André Skokow

Der Purpurturm - Teil 002

Blut. Blut füllte seinen Mund. Blut füllte seine Augen. Blut füllte seine Gedanken. Blut kroch ihm in die Nase. Blut rauschte dumpf in seinen Ohren. Blut klebte an seinen Händen. Blut troff aus seinen Kleidern. Blut überall. Blut.

Krächzend richtete sich der Mann ohne Namen auf, spuckte, würgte und erbrach einen braun-roten Schwall. Sank wieder in sich zusammen und blieb im Erbrochenem liegen. Die Sonne stand hoch am Himmel und brannte auf die zerstampfte, aufgerissene Erde und die steife Robe des Mannes. Fliegen summten beständig in der Luft und flogen über das Schlachtfeld auf dem Hunderte tote Leiber lagen. Die Erde war rot.

Der Mann zog sein Knie an und versuchte sich wieder aufzurichten. Er kam auf alle Viere, kippte um und rollte auf seinen Rücken. Sein Gesicht war zerschunden. Das Grauen nistete in seinen Zügen, die Augen, schwarz, sahen hoffnungslos aus. Der Mann blieb auf dem Rücken liegen und starrte in den blauen Himmel, auf dem ein paar vereinzelte, ausgefranste Wolken dahinschwebten. Seltsam verzerrt spiegelten sie sich neben den Bäumen in den Augen des Mannes wider. Seine Hand ruckte langsam in Richtung des Gürtels, an dem eine Wasserflasche hing. Er bekam sie zu fassen, nahm sie ab und führte sie zur Brust. Dort stellte er sie auf und öffnete sie, hob seinen Kopf ihr entgegen und trank. Trank und trank, doch den metallischen Geschmack in seinem Mund und Rachen wurde er nicht los. Als er in seiner Gier nach Wasser und Leben die Flasche geleert hatte rollte er sich stöhnen herum und begann auf den Wald zuzukriechen. Er kroch über Leichen, seltsame, er kroch und schleppte sich über irre Waffen und geschändete Erde. Er klammerte sich an zerschundenes Fell, zog sich vorwärts und griff nach toten Grashalmen.

So langsam er auch vorankam, er gab nicht auf.

Gib nicht auf. Du wirst es schaffen. Du wirst leben. Komm!

Und dann sah er... er sah Sie. Sie lag da. Da, zwischen den Höllenhunden und aufgeworfenen Leibern. Mit einem Grunzen kam er wieder auf alle Viere und kroch wie ein Kleinkind auf den Kreis zu, in dem Sie lag. In einem Rund um Sie lagen die Wesenheiten, ganz so, als wären sie vergeblich gegen eine Mauer gerannt. Sie lag auf dem Bauch, die helle Haut mit Erde und Blut befleckt. Rüstungsteile lagen verstreut. Ihr hellblaues Gewand flatterte im Maul eines Ungeheuers. Auf Ihrem Rücken lag, tot von der Sense im Kopf zusammengesunken, ein Höllenhund, der tiefe, mittlerweile verkrustete Striemen in Ihren weichen, warmen Körper geschnitten hatte. Er hatte Sie erreicht und strich über die kalte Haut Ihrer Arme. Atmete Ihre Duft. Ihr Duft... der war...

Er zog sich weiter an Ihr hoch. Stemmte das Ungeheuer von Ihr herunter und sah mit Entsetzen, dass die Wunden auf Ihrem Rücken wieder brachen und Blut, dick und zäh wie  schwarzer Sirup über ihre bleiche Haut kroch. Er rollte Sie auf den Rücken um Ihr Antlitz zu schauen. Ihr Kopf rollte haltlos hin und her und ein leises Knirschen und Saugen waren die einzigen Geräusche, die er von Ihr hörte. Doch sie langten. Er zuckte zurück, erstarrte und schaute Sie voller ungläubigem Entsetzen an. Er öffnete den Mund um zu schreien, doch blieb es still auf der Lichtung. Der Wind strich über das Schlachtfeld und vertrieb den Geruch von Tod und Verwesung. Den Anblick aber konnte er nicht forttragen.

Der Mann zog seinen Handschuh aus und langsam bewegte sich seine Hand in Richtung Ihres Gesichts von beinerner Farbe. Ihre Augen waren geschlossen. Er berührte Ihre leblosen Züge, fuhr über Ihren gebrochen Hals und verharrte über Ihrem toten Herzen.

