Werner Gschwandtner

Der Weihnachtsglaube

Sabine schlug ihren Mantelkragen hoch, auf der Straße war es eisig kalt. Die junge Frau kam von der U-Bahn Station Westbahnhof und sie befand sich auf dem Weg nach Hause.
Das Thermometer zeigte sechs Grad minus, und es hatte an diesem Tag leicht zu schneien begonnen. Es war der 24. Dezember, der Heilige Abend - so gegen 14:00 Uhr.
Doch Sabine verspürte keine große Lust das nahende Weihnachtsfest auch gebührend zu feiern, sie befand sich wieder einmal überhaupt nicht in Weihnachtsstimmung und das bunte Treiben, das sich rings um ihr auf den belebten Strassen der Stadt zutrug ging ungesehen an ihrem Auge vorbei.
Sabine wickelte den molligwarmen Wollschal enger um ihren Hals und streifte sich die weichen Handschuhe über, der Schal sah alt und schon recht abgewetzt aus. Er war aus einer blauen Wolle gestrickt worden, und die Farbe hatte vor langer Zeit einmal eine intensive Ausstrahlung besessen. Doch heute war davon nicht mehr viel zu sehen.
Sabine schritt zügig die Einkaufspassage hinunter und hatte ihren Blick gerade ausgerichtet, sie kümmerte sich nicht um die dargebotenen Schaufenster der verschiedenen Einkaufsläden sondern verfolgte zielstrebig ihr vor sich befindliches Ziel. Der Schneefall setzte nun stärker ein, dicke Flocken fielen vom Nachmittagshimmel und das bereits dunkelnde Firmament lag wolkenlos über ihr - und doch schneite es.
Sabine blieb nun stehen, sie hatte eine Verkehrskreuzung erreicht und musste vor einer roten Ampel halten. Die Straßenbeleuchtung schaltete sich langsam ein, Weihnachtsmusik erklang aus allen Richtungen und die Luft roch nach Punsch, Zimt und Tannenduft.
Die junge Frau schüttelte den Kopf, die Kälte kroch in ihre Kleidung und Sabine lehnte sich für einen kurzen Moment an den Laternenpfahl. Die Flocken tanzten wild um sie, ungewöhnlich silbern leuchtete der Schnee und tauchte Sabine in ein zauberhaft schimmerndes Licht. Sabine sah es, aber sie ignorierte die Pracht und bemerkte auch nicht, dass sich jenes Licht nur um Sabine legte.
"Jedes Jahr das gleiche Theater", murmelte Sabine leise bei sich, während sie auf das grüne Signal der Fußgängerampel wartete. "Das Fest der Freuden benennen es alle, dabei ist es nur eine reine Profitmacherei." Im Grunde hatte die junge Frau ja nicht einmal so Unrecht, alles musste zu unserer modernen Zeit immer und sofort zur Verfügung stehen. Die Werte der vier Jahreszeiten waren längst aus den Gemütern der Menschen verschwunden, Geldgier, Macht Errungenschaften und gnadenloser Terror prägten das Antlitz der Erde und ließen das kommende Weihnachtsfest leicht hinter einem dünnen Nebelschleier schlüpfen.
"Mutter würde sich im Grab umdrehen, wenn ich bei diesem Zirkus mitmachen würde." Das zumindest, war Sabines feste und eiserne Ansicht in den vergangenen Jahren gewesen.
Die Straße war stark befahren, auf der anderen Seite des Mariahilfergürtels stand ein alter Mann. Er hatte den Hut tief ins Gesicht geschoben und man konnte nur die leicht unrasierte Mundpartie des Mannes erkennen, er trug einen dicken Wintermantel, der aber auch schon viel bessere Tage gesehen hatte und stützte sich auf einen Gehstock.
Auf dem linken Arm konnte Sabine eine gelbe Schleife erkennen, sie zierte drei schwarze Punkte, zwei oben und einen unten und mit der rechten Hand führte der Mann einen wachsam blickenden Schäferhund mit sich.
Sabine erkannte auf einen Blick, dass der alte Mann blind war, dennoch konnte sie kein Leid, nicht einmal Mitleid für den armen Mitmenschen empfinden. Ihr Herz war von ihrer eigenen Trauer und dem Schmerz des Verlustes der Eltern gefangen und ließ keinen Spielraum für andere Zeitgenossen übrig.
Kindergesang wurde hinter ihr laut, eine kleine Gruppe Kindergartenkinder, im alter von etwa fünf Jahren traten in Begleitung zweier Aufsichtskräfte an die rote Ampel der Straße. Die Kinder sangen das wohl berühmteste Weihnachtslied der Welt, sie sangen "Stille Nacht". Ihre Stimmen klangen dabei hell, freundlich und besonders andächtig, aber auch diese Wärme konnte Sabine nicht erkennen. Sie wandte ihnen nicht einmal kurz den Blick zu, sondern blieb wie angewurzelt in ihrer bisherigen Position stehen.
Die Ampel sprang auf grün, Sabine setzte ihren Weg fort und überquerte die Hauptstraße. Sie eilte der Kinderschar davon, hastete an dem alten blinden Manne vorüber und setzte sich ungewollt in der Menschenmenge der Einkaufsstraße ab.
Die Dämmerung sengte sich immer tiefer über die Stadt, die ersten Boten der Nacht erhoben sich und durch den immer heftig werdenden Schneefalls, legte sich ein weißer Zauber auf die Landschaft um Sabine.


