wurde und mit
kreischenden Rädern stehen blieb.
Ein weiterer Schuss zerstörte die Windschutzscheibe.
Die Körner des Sicherheitsglases rieselten auf ihn
herab.
Peter griff nach dem, im Fußraum liegenden Revolver,
öffnete die Beifahrertür, und ließ sich auf die Erde
fallen. Sein Schädel dröhnte. Er hob den Revolver und
blickte über den Rand der Böschung.
Der Beifahrer der Parapolizisten sprang aus dem Wagen
und lief, quer über die Fahrbahn, auf einen Alleebaum zu.
Der offene, dunkle Mantel bauschte sich dabei im Wind und
ließ ihn wie eine übergroße Fledermaus wirken.
Sie wollten ihn in die Zange nehmen.
Peter richtete die Waffe auf ihn und drückte ab.
Sein Gegner riss den linken Arm hoch und griff sich an
die Schulter. Die Wucht des Einschlages wirbelte ihn
herum und riss ihn von den Füßen. Auf dem Bauch blieb er
liegen. Auf seinem Rücken bildete sich ein dunkler Fleck,
der sich schnell vergrößerte. Die Kugel hatte seine
Schulter durchschlagen. Stöhnend lag er auf dem Asphalt.
Einige Meter weiter, in Peters Richtung, lag die Pistole.
Ein Glückstreffer. Denn er hatte kaum gezielt.
Der Fahrer seiner Jäger eröffnete nun das Feuer. Drei
Projektile wirbelten knapp vor seinem Gesicht einige
Erdbrocken hoch.
Schnell zog Peter den Kopf ein. Bald darauf riskierte
er einen weiteren Blick. Dabei sah er, dass der
verletzte Parapolizist bis zu seiner Waffe gekrochen war
und unbeholfen auf ihn anlegte.
Peter zielte auf den, nur wenige Meter entfernten, und
drückte ab.
Die Kugel drang in die Stirn des Mannes und zerfetzte
den Hinterkopf als sie wieder austrat. In einer Fontäne
verteilte sich der Schädelinhalt auf dem Asphalt.
Peter wandte sich ab. Er hatte ein flaues Gefühl im
Magen.
Ein sehr bekanntes Geräusch ließ ihn aufhorchen. Sein
Handy läutete. Leider hing es noch immer an der
Freisprechanlage im Wagen. Keine Chance heranzukommen,
ohne sein Leben zu riskieren.
Wieder ein Knall.
Das Projektil wühlte jedoch nur in etwa zwei Metern
Entfernung den die Erde auf.
Weiterhin auf dem Bauch liegend, hob Peter vorsichtig
den Kopf. Er hörte den Parapolizisten sprechen.
Verdammt! Er rief Verstärkung! Es musste etwas
geschehen.
Er schoss ungezielt in Richtung seines Gegners.
Ein ebenso ungezielter Schuss war die Antwort.
Stille. Nur der Wind pfiff über die kahlen Felder.
Beide lauerten.
Peter blickte um sich. Suchte einen Fluchtweg. Fand
keinen. So wie es dem Parapolizisten nicht möglich war,
vom Wagen wegzukommen, so saß er im Straßengraben fest.
Sobald die Verstärkung käme, war es aus mit ihm.
Träge floss die Zeit dahin. Wie lange lag er schon
hier. Ihm erschien es wie Stunden. Ein Blick auf die Uhr,
belehrte ihn eines besseren. Höchstens zwanzig Minuten.
Der kalte Boden wurde trotzdem immer unangenehmer.
Ein Motorengeräusch!
Ein Fahrzeug näherte sich von der Stadt her.
Peter verdrehte die Augen. „Hoffentlich nicht die
Verstärkung.", murmelte er verzweifelt.
Der Motor heulte auf. Das Fahrzeug war jetzt auf der
langen geraden.
Peter hob den Kopf. Wollte nach dem Wagen sehen.
Sofort knallte ein Schuss. Die Kugel pfiff nur wenige
Zentimeter an seiner Schläfe vorbei.
Sofort duckte er sich und lag wieder flach auf dem
Bauch.
Das Geräusch wurde unvermindert lauter.
Egal wer da kam. Er müsste längst bremsen, oder
herunter schalten.
Plötzlich ein Geräuschinferno. Kreischende Reifen. Ein
Schrei. Krachen und Poltern.
Stille.
Nein nicht ganz. Das gleichmäßige Brummen eines Motors,
der im Standgas lief, war zu hören.
Was war geschehen?
„Peter!"
Isabella! Es war Isabella!
So schnell es ging, richtete er sich auf. Seine Gelenke
waren steif von der Kälte. „Hier!", rief er und blickte
währenddessen um sich.
Vor ihm lag der von ihm erschossene Parapolizist.
Einige Meter weiter stand die Limousine. Die Fahrertür
war mit Wucht zugedrückt und deformiert worden. Zwischen
Tür und Rahmen hing der zweite Parapolizist. Wie es
schien, hatte er versucht aus dem Wagen zu springen, als
Isabella auf ihn zugerast war. Sein Körper war verrenkt.
Die Tür hatte seine Knochen an vielen Stellen gebrochen.
Sein Kopf hing über dem oberen Rand der Tür vornüber. Der
Hals war fast bis zur Wirbelsäule zusammen gedrückt. Blut
troff in zähen Fäden aus dem Mund.
Dahinter, an das Heck ihres Sportwagens gelehnt, stand
Isabella. Ihrer Mimik sah man an, dass verschiedene
Gefühlsregungen in ihr kämpften. Mit den hohen Stiefeln,
den engen Jeans und der, bis zur Taille reichenden,
schwarzen Lederjacke, wirkte sie wie eine moderne
Amazone.