Seine Züge veränderten sich von Entsetzen in Erkennen und Schmerz. Lautlos und gepresst begann er zu weinen. Er rollte sich neben Ihrer Leiche auf der Erde zusammen und schluchzte auf, vergrub sein Gesicht in seinen blutigen Händen und kam lange nicht zu Ruhe.

Er wusste nicht warum er von solch schrecklicher Trauer erfüllt war. Er wusste nicht wer Sie war. Er wusste nicht wer er war.

Aber sie war wichtig. Für wen, für was, egal. Und jetzt war sie tot.

Der Mann wusste nicht, wie lange er verkrampft neben der toten Frau gelegen und so sehr geweint hatte, dass er Kopfschmerzen bekam, doch die Sonne war schon lange untergegangen. Es war kühl geworden und es regnete leicht. Der Mann richtete sich auf und schaute sich um. Es war dunkel geworden und nur Sterne und ein roter Mond erhellten das Grauen. Der Mann stand auf und bückte sich nach der bleichen Gestalt, die neben ihm auf dem Boden lag. Er lud sie sich auf die Schulter und wankte mit ihr in den Wald und war bald darauf in den Schatten verschwunden.

Im Wald war es kühl und dunkel. Trockenes Laub und knisternde Nadeln bedeckten den weichen Boden. Der Mann wusste gar nicht, wohin er sich wenden sollte hier in der Finsternis. Er ging, ging einen Pfad, den nur er sehen konnte und der ihm gut und richtig erschien. Es war so, als ob er auf eine innere Stimme hörte, die ihm den Weg wies. Immer wieder stolperte er über Wurzeln und Äste, strauchelte über kleine Unebenheiten und Felsen.

Bis er einen orangenen Lichtschein bemerkte, der unsicher durch den Wald stach und flackerte. Der Mann ohne Namen blieb stehen und richtete sich auf, straffte die Schultern und begann entschlossener auf das Licht, das Wärme und Ruhe verhieß, zuzugehen. Zweige, nass und kalt vom Regen, streiften sein Gesicht und griffen nach seiner Robe, glitten an seiner weißen Rüstung ab. Stur und entschlossen ging er weiter auf das Licht zu. Nach einigen Augenblicken stellte er fest, dass dieses Licht von einem Dorf kam, welches in einem kleinen, steilen Talkessel lag. Mühsam begann er den Abstieg. Der Hang war mit Gras überwuchert, unter dem sich viele Steine verbargen, die alle nur darauf warteten ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ein ums Andere Mal wäre er beinahe gestürzt. Und das Gewicht der Leiche schein ihn immer mehr zu Boden zu drücken. Irgendwann konnte er nicht mehr. Er machte noch einen Schritt und blieb an etwas Weichem hängen und fiel nach vorne. Viel zu schwach, um noch irgendwelche Reflexe zu zeigen schaffte er es nicht die Arme nach vorne zu reißen und pralle mit dem Gesicht auf das scharfe Gras und rollte und kugelte hilflos den Abhang hinunter.

Mit einem Schlag, der ihm die Luft pfeifend aus den Lungen trieb, kam er nach unten und blieb auf dem Rücken liegen. Die Frau, wie eine Puppe rollte sie ebenfalls den Abhang hinunter, fiel auf ihn drauf. Er bekam einen schweren Schlag ihres Rückens gegen seinen Kopf und wurde ohnmächtig. Der Geschmack von Blut begann seinen Mund zu füllen...

 

Als er erwachte schien die Sonne durch das Fenster in der Wand des Holzhauses in dem er lag. Das Bett war rund und weich, glich eher einem Nest als einem Bett. Ein Schrank und ein kleiner Tisch aus Holz und fein mit Naturmotiven verziert,  standen noch in diesem Raum. Die Tür, gegenüber dem Fenster, war mit einem Vorhang verschlossen. Leise Stimmen aus dem Nachbarraum gesellten sich zu den Rufen und dem Hühnergackern, dass durch das Fenster hereinströmte. Ein Windhauch fuhr durch das Zimmer und wehte ihm den Duft von frischem Fleisch in die Nase.

Auf dem Tisch stand eine abgedeckte Schüssel, aus der es köstlich duftete. Der Mann hob die umgestülpte Schüssel an und stellte sie neben die Gefüllte.

In dieser lagen eine Unmenge kleiner Fleischbrocken, gedünstet und leicht angebraten. In Ermangelung von Besteck oder anderen Utensilien nahm er das Fleisch mit der bloßen Hand und kostete. Weich und zart zerfloss es regelrecht auf der Zunge. Leicht gewürzt und warm schmeckte es besser als alles Fleisch, was er bisher gegessen hatte. Langsam leerte er die Schüssel.

