Christian Michels

Das wechselnde Gesicht des Bösen

Es war Dunkel. Lauernd saßen die Vier hinter einem Busch, von denen es im sie umgebenden Wald genug gab. Darius war der Jüngste, gerade 17. Auch wenn er aussah wie 12. Er war blond und viel zu klein für sein Alter. Seit einem halben Jahr war er bei seiner Gruppe. Auch wenn er eigentlich nicht die körperliche Voraussetzung für den Kampf hatte, bestand nie ein Zweifel darüber, dass er zu ihnen stoßen würde. Immerhin war sei Bruder der Anführer, außerdem hatte er vor 11 Jahren mit ansehen müssen, wie Soldaten der anderen Gruppe seine Eltern töteten. Es war einer der seltenen Angriffe gewesen, bei denen sie bis ins Dorf vorgedrungen waren. Sein Bruder, Arturus, war dagegen gewesen, dass er nun mitkämpfte. Er war für ihn eine Schwäche die er sich als Anführer nicht leisten konnte. Darius wusste das, er wusste auch, dass ihn niemand sehr ernst nahm. Doch er hatte sich gegen alle durchgesetzt und stand jetzt vor seiner ersten Mission. Er war froh, dabei zu sein. Zwar war es unwahrscheinlich, dass die Mörder seiner Eltern noch lebten, aber das war ihm egal. Für ihn waren die Soldaten, die er in Zukunft töten würde, Rache genug. Er freute sich darauf, sie auf schmerzvollste Art und Weise zu erledigen und ihnen tief in die Augen zu sehen, wenn das Leben aus ihnen verschwand. Trotzdem verspürte er jetzt so etwas wie Furcht. Dieses Gefühl verdrängte er aber sofort wieder. Seine Gegner waren zwar unmenschliche, bestialische Monster, aber er wusste, dass die Soldaten seiner Gruppe ihnen überlegen sein würden, weil sie einfach besser waren. Sie waren stärker, mutiger, intelligenter und ehrenvoller.
Den Kämpfer direkt neben ihm, kannte er nur vom Sehen. Auch wenn er sechs Monate mit ihnen verbracht hatte, gab es Personen, die ihm nicht sonderlich nahe standen. Den Soldaten dahinter kannte er besser, Cedric war ein Freund geworden. Er war nur kurze Zeit vor ihm der Gruppe beigetreten, auch er war nicht allzu groß. Obwohl er ein Jahr älter als Darius war, wirkte auch sehr jung. Darius glaubte, dass er nur so viel Zeit mit ihm verbrachte, weil er der Bruder des Anführers war. Hinter ihm spielte Brutus mit seinem Messer. Er war nach Arturus der Ranghöchste. Er war ein rauhbeiniger Kerl, der sich als einziger traute Arturus zu widersprechen. Doch er war loyal und stand voll hinter ihrer Sache. Von ihm stammte die Idee, ihre Gegner in dieser Nacht anzugreifen. Er unterstützte auch Darius, als dieser sich für diese Mission freiwillig meldete, obwohl Arturus entschieden dagegen war. Jetzt standen sie kurz davor, loszuschlagen. In dem Lager konnten sich höchstens sechs Personen aufhalten. Es bestand nur aus einer Feuerstelle und ein paar Baumstämmen, die darum gelegt waren. Als alle bereit waren, gab Brutus das Startzeichen. Sie sprangen auf und stürmten mit gezogenen Waffen geradewegs bis zur Feuerstelle des Lagers. Darius gelang es, durch den Überraschungseffekt, einen völlig überrumpelten Soldaten zu erwischen. Er war jedoch viel zu rasend, um diesen Moment zu genießen. Er war nicht sehr stark und es bereitete ihm viel mühe, seine Waffe tief in den Körper seines Opfers zu pressen, bis dieses endlich aufhörte sich zu wehren. Er hatte Rache genommen. Aus den Augenwinkeln sah Cedric mindestens 12 weitere gegnerische Soldaten, die von den Baumstämmen aufsprangen und ihre Waffen zogen. Seinen Kamerad neben ihm, den auch er nicht sonderlich gut kannte, erwischte es sofort. Er stürzte in den Sand und war sofort von drei bewaffneten Gegner eingeschlossen. Man konnte nur noch einen erbärmlichen Schrei von ihm hören. Die drei Verbliebenen erkannten, das sie ohne jede Chance waren.