„Ich musste es tun.", sagte sie schließlich mit fester
Stimme. „Diese Scheißkerle! Warum jagen sie uns?", schrie
sie dann. Nur mühsam unterdrückte Tränen traten in ihre
Augen. Sie atmete heftig und schüttelte den Kopf.
Er umging den auf der Straße liegenden Toten und nahm
sie sanft in die Arme. „Wir müssen verschwinden. Er hat
Verstärkung angefordert". sagte er leise, aber
eindringlich.
„Wo ist Thomas?", fragte Peter ahnungsvoll.
„Erschossen.", antwortete sie, während sie sich weiter
auf die, immer schmäler und baufälliger werdende, Straße
konzentrierte. „Ich war zu spät dran.", setzte sie fort.
Tapfer hielt sie die Tränen zurück. Peter fühlte jedoch
eine Welle des Schmerzes, die von ihr ausging. „Wäre ich
nur etwas früher bei ihm gewesen, er würde wahrscheinlich
noch leben."
Peter sah sie von der Seite her an. „Erschossen.",
wiederholte er. Und forderte dann nach einer kurzen
Pause: „Mache dir keine Vorwürfe deswegen. Ich weiß wie
du dich fühlst. Aber er hatte, wie ich, Pech. Anscheinend
gibt es jetzt schon eine Menge Parapolizisten."
„Ich war fast eine halbe Stunde später dort als
ausgemacht. Und wie es aussah, war Thomas höchstens zehn
Minuten bevor ich ankam ..."
„Es ist nicht deine Schuld, dass durch diese
Karambolage in der ganzen Stadt der Verkehr
zusammengebrochen ist.", fiel er ihr ins Wort.
„Er war doch noch so jung.", stellte sie bitter fest.
„Neunzehn Jahre."
Peter nickte nur. Neunzehn Jahre. Gut, er war acht
Jahre älter. Aber auch dieses Alter war keines zum
Sterben. In keinem Alter sollte man so sterben. Gehetzt
und ermordet.
Die letzten Stunden hatten gezeigt, dass die Jagd in
eine neue Phase getreten war. Er glaubte nicht an einen
Zufall. Thomas und er waren an Parapolizisten geraten,
weil deren Netz schon so engmaschig war. Die Chance einer
Streife der Parapolizei zu begegnen, musste schon sehr
hoch sein. Er hoffte, dass sie in Isabellas Haus, für
einige Zeit zur Ruhe kamen. Auf Dauer aber, mussten sie
eine andere Lösung finden.
In den folgenden zwanzig Minuten wechselten sie kein
Wort miteinander. Jeder hing seinen Gedanken nach,
während die düstere Novemberlandschaft an ihnen
vorbeizog.
Diese Landstraßen wurden, seit das Autobahn- und
Schnellstraßennetz ausgebaut worden war, kaum mehr
befahren. Und so fuhren sie mit dem Gefühl dahin, die
einzigen Menschen auf der ganzen Welt zu sein.
Aus dem leichten Nebel schälten sich die Häuser eines
kleinen Dorfes. Sie hatten ihr Ziel erreicht. Isabellas
Haus lag am Rand. Dahinter breiteten sich nur noch Felder
aus.
Sie lenkte ihren Wagen in die kleine, nur mit Schotter
beschüttete, Nebenstraße und parkte ihn in der Einfahrt
zum Garten.
Stille trat ein, als sie den Zündschlüssel abzog.
Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund.
„Da wären wir.", stellte Isabella überflüssigerweise
fest, während sie ausstiegen.
Mit einem klobigen, altmodischen Schlüssel öffnete sie
die kleine Holztür, welche sich neben dem Tor der
Einfahrt befand. Die ursprüngliche Farbe des Tores war
längst nicht mehr zu erkennen. Peter wusste von Isabellas
Erzählungen, dass es einmal hellgrün gewesen war. Nun war
es verwittert und grau.
Der kleine Garten war ziemlich verwildert. Kein Wunder.
Seit den damaligen Grillpartys war hier niemand mehr
gewesen. Und selbst zu dieser Zeit hatte sich keiner
darum gekümmert.
Über zwei Stufen erreichten sie die Eingangstür. Deren
Schlüssel war ebenso antiquiert wie der Erste.
Sie traten ein.
Es war eines jener einfachen Ziegelhäuser, wie sie
zumeist kurz nach dem zweiten Weltkrieg entstanden waren.
Von außen trat man in eine Küche mit einem alten Ofen,
von der es dann links und rechts, in je ein Zimmer
weiterging. Die Fenster, zwei in den Räumen, eines in der
Küche, waren alle straßenseitig angebracht. Alles sah alt
aus, und roch auch so. Lange war hier niemand mehr
gewesen.
Isabella schaltete das Licht ein. Sie hatte zwar immer
die Rechnungen bezahlt, aber man konnte ja nie wissen.
Zufrieden sah sie, dass es funktionierte. Sie öffnete die
Fenster um den abgestandenen Geruch aus den Räumen zu
bekommen. Kalte Novemberluft drang in das Haus, in dem es
ohnehin recht kühl war.
Peter beschäftigte sich inzwischen mit dem Ofen.
Nach einer Weile fingen die Holzscheite endlich Feuer.
Isabella schloss die Fenster, und bald breitete sich
angenehme Wärme aus.