Als er fertig gegessen hatte, zog er sich an. Sein Körper war über und über mit kleinen Verbänden bedeckt und seine Robe und seine Rüstung waren nirgends zu sehen. Statt dessen hingen dort weiße, weiche Leinenkleider. Er zog sie an und wunderte sich ein wenig über den seltsamen Schnitt, den sie wohl hatten. Das Oberteil schien normal, aber die Hose wies einige Besonderheiten auf. In Höhe des Steißbeins gab es ein Loch, sicher vier Finger breit. Auch der Schnitt der Beinkleider war sonderbar. Es schien nicht für Menschen gemacht, eher für Wesen, deren Knie sehr weit unten saßen und nach hinten gebeugt wurden.

Als der Mann sich fertig angezogen hatte lugte er durch den Vorhang und blickte in einen abgedunkelten Raum, in dem drei Gestalten an einem runden Tisch auf dem Boden saßen und eine Vierte an einer Art rundem Herd hantierte und kleine Fleischbrocken in einen großen Topf warf.

Das Gespräch verstummte und drei glänzende Augenpaare schauten ihn an. Eine der Gestalten stand auf, verneigte sich und sagte etwas. Es klang wie ein... Schnurren. Ein artikuliertes Schnurren. Das er nicht verstand.

Er lächelte hilflos, was das Wesen veranlasste abrupt stehen zu bleiben und sich unsicher umzuschauen. Das Rechte, in eine grüne Kutte gekleidet, wedelte mit seiner rechte Pfote in seine Richtung und schnurrte wieder etwas.

Das Katzenwesen vor ihm, in eine rote Weste und braune Hosen gekleidet, kam wieder unsicher auf ihn zu. Unter der Weste trug es eine Art blaues Hemd. Ein kupferner Armreif blinkte in der Sonne.

„Wer... bist Du?“ fragte es.

Der Mann wunderte sich. Er selbst wusste wie man sprach. Er wusste auch, welche Sprache er normalerweise benutzte. Und er war sich sicher, dass er noch mehr Sprachen konnte, nur blieb ihm die Erinnerung daran versagt. Aber die Sprache, die er jetzt hörte, war... alt. Er hatte sie sonst nur in Büchern gelesen, und wenn gehört, dann nur von seinem... von wem? Er hatte sie jedenfalls noch nie für ein Gespräch gebraucht. Er versuchte sich daran zu erinnern, wie es ging...

„Ich... ich weiß es nicht“ antwortete er. „Ich weiß nicht, wer ich bin.“

Unsicher lächelte er wieder.

„Was ist?“ Das Wesen vor ihm fuhr wieder zurück. „Warum bist Du wütend?“

„Ich... ich bin nicht wütend.“

„Dann hör bitte auf Deine Zähne zu blecken. Ich weiß, dass ihr Menschen das ein Lächeln nennt, aber hier ist es sehr unhöflich, seine Zähne zu zeigen.“

Es trat einen Schritt zurück und wies auf einen freien Platz an dem runden Tisch: „Setz Dich.“

Der Mann ging unsicheren Schrittes auf den in der Sonne stehenden Tisch zu und setzte sich auf den ihm zugewiesenen Platz. Ebenso das Katzenwesen.

Erst hier konnte er seine, er hoffte, dass es seine Gastgeber waren, genauer in Augenschein nehmen.

Das Wesen, was mit der Pfote gewunken hatte, war ein... ja, es sah aus wie ein Kater. Schwarzes Fell, smaragdgrüne Augen und schmale Pupillen. Die Schnurhaare waren ein wenig spröde und hingen schlaff herab. Die grüne Kutte wurde von Holzknöpfen zusammengehalten und war anscheinend sehr alt, denn sie sah eher aus wie ein Flickenteppich. Ein Ohr hing schlaff herab.

Ihm gegenüber saß ein junger kräftiger Kerl. Das Fell rostrot getigert. Rubinrote Augen und kräftige Muskeln. Eine blutrote Kutte und ein langer Dolch verstärkten den aggressiven Eindruck.

Neben den Alten setzte sich das Wesen, mit dem der Mann gesprochen hatte. Sein Fell war ein helles Karamellbraun, die Augen ein leuchtendes Blau. Unter dem Hemd wölbten sich... oh. Es war kein Er, sondern eine Sie. Viermal. Hastig schaute er weg. Der Alte wies ihm einen Platz zwischen sich und dem Roten zu und sah ihn an, als er sich setzte.

