Evelyn Krampitz

FremdGehen

 
Sitzend betrachtete ich mich im Spiegel, dabei konnte ich Fred, meinen Mann, der hinter mir stand, beobachten. Seine ausdruckslosen Augen wanderten über meinen Kopf hinweg. Kurz beugte er sich zu mir hinunter und hauchte mir einen Kuss auf die Wange
 
Es war stets das Gleiche – die Stimme, die Berührungen, die Umgebung.
Obwohl ich vorher schon wusste, was kam, fühlte ich mich danach noch mieser. Vergeblich hatte ich versucht, Fred meine Wünsche nahe zu bringen. Aber er wollte meinen Bitten nach etwas Anderem, Ausgefallenem nicht verstehen und so verlief alles wie immer; phantasie- und kompromisslos.
 
Als ich später alleine war, musterte ich wütend mein Spiegelbild, es war nicht strahlend, es war nicht anders, es war so … so alltäglich.
Unzufrieden zog ich mich zurück und studierte an diesem Tag besonders intensiv den Anzeigenteil der Tageszeitung.
Nicht, dass ich nach etwas Bestimmten suchte.
Nein!
Ich wollte mich nur ablenken, um meine Enttäuschung ganz schnell zu vergessen. Da entdeckte ich eine unscheinbare Annonce. Ein gewisser Romio Kraschker versprach ein unvergessliches Treffen, sogar mit Geldzurückgarantie bei Nichtgefallen!
 
Mehrmals las ich die Zeilen.
Sie gefielen mir! Sie machten mich neugierig!
Sorgfältig notierte ich die Telefonnummer und versteckte den Zettel in meiner Handtasche. In der darauf folgenden Nacht schenkte mir dieser Unbekannte verrückte Träume und er erfüllte mir meine Wünsche – so gut, dass ich mein Geld nie und nimmer zurück haben wollte.
Genau das wollte ich real erleben.
Bald, sehr bald.
Deshalb wählte ich kurz entschlossen seine Nummer. Eine dunkle, männliche Stimme meldete sich: „Hallo, hier …“ und mir blieben vor Schreck die Buchstaben im Halse stecken. Stotternd vereinbarte ich für den nächsten Tag einen Termin.
Um so näher die Zeit heran rückte, um so aufgeregter wurde ich und zu guter letzt verließ mich der Mut, ich schlich mich nur in seine Nähe und beobachtete Romio aus sicherer Entfernung.
Es war faszinierend, ihm zuzusehen.
Er trug Jeans und einen Dreitagebart, war nicht übermäßig muskulös und hatte einen Bauchansatz. Diese kleine Kugel strahlte so etwas wie Gemütlichkeit, ja Vertrauen aus. Und dieses Vertrauen brauchte ich schließlich für mein Vorhaben.
 
Tage vergingen, in denen ich schwankte, in denen ich nur von ihm träumte.
Als ich irgendann hundertprozentig sicher war, dass ich ihn wollte, dass ich das wollte, rief ich ihn erneut an und erzählte ihm mit fester Stimme von meinen Wünschen.
Er hörte zu.
Schwieg.
Kurz nur, dann sagte er mir schließlich: „Lilo, ich darf doch Lilo sagen? Ja, klar. Also Lilo, für dich brauche ich besonders viel Zeit. Komm morgen gegen sechzehn Uhr und der Nachmittag gehört dir!“
Ich würgte nur ein: „Ja, das ist prima!“, heraus.
Danach musste ich zweiundzwanzig Stunden warten. In denen fragte ich mich X-Mal, ob ich das wirklich machen sollte. Noch konnte ich den Termin vergessen, einfach abermals nicht erscheinen.
 
Ich ging hin!
 
Pünktlich saß ich vor ihm. Er schenkte mir ein Lächeln, welches mir beinahe die Sprache verschlug und dann streichelten seine Augen über meinen Kopf – wieder und wieder. Alles in allen dauerte sein Augenspiel bestimmt nur wenige Sekunden, aber mir schien es, als würden in diesem Moment die Uhren stillstehen. Endlich sagte er mit rauchiger Stimme: „Komm mit nach hinten!“ Und ging langsam voraus.
Ich folgte ihm.
Wenig später rieselte warmes Wasser über mich und seine feingliedrigen Finger berührten zum ersten Mal meinen Kopf.
Ganz nah war er mir.
Schließlich begann er mit einer sanften Massage. Fantastisch fühlten sich seine Hände an.
Ich schloss meine Augen und gab mich ihm gänzlich hin – voller Vertrauen.
Um mich herum roch es exotisch, doch sein frischherber Duft übertönte alles. Während er mich immer mehr verwöhnte, spürte ich seinem Atem am Nacken, an der Wange und dann …
 
Es war himmlisch.
Und es gab nur ihn und mich.
 
Nach cirka drei Stunden holte mich seine Stimme in die Realität zurück.
Leider war es vorbei.
Aber ich hatte ihn und mich genossen.
Langsam öffnete ich meine Augen und sah in den Spiegel.
Romio stand hinter mir, lächelte zufrieden und ich war begeistert.
Denn die Frau, die mir jetzt entgegenblickte, wirkte anders – irgendwie fremd. Aber sie gefiel mir gut, ja sehr gut sogar. Sie sah frisch, begehrenswert, keck und überhaupt nicht mehr so artig aus.
 
Er, der Hairstylist Romio Kraschker, hatte aus meinen mausgrauen, langen Haaren eine grelle, glänzende Kurzhaarfrisur gezaubert.
Endlich war ich so ganz Anders! Endlich hatte sich ein langersehnter Wunsch erfüllt – die langen Haare waren weg.
 
Siegessicher lächelte ich.
Aber … wie sollte ich das meinen Mann erklären?
Dieses Fremdgehen bei seinem neuen Konkurrenten in der Stadt.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.09.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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