Peter hatte sich inzwischen auf die alte, hölzerne
Eckbank gesetzt. Isabella gesellte sich zu ihm und lehnte
ihren Kopf an seine Schulter.
Sanft streichelte er ihr Haar.
Sie sah ihn traurig an. Eine Träne lief an ihrer Wange
herunter.
Peter schluckte schwer. Jetzt, wo der ganze Druck
abfiel, war auch ihm zum Weinen zumute.
„Warum machen die das?", schluchzte sie.
„Wir sind anders als sie. Die Leute fürchten uns."
„Wir haben ihnen doch nichts getan. Die glauben wir
schnippen mit den Fingern, und einer von ihnen fällt tot
um. Idiotisch. Ich komme mir vor, wie im tiefsten
Mittelalter."
Peter seufzte schwermütig. „Wir können es nicht ändern.
Und nur hoffen, dass der Spuk bald vorbei ist. Dass die
Leute wieder vernünftig werden."
Lange Zeit schwiegen beide. Saßen nur aneinander
geschmiegt da und ließen die Zeit an sich vorbeiziehen.
Draußen dämmerte es.
Die kleine Deckenlampe verbreitete dumpfe Helligkeit.
Der altmodische Lampenschirm zeichnete bizarre Muster auf
die ebenso alten Tapeten.
Isabella weinte noch immer leise vor sich hin.
Trauer und Selbstvorwürfe waren für Peter deutlich zu
fühlen. Es brach ihm fast das Herz. Zärtlich legte er
seine Hand auf ihre Schulter. „Komm´ wir gehen schlafen."
Sie nickte mit verweinten Augen. „Du hast recht. Morgen
fühle ich mich wahrscheinlich wieder besser."
Sie gingen in das kleine Schlafzimmer. Ein protziges,
altes Doppelbett, das fast den ganzen Raum einnahm,
vermittelte ein Gefühl der Geborgenheit. Selbst der
leichte Mottenkugelgeruch, der trotz des Lüftens noch
wahrzunehmen war, störte nicht.
In Isabella regten sich Erinnerungen an glücklichere
Zeiten. Als Kind hatte sie hier, bei ihrer Großmutter,
für einige Jahre gelebt.
Unter dicken Daunendecken, auf harten Matratzen
liegend, schmiegte sich Isabella an ihn. „Bitte halt´
mich fest.", forderte sie flehentlich.
Er umarmte sie, drückte sie fest an sich und küsste sie
auf die Stirn.
Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter und schloss die
Augen. „Hier haben wir hoffentlich für einige Zeit
Ruhe.", murmelte sie.
Schon bald vernahm Peter ihre gleichmäßigen Atemzüge.
Sie war eingeschlafen.
Er blieb noch lange Zeit wach. Düstere Gedanken ließen
ihn nicht einschlafen.
Die Sonne ging über, in Bodennebel gehüllte Felder,
auf. Es schien ein schöner Herbsttag zu werden.
Peter hatte nur kurz geschlafen und kochte nun Kaffee.
Tee, Kaffee, Zucker und Gewürze waren die einzigen
Dinge, die in dem Küchenkasten zu finden waren.
Im Ofen knisterte das Feuer und auf der Herdplatte
stand dieses, wie eine Kanne aussehende, mattsilberne
Ding, mit dem man wahrscheinlich vor einem halben
Jahrhundert Kaffee gemacht hatte.
Er hatte eine Weile gebraucht, bis er dahinter gekommen
war, wie es funktionierte. Er schaltete das Radio, ein
Gerät mit klobigen Tasten und ebensolchen Drehknöpfen,
das auf einem Regal über der Bank stand, ein. Es stammte
wohl aus der selben Zeit wie die Kaffeemaschine.
Nach moderner Unterhaltungsmusik, Werbung und mehr oder
weniger witzigen Sprüchen der Moderatoren, kamen die
Nachrichten. Bei der Meldung über ihren gestrigen Kampf
mit den Parapolizisten, horchte er auf. Man hatte ihn
anhand seines Wagens identifiziert und suchte nach ihm.
Weiters wusste man von einem, oder mehreren Komplizen,
da man an der Fahrertür des Einsatzwagens Lackspuren von
Isabellas Wagen gefunden hatte. Ihr Kampf ums Überleben
wurde als kaltblütiger, grausamer Mord dargestellt und
dazu benutzt, den Hass weiter zu schüren.
Die Tür zum Schlafzimmer wurde geöffnet.
Peter war froh, dass die Nachrichten inzwischen beim
Wetterbericht angelangt waren.
Isabella betrat nun, noch etwas schlaftrunken, die
Küche. „Guten Morgen.", sagte sie und küsste ihn. „Seit
wann bist du wach?"
Er lächelte. „Seit etwa zwei Stunden. Ich habe Kaffee
gemacht. Außer Tee und Gewürzen, das Einzige, das wir
momentan hier haben."
Sie setzte sich an den Tisch. „Kaffee reicht."
Beide tranken still ihren Kaffee und rauchten. Der
gestrige Tag beschäftigte sie noch. War noch zu klar in
ihren Erinnerungen.
„Ich werde ins Dorf fahren. Einiges einkaufen.",
erklärte Isabella.
„Kann ich das nicht machen?"
„Besser nicht. Du wirst wahrscheinlich schon gesucht."
Peter nickte. „Dein Wagen ist aber auch nicht
unauffällig. Mit der Beule links vorne."
„Das stimmt. Aber einige Leute kennen mich hier
vielleicht noch. Wenn ich, vorerst einmal, im Dorf
auftauche, ist das sicher weniger auffällig."