Die Katzenfrau, die bis eben am Herd gewerkelt hatte, brachte eine dampfende Schüssel, mit eben jenem köstlichen Fleisch, was er vorhin schon genossen hatte. Jeder, der wollte nahm sich mit der Hand, und aß.

Jedes dieser Katzenwesen hatte eine scheinbar menschliche Hand, die jedoch Fellbedeckt war, und mit ausfahrbaren Krallen bewehrt schien. Auch hockten die Wesen auf fast Katzenart vor dem Tisch.

Der Alte schnurrte etwas. Und die junge Frau übersetzte für ihn.

„Er möchte wissen, wer Du bist.“

„Ich weiß es nicht. Ich kenne meinen Namen nicht. Ich weiß auch nicht, wie ich hierher gekommen bin.“

Sie übersetzte es für den Alten in dieser seltsamen schnurrenden Sprache. Und er fragte sie wieder etwas.

„Nun, dann wähle einen Namen, bei dem wir Dich rufen sollen.“

„Hm... Dann soll mein Name Amentio sein“ antwortete Amentio.

„Ich bin Fil’yana“ wies sie auf sich und dann auf den Alten und den Roten. „Und das sind mein Vater Viashno und... Brutano.“

Die zwei nickten ihm zu. Brutano schaute Fil’yana an und verengte die Augen zu schmalen Schlitzen.

„Wir würden gerne wissen, was vor vier Tagen auf der Lichtung hinten im Wald geschehen ist.“

Amentio konnte sich ein überraschtes Schnaufen nicht verkneifen.

„Vier Tage?“ krächzte er mit trockenem Mund. „Vier Tage ist das her?“

„Ja“ sagte sie. „Vier Tage lagst Du in der Kammer und hast geschlafen. Du hast Dich hin und hergeworfen, so als ob Du einen schlechten Traum gehabt hättest. Hast Wörter geflüstert, die ich nicht verstanden habe. Hast geschrieen und um Dich geschlagen. Der Heiler hatte Dich schon an das Fieber aufgegeben.“

Alle Drei schauten ihn jetzt an. Amentio sah zu Boden.

„Ich erinnere mich nur an... Blut. An Blut und Kampf und an...“ er sah auf. „Wo ist Sie?“

„Die Frau?“ fragte Fil’yana. „Die Frau haben wir begraben.“

Amentio ließ die Schultern hängen und seufzte leise: „Dann ist es endgültig.“

Er schaute eine Weile zu Boden. Sah Sie. Vor sich. Ihr Gesicht. Wie sie in einem großen Saal stand, dessen Fenster mit blauem und rotem Glas ausgelegt waren. Dahinter ferne Berge. Und da waren noch andere. Er konnte ihre Gesichter nicht erkennen. Nur Sie. Irgendwoher kannte er sie. Und nun war sie...

„...tot. Was war da geschehen?“ fragte Fil’yana wieder. „Wer hat alle Roz’zarz getötet. Und zwei der Diener der Pupurnen sind auch tot. Ward ihr das?“

„Ja. Ja, das waren wir“ flüsterte Amentio. Wie sinnlos alles schien. Und er wusste nicht einmal warum.

„Ich weiß nicht, warum wir das getan haben“ fuhr er fort. „Ich weiß nur, dass es richtig war, was wir getan haben. Ich bin nicht von hier. Ich komme von... woanders her.“

Er sah auf und wartete, bis Fil’yana alles übersetzt hatte.

„Hast Du eine Ahnung, was Du da angerichtet hast?“ fragte der Alte, Viashno, über Fil’yana. „Die, welche Du vor vier Tagen getötet hast, waren eine Grenzpatrouille. Jetzt, da sie ausgefallen, wird ein größeres Herr kommen und die Sache hier untersuchen.“

„Das, das tut mir leid“ wisperte Amentio. „Das wusste ich nicht. Ich dachte... ich... .“

„Nun, es ist nicht das erste mal, dass wir aus unserem Dorf fliehen müssten“ beruhigte Viashno ihn. „Du solltest eher um Dich selbst Sorgen machen. Denn wenn die Diener der Pupurnen Dich hier finden, bringen sie Dich nach H’rangoz und dort will keiner hin, um sein Leben auszuhauchen.“

Amentio sah zu Boden.

