Robert Kuehl

Weihnachten kommt immer ganz plötzlich!

25. Dezember
 „Uff,“ der erste Weihnachtstag. Jetzt kann ich mich ein wenig zurück lehnen. Mein Blick schweift über die Berge von Geschenken, den Weihnachtsbaum und durch das geschmückte Zimmer. „Gut gemacht, Mann! Mal wieder alles geschafft,“ lobe ich mich selbst. Obwohl... ein wenig eng war`s zum Schluss ja doch. Weihnachten kommt immer so plötzlich! Im nächsten Jahr jedenfalls werde ich alles anders machen und rechtzeitig mit den Weihnachtsvorbereitungen beginnen.

26. Dezember           
Ein wenig belustigt es mich schon, bereits jetzt mit den ersten Gedanken beim nächsten Weihnachtsfest zu sein. Aber besser zu früh als zu spät. Weihnachten kommt zwar immer plötzlich, aber im nächsten Jahr bin ich cleverer!

1. Januar
Vieles habe ich mir vorgenommen für das neue Jahr. Dabei weiß ich genau, dass die meisten Vorsätze in 14 Tagen schon vergessen sind. Aber Weihnachten... Jaaaa, das hab’ ich ganz fest im Kopf. Nur noch 348 Tage. Normalerweise kommt Weihnachten nämlich immer ganz plötzlich.

7. Februar
Mein Geburtstag. Geschenke. Und ein willkommener Anlass, sich schon jetzt über die Weihnachtsgeschenke einen Kopp zu machen. Weihnachten kommt nämlich immer ganz plötzlich. Aber nicht bei mir! Ich hab’ mir ein Buch gewünscht zum Thema Geschenke. Ein Tipp daraus: Schon das ganze Jahr zuhören, was die Lieben sich so wünschen. Und das denn auch beizeiten kaufen. Dann hat man was. Ich werd’ was haben!

3. März
Der Geburtstag meiner Mutter. So ganz hat das noch nicht geklappt mit dem „Zuhören“ und damit, rechtzeitig das passende Geschenk zu besorgen - meine Schwester musste einspringen. Aber ich bin ja auch noch Anfänger. Immerhin weiß ich schon von dem Phänomen, dass Weihnachten immer ganz plötzlich kommt.

7. April
Ich find’s irgendwie cool, zwischen den Ostervorbereitungen schon an die Weihnachtsgeschenke zu denken. Meistens kommt Weihnachten nämlich ganz plötzlich. Und die Menschen, die meine Weitsicht nicht haben, werden am Heiligen Abend ganz schön belämmert da stehen. Oder gestresst.

28. Mai
Das Pfingstwochenende hat uns mit wärmendem Sonnenschein hinaus gelockt. Bei einem Spaziergang mit meiner Frau ertappe ich mich im Denken an das nächste Weihnachtsfest. Während sie über die Planung des Sommerurlaubs redet, freue ich mich insgeheim darüber, wie überrascht sie in diesem Jahr über die Weihnachtsgeschenke sein wird. Sie soll ja alles kriegen, was sie sich wünscht. Das bedarf zwar auch einiger Planung, aber die muss sein. Denn Weihnachten kommt immer ganz plötzlich.

24. Juni
Ein herrlicher Strandtag. Während die Kinder im Wasser toben, meine Herzallerliebste ihre Hera Lind verschlingt und meine Haut sich langsam rötet, stelle ich mir vor, wie beglückt die Familie in einem halben Jahr zu mir herüber schauen wird. Das ist ein gutes Gefühl; es bestärkt mich darin, dass Vorfreude doch die schönste Freude ist. Und die wird nur noch verstärkt durch das Wissen um das kleine Geheimnis, dass Weihnachten immer ganz plötzlich kommt.

18. Juni
Komisch, durch den Sommerurlaub ist man doch ziemlich weit weg vom Thema Weihnachten. Aber ich denke, das macht nix. Eine Auszeit muss auch mal sein. Schließlich denke ich ja schon das ganze Jahr an Weihnachten. Es genügt wohl, wenn ich die eherne Lebensregel nicht vergesse: Weihnachten kommt immer ganz plötzlich!