Sie leerte ihre Tasse, stand auf, zog sich die Jacke an
und ging. Im gehen rief sie noch: „In zwanzig Minuten bin
ich zurück!"
Peter rauchte noch eine Zigarette und räumte dann das
Kaffeegeschirr weg.
Isabella hatte ihre Einkäufe erledigt.
Das Dorf hatte sich sehr verändert. Den kleinen Laden
von damals gab es nicht mehr. Statt dessen existierte nun
ein kleiner Selbstbedienungsmarkt mit einer gelangweilten
Kassiererin, die sie während ihres Einkaufes misstrauisch
beobachtet hatte. Wahrscheinlich war sie in dem Geschäft
alles in einem. Von der Putzfrau bis zur Filialleiterin.
Als Kind hatte sie sich in dem Dorf wohler gefühlt.
Aber das war auch schon sehr lange her ...
In Erinnerungen versunken überquerte sie, bepackt mit
zwei vollen Tragetaschen, die Fahrbahn, um zu ihrem Wagen
zu gelangen.
Grell ertönte eine Hupe. Riss sie in die Wirklichkeit
zurück.
Der Fahrer des Geländewagens bremste.
Zu spät.
Angst!
Automatisch regten sich Isabellas telekinetische
Kräfte.
Die Schnauze des Geländewagens wurde nach rechts
geschleudert. Mit qualmenden Reifen sprang das Fahrzeug
auf den Gehsteig und kam knapp vor einer Hausmauer zum
Stillstand.
Isabellas Herz pochte bis zum Hals.
Eine Menge Leute standen plötzlich da und gafften. Sie
fragte sich, woher die auf einmal alle gekommen waren.
Mit blassem Gesicht stieg der Fahrer, ein korpulenter
Mann um die fünfzig, in noblem Anzug, aus dem Wagen. Er
bewegte sich fahrig. Seine Hände zitterten.
Isabella versuchte so unauffällig wie möglich, ihrem
Wagen näher zu kommen.
Einer der Gaffer, ein älterer Typ in ländlicher
Kleidung, meinte anerkennend an den Fahrer gerichtet:
„Tolle Reaktion. Ich meine: So schnell auszuweichen ..."
Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Ich... ich
habe nichts getan ... nur gebremst ... ich weiß nicht ...
es geschah wie von selbst ..."
Nun war es so weit. Isabella machte sich Vorwürfe. Das
hätte nicht passieren dürfen. Warum hatte sie nicht
aufgepasst. Beinahe überfahren zu werden ... auf dieser
Straße ...
Sie fühlte nun viele Blicke auf sich gerichtet. Die Welle
der Emotionen schlug langsam von Neugierde auf Hass um.
Eine hagere Frau, etwa vierzig Jahre alt, in einer
ausgewaschenen Kleiderschürze, kreischte: „Sie war es!
Sie ist sicher eine von diesen PSI-Mutanten!"
Gemurmel brandete auf. Klang bedrohlich. Isabella
atmete schwer. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Eine
fast schon materiell fühlbare Woge aus Hass und
Feindseligkeit überrollte ihre Sinne.
Nur noch etwa ein Meter bis zum Wagen.
Ein kräftiger junger Bursche in Arbeitskleidung griff
brutal nach ihrem Arm. Eine ihrer Tragetaschen fiel zu
Boden. Ihr Inhalt verteilte sich auf der Fahrbahn.
Ein telekinetischer Impuls schleuderte den Kerl in die
Menge zurück. Mit rudernden Armen riss er einige Leute
mit sich.
Ein wenig Panik kam auf.
Isabella nutzte diesen Moment.
Sie ließ die zweite Tasche fallen und öffnete die
Autotür. Schnell sprang sie ins Cockpit, startete, und
fuhr mit kreischenden Rädern los.
Ein grobschlächtiger Mann in blauem Arbeitsoverall
stellte sich in den Weg.
Sie ignorierte ihn.
Aufschreiend flog er über die Motorhaube, rollte über
die Fahrbahn und blieb im Rinnstein liegen.
Der Geländewagen setzte sich nun ebenfalls in Bewegung.
Sein Fahrer nahm die Verfolgung auf. Er schien sich
schnell wieder erholt zu haben.
Mit der Rechten griff Isabella in ihre Jackentasche und
holte ihr Handy hervor. Glücklicherweise musste sie
Peters Nummer nicht wählen. Ein Knopfdruck zur Wiederwahl
genügte.
Er hob ab.
Bevor er noch etwas sagen konnte, rief sie aufgeregt:
„Mach´ dich fluchtbereit!" Sie unterbrach die Verbindung
und warf das Telefon auf den Beifahrersitz. Währenddessen
bog sie, nur mit der linken Hand lenkend, in die
Nebenstraße, die zu ihrem Haus führte. Der Wagen geriet
ins Schleudern. Schotter und Staub wurden von den
durchdrehenden Rädern hochgewirbelt. Isabella schaffte
mit einiger Mühe, den Sportwagen wieder unter Kontrolle
zu bringen. Eine Staubfahne hinter sich herziehend,
raste sie weiter.
Das Haus kam in Sicht. Peter stand mit dem Revolver
davor.
Gott sei Dank. Er hatte schnell reagiert.
Mit blockierenden Rädern zwang sie das Fahrzeug zum
stehen.
Peter hob schützend die Arme vor sein Gesicht als
Steine und Staub hochgeschleudert wurden.
Schlingernd kam nun auch der Geländewagen um die Kurve.
Peter hob den Revolver und drückte zweimal ab.