„Warum hast Du sie überhaupt angegriffen?“ ließ Brutano Fil’yana fragen. „Und wie hast Du und die Frau das geschafft? Hatte das etwas mit den Rüstungen zu tun, die ihr hattet?“

„Ich weiß nicht mehr, warum wir hier sind. Die Rüstungen...? Ja, ich glaube die hatten was damit zu tun. Aber was, weiß ich nicht.“

Fil’yana sah ihn an:

„Weißt Du überhaupt nichts mehr?“

„Nein. Ich weiß nicht wer ich bin, noch wer die Frau ist. Ich weiß nicht warum wir hier sind. Ich weiß nur, dass es wichtig ist, und dass die Frau eine große Rolle darin gespielt hat. Ich weiß auch nicht mehr, was ich hier tun soll, denn ohne sie hat das ja alles keinen Zweck mehr.“

„Nun... wir wollen nicht unhöflich sein, aber bei uns kannst Du nicht bleiben“ ließ sich Viashno vernehmen. „Hier bei den Shararrim dürfen sich laut den Gesetzen der Pupurnen keine Menschen aufhalten. Und wenn sie Dich bei uns finden, dann ist unser Stamm so gut wie verloren.“

„Hier gibt es Menschen?“

„Ja.“

„Wo?.“

„Nun“ antwortete Fil’yana. „Weiter im Nordwesten gibt es einige Menschenstädte. Doch sind die Menschen untereinander verfeindet. Einige stehen auf der Seite der Pupurnen, andre rebellieren.“

„Und wer sind diese Pupurnen?“

„Keiner weiß es genau. Sie herrschen in der Stadt Verzotag. Sie Schicken nur ihre Heere aus, um Menschen, Shararrim oder Echsen zu fangen und für ihre Rituale zu nutzen. Mehr wissen wir nicht. Aber sie sind schrecklich. Man sagt, sie wären grausame Zauberer, unbesiegbar und unbeschreiblich böse.“

„Warum nennt man sie die Purpurnen?“

„Soweit wir es wissen, sind ihre Paläste und ihre Insignien Purpur. Purpur ist ihre Farbe.“

„Wann wird denn das Heer hier sein?“

„Nun, wir werden noch ganze Zwei Tage hier bleiben, um das Nötigste einzupacken und uns vorzubereiten“ antwortete Fil’yana. „Denn in knapp fünf Tagen wird das Herr hier ankommen, aber dann werden wir uns schon in die Berge zurückgezogen haben und dahin können sie uns nicht folgen.“

„Und wie finde ich zu den Menschenstädten?“

„Nun, das werden wir heute Abend besprechen“ ließ Viashno antworten. „Aber morgen früh wirst Du schon aufbrechen müssen.“

Die zwei Männer standen auf und traten in die Sonne hinaus. Fil’yana und Amentio blieben noch eine kleine Weile sitzen, und jeder hing seinen Gedanken nach.

„Willst Du sehen, wo wir sie begraben haben?“ fragte sie.

„Ja... das würde ich.“

Sie stand mit fließenden Bewegungen auf und forderte ihn auf, ihr zu folgen.

Die Hand als Sonnenschutz gebrauchend trat Amentio neben Fil’yana aus der Holzhütte.

Das Dorf bestand aus 20 oder 30 kleineren runden, mit Lehmziegeln gedeckten Holzhütten, die sich in einem kleinen, lichten Wäldchen versteckten. Eine einzelne staubige Straße führte in Schlängellinie hindurch. Trampelpfade oder dergleichen gab es nicht. Es herrschte mäßiger Verkehr. Männer und Frauen trugen geschlagenes Wild, Kinder liefen umher und jagten sich gegenseitig. Sie waren die einzigen, die über den Rasen zwischen den Hütten liefen. Vor jeder der Hütten gab es eine Feuerstelle, auf der fast bei allen das eine oder andere Stück Fleisch gegart wurde. Ein alter oder eine alte Shararrim kümmerten sich um  das Feuer und das Fleisch.  Irgendwo blökten Schafe.

Ein leichter Wind säuselte durch das Dorf und trug den Duft von Wacholder und tiefem Wald vor sich her. Die Straße, die durch das Dorf führte verschwand in Richtung Norden in den karstigen, steilen  Bergen und im Süden verschwand sie in einem dunklen Wald, der ebenfalls Berge bedeckte.

Amentio wurde von den Bewohnern das kleinen Dorfes misstrauisch beäugt und die Kinder zeigten mit den Fingern auf ihn. Einige fauchten leise, aber vernehmlich oder flohen in die Häuser.

Einer rief Fil’yanas Namen und redete dann fast eine Viertelstunde auf sie ein und wies dabei mehrmals auf Amentio. Fil’yana antwortete ruhig und gelassen und mehrmals fiel dabei Viashnos Name, doch ihre Augen verengten sich immer wieder. Das schien dem Andere, gekleidet in eine leichte Lederweste und Lederhose sehr zu missfallen, was er von ihr hörte und sein Ton wurde fauchiger und gereizter.

