Germaine Adelt

Unbestechlich

            Der Mann hörte nicht auf zu schimpfen und sie verfiel immer mehr in Schweigen. Wahrscheinlich war das falsch, da er sich nun noch heftiger aufregte. Aber letztlich hatte sie keine Gegenargumente. Sie war ihm in die Seite gefahren, nachdem sie ihm die Vorfahrt genommen   hatte. Zwar hatte sie noch versucht zu stoppen und es auch fast geschafft. Aber eben nur fast. Die kleine Beule an seiner Fahrertür war kaum der Rede wert. Dennoch kamen sicherlich erhebliche Kosten auf sie zu. Er würde das ganze Auto neu lackieren und ihr erklären, dass es nicht anders gegangen wäre. Sein Wortschwall wollte nicht enden und sie nicht noch mehr Ärger. Also ließ sie ihn schimpfen, darüber dass sie als Frau von Natur aus dumm sei und ihre Aufmerksamkeit dem Verkehr widmen solle. Immerhin gäbe es Rückspiegel, die nicht dazu da seien, das Make-up zu kontrollieren.

            Mario hätte die Schimpftirade schon längst beendet, und wenn er jetzt hier wäre, hätte er seinem kleinen Schwesterchen erst einmal gezeigt, wie man mit solchen Typen umgeht. Aber er war nicht da und so stand sie noch immer neben ihrem Auto und hörte zu, was der Mann zu meckern hatte. Langsam wurde es interessant, was er alles aus der Situation herauslas. Da sie wie ihr Großvater den dunklen Typ verkörperte, verlegte er sich nun auf ausländerfeindliche Parolen. Er nannte sie eine Bulgarin. Das war für sie eine neue Erfahrung. Türkin, Griechin war sie schon gewesen. Aber Bulgarin? Sie hörte ihm gespannt zu, was er ihr alles vorzuwerfen hatte. Irgendwann war er mit seinem Redeschwall am Ende und verkündete: „Am besten, ich hole die Polizei.“

            „Bitte nicht die Polizei“, stöhnte sie leise.

            „Ach, das ist ja interessant“, hakte er nach. „Hast wohl was zu verbergen?“

            Jetzt war er schon beim Du. Sie musterte ihn kurz und fragte sich, ob er zu denen gehörte, die ihr am Ende noch ein eindeutiges Angebot machten, ganz einfach, weil er sie für das perfekte Opfer hielt.

            Er zögerte herausfordernd. „Ich ruf dann jetzt die Polizei an. Immerhin hast du eine Straftat begangen.“

            Das war ihr Stichwort. „Tatsächlich?“

            „Hier in Deutschland haben wir Gesetze, aber von so was hast du ja keine Ahnung. Ich aber, ich bin nämlich Beamter.“

            „Ach, wirklich?“, fragte sie mädchenhaft und stellte sich schmunzelnd vor, wie Mario jetzt  reagieren würde. „Was habe ich denn alles falsch gemacht?“

            „Na ja“, murmelte der Mann leise, „wenn du schön nett zu mir bist, könnte ich darüber noch einmal nachdenken …“

 

            Doch es war zu spät. Irgendjemand hatte schon die Polizei gerufen. Ein Streifenwagen hielt und Dierksen stieg aus. Als er sie sah, grinste er über das ganze Gesicht. „Na sieh mal einer an, wen haben wir denn da?“

            Sie stöhnte leise. Ausgerechnet Dierksen.

            „Die Frau Staatsanwältin persönlich …“

            Das Leben lief innerhalb von Sekunden an ihr vorbei. In einer halben Stunde wusste jedes Polizeirevier in der Stadt, dass die Staatsanwältin zu blöd war, Vorfahrt zu gewähren, und auf ewig würde es wie ein Mal an ihr haften. So wie einst bei Richter Hansen, der in den Siebzigern einen Laternenmast umgefahren haben sollte und bis zu seiner Pensionierung das Attribut Schnapsdrossel mit sich trug. Und alles nur, weil der Mann hier sich profilieren musste. Dem stand nun der Mund weit offen, so dass sie nun einmal das Reden übernahm.

            „Ich habe ihm die Vorfahrt genommen und ich bekenne mich natürlich schuldig, den Unfall verursacht zu haben. Gleichzeitig aber klage ich den Mann an wegen § 130 StGB, Volksverhetzung, Amtsanmaßung, § 132 StGB, und vor allem versuchter Nötigung.“

            „Ich liebe es, wenn Sie so akkurat sind“, erwiderte Dierksen und sie sah ihn böse an. Er aber wandte sich dem Unfallgegner zu.

            „Und wie ist Ihr Name?“

            „Illig, Bernd Illig.“

            „Na, dann holen Sie mal bitte Ihre Fahrzeugpapiere.“

   Und der Mann, der eben noch alles im Griff zu haben glaubte, stolperte hastig zu seinem Auto.