Obwohl er nicht traf, brach das Fahrzeug aus und
landete in einem Vorgarten.
Peter sprang in den Sportwagen.
Das Gaspedal durchtretend, raste Isabella los.
„Was ist los?", fragte Peter während er sich Staub von
der Jacke klopfte.
„Ich habe Scheiße gebaut.", antwortete sie über sich
selbst verärgert. Dabei kämpfte sie mit dem Lenkrad, um
den Sportwagen weiter auf der Schotterstraße zu halten.
„Ich war mit den Gedanken wo anders und wäre beinahe
überfahren worden. Tja. Dann ist es geschehen. Du weißt,
wenn ich sehr große Angst habe ..."
„Jetzt ist es nun mal passiert.", beschwichtigte er.
DAuf Dauer hätten wir dort sowieso nicht bleiben können."
Sie bog inzwischen, eine Bahn aus Steinen und Staub
hinter dem Wagen herziehend, auf die Landstraße und ging
vom Gas. Der Verfolger war abgeschüttelt. Ein
unauffälliger Fahrstil war jetzt angebrachter.
„Wohin fahren wir jetzt?", erkundigte sie sich. „In die
Stadt können wir sicher nicht zurück."
„Ich hörte, die Kontrollen im Osten sind nicht so
extrem wie hier. Die Behörden dort haben weniger Geld zur
Verfügung."
Isabella verzog das Gesicht. Ihr Kopf begann zu
schmerzen. Eine Nachwirkung. Immer nachdem ihre
telekinetischen Kräfte zum Einsatz gekommen waren, fühlte
sie sich, als hätte sie eine Woche durchgefeiert.
Unbeholfen griff sie nach den, auf der Mittelkonsole
liegenden Zigaretten. „Da müssen wir aber über die
Grenze. Ich könnte mir vorstellen, dass gerade an der
Grenze viele Streifen der Parapolizei durch die Gegend
patrouillieren."
Er nahm ihr die Zigarettenpackung ab, steckte sich zwei
Zigaretten zwischen die Lippen und zündete sie mit dem
Feuerzeug an. Eine davon reichte er Isabella. „Wenn wir
vorsichtig sind könnten wir es, mit etwas Glück,
schaffen."
„Na ja. Wir können es versuchen. Hier würden wir ohnehin
nicht lange überleben."
Nach einiger Zeit, etwa fünfzig Kilometer vor der
Grenze, tauchte eine kleine Raststätte auf. Wie ein
Fremdkörper wirkte das heruntergekommene, ebenerdige
Gebäude, in der weiten, baumlosen Ebene.
Auf dem, mit Schlaglöchern übersäten, Parkplatz standen
nur wenige Fahrzeuge. Hauptsächlich Fernlaster. Alle
Gefährte waren unbesetzt. Also keine Gefahr.
Isabella reduzierte die Geschwindigkeit und lenkte
ihren Wagen auf den Parkplatz. Der hart gefederte
Sportwagen rumpelte unangenehm über die rissige und
löchrige Asphaltfläche. „Ich habe Hunger.", kommentierte
sie lächelnd.
„Nicht nur du.", meinte Peter während er ihr Lächeln
erwiderte.
Der kleine, etwas schäbige Gastraum war nur mäßig
besetzt. Rauch hing in trägen Schwaden in der Luft. Leise
Hintergrundmusik, wahrscheinlich aus dem Radio, war zu
hören. Es war beinahe unangenehm warm.
„Beim Heizen wird hier nicht gespart.", stellte Peter
fest.
Isabella nickte, während sie ihre Jacke öffnete.
Nichts Bedrohliches ging von den Leuten aus. Es war die
übliche Mischung aus leichter Neugierde, Gleichgültigkeit
und sexuellem Interesse an Isabella.
Sie wählten einen Tisch in hinteren Teil des Lokales.
Weit weg vom Parkplatz und sicher außerhalb der
Detektorenreichweite zufällig vorbeikommender
Parapolizisten. Sie zogen ihre Jacken aus und hängten
sie über die Lehnen der etwas wackeligen Stühle. Peter
achtete dabei darauf, dass der Revolver in der
Innentasche nicht zu sehen war.
Sie hatten sich kaum gesetzt, als eine griesgrämig
blickende Kellnerin erschien, um ihre Bestellung
aufzunehmen. Die Auswahl fiel nicht schwer. Es gab nur
drei Hauptgerichte: Spaghetti, Pizza und Schnitzel.
Sie entschieden sich für die Pizza und bestellten dazu
Bier.
Nach dem Essen sah das Leben wieder ein wenig
angenehmer aus. Ihre Anspannung löste sich etwas.
Isabella, deren Kopfschmerzen nun auch nachgelassen
hatten, zündete sich eine Zigarette an. „Wie machen wir
das mit der Grenze?"
Peter folgte ihrem Beispiel. Nachdem er den Rauch in
die Luft geblasen hatte, antwortete er: „Ich habe noch
keine genaue Vorstellung. Schließlich wissen wir nicht,
wie es dort mit Kontrollen aussieht. Wir sollten erst
einmal hinfahren, dort ein Zimmer nehmen und uns in Ruhe
umsehen. Dann passen wir unseren Plan den Gegebenheiten
an."
Sie nickte. „Wenn wir vorsichtig sind, stehen unsere
Chancen vielleicht wirklich nicht schlecht."
„Wir schaffen das schon."
Nachdem sie bezahlt hatten, verließen sie Arm in Arm
das Lokal.
Peter erschrak. Ein kräftiger Gedankenimpuls.