Ich sah mich auf dem Dorfplatz, auf dem wir standen, ein wenig um.

Selbst hier waren keine Steine verlegt. Das einzige Bauwerk aus Stein war der Brunnen, der wohl nicht nur das örtliche, sondern auch das Zentrum des Dorflebens war. Er war überdacht und mit wildem Wein überwuchert. Auf den niedrigen Bänken, auf die sich die Shararrim nach Katzenart hinhockten, ohne jedoch die Arme zu belasten, so dass sie mit ihnen gestikulieren und nach den Wasserbechern greifen konnten. Ein großes, rundes Haus schien so etwas wie das Ratsgebäude zu sein.

Der Streit hinter ihm war wieder abgeflaut und der in Leder Gekleidete war fauchend von dannen gezogen.

„Hier entlang“ wies ihn Fil’yana an und führte ihn in Richtung Westen. Sie traten aus dem Wald heraus auf eine saftige, blumenübersäte Wiese, die leicht ansteigend an einem steilen Hang endete. Oben auf dem Hang wuchsen Bäume. Sie wanderten auf der Wiese zwischen den Schafen hindurch bis sie vor einem großen Steinhaufen standen, der zwischen einigen Wacholdersträuchern versteckt lag.

„Worum ging es in der Unterhaltung?“ wollte Amentio wissen.

„Einige der Dorfbewohner sind nicht gerade glücklich mit dem, was vor vier Tagen hinter diesem Hügel da passiert ist“ erwiderte sie und wies dabei auf den Hügel, der sich vor ihnen erhob. „Andere sind jedoch der Meinung, dass es gut so war und nehmen gerne in Kauf, dass sie jetzt wieder einige Tage in den Bergen verbringen müssen.“

„Er gehörte zur ersteren Sorte, nicht wahr?“

„Ja. Dazu kommt, dass sein Vater gegen meinen bei der Wahl des Ältesten nur knapp verloren hatte, und er nun jede Möglichkeit nutzt, um Streit vom Zaun zu brechen“ seufzte sie. „Das wird uns noch den Frieden kosten.“

„Kommen die Pupurnen oft hierher?“

„Eigentlich nicht. Nur ihr Heer, dass in dieser Region von Arensia patrouilliert kommt ab und zu hierher, um Tribut zu kassieren und manchmal um einige von uns zu versklaven.“

„Um Euch zu versklaven? Wehrt ihr Euch denn nicht?“

„Nein. Mein Vater hat mir mal erzählt, was passiert war, als ein anderer Stamm sich dagegen gewehrt hat. Sie haben keinen am Leben gelassen“ fröstelte sie. „Und weil wir nicht wollen, dass uns das ebenfalls passiert, geben wir einige als Sklaven hin.“

„Ihr gebt sie hin?“

„Ja. Außerhalb unseres Dorfes gibt es einen Platz, auf dem wir früher, so sagt mein Vater, Wettkämpfe ausgetragen haben, um den Besten von uns zu küren. Heute dient er dazu, den Schlechtesten unter uns zu finden, und als Sklaven abzugeben.“

Sie schwiegen eine Weile, bis Fil’yana sie einen Ruck gab.

„Hier haben wir sie begraben.“

Der Steinhaufen war gut und gerne anderthalb Schritt hoch und bestand aus etwa faustgroßen Steinen.

Fliegen summten.

Der Wind ließ die Blätter wispern.

Amentio sank in die Knie und blieb mit gebeugtem Rücken sitzen. Seine Augen wurden feucht. Doch er hatte keine Tränen mehr. Er wusste nicht warum er so traurig über ihren Tod war. Er wusste nicht, warum sie ihm soviel bedeutete. Die Sonne wanderte ein kleines Stück weiter während er da saß und in Schweigen gehüllt war. Der Wind flaute ab und eine drückende Hitze machte sich breit.

 

„Kanntest Du sie?“

„Ja. Ich glaube schon. Sie lag auf dem Schlachtfeld und sie hatte die gleiche Rüstung an wie ich. Sie war so schön...“

„Weißt Du, wie sie hieß?“

„Nein.“

„Das ist seltsam.“

„Wo habt ihr uns gefunden?“

Sie stand auf und ging etwa 10 Schritt auf den Hang zu und deutete auf eine Stelle am Boden.

