Werner Gschwandtner

Kein Stern

Ich lief durch die nächtlichen Straßen. Ich sah nichts, hörte nichts und fühlte nur den tief sitzenden Schmerz meiner Einsamkeit. Es war dunkel. Die Nacht hatte schon vor Stunden begonnen und es war noch viel kälter geworden, als es ohnehin schon in den letzten Tagen gewesen war.


Resigniert hielt ich an. Ich fühlte mein Herz wild pochen. Es schlug höher, vor Verzweiflung und außer Atem.
Eine unscheinbare Träne lief aus meinem Auge, suchte sich den Weg über meine unrasierte Wange und versiegte im Kragen meines Mantels. Mein Herz war voller Trauer.
Du warst fort. Gegangen vor gut einer Woche und ich hatte dein gehen noch immer nicht verwunden. Und das, wo morgen der heilige Abend war. Doch gegenwärtig war mir das wirklich gleich. Ohne dich machte nichts mehr Sinn.


Ich hob meinen Blick und schaute gegen das klare Firmament. Keine Wolke war zusehen. Kein Lüftchen regte sich. Nur das strahlende Licht der Sterne funkelte über mir.
Ich wischte mir weitere Tränen aus dem Gesicht. Die Erinnerung an dich lies mich nicht los und ich konnte auch keinen anderen Gedanken fassen.
Gestern hatte ich in meiner Trauer, jenen See aufgesucht, an dem wir uns so oft getroffen hatten. Er war zugefroren und die Baumgruppe, die dort stand, trug ein weises Häubchen. Doch du warst nicht Anwesend, du warst fort – für immer.

Ich hatte mir unsere Initialen, jene, welche wir in einen der Bäume geritzt hatten, wiederholt angesehen. Ich war mit meinen Fingern den Buchstaben deines Namens nachgefahren. Ein klägliches Schluchzen entfloh meiner Kehle.


Ich fixierte einen hell leuchtenden Stern. Dieser stand direkt über mir und sein Schein erstrahlte im vollen Licht. Es war als versuchte mich dieses Gestirn zu trösten.
„Kein Stern“, sagte ich verbittert, „kein Schein und auch sonst nichts, kann meinen Schmerz lindern.“

Meine Worte waren voller Erregung und ich glaubte auch das, was ich hier so unüberlegt gesprochen hatte.
Und dann sah ich dich. Du kamst direkt auf mich zu und dein Antlitz lachte. Deine grünen Augen blickten mich liebevoll an und ich spürte eine wärme, die plötzlich in mein gequältes Herz einzog.
Noch zwei Schritte, dann wärst du wieder bei mir. An meiner Seite und erneut mit mir vereint. Doch du kamst nicht ganz näher, deine Erscheinung machte gut einen Schritt vor mir halt und in deinen Augen sah ich das Licht unserer Liebe.


„Verfalle nicht im Nichts wegen meines Fortgangs“, sagtest du leise aber bestimmt, „auch wenn wir gegenwärtig getrennt sind, so kommt eines Tages die Stunde unserer Zusammenkunft. Bis dahin lebe dein Leben und lebe es so als wäre es mit mir.“
Ich hob meinen Arm, streckte meine Hand nach dir aus und wollte dich greifen. Dich noch einmal ertasten und deine Nähe spüren. Seit mehr als einer Woche warst du Tod. Gestorben bei einem Verkehrsunfall und ich, ich war alleine in der kalten Welt zurück geblieben. Ohne dich.
Deine Gestalt leuchtete auf, du kamst nun endlich ganz auf mich zu und ich konnte irgendwie deine Umarmung fühlen. Spürte deine weichen Lippen an meinen Mund und ich konnte noch einmal tief in deine wunderbaren Augen blicken. „Ich liebe dich“, hauchte ich beinahe unhörbar. „Ich werde dich immer lieben.“

Ich versuchte dich in meine Arme zunehmen, fühlte wie du dich an meine Brust schmiegtest und mein Herz pochte wild. Ich hörte es rasend schnell klopfen und dann, nach einem allerletzten Kuss, verschmolzest du mit den Schatten der Nacht und wenig später warst du auch schon wieder verschwunden. Ich hob abermals den Blick und schaute hoch zu dem Stern, der noch immer über mir stand.


„Ein Leben ohne sie ist schwer“, flüsterte ich nun reuig, „und kein Stern kann meine Trauer und meine Einsamkeit beenden. Aber Sie kann es, ihre Liebe, die ich nun wieder in mir spüre, hat mir neue Stärke geschenkt. Und ich will mein weiteres Leben nun meistern und sie in meinen Gedanken für immer bewahren.“
Das Gestirn funkelte auf und erhellte für Sekunden die Umgebung. Es hatte wieder zu schneien begonnen und ich lebte doch etwas befreit auf. Ab dieser Nacht, der Nacht vor dem heiligen Abend.

 

 

Werner Gschwandtner

www.litterarum.at

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