Alles war neu für mich damals im Jahre l953, als ich mich als Anwärter für den Zollgrenzdienst in dem kleinen Dorf, hart an der Zonengrenze im westlichen Deutschland, zur Stelle meldete. Der Postenführer, ein Zollassistent, hieß mich willkommen. Außer zwei Wohnungen im Zollhause gab es keine weiteren Dienstwohnungen. Ich machte Dienst auf Probe, und die Voraussetzung für ein zukünftiges Beamtemleben hing ganz von einer dreimonatigen Schulung mit anschließender Prüfung ab. Kam man aus Flensburg -Mürwik als Assistent zurück, dann stand einer Karriere bei der Zoll- oder Finanzverwaltung nichts im Wege.
vier Kilometer. Sie führte schnurgerade an einem Bahndamm entlang und unmittelbar dahinter fließt als natürliche Grenze die Oker, ein Nebenfluss der Aller. In diesem Teil des Landes bildete sie auch die Grenze
zwischen den Ländern Niedersachsen im Westen und Sachsen-Anhalt im Osten. Dort befand sich das andere Deutschland. Russen und Volkspolizisten bewachten die Grenze zu Fuß und von Wachtürmen, die man in kurzen Abständen errichtet hatte. Unmittelbar hinter dem Fluss befand sich der gepflügte und geharkte "Todesstreifen". Die kleinen gegenüberliegenden Dörfer hatte man mit hohen Drahtzäunen in doppelter Ausführung abgeschirmt. Die Menschen lebten wie Gefangene in der sogenannten Sperrzone der Deutschen Republik. Grenzzwischenfälle gab es seit einigen Jahren nicht mehr, weil wegen des breiten Flusses und der beschriebenen Hindernisse kein direkter Kontakt mit der anderen Seite bestand.
Friedhelm redete ununterbrochen während wir auf den Schwellen der Gleisanlage dahintrotteten. Kurze ebenmäßige Schritte, anstrengend und ungewohnt für mich. Nahm ich zwei Schwellen auf einmal, schlug mir der Karabiner, den ich als Dienstjüngerer tragen musste schmerzhaft gegen den Oberschenkel. Plötzlich kam ein weisser Volkswagen in Sicht. Neben dem Bahndamm befand sich ein Weg, der von PKW's befahren werden konnte.Der Volkswagen hielt und wir kletterten die Böschung hinunter. Friedhelm machte eine schneidige, militärische Meldung: "Keine besonderen Vorkommnisse, Herr Kommissar!" Wie ich in den folgenden Monaten feststellen konnte, gab es nie besondere Vorkommnisse an diesem Grenzabschnitt.
Friedhelm wusste jedoch von wilden Zeiten zu berichten, als die Grenze zwischen West und Ost noch nicht befestigt war. Schwarzhändler, Mörder und andere Kriminelle wechselten ständig über die Grenze in beide Richtungen. Die Mehrzeit bildeten Grenzgänger, die Verwandte suchten, oder einer besseren Zukunft im Westen zustrebten. Grenzführer schleusten diese auf geheimen Pfaden in das andere Deutschland. Es waren oft gefährliche Abenteuer damit verbunden. Besonders ein Grenzführer im benachbarten Grenzabschnitt, nahm nicht nur Schmuck und Zigaretten als Bezahlung entgegen. Er tötete mehr als zwanzig Frauen, nachdem er sie vergewaltigt und ausgeraubt hatte.
Friedhelm war der Außenseiter des Postens. Viele der Kollegen konnten seinen hundertprozentigen Diensteifer und sein ständiges Schwatzen nicht leiden. Merkwürdigerweise war ich oft dazu ausersehen mit ihm auf Streife zu gehen. Auf diese Weise lernte ich ihn mit all seinen Stärken und Schwächen kennen. Von einer Freundschaft konnte zu der Zeit jedoch nicht die Rede sein. Wir waren halt Kameraden, die dieselben Aufgaben hatten. Immer wieder träumte er davon dem monotonen Grenzdienst zu entfliehen, um im Innendienst Karriere zu machen.
Nachdem ich den Grenzabschnitt, auch mit anderen Kollegen, und auch allein zehn Monate "ohne besondere Vorkommnisse" gegangen hatte, wurde ich aufgefordert, in Flensburg meine Assistentenprüfung abzulegen. Nachdem ich diese nach dreimonatiger Schulung bestanden hatte, wurde mir kurt darauf eine Dienstwohnung
im benachbarten Grenzabschnitt und Ort angeboten. Meine Familie konnte nachkommen. Ich hatte 21 neue Kollegen an einer doppelten so großen Grenzlänge, die voller Vorkommnisse war. Kein Fluss hinderte das Zusammentreffen mit Volkspolizisten bei Grenzbegehungen dicht am gepflügten Streifen entlang.