„Hier. Hier lagt ihr. Sie auf Dir. Ihr Blut floss in Deinen Mund.“

Amentio stand auf und ging zu ihr hin, sah den großen, eingetrockneten Blutfleck auf dem Boden.

„Wo sind eigentlich meine Rüstung und meine Waffen?“ wollte er wissen

Sie trat leise neben ihn:

„Wir haben sie in unserem Haus. Die ihren haben wir mit begraben.“

„Werde ich sie wiederbekommen? Wenn ich Euch verlassen soll, wäre das sicher nützlich.“

„Ja. Mein Vater wird sie Dir morgen wieder geben, wenn Du sie wieder haben willst.“

„Gut“ antwortete er. „Ich will Euch nicht noch mehr Ärger machen, als ich ohnehin schon verursacht habe.“

Die Sonne versank langsam rotglühend hinter dem Hang im Westen. Das Blöken der Schafe, die ganze Zeit über nah, entfernte sich und überließ dem Insektensummen und Blätterrascheln die Geräuschkulisse.

„Wir sollten zurückkehren. Es wird bald dunkel.“

„Ja.“

Schweigend machten sie sich auf den Rückweg. Während sie zum Dorf zurückkehrten ging die Sonne endgültig unter und im Osten zogen die ersten Sterne auf. Nur noch Grillenzirpen erfüllte die Nacht und ab und an vielleicht das Rufen einer Eule. Die Feuer vor den Rundhütten waren nicht verloschen. Um sie herum saßen die Familien und aßen zu Abend. Auch vor der Rundhütte Fil’yanas saßen Viashno und seine Frau vor dem Feuer und aßen. Brutano war nirgends zu sehen.

Fil’yana nickte ihren Eltern zu und setzte sich. Viashno bedeutete Amentio sich ebenfalls zu setzen und seine Frau bot ihm eine Schüssel mit Fleisch an, die er dankbar nickend entgegennahm.

„Was hast Du vor?“ ließ Viashno seine Tochter fragen.

„Ich weiß noch nicht recht“ antwortete Amentio. „Ich denke, ich werde in einer der Menschenstädte gehen. Ich wüsste mir sonst keinen Rat.“

„Nun, ich muss ehrlich gestehen, ich auch nicht“ antwortete Viashno über seine Tochter. „In Ambar gibt es eine Akademie der Menschen, vielleicht kann man Dir da weiterhelfen.“

„Wenn Ihr mir sagen könnt, wie ich dahinkomme, werde ich es versuchen.“

„Nun, das wird schon schwerer“ seufzte ihr Vater.  „Der Weg dorthin ist weit und gefährlich. Weiter im Süden, in der kleinen Stadt Sangarosso gibt es einen kleinen Handelspunkt. Von dort aus kannst Du Dich einem Händlertreck anschließen. Du scheinst ganz gut mit dem Schwert umgehen zukönnen. Vielleicht kannst Du Dich als Söldling verdingen, denn Geld wirst Du auf jeden Fall brauchen.“

„Wie weit ist es bis dahin?“

„Nun, nicht sehr weit. Drei oder vier Tagesreisen, mehr nicht. Wenn Du nichts dagegen hast, wird Dich Fil’yana begleiten, denn sie kennt den Weg und die Gefahren sehr gut.“

„Ich wäre dafür sehr dankbar, kenne ich mich in dieser Welt noch sehr wenig aus.“

„Gut. Dann gehe heute früh schlafen, denn Du wirst Deine gesamte Kraft für den Weg gebrauchen können.“

Schweigen aßen sie weiter. Frischer Wind kam auf und trug den Geruch des Schlachtfeldes herüber. Aber nur schwach und von Wald und Wacholder überdeckt. Bleich und weiß ging der Mond auf und tauchte alles in ein bläuliches Licht. Viashno und seine Frau wünschten ihnen eine gute Nacht und zogen sich zurück.

„Willst Du überhaupt mitkommen?“ fragte er Fil’yana.