Sabine war vor exakt 20 Jahren geboren, ihre Stunde der Geburt schlug am 16. Dezember 1984 um 1:40 Uhr Früh. Sie war ein recht kleiner Säugling gewesen, nur knapp 35 Zentimeter groß und weniger als 3000 Gramm brachte Sabine am Tage ihres lichtes auf die Waage.
Ihre Mutter, Melanie und ihr Vater Christof-Werner wussten, dass klein Sabine überleben würde. Sie hatten diese unbändige Überzeugung und auch die heiklen Tage der Nachbrutzeit entmutigten die Eltern nicht, sondern sie glaubten fest daran... Und sie sollten Recht behalten, Sabine wuchs zu einem kräftigen Mädchen heran und schon mit fünf Monaten krabbelte die Kleine durch die Elterliche Wohnung das einem Angst und Bange werden konnte.
Fast zehn Jahre verlief so alles gut, Sabine wuchs heran und erlebte Freuden, wie auch Leid. Das Weihnachtsfest wurde bei Ihnen immer außerordentlich gefeiert, die gesamte Familie kam zusammen und der Geist der Weihnacht zog alljährlich in die Behausung der kleinen Familie ein.
Sabine schüttelte den Kopf, in ihrer Erinnerung waren viele Jahre ihrer Kindheit verdunkelt. Sie konnte sich nicht mehr an alles besinnen, manchmal grübelte sie über die Vergangenheit nach, Stunde um Stunde. Doch alles woran sie sich wirklich emphatisch erinnern konnte war das Begräbnis ihres Vaters.
Christof-Werner war ein stattlicher Mann gewesen, etwa 175 Zentimeter groß und etwas korpulent. Er arbeitete im ersten Bezirk als Abteilungsleiter, in einem Luxusetablissement und versorgte somit äußerst gut seine Familie.
Sabine sah das Geschehen als wäre es erst vor wenigen Tagen passiert, zusammen mit ihrer Mutter war sie in den ersten gefahren. Sie wollten Daddy, wie die Kleine ihren Vater liebevoll nannte, von der Arbeit abholen und die letzten Vorbereitungen für Sabines Geburtstag treffen. Der 16. war nur mehr drei Tage entfernt und es gab noch viel zu erledigen, Sabine wünschte sich dieses Jahr eine Reiterausstattung. Sie liebte Pferde über alles und wollte nun den Reitsport etwas intensiver ausüben. Christof-Werner und auch Melanie hatten nichts dagegen, der Wunsch ihres Mädchens war ihnen befehl und so hatten die Eltern bereits alles Notwendige veranlasst. Nun galt es nur noch die bestellten Utensilien abzuholen.
Schon als sie das Kaufhaus betraten, bemerkten sie das etwas unheimliches in der Luft lag. Es war zu still, nirgends zeigte sich ein Mensch und es war ihnen als spürten sie den Hauch des Bösen in der Luft. Man konnte das Verderben förmlich riechen!
Sabine sah als erste den Mann, er hatte eine schwarze Skihaube über das Gesicht gezogen und fuchtelte wild mit einem Silber glänzenden Revolver umher. Christof-Werner versuchte beruhigend auf den Manne einzureden, er sprach sanft und ohne missbehagen in das Gewissen des Maskierten und versuchte ihn zu überzeugen, das es besser wäre wenn er die Waffe ablegen würde.
Sabine schrie auf, das blanke Entsetzen stand in ihr Gesicht geschrieben.
Der Maskenmann wirbelte herum, er sah das kleine Mädchen und hob die Hand.
In diesen Moment stürzte sich Christof-Werner auf den Verbrecher und ein kurzes Handgemenge um das Schießeisen entbrannte, der Täter war schmächtig.
Er bestand nur aus Haut und Knochen, das konnte man trotz der dicken Winterbekleidung deutlich spüren. Er wand sich aalglatt aus dem Griff des Leitenden Angestellten und dann plötzlich, aus heiterem Himmel brach ein Schuss durch die hohen Hallen des Kaufzentrums. Der Maskierte trat zurück, in seiner Hand der Rauchende Revolver. Christof-Werner taumelte und auf seiner Brust zeichnete sich ein immer größer werdender Blutfleck ab.
Sabine fröstelte bei dieser Erinnerung, ihr Vater war noch am Tatort verstorben. Der Mörder versuchte zu fliehen, konnte jedoch von der Polizei gefasst werden. Für Sabine und ihre Mutter begann nun eine harte Zeit, nichts war mehr so wie zuvor und die kleinsten Freuden verblassten in Trauer.
