Germaine Adelt

Simon

    Die Schokolade klebte in meinem Mund und war extrem süß. Ich versuchte ein Lächeln aber es war, als seien meine Lippen verklebt. Ich sehnte mich nach einem Glas Wasser, so wie es in jedem Wiener Kaffeehaus gereicht wurde. Aber ich war hier bei Frau Bergmann und nicht in Wien und der Kaffee von Frau Bergmann hatte sich noch nicht gesetzt. Die Frau wuselte umtriebig um mich herum und für einen Moment bereute ich, dass ich überhaupt hier war. Endlich goss sie den Kaffee ein und es kostete mich Überwindung ihn nicht gleich gierig auszutrinken, sondern nur vorsichtig daran zu nippen.

„Ich hab so selten Besuch“, bemerkte sie leise, „nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich Sie gleich überfalle.“

Ich nickte nur. Mein Gaumen war noch immer verklebt, so dass ich sicherlich nicht besonders deutlich gesprochen hätte.

„Wissen Sie, in meinem Alter hat man kaum noch Gesprächspartner und von daher wird die Angst immer größer, irgendwann regelrecht zu verseltsamen. Ich war früher mal Lehrerin, müssen Sie wissen.“

Das wusste ich. Ich hatte sie gleich wiedererkannt und irgendwie war ich enttäuscht, dass es ihr nicht genauso erging. Andererseits waren über zwanzig Jahre vergangen und ich nur eine Schülerin von vielen.

„Sie können sich nicht an mich erinnern, oder?“

„Doch, doch. Sie sind von der Volksolidarität und wollen Spenden sammeln.“

„Vom DRK“, korrigierte ich zaghaft.

„Mögen Sie Aprikosenlikör?“ fragte sie und noch ehe ich antworten konnte eilte sie hektisch in ihre Küche. Ich beschloss zu gehen. Doch dann fiel mein Blick auf die Herztropfen, die ich vorhin aus der Apotheke geholt hatte. Und dann sah ich Simon vor mir. Damals als wir noch so klein waren. Zehn Jahre alt, hilflos und zerbrechlich. Ich hörte ihre Stimme, wie sie ihn immer wieder verhöhnte. Vor der versammelten Klasse. Wie sie den anderen immer wieder befahl, mit ihm kein Wort zureden, bis er wieder zur „Besinnung“ kam. Dass ich mich dem Befehl aus Mitleid widersetzt hatte, hatte sie nie mitbekommen. Aber schon damals habe ich sie dafür gehasst, wie sie mit ihm umgegangen war. Und so schüttete ich die Herztropfen von Mutter in den Kaffee. Der viele Zucker würde den bitteren Geschmack vertuschen, sofern Mutters Tropfen überhaupt einen Eigengeschmack hatten.

Sie kam zurück und stellte zwei Gläser mit Likör auf den Tisch.

„Wissen Sie noch wer Simon Ebner ist?“ fragte ich mit fester Stimme.

„Wer soll das sein?“ Ihr Lächeln wirkte auf mich gekünstelt.

„Ein Schüler.“

Sie lachte auf: „Kindchen, wissen Sie wie viele Schüler ich in all den Jahren hatte? Hunderte! Da kann ich mich nun wirklich nicht an einzelne erinnern.“

„Rothaarig war er“, beharrte ich, „und voller Sommersprossen. Ein wenig vorlaut aber eine ehrliche Haut.“

„Ja und nun?“, gab sie sich gelangweilt.

„Er ist tot!“

„Ich habe ihn belehrt, ich kann es beweisen. Aber bei den Eltern, was soll man da erwarten!“

Ich sah sie fragend an.

„Na der Simon“, lamentierte sie. „ich habe ihm noch persönlich daraufhin angesprochen. Und was macht er? Geht auf das Eis, bricht ein und ertrinkt.“

Noch immer wusste ich nicht, wovon sie sprach. Sicher war, dass Simon bis vorigen Sommer noch gelebt hatte.

„War es das?“, fragte sie und sah auf die Uhr. “Ich habe es eilig. Ich muss zur Schule, ich bin nämlich Lehrerin müssen sie wissen.“

„Das weiß ich bereits.“ wiederholte ich und fragte mich ob sie tatsächlich so verwirrt war, oder nur so tat.

„Lassen Sie mich raten“, erklärte sie freudig, „Sie sind die neue Sekretärin vom Herrn Direktor Röder.“

Der alte Röder, war das lange her. Der gute Mann war vor drei Jahren mit fast achtzig Jahren gestorben. Die Lokalpresse hatte einen rührenden Nachruf gedruckt.

„Er ist tot“, gab ich zu bedenken.

„Ich habe doch schon gesagt, dass ich nichts dafür kann! Hören Sie mir eigentlich zu?! Wenn der Junge trotzdem auf das Eis geht, ist das nicht meine Schuld. Ich bin eine gute Lehrerin, ja die Beste. Fragen sie doch den Herrn Direktor!“

Dann fiel es mir plötzlich ein. Lange bevor wir eingeschult wurden, hatte es so einen tragischen Fall gegeben. Allerdings hatte Röder den Jungen belehrt und Röder war es auch, der sich ewig Vorwürfe machte, zumal der Junge genauso hieß wie er: Christian. Oft genug hatte er davon erzählt. Ich hatte es immer für eine Fabel von ihm gehalten, wie das Pädagogen so zu tun pflegen.

„Ich rede von Simon. Er hat sich das Leben genommen, weil er die Dämonen nicht mehr ertragen konnte. Und alles das, weil sie leichtfertig seine zarte Seele zerstört haben. Ihn einen Versager nannten, solange bis er selbst daran geglaubt hat und nicht mehr zu Stande gekriegt hat im Leben.“

Wieder lächelte sie.

„Simon? Ist das Ihr Sohn? Ach wissen Sie, das besprechen wir besser in der Schule. Da kann ich gleich noch seine Unterlagen heraussuchen.“

Noch einmal sah sie zur Uhr. „Jetzt muss ich aber los.“

Und dann verließ sie einfach die Wohnung. Ich bleib noch einen Moment sitzen, da ich es für einen Scherz hielt. Es war aber keiner. So nahm ich die Kaffeetassen und schüttete den Inhalt in den Ausguss. Sie war es einfach nicht wert und ich wusste Simon würde es verstehen. Meine Tasse wusch ich noch ab und stellte sie zurück in den Schrank. So als wäre ich nie da gewesen. Auf der Strasse war sie nicht mehr zu sehen aber ich hatte keine Lust sie zu suchen. Sollten sich andere um diese verwirrte Frau kümmern. Ich ging lieber zum Friedhof um alles Simon zu erzählen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.09.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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