„Wir ziehen uns zurück!", schrie Brutus
Zwar empfand weglaufen niemand als sehr ehrenvoll, aber seit Beginn des Kampfes gab es zwischen den Gruppen einen Ehrenkodex: Es werden keine Gefangenen gemacht, da dies zu demütigend für den Betroffenen wäre. Es hieß laufen oder sterben. Brutus und Cedric schafften es mit Glück, sie waren noch nicht so weit nach vorn gestürmt. Doch Darius gelang es nicht den anderen geschickt genug auszuweichen. Er lief zwei Soldaten direkt in die Arme. Einer von ihn bohrte sein abgebrochenes Messer tief in seinen Körper. Er erlebte den schlimmsten Schmerz seines Lebens. Er musste sich sehr zusammenreißen, um nicht zu schreien, als er spürte, wie das Blut aus seinem Mund quoll. Er schaute seinem Mörder tief in die Augen, als das Leben aus seinen verschwand.

Nach dem kleinen Geplänkel und der anschließenden, nutzlosen Verfolgung durch den Wald, entschlossen sich die Kämpfer der anderen Gruppe, zu ihrem Hauptlager zurückzukehren. Es sei typisch für ihre Gegner gewesen erklärte Xaver, der Ranghöchste von ihnen, seinem Kameraden Wolfram. Zuerst würden sie überheblich angreifen, um dann gleich wieder umzudrehen und wie feige Hühner davon zu laufen, wenn sie erkannten, dass sie unterlegen sind. Wolfram war eine furchterregende Erscheinung. Er war sehr groß, eine ausgefranste und häßliche Narbe erstreckte sich über eine Gesichtshälfte. Sein Werdegang war anders verlaufen, als die seiner Kammeraden. Er kam nicht aus ihrem Dorf, er interessierte sich nicht für ihre kleine, sinnlose Fehde. Er war ein Söldner, der vor einigen Jahren hier vorbei gezogen war. Sie baten ihn, gegen kostenloses Essen und einer Unterkunft für sie zu kämpfen. Er blieb, und jetzt war er zu träge geworden, um weiterzuziehen, außerdem hatte er hier einige gute Freunde gefunden. Auch hatte er gelernt, die anderen zu hassen. Doch jetzt hatte er keine Lust, sich über deren Minderwertigkeit zu unterhalten. Immerhin hatten sie grade einen ihrer Männer verloren, und er hatte den jüngsten Soldaten getötet, den er jemals gesehen hatte. Xaver fiel die Aufgabe zu, ihr verfrühtes Erscheinen Zachäus und Yehudin zu erklären. Sie waren die einzigen, die im Rang über ihm standen. Zachäus, Yehudin und dann Xaver, so war die Regel. Die beiden waren nicht sehr schockiert, so etwas passierte ständig. Immerhin kämpften die Gruppen schon seit Jahrzehnten, seit 1047 ein Konflikt zwischen ihren Dörfern ausgebrochen war. Aber alle merkten, dass der Konflikt immer brutaler, aggressiver und rücksichtsloser wurde. Irgendwann würde er mit einem großen Knall enden. Aber das war jetzt egal, immerhin hatten sie heute gewonnen. Yehudins einziger Kommentar war: „Das nächste mal erledigt gefälligst alle."
Er und Xaver waren zusammen aufgewachsen und quasi Brüder, er stand nun über Xaver, ließ es aber nie spüren.
Nach einer kurzen Ansprache von Zachäus ging alles normal weiter. Wolfram und einige andere machten sich für Nachtwache bereit, Zachäus ging schlafen. Yehudin und Xaver blieben noch wach und sprachen über ihre Jugend, über ihr erstes Töten und über ihre furchtbaren Gegner. Insgesamt war es ein normaler Tag gewesen. Für Brutus und Cedric war das Zurückkehren sehr viel schwieriger. Als Arturus die Beiden alleine sah, ahnte er schon das Schlimmste, sein Bruder war tot. Doch er wollte sich anhören, was sie zu sagen hatten. Obwohl Brutus Bericht zu erstatten hatte, konnte Cedric sich nicht beherrschen. „Er hat tapfer gekämpft, du wärst stolz auf ihn gewesen."