Es vergingen drei Jahre, Sabine hatte den Verlust des Vaters noch immer nicht richtig verarbeitet und war noch immer etwas gefangen in dem Erlebnis vor ihrem zehnten Geburtstag. Melanie war gebrochen, sie erholte sich von diesem Schlag nicht wieder. Zu Sabines 12. Geburtstag schenkte ihre Mutter ihr einen blauen Schal, sie hatte ihn selbst gestrickt um sich von ihrem Kummer ein wenig abzulenken. Am Abend, zur Nachtzeit schloss Melanie ihre Augen und Gott wollte es so, das sie, sie niemals wieder öffnete.
Sabine blieb abermals stehen, Tränen standen nun in ihren Augen. Vor sieben Tagen war der achte Todestag ihrer Mutter gewesen und heute war es der elfte bei ihren geliebten Daddy, die beiden liebsten Menschen wurden ihr so hart und schnell hintereinander genommen. Für Sabine gab es keine logische Erklärung dafür, weshalb wurde sie so unfair gestraft?
Ihr weiteres Leben verlief ohne Freude, zuerst kam Sabine bei der Schwester ihres Vaters unter. Doch dort wollte das junge Fräulein nicht verbleiben, also ging sie mit 15. Jahren fort und kämpfte sich mehr als 48. Monate schwer durchs Leben. Ihr einziger permanenter Begleiter war der weiche blaue Wollschal, den Sabine von ihrer Mutter zum 12., zu ihrem letzten gemeinsamen Geburtstag erhalten hatte. Und die Jahre zerrten an ihm, die kräftige blaue Farbe verblasste langsam und das gute Stück verlor mit jedem Jahr das verging mehr und mehr an ansehen.
Sabine wohnte unweit des Euro Centers auf der Mariahilferstraße, sie war von der U-Bahnstation Westbahnhof gekommen und war die letzten Meter zu Fuß gegangen. Nun erreichte sie schließlich ihre Wohnung, schloss das Eingangstor auf und trat aufatmend über die Schwelle.
"Endlich zuhause", Sabine fühlte sich in Sicherheit. "Ich bin für ein weiteres Jahr dem Weihnachtsrummel entkommen." Die Wanduhr im Flur zeigte sechs Uhr, Sabine schlüpfte aus ihrem Mantel. Sie arbeitete als Abteilungsleiterin beim Julius Meinl am Graben, unweit des Business Komplex wo seinerseits Ihr Vater als Geschäftsführer damals gearbeitet hatte. Sabine fand diese Parallele nicht besonders makaber, sie wollte in der Nähe des Todesorts ihres Daddys sein und diese Nähe brachte der jungen Frau einen gewissen Seelenfrieden ein.
Sabine ließ sich ein Bad ein, der heiße Dampf brachte rasch eine erste Entspannung und Sabine goss einen Verschluss voll Eukalyptus-Melissen Schaumbad dazu. Vorerst achtlos ließ sie ein Kleidungsstück nach dem anderen auf den verfliesten Boden fallen und stieg anschließend in das heiße Wasser, sie streckte sich in der geräumigen Wanne aus und schloss, als für Sekunden die Fluten über ihr zusammen brachen die Augen.
Sabines Wohnung war schlicht eingerichtet, sie hatte ein zwei Zimmer Appartement und verzichtete in jedem Raum auf unnötigen Kitsch. Die Wände waren weiß gestrichen, im Schlafzimmer zierte ein flauschiger Teppich in blauer Farbe den Boden und es gab auch im Wohnzimmer nur das aller nötigste.
Ein Einrichtungsexperte würde diese Wohnung für einen hoffnungslosen Fall halten, für einen Schandfleck der absoluten Geschmacklosigkeit. Doch für Sabine war dies ihr Reich der Trostlosigkeit und bisher hatte es niemand geschafft die junge Frau von dem Gegenteil zu überzeugen, weder Freunde, noch Kollegen oder die wenigen Nachbarn, die in der Umgebung zu Sabines Appartement wohnten.
Sabine lag weiterhin mit geschlossenen Lidern in der Badewanne, der Schaum bedeckte den gesamten Körper und ein leichter Dunst lag in der Luft. Der Spiegel des Wandschrankes war angelaufen und es war vollkommen still in der monotonen Wohnung, Sabine rührte sich nicht, ihr Atem ging aber ruhig und regelmäßig. Sie war in dem heißen Wasser einfach eingeschlafen und für die junge Frau war dies die Entspannendste Methode um nach einem harten Arbeitstag ab zuschalten.