Ich vermisste die Kameradschaft meiner früheren Kollegen. Die Kameraden am neuen Dienstort hatten sich zu Cliquen zusammengetan, und wir wurden von den meisten nicht sonderlich beachtet. Später hatten wir guten Kontakt mit zwei Familien im Hause. Einmal im Monat fuhren wir zum Schießstand. Alle Mitglieder des Kommissariats waren vertreten, um mit Karabiner, Pistole und Maschinenpistole auf Scheiben zu schießen. Da traf ich dann die alten Kameraden und auch Friedhelm wieder. Sonst trafen wir uns nur gelegentlich auf Streifenwegen an den Endpunkten der Grenzabschnitte.
In meinem Falle wurde es nicht aus einer Karriere beim Zoll. Die Ferne und das Abenteuer lockte. Bereits nach etwas über zwei Jahren beendigte ich freiwillig meine Beamtenschaft, um nach Kanada auszuwandern. Ein neues Leben hatte sich für uns eröffnet, und die alte Heimat versank vorerst in der Vergangenheit.
Erst 18 jahre später sollte ich Deutschland wiedersehen. Durch Zufall traf ich einen früheren Kollegen vom ersten Grenzposten, der mir erzählte, dass die Aufsichtsstelle, an der nie etwas passierte, aufgelöst worden sei. Nur wenige der alten Kameraden waren beim Zoll geblieben. Die Mehrzahl war zu der Wehrverwaltung übergewechselt. Friedhelm's Traum wurde wahr. Mit verbissenem Ehrgeiz erstrebte er den Aufstieg. Nach mehreren Schulungen wurde er Inspektor, Oberinspektor und schließlich Zollamtmann. Seine letzten Diensthandlungen führte er in einer großen Kleiderfabrik aus, wo er die Zollabfertigungen erledigte. Es gab keinen Zweifel an seiner Gewissenhaftigkeit und seinem Fachwissen. Erst bei meinem dritten Heimatbesuch im Jahre 1988 traf ich Friedhelm wieder. Sein Redefluss hatte sich noch gesteigert. Ich gratulierte ihm zu seinem Aufstieg. Er winkte ab und sagte, er hätte noch Zollrat werden sollen, aber seine große Klappe hätte das wohl verhindert. Freimütig bekannte er, dass ihm sein Besserwissen, der Redefluss und Kritik an Höhergestellten keine Freunde in der Verwaltung beschert hatte. So schob man ihn sozusagen in die Kleiderfabrik ab. Vorzeitig musste er aus Krankheitsgründen den Dienst quittieren. Bei einem unglücklichen Sturz im Badezimmer wurde die Wirbelsäule beschädigt, was eine Teillähmung zur Folge hatte. Für den Rest seines Lebens war er behindert. Eine Besserung trat nicht ein. Dazu kam die bösartige Krankheit seiner Frau, die nach schmerzhafter Leidenszeit an Darmkrebs verstarb. Friedheem war allein im großen Haus, aber ein zäher Wille und Mut zum Leben erwachten in ihm. Er gab nicht auf, lud sich Freunde ein und machte große Reisen. Sein Interesse am Weltgeschehen erlöschte nie. Er bastelte elektrische Eisenbahnen, sammelte Briefmarken, züchtete Rosen, und er lernte englisch in Abendkursen. Störend jedoch für alle, mit denen er Kontakt pflegte, war sein pausenloses Reden. Niemand kam zu Wort. Sogar sein Essen ließ er kalt werden. Er war zu unruhig, um nur zu essen, und mit vollem Munde redend verschluckte er sich oft. Eines mussten wir ihm hoch anrechnen. Er lud uns in seinem Saab zu langen Fahrten ein, die auch mit Übernachtungen verbunden waren. Großzügig wollte er von einer Kostenbeteiligung nichts wissen.
Dreimal besuchte er uns in Kanada und wir hatten die Gegelenheit uns zu revanchieren. Wir machte tagelange Fahrten durch unsere schöne Provinz Britisch Kolumbien. Friedhelm war begeistert. Seine Behinderung ignorierte er. Für alles bedankte er sich mehrmals, weil wir ihn wie einen Verwandten aufnahmen. Natürlich war es für nicht einfach seinen ständigen Erzählungen zuzuhören, weil ja auch der Haushalt und Garten unsere Bearbeitungen verlangte. Auf unseren Fahrten und Einkäufen verwickelte er Passanten, Postangestellte, Verkäuferinnen und Serviermädchen in lange Gespräche, so ignoriering andere Leute die hinter ihm standen.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.09.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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