Er war den Tränen nahe. Cedric verehrte seinen Anführer. Er hielt für einen unfehlbaren Übermenschen, der immer Recht hatte. Und jetzt hatte er den Bruder dieses Helden sterben lassen. Arturus stürmt wortlos in sein Zelt. Brutus folgt ihm. Die Zelte des Lagers waren fast kreisförmig um die Feuerstelle aufgebaut. In jedem Zelt schliefen fünf Mann. Es war recht unbequem. Komfort wurde nicht sehr hoch eingeschätzt, es verweichlichte. Ein paar Meter hinter ihnen standen noch einige Zelte, in denen niemand schlief. Sie waren der Verteidigungsring, falls es zu einem Angriff kommen sollte. Arturus schlief allein, sein Zelt stand etwas zentraler, näher am Feuer. So dass es jeder als Zelt des Ranghöchsten erkennen konnte. „Wir hatten uns geirrt. Es waren sehr viel mehr als sechs dort. Darius schaffte es als Einziger, einen von ihn zu töten, bevor er... ." Doch sein Anführer schien ihn gar nicht zu hören. Er spielt nur mit einigen, auf Kuhhaut geschriebenen, Lageplänen und versuchte beschäftigt auszusehen, was ihm nicht gelang. Nach und nach wurden seine Bewegungen langsamer, bis er ganz still dasaß. Nach einiger Zeit begann er zu reden. Darüber, dass er immer dagegen gewesen sei, dass sein jüngerer Bruder mitkämpfte, weil er ihn für zu schwach hielt. Darüber, was für ein kurzes und schlimmes Leben er hatte. Darüber, dass alles seine Schuld sei. Und darüber, wie sinnlos dieser Krieg sei. Brutus war verstört. Er hatte seinen Anführer noch nie so gesehen. Sonst war er eine einschüchternde Erscheinung, groß, kräftig und imposant. Seine dunkle Haut und sein hartes Gesicht erschufen eine beeindruckende Person. Er war erbarmungslos und zeigt kein Mitgefühl mit seinen Gegnern, die er häufig tötete. Doch nun war er nicht mehr als eine jämmerliche Gestalt. Auch hatte er ihn nie so erbärmlich reden hören.
„ Unser Kampf ist nicht sinnlos."
„Heute schon."
„Wenn wir nicht täglich kämpfen werden die anderen bis in unser Dorf vordringen und alle töten. Besonders du solltest das wissen."
Brutus wollte noch viel mehr sagen, aber er ließ es. Arturus brauchte jetzt keinen Streit und er brauchte auch keine Erinnerung daran, dass er auch seine Eltern, die keine Soldaten waren, an den Feind verloren hatte. Er mochte es normalerweise, kleine Auseinandersetzungen mit Arturus auszufechten, aber heute war kein normaler Tag. Brutus hatte keine Schuldgefühle, weil er sich für die Beteiligung Darius` eingesetzt hatte und dann seinen Tod nicht verhindern konnte. So etwas passierte in einem Krieg. Auch wenn es seine Überheblichkeit war, die für die Situation verantwortlich war. Vier Personen für ein Lager, in dem man sechs Gegner vermutet, noch einmal würde er den Feind nicht unterschätzen. Er wusste, dass Arturus ihm auch nicht die Schuld geben würde er und Brutus waren keine wirklich guten Freunde, aber sie hatten sehr großen Respekt voreinander. Beide hätten dem Anderem ihr Leben anvertraut.
Am Abend gab es eine Gedenkfeier für die beiden Gefallenen. Eigentlich war es nur ein großes Besäufnis, wie es für jeden Toten abgehalten wurde. Arturus fehlte, er saß mit Edgar in seinem Zelt. Edgar war der Älteste von ihnen, 38. Er war auch am längsten dabei, trotzdem hatte er noch den zweitniedrigsten Rang. Er war feige und hielt sich aus allen Kampfeinsätzen heraus, deshalb lebte er noch. Mittlerweile war er eine Art großer Bruder für die jüngeren Kämpfer. Sie akzeptierten ihn trotz seines fehlenden Mutes. Auch Arturus mochte ihn und schüttete ihm nun sein Herz aus, während draußen getrunken wurde. Am nächsten Tagen ging wieder alles seinen gewohnten Gang.