Zuerst war Sabines Schlummer traumlos, sie versuchte weiterhin zu ihren alten Erinnerungen zu gelangen, doch noch immer lag ein Schleierhafter Schatten über Erlebnissen des damaligen Kindes.
Dann, urplötzlich lichtete sich der Nebel und Sabine fand sich auf den Zentralfriedhof wieder. Sie hatte ein weißes Kleid an, schritt langsam durch den frisch gefallenen Schnee und näherte sich allmählich der Friedhofsreihe D7. Dort befand sich unter der Parzelle 3A das Familiengrab der Werners, vier Namen waren auf der Marmortafel verzeichnet. "Robert Werner, geboren 15. August 1905. Verstorben 24. Mai 1985." las Sabine, Robert war ihr Großvater Väterlicherseits gewesen. Er war an einem Brustkrebs gestorben.
"Simone Berger", war der zweite Name. Sie war die Schwester von Robert gewesen und musste mit demselben Brustkrebs wie ihr Bruder kämpfen.
"Geboren 01. Juni 1915, verschieden am 30. Januar 2001." Sabine konnte sich an Simone noch gut erinnern, sie war bei Ihrer Beisetzung gewesen und noch zu Lebzeiten ihrer eigenen Eltern war Simone Berger, eine geborene Werner mit ihrer Familie zu Gast im Hause Werner gewesen. Sabine gedachte einen Moment ihren Großvater und ihrer Tante, bettete für die Seelen der Verblichenen und las im Anschluss weiter. "Christof-Werner Werner", bei diesem Namen stockte Sabine, es war ihr Vater. Die Bilder des Grauens flimmerten erneut, wie ein alter Film vor dem geistigen Auge der jungen Frau vorüber und Tränen bildeten sich in den Augenwinkeln.
"Geboren 10. September 1960", ein schluchzen drang aus der Kehle Sabines und ihre Finger glitten langsam über die Goldenen Buchstaben des Namens.
"Gestorben 13. Dezember 1994." Das Dunkel im Kopfe Sabines hellte sich auf, jetzt erst erinnerte sie sich wieder das ihre Eltern ihr erzählt hatten, das Christof-Werners Vater Robert ein Jahr vor Ihrer Geburt dahin geschieden war. Elf Jahre danach folgte sein Sohn durch die Hand eines Rücksichtslosen Mörders, Sabine hatte das alles vor langer Zeit vergessen, doch allmählich brachen diese Erkenntnisse auf und die Totale Erinnerung setzte ein. "Und Melanie Werner, eine geborene Niedermaier. Geburt am 22. Februar 1971, gestorben 24. Dezember 1997. Sie verließ das Leben", las Sabine noch als Erläuterung. "weil es ohne ihren Mann nicht mehr lebenswert war." Sabine Werner hatte diesen Anhang für ihre geliebte Mutter in den Marmor schreiben lassen, so wie Melanie den Satz "Niemals Vergessen, genommen von einem Bösen Manne." für Christof-Werner Werner verewigen ließ.
"Ich vermisse euch so sehr", äußerte sich Sabine unter Tränen. Sie sank auf die Knie und senkte den Kopf, ihr Blick war auf das sauber gehaltene Familiengrab gerichtet und obgleich die junge Frau im zehn Zentimeter hohen neu Schnee kniete, fühlte Sabine die Kälte und Nässe nicht.
"Ich wünschte", Sabine schlug die Hände vors Gesicht und weinte bitterlich.
"Ich wünschte ich könnte euch nachfolgen. Das Leben hat keinen Sinn ohne euch, ich bin alleine und sehe keine Zukunft auf dieser Erde für mich... " Zuvor hatte es nicht geschneit, es war auch Windstill gewesen. Nur der Mond und die Sterne leuchteten der jungen Frau den Weg und spendeten Trost in der Heiligen Nacht. Nun erhob sich ein leichter Windhauch und dieser umgarnte singend Sabine, zarte Schneeflocken fielen vom Nächtlichen Himmel und umtanzten sie. Der Weihnachtsabend war weit voran geschritten, die Heilige Nacht beinahe vorüber und in diesen letzten Minuten des 24. Dezembers 2004 erklang aus der stillen Nacht eine vertraute Stimme. Sie war Anfangs nur leise, mehr ein wispern in der Dunkelheit, sie schien von allen Seiten gleichzeitig zu kommen und wurde zunehmend verständlicher.
"Deine Zeit auf Erden ist noch lange nicht vorbei", klar und deutlich vernahm nun Sabine diese Worte. Die Stimme wirkte beruhigend auf die junge Frau ein, Sabine ließ ihre Hände sinken und wischte sich energisch die Tränen aus den Augen.
"Wer ist da?" fragte sie leicht verunsichert, sie fühlte keine Gefahr, dennoch war sie nicht ganz sicher wer hier zu ihr sprach. "Wer sind sie?" wiederholte sie ihre Frage.
"Deine Zeit mein Kind", raunte die Stimme unbeirrt fort, "ist noch lange nicht abgelaufen, dein ganzes Leben liegt noch vor dir und du hast noch so viel zu erleben. Wirf es nicht weg, beginne die Freude wieder zu finden und lass die Sonne in dein Herz zurück." Sabine Werner blickte um sich, sie bemerkte nun dass sie im Schnee kniete und erhob sich langsam. Dicke Flocken schwebten vom Firmament und über ihr funkelten die Sterne in ihrem festlichsten Glanz, der Mond spendete reichlich Licht und erleuchtete die Heilige Nacht beinahe Taghell.
