Natalie Kurz

Die Schreibmaschine

Sie ließ die Schreibmaschine auf dem Steg stehen. Einfach so, dachte sie bei sich. Wirklich einfach so oder gab es doch einen Grund? Sie blieb ein paar Minuten stehen und besah sich die ganze Szenerie: der See mit dem Steg, der Wald rundherum, Eichenwald, uralt, weise schon, die Angler am anderen weit entfernten Ufer, die geduldig darauf  warteten, dass etwas anbiss. Und auf dem Steg die Schreibmaschine mit dem letzten Blatt, das vom Wind herausgerissen wurde.

    Die Maschine wirkte auf sie merkwürdigerweise nicht fehl am Platze. Alles, der ganze Ort, kam ihr irgendwie bekannt vor, wie aus einem alten lang verlorenen Traum. Doch sie konnte sich nicht erinnern, jemals hier gewesen zu sein. Und trotzdem kannte sie es, den See, den Wald und den Steg. Alles gehörte irgendwie zusammen.

    In Gedanken sah sie zwei Menschen auf dem Steg sitzen, ein Mann und eine Frau. Der Mann hatte eine Schreibmaschine auf dem Schoß und schrieb hin und wieder ein paar Zeilen, nachdem er mit der Frau gesprochen hatte. Sie lachte – und dann war das Bild verschwunden. Sie sah nun wieder die Schreibmaschine allein auf dem Steg stehen.

    Die Schreibmaschine war sehr alt und funktionierte nicht einmal mehr. Sie hatte sie am zweiten Tag ihres Urlaubs bei einem Trödler in der Stadt gekauft. Sie wusste nicht genau, warum sie das Gerät überhaupt gekauft hatte. Doch als sie sie jetzt auf dem Steg stehen sah, überkam sie das Gefühl, dass es richtig gewesen war.

    Plötzlich bemerkte sie, dass sie nicht mehr allein war. Ein alter Mann stand neben ihr und betrachtete ebenfalls den See.

    „Warum steht denn da eine Schreibmaschine auf dem Steg?“, fragte er.

    „Ich habe sie dort hingestellt“, antwortete sie.

    „Und wieso?“

    „Ich weiß es nicht.“ Der alte Mann ging auf den Steg zu.

   „Das kenne ich doch irgendwoher...“, sagte er nachdenklich. Sie folgte ihm und fragte:

    „Wie meinen Sie das?“ Er bückte sich und sah sich die Schreibmaschine genauer an.       

    „Ich kenne dieses Ding. Es ist schon sehr lange her, aber jetzt wo ich es sehe, erinnere ich mich wieder. Wo haben Sie die her, mein Kind?“

    „Ich habe sie vor ein paar Tagen in der Stadt bei einem etwas seltsamen alten Herrn gekauft.“

    „Bei Harry?“

    „Ja, genau.“

    „Hätte nicht gedacht, dass er das Ding immer noch hat.“

    „Wovon sprechen Sie eigentlich?“

    „Sind Sie das erste Mal hier?“

    „Ja.“

   „Nun ja, ich habe diese Maschine Harry vor vierzig Jahren verkauft. Sie gehörte einem Ehepaar, das jedes Jahr hier Urlaub gemacht hatte. Die beiden verbrachten die meiste Zeit hier am See auf diesem Steg und schrieben zusammen Geschichten auf dieser Schreibmaschine. Eines Tages kamen beide bei einem Segelunglück ums Leben und ich fand die Schreibmaschine hier auf dem Steg stehend. Daraufhin gab ich sie an Harry weiter. Und nun steht sie wieder hier. Vierzig Jahre später. Ungewöhnlich, finden Sie nicht?“ Sie nickte.

    „Wollen Sie sie da stehen lassen?“

    „Ich denke, dass sie an diesen Ort gehört.“

    „Da haben Sie wohl recht. Was mir gerade auffällt: Ich finde, Sie sehen der Frau, der die Maschine gehörte, ziemlich ähnlich.“        

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.10.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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