 

            „Hören Sie“, flüsterte Dierksen, „lassen Sie es auf sich beruhen. Wir schicken den Typen nach Hause und fertig.“

            „Sie erwarten doch nicht ernsthaft, dass ich mich darauf einlasse?“

            „Doch“, sagte er entschlossen. „Nach dem, was Sie für meinen Bruder getan haben, würde ich jeden Meineid für Sie schwören. Aber so was würden Sie ja nie zulassen, wofür wir Sie auch alle sehr schätzen. Ich schulde Ihnen was und es wird immer so bleiben. Aber im Moment will ich Sie einfach vor einer großen Dummheit bewahren. Bedenken Sie, Sie haben für die Beleidigungen keine Zeugen.“

            „Na und. Für ein paar Sozialstunden reicht es allemal. Allein die Volksverhetzung kann und will ich nicht durchgehen lassen.“

            „Glauben Sie nicht, dass der sich ab sofort lieber auf die Zunge beißen wird, als noch ein einziges Mal so was zu sagen? Vertrauen Sie mir.“ Er beschwor sie regelrecht. „Wie sieht das wohl aus? Die Staatsanwältin nimmt jemandem die Vorfahrt, es ist nur ein kleiner Blechschaden, alles banal. Aber gleichzeitig will Sie den Unfallgegner wegen eines unsittlichen Antrags belangen …“

            „Soll das heißen, ich bin voreingenommen?“

            „Darauf antworte ich lieber nicht …“

 

            Illig war zurück und lieferte brav seine Papiere ab.

            „Was hab ich gehört?“, fragte Dierksen. „Sie sollen unsere Staatsanwältin böse beleidigt haben.“

            Der Mann wurde blass und sah beschämt zu Boden. „Es tut mir leid“, murmelte er.

            „Was tut Ihnen leid?“, fragte sie spitz. „Die versuchte Nötigung oder …“

            „Lassen Sie mich raten“, unterbrach Dierksen. „Zwar hatten Sie Vorfahrt, aber Kavalier wie Sie sind, haben Sie der Frau Staatsanwältin die Vorfahrt gelassen. Und wie das so ist, gab es dann ein Missverständnis, natürlich haben Sie was missverstanden. Dann hat es geknallt und Sie wollten dies mit ihr bei einem Tässchen Kaffee bereden. Unsere Frau Staatsanwältin dachte aber, sie habe Schuld, Frauen denken ja immer, sie haben Schuld, und in der Aufregung hat sie das alles als plumpe Anmache verstanden.“

            Illig sah ihn dankbar an. „Genau so war es.“

            „Na, dann ist ja alles in Ordnung. Und nun sehen Sie zu, dass Sie sich vom Acker machen. Nicht vergessen, ich habe Ihre Nummer und Ihre Daten. Also passen Sie auf mit dem, was Sie tun.“

            Illig nickte kurz und fuhr dann eilig davon.

            „Was soll das?!“, zischte sie. „Holen Sie den Mann zurück!“

   Beschwichtigend hob Dierksen die Arme.

            „Warum bestehen Sie darauf, sich unbedingt schuldig zu bekennen? Lassen Sie die Geschichte auf sich beruhen. Der Typ hat einen riesigen Schreck bekommen und wird sich ab jetzt überlegen, was er wem sagt.“

            „Interessiert mich nicht, ich lass mich nicht erpressbar machen.“

            „Sie glauben doch nicht ernsthaft …“

            „Tut mir leid. Natürlich nicht. Aber was wollen Sie auf dem Revier erzählen?“

            Dierksen grinste. „Ich bin der Held des Tages. Nicht nur, dass Sie jemand abgedrängt hat und dann noch Fahrerflucht beging. Nein, Sie haben auch noch die Größe, von einer Anzeige gegen Unbekannt abzusehen. Sie haben eben Klasse.“

            „Vergessen Sie es!“

            „Okay, ich pfeife ihn zurück, bringe ihn auf das Revier, das ganze Programm. Aber Sie selbst wissen es, im Zweifel für … und so weiter. Wollen Sie sich das wirklich antun?“

            Sie stöhnte leise. Dierksen hatte Recht.

            „Sie sehen also von einer Anzeige wegen Fahrerflucht ab?“, fragte er in dienstlichem Ton.

            „Selbstverständlich.“

            Er salutierte kurz. „Soll ich Sie irgendwo hinbringen?“

            „Nein, schon gut. Mein Auto hat ja so gut wie nichts abbekommen.“

            Sie zögerte und fragte dann. „Sehe ich aus wie eine Bulgarin?“

            Er lachte auf. „Was denn, keine Türkin heute?“

            „Sie wissen davon?“

            „Ich bitte Sie. Das ging rum wie ein Lauffeuer. Dieser arrogante Staiger, dem keiner so richtig was konnte. Den haben Sie mit ihrer Klein-Mädchen-Unschuldsmine im Gerichtssaal soweit gebracht, dass er völlig die Fassung verloren hat und die Frau Richterin ihn nur noch verknacken brauchte. Wir sind richtig stolz auf Sie.“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.10.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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