Bunter Dunst, Farbenprächtiger Nebel stieg von der Steinplatte des Familiengrabes auf und zuerst vermischten sich die schimmernden Nebelschleier in einander. Wieder erklang die ihr so bekannte Stimme, "Erinnere dich an die Weihnacht deiner glücklichen Jugendzeit", flüsternd drangen diese Worte in Sabines Ohr. "Finde deinen Weihnachtsglauben und verlassen den Pfad der Finsternis, kehre zurück ins Licht und gedenke der Geburtsstunde Jesu." Der schillernde Nebel teilte sich, sie stoben zwischen den Schneeflocken auseinander und formierten sich langsam. Aus dem einen Gebilde wurden nun zwei grell leuchtende Körper, sie waren nicht wirklich fest, man konnte hindurch blicken und noch immer das Familiengrab der Werners erkennen.
Dennoch hatten sie eine gewisse konstantität und ihr Züge waren äußerst deutlich zu erkennen, Sabine schaute. Sie erblickte das längst vergangene und ihr Herz pochte wie wild.
 "Besinne dich an den Weihnachtsglauben", ertönte nun mahnend die Stimme von Sabines Vater. "Erinnere dich an die Feste der Vergangenheit." Sabine Werner streckte ihre Hände aus, sie sah die Nebelgebilde ihrer Eltern, konnte ihre Erscheinung aber noch immer nicht so richtig glauben.
War das alles echt? Oder eine Einbildung ihres Schmerzes?
"Vater", weinte Sabine erneut auf. "Ich brauche dich, dich und Mutter, ohne euch ist das Leben so leer." Christof-Werner beugte sich tiefer zu seiner Tochter hinunter, er legte seine Schemenhafte Hand auf ihre Schulter und sprach sanft auf die junge Frau ein.
"Deine Gefühle sind uns nicht fremd", Sabine fühlte die Nähe ihres Vaters, sie fühlte die Schattenhafte Berührung und sonnte sich in der Stärke ihres Vaters.
"Wir erkennen deinen Schmerz und wollen dein Leiden auf keinen Fall schmälern." Nun ertönte eine zweite Stimme, die von Melanie, Sabines Mutter. Ihre Nebelige Erscheinung tauchte im Rücken des Vaters auf, wuchs mächtig in den Nächtlichen Himmel und blickte liebevoll auf die, auf Erden gebliebene Tochter.
"Wir lieben dich auch mein Kind", sprach sie, "wir vermissen deine Fröhlichkeit und deine liebenswerte Natur. Hier in unseren neuen Lebensraum gibt es den Geist der Weihnacht nicht, aber der Weihnachtsglaube ist auch hier nicht verloren gegangen. Er befindet sich tief in den Seelen aller Verblichenen und schützt so das gute Leben von der Bedrohung der Finsternis."
Sabine stiegen wieder Tränen in die Augen, sie kämpfte tapfer dagegen an, doch es hatte keinen Sinn. Der Erfolg des nicht Weinens blieb aus und schon kurz Zeit später liefen breite Bäche die Wangen der jungen Frau hinunter...
"Ich versuche ja meinen glauben zu bewahren", antwortete Sabine leise und wahrheitsgetreu. "Ich versuchte mich stets an die Freuden und an das Besinnliche der Weihnacht und auch des Lebens zu Erinnern, doch schon wenige Tage nach dem Fortgang von Mutter blockierte eine dunkle Macht meine Erinnerung und zog mich gnadenlos in die Tiefe." Melanies Geisterkörper kniete sich neben Sabine hin und ihre hell leuchtende Gestalt umarmte das geliebte Kinde, sie streichelte ihrem Mädchen über das lockige Haar und versuchte mit sanften Worten das zerbrochene Herz Sabines zu heilen. "Auch wenn wir jetzt nicht mehr an deiner Seite leben", flüsterte Melanie beruhigend, "so wirst du immer ein Teil von uns und wir ein Teil von dir sein, wir werden immer und überall über dir wachen und dich auf allen Wegen mit Vernunft führen." Ihre Mutter nahm Sabine in den Arm, die junge Frau fühlte sich wie ausgewechselt. Wärme und Geborgenheit durchströmte ihren zierlichen Körper und Sabine spürte, wie die Emotionen, die sie so lange unterdrückt hatte in ihr aufstiegen.
Melanie strich ihrer Tochter sanft über das Haar, ihre flüsternde Stimme beruhigte Sabine ein wenig und sie wischte sich die Tränen aus den Augen.
"Bekleide mich mein Kind", sprach Melanie singend. Sie breitete ihr weites Gewand um ihre Tochter und Sabines Gestalt verschwand in der Geisterhaften Erscheinung, ein grelles Licht breitete sich aus, funkelnde Sterne stiegen auf und der Schein des Glanzes stieg in den Nächtlichen Winterhimmel.
"Wohin führst du mich?" fragte Sabine, sie verspürte keine Angst, dennoch blieb eine kleine Ungewissheit. Melanie schien mit ihrer Tochter zu verschmelzen und ihre gemeinsame Reise dauerte nur wenige Augenblicke, ihre Umgebung war unbeschreiblich - es glitzerte überall und bunte Regenbogenstrahlen zogen an ihnen vorüber. Ein Glockenspiel erklang in der Ferne, es kam rasch näher, schwoll an und verbreitete eine Weihnachtliche Stimmung. Selbst nach Sabines Gemüt, das bisher keinen einzigen wahren Gedanken an das Christfest verschenkt hatte, griff die Besinnliche Festlichkeit und tief in ihrem Herzen öffnete sich eine zu lange versperrte Tür und die junge Frau sog all die wundersamen Weihnachtselemente in sich auf.