21. August
Die Tage werden langsam wieder kühler und kürzer. Ich denke mit Schaudern an die kommende dunkle Jahreszeit und daran, dass in wenigen Wochen schon die ersten Weihnachtsleckereien in den Regalen der Supermärkte auftauchen werden. Wie immer viel zu früh. Andererseits... lieber zu früh als zu spät. Wenn man bedenkt, dass Weihnachten immer ganz plötzlich kommt...

30. September
Tatsächlich bin ich beim Einkaufen an den ersten Schokoladen-Weihnachtsmännern vorbei gelaufen. Nun gut! Ich werde mich also auch langsam auf Weihnachten konzentrieren. Ehrlich gesagt habe ich noch nicht die leiseste Idee, aber ich weiß ja, wie man damit umgeht und wie man es umgeht, dass Weihnachten immer ganz plötzlich kommt.

12. Oktober
Mit meinem Ältesten war ich in der Stadt. Da hat’s das erste Mal geklappt mit dem Zuhören. Er wünscht sich ein Moped. Und eine Stereoanlage. Eine Spielekonsole, einen Computer, einen Fernseher mit DVD... Womöglich habe ich noch nicht richtig zugehört. Es ist ja auch noch Zeit. Obwohl: Weihnachten kommt ja immer ganz plötzlich. Aber schon mehr als nur ein Anfang ist schließlich gemacht.

9. November
Jetzt bin ich in der richtigen Stimmung! Ich hab’ die Winterreifen aufgezogen – der Schnee kann kommen. Und der Kofferraum ist sauber, die alte Pferdedecke liegt drin. So ist der Transport des Weihnachtsbaumes schon jetzt, selbst bei widrigen Wetterverhältnissen, kein Problem mehr. Es tut gut, sich auf Weihnachten vorzubereiten. Ich kann’s mir also erlauben, mit Häme an jene Zeitgenossen zu denken, für die Weihnachten immer ganz plötzlich kommt.

12. Dezember
Nun wird’s aber langsam Zeit. Irgendwie hat das mit dem Zuhören noch nicht so richtig hingehauen. Ich werd’s also ein letztes Mal mit einem behutsamen „Sag’ mal, was wünscht du dir eigentlich?“ versuchen. Man muss ja nicht alles auf Anhieb beherrschen. Im Grunde bin ich sogar dankbar, dass ich auch im nächsten Jahr noch wachsen kann. Immerhin habe ich verinnerlicht, dass Weihnachten immer ganz plötzlich kommt, und halte das für einen eminent wichtigen Schritt dorthin, meine Einstellung zum Weihnachtsfest zu überdenken. Diese Erfahrung darf nicht jeder machen.

24. Dezember
Die „Bestandsaufnahme“ am gestrigen Abend war verheerend. Ich hätte schwören können, dass meine Frau absprachegemäß die Geschenke für meine Eltern zu besorgen hätte, wohingegen sie der Meinung war, ich hätte das in die Hand genommen. Und für die Jungs fehlen auch noch ein paar Kleinigkeiten. Dabei wollte ich mir diesen Weihnachtseinkaufsstress heute ersparen und nur noch schnell etwas für meine Herzallerliebste besorgen. Bisher bin ich dazu nämlich noch gar nicht gekommen, Weihnachten kommt aber wirklich immer ganz plötzlich. Und dann machen heute auch noch die Geschäfte so früh zu – verbraucherfeindlich, wie die Öffnungszeiten sind. Naja, bis 14 Uhr hab’ ich ja. Und das Parfüm kann ich ja einpacken lassen. Es ist ja eh’ teuer genug, und so spare ich ein wenig Zeit dafür, den Weihnachtsbaum noch zu besorgen.

In diesem Jahr kam Weihnachten wirklich etwas plötzlich. Ich weiß, ich krieg’s irgendwie wieder hin. Aber im nächsten Jahr mach’ ich das so nicht mehr mit!

Ich nicht!


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.10.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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