Überraschung.
Parapolizisten!
Eine dunkle Limousine rollte neben dem Ausgang aus.
Er stieß Isabella von sich, während er die Waffe zog.
Da sie nicht auf die Umgebung geachtet hatte, blickte
sie ihn verwirrt an.
„Lauf´ zum Wagen!", schrie er.
Isabella lief los.
Peter schoss auf den überraschten Fahrer. Die
Seitenscheibe zerbarst in unzählige Glaskrümel.
Der Mann schrie auf, als das Projektil seinen Oberarm
durchdrang und im Brustkorb stecken blieb.
Der Beifahrer öffnete die Tür und ließ sich aus dem
Wagen fallen.
Peter sprang über die drei Stufen, die den Ausgang vom
Parkplatz trennten, stolperte und fiel, sich über die
Schulter abrollend, auf den harten Boden.
Ein Knall.
Der Beifahrer hatte auf ihn geschossen. Die Kugel pfiff
so nah an seinem Kopf vorbei, dass er einen Luftzug
fühlte.
Peter kam auf die Knie und erwiderte den Schuss.
Der Parapolizist sprang hinter die Frontpartie des
Einsatzwagens.
Peter fühlte sich auf der Asphaltfläche wie auf dem
Präsentierteller.
Ein weiteres Projektil prallte knapp vor ihm vom
Asphalt ab.
Ohne genau zu zielen, schoss Peter zweimal in Richtung
des Parapolizisten. Er war in Panik. Es würde sicher
nicht lange dauern, bis ihn sein Gegner treffen würde.
Er rollte sich seitlich ab, um seine Position zu
ändern.
Nicht zu früh.
Zwei Geschosse schlugen dort in den Boden ein, wo er
sich kurz zuvor befunden hatte.
Auf die Unterarme gestützt, drückte er ab.
Nur metallisches Klicken.
Verdammt! Die Trommel war leer!
Mit blockierenden, kreischenden Rädern, bremste
Isabella ihren Wagen zwischen Peter und der Limousine.
Wieder ein Knall.
Die linke, hintere Seitenscheibe ihres Wagens wurde
zertrümmert.
Peter kam auf die Beine, riss die Beifahrertür auf und
sprang ins Cockpit.
Noch bevor er die Tür geschlossen hatte, fuhr Isabella
los. Mit heulenden Reifen gewann ihr Sportwagen schnell
an Geschwindigkeit.
Mehrere Schüsse wurden ihnen nachgesandt. Einige
Projektile schlugen mit dumpfem Klang im Blech des Wagens
ein.
Für einen Augenblick verlor Isabella die Kontrolle über
ihr Fahrzeug.
Es schlingerte heftig.
Mit einer routinierten Lenkbewegung fing sie den Wagen
ab und lenkte ihn schleudernd auf die Landstraße.
Noch schwer atmend lehnte Peter sich zurück. „Jetzt
hatten wir wirklich Glück."
Sie nickte nur. Jagte den Sportwagen mit hoher
Geschwindigkeit über die Landstraße. War scheinbar völlig
darauf konzentriert, das Gefährt auf der schmalen
Fahrbahn zu halten.
Nach etwa fünf Minuten drosselte sie das Tempo und ließ
den Wagen ausrollen.
Peter, der sich teils angstvoll, teils bewundernd auf
ihren Fahrstil konzentriert hatte, fragte überrascht:
„Was ist?"
Als er sie ansah, war er entsetzt.
Ihr sonst schon recht blasses Gesicht, war noch
blasser. Sie sah ihn an und lächelte verzerrt. „Ich bin
getroffen.", presste sie hervor. „Zuerst glaubte ich, es
sei nicht so schlimm. Hat nicht geschmerzt. Aber jetzt
..." Sie schluckte schwer. „Es tut fürchterlich weh.
Alles dreht sich."
Er musterte sie mit großen Augen. War wie gelähmt.
Warum hatte er ihren Schmerz nicht gespürt? War es die
Aufregung? Oder hatte sie gar ihre Emotionen abgeblockt?
„Lass´ sehen.", forderte er mit sanfter Stimme, während
er ihren Oberkörper vorsichtig nach vorne drückte.
In ihrer Jacke, etwa zehn Zentimeter unter dem rechten
Schulterblatt, war ein kleines Loch. Ebenso in der
Rückenlehne des Fahrersitzes.
Peter schüttelte bestürzt den Kopf. Obwohl das Geschoss
das Blech am Heck, die Lehne der Rückbank und die ihres
Sitzes durchdrungen hatte, musste es noch große Wucht
gehabt haben. Ihre Jeans und die Sitzfläche waren voll
von dem Blut, das unter der Lederjacke hervor rann.
Sie hustete mit schmerzverzerrtem Gesicht. Eine
Mischung aus Blut und Speichel troff aus ihrem
Mundwinkel.
„Ich habe Angst.", gestand sie krächzend.
Er drückte ihren Kopf an seine Schulter. „Du musst
durchhalten. Wir suchen einen Arzt ..."
„Einen Arzt. Da können wir gleich ins Hauptquartier der
Parapolizei fahren.", protestierte sie schwach.
„Wir suchen einen Arzt.", bekräftigte er. „Und wenn ich
ihn mit vorgehaltener Waffe zwingen muss, dich zu
behandeln."
Isabella löste ihren Kopf von seiner Schulter. Sah ihn
mit ihren großen, dunklen Augen traurig an. Tränen liefen
über ihre Wangen. Mit zitternden, blutleeren Lippen,
versuchte sie nochmals zu lächeln. Es misslang. Schwach
schüttelte sie den Kopf. Versuchte etwas zu sagen.