„Ja. Es ist gut, dass ich mal wieder wegkomme“ antwortete sie. Hier ist es sehr schön, aber ich wollte schon immer reisen. Deswegen bin ich auch die Einzige hier, die schon mal in Ambar war.“

„Bist Du weggelaufen?“

„Ja“ lächelte sie. „Ich bin eines Tages weggelaufen. Und bin für fast drei Jahre verschwunden. Ich habe in Ambar gelebt. Dort gibt es noch andere Shararrim. Bei denen habe ich gewohnt und auch gearbeitet.“

„Was hast Du dort gemacht?“

„Oh. Ich war eine Knochenmeisterin. Einige der Shararrim dort jagten seltene Tiere für die Menschen und für die Echsen. Ich habe die Knochen der Tiere zusammengebaut, nachdem die wertvolleren Teile entfernt worden sind. Echsen finden so etwas sehr schön und wertvoll und bezahlen nicht gerade wenig Geld dafür. Menschen interessieren sich eher für Mittel, die ihre Manneskraft steigen lassen. So habe ich auch die Sprache der Menschen und der Echsen gelernt.“

„Und warum bist Du wieder zurückgekehrt?“

„Ich hatte Sehnsucht nach zu Haus“ erwiderte sie. „Den meisten Shararrim missfällt es, wenn sich Dinge verändern. Und so auch mir. Wir leben noch so, wie es uns unsere Vorfahren geboten. Wir gehen immer die selben Pfade und trinken immer aus dem gleichen Brunnen. Wir tragen fast immer die gleiche Kleidung und halten an unseren Traditionen fest. Ich weiß nicht, ob das gut ist. Heute verändern sich sehr viele Dinge schnell. Nachrichten erreichen uns hier gar nicht. Wer weiß, wie die Welt jetzt wieder aussieht und was in den vergangenen vier Jahren, die ich wieder hier lebe, geschehen ist.“

„Willst Du deswegen mitkommen?“

„Ja, deswegen auch.“

„Was ist der andere Grund?“

„Ich will weg von hier.“

„Warum, hier scheint es doch noch ganz friedlich zu sein.“

„Oh nein. Das mag für Dich den Anschein haben, aber ich kann hier keine ruhige Stunde mehr verleben.“

Amentio sah sie erstaunt an.

„Du hast doch heute Brutano gesehen, oder?“ fuhr sie fort.

„Ja.“

„Nun, dieser Shararrim will, dass ich seine Jungen gebäre.“

„Magst Du ihn etwa nicht?“

„Darauf kommt es bei uns nicht an. Bei uns suchen die Väter die Männer für ihre Töchter aus. Und die Frauen für ihre Söhne. Brutano aber ist Waise und deswegen hat er es schwer auf Brautschau zu gehen. Aber was noch viel schlimmer ist, er war einst ein Sklave bei den Purpurnen. Ich hege große Zweifel daran, ob er als Vater geeignet wäre. Mein Vater teilt diese Zweifel, denn normalerweise hört er auf mich. Aber er ist alt und schwach und wer weiß, was ihm Brutano einflüstert, damit er mich bekommt. Deswegen will ich auch weg.“

„Wohin?“

„Ich weiß es noch nicht. Erst einmal nach Ambar. Dann werde ich weitersehen.“

Das Feuer zwischen ihnen knackte leise und ein paar Funken erhoben sich kleinen Sternen gleich in den Himmel, um dort zu verlöschen. Es wurde am Rücken mittlerweile empfindlich kühl und der Wind frischte noch mehr auf. Die Blätter raschelten im Wind und trug die größeren Funken weit fort. Nur noch wenige Feuer leuchteten in der Dunkelheit.

„Wann werden wir morgen losgehen?“ wollte Amentio wissen.

„Ich denke, die Zeit kurz nach Sonnenaufgang wird wohl die beste sein“ antwortete Fil’yana. „Wir sollten bis zum Höhlenberg kommen. Das Wetter ist unwirtlich und eine Höhle ist besser als der bloße Himmel. Aber der Weg ist weit, wir müssen also schnell laufen.“

„Nun, dann werde ich jetzt schlafen gehen, wenn Du mir meine Schlafstatt zeigst. Bitte.“

Fil’yana erhob sich und winkte ihn ins Haus.

„Folge mir“ hörte er ihre Stimme in absoluter Finsternis.

„Ich sehe nichts“ erwiderte er.

„Nimm meine Hand. Ich führe Dich.“

Er spürte, wie eine Hand mit weichem Fell die seine berührte und sie nahm. Dann fühlte er einen leichten Zug, dem er folgte. Leise tappten sie so durchs Haus und sie führte ihn in wahrscheinlich die Kammer, in der er schon vier Nächte verbracht hatte.

„Wir sind da. Leg Dich hin und schlaf die aus.“

Er wurde zu diesem Nestbett geführt und streckte sich darauf aus.

Nur noch im Halbschlaf nahm er war, wie sie ihm eine gute Nacht wünschte.

Hier die Fortsetzung der Geschichte...

Kritik, Anregungen und Vorschläge sind gerner gelesen...
André Skokow, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.09.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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