"Wir reisen zurück in der Zeit," sprach Sabines Mutter. "Dein Vater wird uns in der Vergangenheit erwarten, es ist an der Stunde", beendete Melanie ihre kurze Erklärung, "um dir deine Lebenskraft zurück zu geben." Sabine schloss die Augen, sie wartete gespannt. Der Augenblick der Reise verging und ehe sie sich versehen konnte, standen beide Frauen vor einem kleinen Einfamilienhaus. Glitzernd lag Schnee auf dem Dache, bläulicher Rauch stieg aus dem hohen Schornstein. Der gepflegte Garten lag ebenfalls unter einer dicken Schneedecke und die Sterne, die am klaren Firmament standen funkelnden rein und klar und spendeten silbernes Licht, das die Umgebung des Hauses zart berührte.
"Das ist Unser Haus", Sabine erkannte ihre alte Behausung, das Elterliche Domizil sofort. "So ist es mein Kind", bestätigte Melanie lächelnd. "Hier wohnten wir vor vielen Jahren, in der Zeit bevor dein Vater sein Tragisches Ableben erfuhr." "Aber warum sind wir nun an diesen Ort zurück gekehrt?" Sabine verstand diesen Zug nicht, warum riss Mutter die alten Wunden erneut auf?
"Wir zogen nach Vaters Tod in die Stadt, und wir haben in der Folgezeit auch besinnliche Weihnachtsfeste gefeiert. Wenn auch nicht mehr sehr viele." schloss Sabine ihre Anregung.
"Das stimmt schon mein Kind", Melanie nickte. "Aber dennoch hast du niemals dieses Haus verlassen, dein Glaube ist hier geblieben. Und er wartet heute auf dich... " Melanie griff nach der Schnalle der Eingangstür und drückte sie nieder, die schwere Pforte schwang lautlos nach innen auf und der Duft von Tannengrün, Lebkuchen und Kerzenwachs strömte den beiden Frauen entgegen.
"Tritt ein mein Kind", sprach die Mutter. "Kehre in die Vergangenheit zurück und eigne dir deinen Glauben, deinen Weihnachtsglauben wieder an." Sabine kam der Aufforderung rasch nach, sie setzte ihren Fuß über die Schwelle und mit diesem Schritt fiel alles Düstere von der geplagten Frau ab. Ihre Erinnerung war wieder da, sie konnte sich nun wieder an jede Einzelheit ihrer Jugend besinnen. Sie sah die liebevollen Weihnachtsfeste ihrer Kindheit vor sich und sie vernahm auch den Klang der Jubelchöre, ihr Herz war frei - frei von alter Last und Befangenheit. Mit jedem Schritt, den Sabine tiefer in das Haus ihrer Eltern vordrang schmolz der Eisgletscher dahin, der sich um die Seele der jungen Frau angestaut hatte.
"Wie konnte ich meinen Glauben hier belassen?" fragte sie ihre Mutter, nur mehr wenige Meter trennten sie von dem Wohnzimmer wo sie früher immer den Heiligen Abend verbrachten.
"Ich erfuhr meine Blockade erst nach deinem Fortgang!" Melanie öffnete für ihre Tochter den Zugang zum Wohnzimmer, ein helles Licht quoll heraus. In diesem Schein stand Sabines Vater und entzündete die letzten Kerzen des Weihnachtsbaumes.
"Das stimmt zwar, aber deinen wahren Glauben an das Weihnachtsfest hast du schon Jahre zuvor hier gelassen. Ab der Stunde nach Vaters Tod!" Sabine war überrascht, sie hatte es niemals so gesehen und sie konnte es auch nicht wirklich glauben, sollte sie wahrhaftig schon hier alles Liebenswerte zurück gelassen haben? Ihre Mutter zumindest sagt es so und als brave Tochter stand es Sabine eigentlich nicht zu an den Worten der Mutter zu zweifeln.
"Wie konnte mir das geschehen?" fragte sie Melanie und Mutter schlug die Augen nieder, in den Worten von Sabine lag offener Unglauben, Melanie hörte deutlich diesen Faktor heraus.
"Ich kann das nicht so ohne weiteres beantworten", gab Mutter zum Besten.
"Aber ich kann dir versichern, dass es genau so ist, wie ich es dir gesagt habe.
Am besten kannst du dir das selber beantworten, in dem du über folgende Situation nachdenkst." Melanie nahm ihr Kind bei der Hand, sie fühlte dass Sabine die Elterlichen Erfahrungen brauchte, viel zu früh waren beide aus dem Leben ihrer Tochter getreten. "Überlege dir, wann du in den letzten Jahren, ab dem Tag von Papas Tod wirklich an etwas glauben konntest. Wann hast du zum letzten Mal, einfach nur so an etwas geglaubt?" Sabine ging in sich, sie hatte sich über diese Frage bisher niemals ran gewagt. Doch Melanie ermunterte sie mit sanften Worten dazu und Sabine schloss die Lider, ihre Gefühle waren seit der Begegnung mit ihren Eltern in dieser Stunde schon sehr stark aufgewühlt und sie verspürte tief in ihrem Herzen den Wunsch zum Glauben...
Melanie nahm ihre Tochter noch fester bei der Hand und führte sie langsam in das weihnachtliche Wohnzimmer der Familie Werner, Vater vollendete in diesen Augenblick die Entzündung des Weihnachtsbaumes und der Kerzenschein verbreitete eine besinnungsvolle Stimmung.
"Es ist soweit", sprach er. "Die Vergangenheit und die Zukunft stehen für uns bereit." Melanie nickte schweigend, noch immer befand sich ihre gemeinsame Tochter in der Selbstfindung. Christof-Werner nahm Sabine bei der anderen Hand und zusammen standen sie wieder vereint, wenn auch nur für diesen kurzen Moment vor einem gemeinsamen Weihnachtsbaum und warteten auf das kommen des "Christkindes".