Kraftlos kippte ihr Oberkörper vornüber.
Peter fing sie auf. Obwohl er spürte, dass sie nichts
mehr fühlte, flehte er: „Isabella du musst durchhalten.
Was mache ich den ohne dich." Er schüttelte den Kopf.
Tränen traten in seine Augen. Leise fügte er hinzu: „Ich
liebe dich doch."
Er neigte sich langsam vor, vergrub sein Gesicht in
ihrem Haar, und begann hemmungslos zu weinen.
Die beiden Wagen der Parapolizei standen hintereinander
auf dem Parkplatz vor der Raststätte. Die Gäste waren,
nachdem man sie befragt hatte, fortgeschickt worden.
Der Fahrer des lädierten, ersten Wagens war verarztet
worden und der Arzt stieg eben in sein Fahrzeug und
verließ ebenfalls den Ort des Geschehens.
Der Beifahrer war noch sehr jung und erst seit einigen
Wochen im aktives Dienst der Parapolizei. Bisher, in den
wenigen Fällen zuvor, bei denen er auf PSI-Mutanten
gestossen war, hatte er noch nie erlebt, dass diese sich
so heftig wehrten. Der Schreck saß ihm noch in den
Gliedern und er war nervös. Er fühlte sich in
Gesellschaft der beiden Ranghöheren nicht wohl.
Einer der beiden winkte ihn nun zu sich. Er war etwa
fünfzig, fast um einen Kopf größer und sehr hager. Als
der Beifahrer ihn erreicht hatte, forderte er mit
knarrender Stimme: „Schildern sie mir kurz und prägnant
den Ablauf der Auseinandersetzung." Die grauen Augen des
Ranghöheren blickten ihn dabei durchdringend an. In
seiner rechten hielt er ein Diktiergerät, das er nun ein
wenig hob.
„Also es geschah so ...", begann der Beifahrer nun,
darum bemüht, seiner Stimme einen festen klang zu geben.
Seine Augen schweiften dabei in alle Richtungen, um
diesem unangenehmen Blick zu entgehen. „... wir kamen
gegen elf Uhr hier an, als unser PSI-Detektor anschlug
..." Sein Blick schweifte dabei zufällig über die
Landstraße. Seine Augen weiteten sich. Ein roter
Sportwagen kam die Straße entlang und blieb nun in etwa
zweihundert Metern Entfernung stehen. Er riss den Arm
hoch. „Das ist der Wagen!", schrie er.
Der Motor brummte satt und gleichmäßig im Standgas.
Peter saß mit starrem Blick hinter dem Steuer. Nur noch
die Rötung der Augen zeugte von dem tiefen, seelischen
Schmerz den er kurz zuvor erfahren hatte. Nun war er
wieder völlig ruhig. Sein Entschluss war gefasst.
Auf dem Beifahrersitz hatte er Isabellas Leiche
festgeschnallt. Es erschien ihm zwar irgendwie pietätlos,
aber sie einfach aus dem Wagen zu werfen wäre wohl noch
schlimmer gewesen. Letztendlich war es ohnehin egal. Den
bald würden sie wieder vereint sein.
In die Gruppe auf dem Parkplatz kam Bewegung. Sein
Auftauchen schien die Parapolizisten zu verwirren.
Er gab Gas. Trat das Pedal durch. Schaltete hoch. Mit
dem Sportwagen schienen sich auch seine Sinne zu
beschleunigen. Alles erschien ihm wie in Zeitlupe. Zum
kreischen der Räder mischte sich ein Stakkato von
Schüssen. Die Windschutzscheibe barst. Glaskrümel und
Fahrtwind drangen ins Cockpit. Er fühlte einen Schlag
gegen seine linke Schulter. Noch kein Schmerz. Nur
leichtes Brennen. „Isabella ich komme.", murmelte er und
es schien ihm, als hörte er seine eigene Stimme aus
weiter Ferne.
Die Einfahrt zum Parkplatz.
Mit zu hoher Geschwindigkeit bog er ein. Der Sportwagen
brach aus. Drehte sich mit qualmenden Reifen.
Die Parapolizisten versuchten von ihren Fahrzeugen fort
zu kommen.
Zu spät.
Mit dem Heck voran krachte Isabellas Wagen gegen den,
der Ausfahrt am nächsten stehenden, Einsatzwagen. Schob
die Limousinen zusammen.
Die Schreie jener Parapolizisten, welche von den, sich
ineinander verkeilenden Fahrzeugen zerquetscht wurden,
vermengte sich mit dem Knirschen des sich verformenden
Bleches.
Nur einer hatte es geschafft, sich mit einem Sprung zu
retten.
Der Tank des Sportwagens explodierte mit einem dumpfen
Knall. Eine Stichflamme schoss in die Höhe. Brennende
Trümmer flogen in alle Richtungen. Sofort fingen die
Limousinen Feuer. Ein weiterer Tank explodierte nur
Sekundenbruchteile später. Einige kleinere Explosionen
folgten.
Der einzige, noch unversehrte, Parapolizist wurde
blitzartig von den Flammen eingehüllt. Seine Kleidung
brannte augenblicklich. Er schrie seinen Schmerz hinaus,
während er mit rudernden Armen über den Parkplatz
taumelte.
Schließlich erstarben die Schreie. Wurden von Stöhnen
und Wimmern abgelöst.
Allmählich, als würde er dagegen ankämpfen, ging er in
die Knie. Kraftlos baumelten die Arme herab. Er verharrte
kurz in knienden Haltung und fiel dann auf sein Gesicht.