Nach einigen Tagen wirkte Arturus wieder wie der rücksichtslose, brutale Soldat, den man kannte. Er bestand jetzt darauf, bei allen Missionen außerhalb des Lagers dabei zu sein. Die nächste stand drei Tage später an. Es war eine Erkundungsmissionen, um den Gegner im Auge zu behalten und bestenfalls einige von ihnen zu töten. Brutus, Cedric und eine Hand voll anderer Soldaten begleiteten ihn, Edgar war im Lager geblieben, wie immer. Als sich vier Stunden lang kein Feind blicken ließ, befahl Arturus ins Lager zurückzukehren. Er ging mit Brutus und drei anderen vor. Sie waren nicht mehr in Sichtweite von Cedric. Er und zwei weitere bildeten die Nachhut. Es dämmerte, trotzdem hatte er kein Problem, die zwei Personen, die er plötzlich sah, als Gegner zu erkennen. Sie standen etwa 100 Meter entfernt und drehten ihnen den Rücken zu. Cedric erstarrte in seiner Bewegung. Der Vorfall im gegnerischen Lager steckte ihm noch in den Knochen. Aber hier bot sich eine Gelegenheit zur Rache. Mit Handzeichen wies er seine Begleiter auf die beiden Soldaten hin und befahl ihnen sich von hinten zu nähern. Als sie näher kamen, hielt er sie zurück. Er wollte die Tötung allein durchführen, die beiden sollten ihm nur im Notfall helfen.
Yehudin und sein Begleiter hatten die selbe Aufgabe wie ihre Angreifer gehabt: Nach Gegnern Ausschau halten. Nur waren sie nicht so erfolgreich. Cedric stieß sein Messer von hinten ins Herz des Begleiters. Der konnte nicht mal mehr schreien. Nur ein lautes, einschüchterndes Stöhnen entwich ihm. Yehudin sah seinen Untergebenen neben sich zusammenbrechen. Panikartig drehte er sich um und blickte Cedrics ins Gesicht. Er hatte keine Zeit auszuweichen. Cedric stach seinem Todfeind in die rechte, untere Bauchpartie und drehte sein Messer herum. Der Getroffene fiel auf seine Knie und sah, dass sein Angreifer das Messer, das er mit beiden Händen festhielt, nun in seine Kehle stechen wollte. Doch Cedric hielt inne, kurz bevor die Waffe seinen Hals berührte. Statt dessen rammte er sein Knie in seinen Bauch. Yehudin sackte in sich zusammen und fiel auf die Seite. Cedric hatte beschlossen, Arturus die Rache zu lassen. Er schickte seine Begleiter los, um ihren Anführer zu holen. Ihnen war nicht wohl dabei, den jungen Cedric allein im Feindesgebiet zu lassen, aber er bestand darauf und sie ließen es ihm durchgehen. Yehudin sah, wie sich die zwei Gegner entfernten. Er erkannte eine Chance für sich. Aber er hatte in seinem Zustand einfach nicht die Kraft gegen den viel kleineren Cedric zu kämpfen.
„ Du solltest vielleicht ein Gebet sprechen, gegen die Angst."
Der am Boden Liegende war überrascht, dass Sein Angreifer mit ihm sprach. „Ich habe keine Angst vorm Tod."
„Aber vielleicht vorm Sterben, es wird sicher sehr schmerzhaft." Er wirkte fast amüsiert.
„Natürlich wird es das, ihr seit Bestien." Das sprechen viel ihm sichtlich schwer.
Cedric ging nicht darauf ein. „Mein Anführer wird gleich hier sein. Vor einigen Tagen habt ihr seinen Bruder getötet. Er wird sich sehr freuen, es einem von euch heimzuzahlen."
„Dafür werden sich meine Kammeraden rächen."