Sabine schlug die Augen auf, ihr Geist hatte den Tag gefunden, an dem sie das letzte mal geglaubt hatte. Es war jener Tag gewesen an dem sie noch glauben konnte, dass sie eine Reitsportlerin werden könnte. Drei Tage vor ihrem zehnten Geburtstag... Danach erschloss sich die unwissende Leere, nach diesem Tag gähnte der jungen Frau das absolute nichts entgegen.
"Ihr hattet recht", sprach Sabine beschämt. "Mein Glaube blieb in diesem Haus, ich habe ihn mit dem Tod von Vater vollkommen verloren. Ich kann mich zwar noch immer nicht an alles besinnen, aber so manche Erinnerung ist zurückgekehrt." "Und wir wollen dir helfen", sprach ihr Vater freundlich. "Den Rest deiner Glaubenstärke auch wieder zu finden. Dazu unternehmen wir eine kleine Reise in die Vergangenheit und in deine Zukunft, damit du siehst, wer du einst warst und was mit dir geschehen kann, wenn du deinen Glauben, besonderst deinen Weihnachtsglauben nicht wieder vollständig finden solltest." Sabine wollte noch etwas fragen, doch sie kam in diesen Augenblick nicht mehr dazu. Melanie hielt sie an der einen und Christof-Werner an der anderen Hand, der Christbaum inmitten des Zimmer erstrahlte in seiner ganzen Pracht und dann begann sich der Raum um sie zu drehen, alles verschwamm ineinander, alles verformte sich zu einer bunten Spirale und allmählich veränderte sich ihre Umgebung.
Sabine fand sich am Weihnachtsabend, ein Jahr vor dem Schrecklichen Tod ihres Vaters wieder. Sie sah sich als ausgelassenes Kind, das keine Natur von Traurigkeit war. Fröhlich besang diese Sabine das kommende Weihnachtsfest und bezeugte mit ihren Taten, dass sie glaubte. Sie glaubte an das "Christkind" an die "Besinnlichkeit der Gemeinschaft" und an die "Güte und Mitmenschlichkeit"... Sabine war einst ein Kind, das das Leben und seine Wunder zu schätzen wusste.
Dann begann sich dieses Mädchen zu verändern, der Tod des Vaters gaben den Anstoß dazu und das fortgehen der Mutter verstärkte die Veränderung um ein vielfaches. Sabine verlor ihren Lebensmut und ihren Glauben an das Schöne, sie lebte zwar aber nur mehr als Schatten ihrer - als Schatten dessen was sie einmal war. Die Bilder wechselten, von der Vergangenheit waren sie zuvor in die Gegenwart gekommen und das Szenario verlegte sich nun in die nahende Zukunft. Schon in ein paar Jahren würde aus Sabine eine vertrocknete alte Jungfer geworden sein, ihre Lebensenergie würde sich allmählich dem Ende zu neigen und ihr Dasein würde aufhören, von heute auf Morgen würde ihr Licht verlöschen und Sabine sollte auf diesen Weg vollkommen alleine dahingehen.
Ohne Freunde, ohne Familie und ohne auf ein Erfülltes Leben zurück schauen zu können. Einsam, verlassen und von der Bitternis bis ins innerste zerfressen!
"Wir wollen nicht das es so mir dir endet." sprach nun Melanie, auch ihr Vater bekräftigte dies. "So ist es mein Kind, wir wollen nicht das du wegen uns nur noch Dahinsiechst. Ergreife dein Leben neu und gestalte es so wie du es vor meinen Tod gestaltet hättest, Lebe dein Leben weiter und finde deinen Glauben wieder, das Leben an sich ist viel zu kurz um es einfach so zu vergeuden. Löse dich aus der Umarmung der Gleichgültigkeit... " "Lebe", hörte Sabine noch ihre Mutter sagen. "Finde deinen Glauben." Erst nun bemerkte sie, dass ihre Eltern sich mit den Bildern der Zukunft vermischten. Wieder verschmolz alles ineinander und Sabine konnte nichts dagegen tun, nur eine dicke Träne lief ihr über die Wange.
"Glaube wieder an das Leben und finde auch deinen Weihnachtsglauben in dir." Das waren die letzten Worte, die Sabine von ihren Eltern vernehmen konnte.
Danach wurde es langsam dunkel um sie, ein Windhauch erhob sich und blies auffordernd der jungen Frau in das Antlitz...
"Ich werde Leben", flüsterte Sabine ihnen nach. Sie war nun voller Energie, alles Liebenswerte ihrer Eltern floss nun durch die Adern ihres Kindes und bestärkten die Tochter bei ihren Entschlüssen.
"Ich will auch wieder glauben, an alles was gut und ehrenvoll auf dieser Erde ist. Und ganz besonders an das kommen des "Christkindes", an den Heiligen Abend. Der Weihnachtsglaube soll ab nun immer mein ständiger Begleiter sein!" Der Wind um Sabine wurde heftiger, er erfasste die junge Frau vollends und brauste ihr belebend durch das Haar. Es war nicht kalt, und obgleich eine totale Finsternis herrschte, konnte Sabine sehen. Sie erblickte zum ersten Mal nach sehr langer Zeit den wahren Grund, die wahre Bestimmung des Weihnachtsfestes. Und Sie glaubte, sie glaubte an das Schicksal und an das Leben - sowie an das bestehen der Zeit und ihre manchmal auch unverständlichen Abläufe.
In der Ferne leuchtete ein silberner Streifen auf, licht erstreckte sich vom Horizont aus zu ihr und Stimmen wurden laut.