Sein Gewimmer wurde leiser und verklang schließlich
endgültig.
Noch einmal knallte es dumpf als in einer der
Limousinen eine Munitionskiste explodierte. Ein weiterer
Trümmerregen übersäte den Parkplatz und die Vorderfront
der Raststätte, an der nun auch schon das Feuer leckte.
Nur noch die knisternden Flammen und das Heulen noch
weit entfernter Sirenen störten nun die Stille.
„Danke.", er lächelte freundlich während seine
Sekretärin die schmale Kunststoffmappe auf den
Schreibtisch legte.
Sie erwiderte sein Lächeln. „Haben sie noch einen
Wunsch?", fragte sie. „Einen Kaffee vielleicht?"
„Das ist sehr nett. Aber ich muss in der nächsten
viertel Stunde aufbrechen. Pressetermin.", erklärte er.
Ihr Blick wurde ernst. „Wegen der Sache?", fragte sie
und deutete dabei auf die Mappe.
Er nickte mit ernster Miene. Lächelte dann aber wieder.
„Da fällt mir ein, wenn sie wollen, können sie sich einen
schönen Nachmittag machen. Ich werde heute nicht mehr ins
Büro kommen."
„Oh gerne.", meinte sie erfreut. Verabschiedete sich,
und verließ freudestrahlend das Büro.
Er lächelte noch, als sie sein Büro schon verlassen
hatte. Eine angenehme Arbeitsatmosphäre war ihm wichtig.
Er fühlte sich unter hektischen, angespannten Menschen
unwohl. Und für seine Mitarbeiter war es so auch
angenehmer. Somit war er bei seinen Untergebenen sehr
beliebt. Sie hielten sie zu ihm. Gingen für ihn durch
dick und dünn. Auch das war ein wichtiger Effekt dieses
Arbeitsklimas.
Er öffnete die Mappe. Auf der Innenseite des Einbandes
sprangen zwei Portraitfotos in sein Blickfeld.
Sympathische Gesichter.
„Ihr würdet nicht glauben wie ihr mir geholfen habt.",
murmelte er.
Das war ein echter Glückstreffer. Gerade zur richtigen
Zeit. Mehrere Tote und Verletzte. Beteiligte Zivilisten.
Dies würde die Reihen der Kritiker weiter lichten.
Er betrachtete ihr Foto genauer. „Du warst besonders
wichtig.", stellte er fest.
Eine Telekinetin.
Sie hatte ein Auto mit Gedankenkraft abgedrängt. Vor
Zeugen. Das war sehr bedeutsam. Es gab Leute die an den
PSI-Detektoren zu zweifeln begannen. Und das war nicht
gut.
Die Detektoren spürten natürlich jeden PSI-Begabten
auf. Aber es gab auch andere Menschen mit diesem
Gehirnwellenmuster. Nur drei Prozent waren tatsächlich
Begabte. Dies musste der Öffentlichkeit verborgen
bleiben. Seine Organisation, die Parapolizei, würde
ansonsten wohl sofort aufgelöst werden.
Er schloss die Mappe, packte sie in seinen Aktenkoffer
und verließ das Büro.
Was er nicht verstand, war, warum sie ihre Fähigkeit
nur einmal eingesetzt hatte. Entweder hatte sie diese
nicht gut beherrscht, oder sie war dadurch zu sehr
angestrengt worden. Vielleicht auch beides.
Der PSI-Detektor schlug an, während ihn der Portier,
ein rundlicher Kerl mit Halbglatze, freundlich grüßte.
Der kleine, dicke Mann, registrierte es jedoch nicht.
Konnte er auch nicht. Denn er bestimmte was dieser
wahrnehmen konnte und was nicht. Schließlich hatte er
seine Fähigkeiten voll im Griff.
Auf der Straße war es kühl. Es herrschte dichter Nebel.
Novembernebel, in dem man nur einen kleinen Ausschnitt
der Welt klar sehen konnte.
ENDE
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Günther Glogowatz).
Der Beitrag wurde von Günther Glogowatz auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.08.2005.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Günther Glogowatz als Lieblingsautor markieren
Crashland-Suzi Todeszone
von Günther Glogowatz
Durch ein technisches Experiment fegte eine schreckliche Katastrophe über einen großen Teil Europas hinweg.
Ein neuer Landstrich mit teilweise eigenartigen Naturgesetzen und „Dimensionsrissen“, welche zu anderen Welten führten war entstanden. Da sogar Beobachtungssatelliten nur unbrauchbare Bilder von diesem Gebiet liefern konnten, wurde es von offiziellen Stellen als X-Territorium bezeichnet. Allgemein benannte man es jedoch als das Crashland.
Da die üblichen Waffensysteme dort größtenteils versagt hatten, war die X-Force gegründet worden. Eine spezielle Armee, deren Ausbildung und Ausrüstung an die merkwürdigen Umweltbedingungen dieses Landstriches angepasst worden waren.
Suzi war Mitglied der X-Force. Während eines Einsatzes gerät sie mit ihrer Truppe in einen Hinterhalt. Es ist der Auftakt im Kampf um die absolute Macht im Crashland.
Verleumdet und dadurch von den eigenen Kameraden gejagt, bleibt ihr nur noch die Flucht durch die Todeszone, um Platon zu erreichen. Denn nur er ist mächtig genug, ihre Unschuld beweisen zu können und den düsteren Machenschaften um die Vorherrschaft im Crashland entgegentreten zu können.
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