Germaine Adelt

Fehlplanung

   Der Wein schmeckte hervorragend. Mir zumindest. Schwer und süß, eine Mischung wie sie sonst nur schwer zu finden war und sicherlich auch keinem Edelwein entsprach. Ich war erstaunt darüber, woher er meinen Geschmack kannte. Vielleicht war es aber auch nur Zufall.

„Und?“, fragte er erwartungsvoll.

„Köstlich“, murmelte ich und dachte für einen Moment an die Kopfschmerzen, die dieser süße Wein mit Sicherheit verursachen würde.

„Der soll keinen schweren Kopf machen“, sagte er, als könne er meine Gedanken lesen.

„Glaub’ ich nicht“, widersprach ich aus Erfahrung.

„Ist ja auch egal“, lachte er und letztlich hatte er Recht. Es war eine absolut absurde Situation in der wir uns befanden. Vom Regen durchnässt und halb nackt, da wir unsere Klamotten notdürftig zum Trocknen aufgehängt hatten, saßen wir in einer fremden, weit abgelegenen Scheune und tranken Wein. Automatisch sah ich auf meine Armbanduhr, die aber den Regen nicht überlebt hatte.

„Wie spät mag es wohl sein?“, fragte ich.

„Keine Ahnung. Elf,  halb zwölf?“

„Ob sie uns schon suchen?“

„Bestimmt nicht“, brummte er. „Die werden denken wir machen uns einen gemütlichen Abend.“

„Wie bitte?“

„Heike, ich bitte dich. Der Abend ist gelaufen. Lass uns den Wein austrinken und dann sehen wir morgen weiter.“

„Kannst du vielleicht nicht doch?“

„Heike, wir haben eine Ewigkeit lang im Regen am Motorrad alles versucht. Es ist der Vergaser, glaube mir. Wir können froh sein, dass wir hier im Trockenen sitzen und wenigstens den Wein haben. Noch einen Schluck?“

„Das glaubt uns niemand“, murmelte ich.

„Das stimmt allerdings“, bemerkte er vielsagend. „Übrigens, das mit Klaus tut mir leid. Ihr ward doch verabredet.“

Waren wir nicht. Aber das ging ihn nichts an. Den Entschluss Klaus überraschend zu besuchen, hatte ich erst gefasst als ich auf dem Hof Sebastian mit dem Motorrad sah und ihn bat, mich mitzunehmen.

„Oder wolltest du ihn überraschen?“

„Irgendwie schon“, murmelte ich. Ich wusste selbst nicht was ich wollte. Nur, dass es mit Klaus so nicht weitergehen konnte und ich heute eine Entscheidung erzwingen wollte.

Entschlossen klopfte Sebastian mit der flachen Hand gegen den Boden der zweiten Flasche um so den Korken herauszubekommen. Mein Widerstand hielt sich in Grenzen, wenn ich auch ein schlechtes Gewissen bekam. War dieser Wein doch ursprünglich für Katharina bestimmt.

„Ob sie es versteht?“

„Wer? Katharina?“, er lachte bitter. „Niemals. Tja, das war es dann wohl mit mir und Kathi. Du und ich, wir hier, nachts, allein ... Ich würde Jahre brauchen und mindestens einen vereidigten Kfz-Sachverständigen um überhaupt angehört zu werden.“

Ich äußerte mich dazu nicht. Er hatte sie sich ausgewählt, sollte er auch mit den Konsequenzen leben.

„Was?!“, fragte er herausfordernd. “Du denkst, dass ich es verdient habe?“

„Na ja, verdient nun nicht gerade ...“

„Sag es nicht! Ich ahne was du denkst: Selbst schuld. Stimmt ja auch irgendwie. Manche Erkenntnis braucht eben länger.“

Er hatte die Flasche geöffnet und reichte sie mir.

„Weißt du was seltsam ist“, murmelte er nachdenklich. „Während Katharina toben und mir gar nicht zuhören wird, würdest du dir Sorgen machen, wenn ich mit dem Motorrad unterwegs wäre und nach Stunden noch immer nicht ankommen würde.“

„Ja, wieso?“

„Das ist eben der große Unterschied zwischen euch beiden.“

„Klingt sehr zynisch.“ gab ich zu bedenken.

„Kann sein. War aber bestimmt nicht so gemeint.“

 

Der Kuss kam so überraschend, dass ich mich im ersten Moment fragte, womit ich das verdient hatte. Darauf folgte gleich die Frage, ob wir das überhaupt durften. So vergaß ich die Situation einfach zu genießen. Und es tat mir fast ein wenig leid. Denn noch einmal in diesem Leben von ihm so geküsst zu werden, war sehr unwahrscheinlich. Genauso unwahrscheinlich wie die Tatsache, dass wir uns jemals näher kommen würden.

Er aber grinste mich nur an und ehe ich etwas sagen konnte, küsste er mich erneut und diesmal gab ich mich dem Moment hin.

Als er seine Lippen von meinen löste, wusste ich das wir ein Problem hatten. Plötzlich konnte ich ihm nicht mehr in die Augen sehen. Und wenn bisher alles mit Sebastian einfach und überschaubar war, wusste ich nun nicht mehr, was ich denken sollte.

„Warum hat es bei uns eigentlich nie zu mehr gereicht?“ fragte er leise.

Er sprach in der Vergangenheit, was mich irritierte und doch empfand ich genauso.

„Keine Ahnung. Hab nie darüber nachgedacht.“

„Komisch, ich auch nicht.“

Ich bereute den Kuss jetzt schon. Die Leichtigkeit, mit der wir bisher immer miteinander umgehen konnten, war weg. Vermutlich für immer.

„Schade eigentlich“, murmelte er, „du hast so wunderbar weiche Lippen.“

Verlegen wich ich seinem Blick aus. Das war alles nichts für mich. Sebastian, der einst freche Bengel von gegenüber, der mir alles erzählen konnte, dem ich alles erzählen konnte, war plötzlich ein anderer. Ein Mann, begehrenswert, der auch begehrte.

Er gähnte ungeniert und sah sich suchend um.

„Ich bin müde, gehen wir schlafen.“

Es klang so absurd, dass er lachen musste.

„Na ja, ich meine ... du weißt schon.“

Während er rührend versuchte aus dem Heu eine provisorische Schlafstätte zu bauen, überlegte ich ernsthaft, einfach zu gehen. Der Regen hatte aufgehört und so könnte ich nach Hause laufen. Wenn ich denn den Weg wiederfinden würde. Allerdings war nun sowieso alles egal und so verwarf ich die Idee, stundenlang durch die Nacht zu irren.

 

Es war angenehm, in seinen Armen zu liegen. Einfach so und unwiederbringlich.

„Lass es uns versuchen“, sagte er plötzlich.

„Was?“

„Na was wohl.“

Ich seufzte leise, die Idylle war vorbei. Letztlich doch keine gute Idee hier zu bleiben. Ich hatte mich einer Illusion hingegeben. Der Illusion, dass mit ihm alles anders war und nun hatte mich die Realität wieder.

„Aber nicht heute Nacht“, erklärte er entschlossen. „Es wäre mir zu wertvoll, als dass ich es gleich wieder verlieren will. Morgen, übermorgen aber eben nicht heute Nacht.“

Sein Geruch war fast betörend, aber es lag vermutlich an dem duftenden, frischen Heu.

„Ich müsste da noch einiges regeln“, flüsterte ich.

„Ich weiß. Geht mir ja nicht anders.“

    Dann seufzte er erleichtert, als ahne er, dass ich mich längst für ihn entschieden hatte.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.10.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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