Sabine blickte gerade aus, ihr gegenüber, auf der anderen Straßenseite des Mariahilfergürtels stand ein alter Mann mit einem Gehstock und einen Blindenhund. Die Ampel war noch immer auf rot und in ihrem Rücken wurden die Kindergesänge lauter, feiner silberner Schnee hatte sich auf den Mantel und auf das Haupt der jungen Frau gelegt. Doch die Kälte war aus dem Herzen Sabines gewichen, sie nahm das Schneetreiben nun wahr und sie erinnerte sich wieder - sie besann sich auf alles was einmal gewesen war und auf alles was eben ablief. Die Ampel blieb auf rot, die Kinderschar rückte näher und lautstark, voller Freude und Andacht besangen sie die "Stille Nacht"... Die Kinder waren im Alter von etwa fünf Jahren und wurden von zwei Aufsichtskräften bekleidet, soeben stimmten sie die dritte und letzte Strophe des Weihnachtsliedes an und während die Gruppe vor der roten Ampel hielt begann Sabine in den Gesang ein zu fallen. " ... Stille Nacht, Heilige Nacht." Es war lange her dass sie ein Weihnachtslied gesungen hatte, vielleicht viel zu lange her. Aber es war noch nicht zu spät und der Glaube würde ihr dabei helfen standhaft zu bleiben. "Hirten erst kund gemacht, durch der Engel Hallelujah, tönt es laut von ferne und nah. Jesus der Retter ist da, Jesus der Retter ist da." Das Lied war zu Ende, die Kinder freuten sich und einer der beiden Aufsichtspersonen dankte Sabine für die Begleitung.
"Es hat Spaß gemacht", erwiderte sie, "Ein Frohes Weihnachtsfest wünsche ich Ihnen allen und einen guten Rutsch ins neue Jahr." Die Ampel schaltete um auf grün, Sabine setzte ihren Fuß auf den Zebrastreifen und schritt hinüber. Auf halber Strecke kam ihr der blinde Mann entgegen, Sabine verspürte ein tiefes Mitleid mit dem geschlagenen Manne und fasste nach seinem Arm. "Darf ich Ihnen über die Strasse helfen!" es war mehr eine Aufforderung als eine Frage, Sabine machte am Absatz kehrt und geleitete den blinden wohlbehalten über den Mariahilfergürtel. Die Gruppe der Kindergartenkinder strömte an ihnen vorbei und sie sangen bereits ein neues Lied, über den Weihnachtsbaum - "Oh Tannenbaum, Oh Tannenbaum... " vernahm Sabine, dann erreichte sie mit dem Blinden die Straßenseite von der sie gekommen war.
"Vielen Dank mein Fräulein", hauchte der schon sehr alte Mann ihr zu. "Gott möge sie segnen und ihren Weg beschützen." Sabine griff ohne weiter darüber nachzudenken in ihre Handtasche und holte ihre Börse heraus, schnell war diese geöffnet - doch alles was sie im Moment darinnen hatte, waren ganze Einhundert Euro. "Was soll's", dachte sie lächelnd bei sich. "Der alte Mann kann es besser gebrauchen als Ich." Sabine nahm den Schein aus der Brieftasche und drückte ihn den alten Blinden in die Hand, "Für Sie", sprach sie dabei. "Frohe Weihnachten und alles Gute auch im neuen Jahr." Der Blinde fühlte recht verdutzt die Banknote zwischen seinen Fingern, er spürte wie Sabine an ihm vorbei und über die Strasse hetzte. Das grüne Licht blinkte bereits, er wandte sich in ihre Richtung um und dankte ihr noch einmal. Er wusste zwar nicht wie viel das in seiner Hand war, aber das es kein Fünfer oder zehner sein konnte - das vermochte er zu ertasten.
Sabine lief in jugendlichen Sprüngen die Mariahilferstrasse hinunter, noch waren die Geschäfte auf und noch konnte sie für den kommenden Heiligen Abend einkaufen. Ihr erster Weg führte sie auf die Bank, sie brauchte Geld. Alles was sie noch an Bargeld bei sich gehabt hatte, war an den armen alten blinden Mann gegangen und ohne finanzielle Mittel konnte sie sich keinen Christbaum und kein Festessen kaufen.
Sabines Blockade war wie weggewischt, ihre Erinnerung an das Schöne hatte noch einmal seinen Platz in ihrem Herzen gefunden und die Bitternis war dem Licht gewichen. Ein beschwingtes Weihnachtslied auf den Lippen, setzte Sabine ihren Weg fort, sie fühlte sich gut. Befreit von einer tonnenschweren Last, befreit von der Leere und ergriffen von der Glückseeligkeit des Lebens. Der Weihnachtsglaube, und der Glaube an sich war für alle Zeiten an die Seite von Sabine getreten.

 

 

© Werner Gschwandtner

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„Der Treff für Jung & Junggebliebene“

 

 

„« Der Weihnachtsglaube » wurde von mir, dem Autor, in dem Gemeinschaftsbuch „Das Weihnachtsbuch“, welches im Dezember 2005, über den MB-Verlag veröffentlich wurde, abgedruckt. Im selben, befinden sich auch einige Weihnachtsgedichte aus meiner Feder. Erhältlich, direkt über den MB-Verlag.“

 

euer Werner Gschwandtner

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Rebel Crusade 1, Zerstörer der Erde von Werner Gschwandtner



„Stellen sie sich vor, in einer fernen Zukunft befindet sich die Erde und eigentlich das gesamte bekannte Universum unter der Faust einer fremden und äußerst bösartigen Spezies namens Tenebridd. Das Leben, so wie wir es im Augenblick kennen existiert seit zwei Jahren nicht mehr. Die Erde ist dem Erdboden gleich gemacht, kein Standard, keine Sicherheiten mehr und nur noch das Gesetz der Eroberer. Und dennoch, eine Handvoll Menschen, angetrieben von dem Wunsch der Freiheit, kämpfen unermüdlich um das Überleben des Planetens und der restlichen Menschheit.“

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