„Oh, jetzt habe ich aber Angst! Sie können es gerne versuchen."
„Eines Tages werden wir in euer Lager kommen und euch alle töten. Ich hoffe nur, dass du das miterlebest und dann an mich denkst."
Cedric war außer sich vor Wut. „Anstatt mir zu drohen, solltest du lieber darauf vor bereiten, deinem Kammeraden zu folgen!"
Yehudin war zu schwach um zu antworten.

Arturus, Brutus und die anderen fünf kamen angerannt. Brutus hatte große Mühe sein süffisantes Grinsen zu unterdrücken. Er baute sich vor dem Verwundeten auf und betrachtete ihn ausführlich. Auf der Kleidung hatte sich ein großer, roter Kreis gebildet. Auch Arturus starrte ihn eine Ewigkeit lang an. Er war verwirrt, seine Gedanken überschlugen sich, ihm wurde schwindelig. Niemand traute sich, etwas zu sagen. Es war ein ehrfürchtiger Moment. Schließlich brach Brutus die Stille. „Ich verspreche dir, dieses Schwein wird bezahlen für dass, was sie Darius angetan haben." Er überlegte kurz. „ Mir gefällt dieser verängstigte Blick nicht. Stecht ihm ein Auge aus!"
Die Panik in Yehudins schmerzverzerrtem Gesicht war nicht zu übersehen. Einer der Männer zog sein Messer und beugte sich über den Verletzten.
„Halt!", rief Arturus, als es fast zu spät war. Für einen kurzen Moment entspannte sich Yehudins Gesichtsausdruck. Wieder macht Arturus eine lange Pause. Der Soldat blieb vor seinem Opfer knien. Brutus, Cedric und die vier übrigen warteten gespannt, was nun passieren würde. Schließlich gab Arturus den Befehl: „ Wir nehmen ihn mit."
Alle Anwesenden konnten es nicht glauben, es wurden noch nie Gefangene gemacht. In Anbetracht dieser Demütigung wuchs Yehudins Panik wieder. Nur Brutus schien der Vorschlag zu gefallen. „ Auch gut. Warum sollte wir ihn gleich erlösen?"
Cedric brauchte seinen ganzen Mut, um sich das erste mal gegen seine Anführer und Vorbilder zu stellen. „ Das können wir nicht tun. Es gibt gewisse Regeln. Ich weiß, dass du wegen Darius Tod sehr wütend bist, aber..."
„Ihr scheint mich nicht zu verstehen.", unterbrach Arturus, „Ich will ihn nicht töten, ich will ihn retten."
Die Fassungslosigkeit wuchs ins Unermessliche. Selbst Brutus brachte nur ein ungläubiges „Was?" heraus.
Cedric fand seine Fassung als erster wieder: „Warum, zum Teufel?"
„Ich habe jetzt keine Zeit es zu erklären, nimmt ihn einfach mit ins Lager."
Brutus war wieder an der Reihe:„ Aber... ."
„Ich habe meine Entscheidung getroffen."
„Und sie ist absolut falsch!"
„Bald wirst du es verstehen. Hebt ihn auf!"
„ Nein!" Brutus´ Schrei klang fast hysterisch.
Arturus warf Brutus den einschüchternsten Blick zu, zu dem er fähig war. Beide sahen aus, als ob sie sich jeden Moment anfallen würden. Aber Arturus hatte den energischeren Blick. Außerdem war er der Ranghöhere. Die anderen sahen sich verstörte an. Zwischen ihnen lag der verängstigte Yehudin. Er wollte kein Gefangener sein, er konnte sich nichts Beschämenderes vorstellen. Aber er konnte sich nicht wehren, als ihn drei Soldaten aufhoben und ihn unsanft bis ins Lager trugen. Neben ihm gingen die restlichen völlig verwirrten Kämpfer, die sich nicht trauten ihren Anführer anzusehen.
Auch im Lager gab es Aufregung, als man erkannte, dass der Verwundete kein Kamerad war. Sie brachten ihn in ein leerstehendes Zelt, Cedric blieb zur Bewachung des Gefangenen.
„ Wenn du versuchst zu spionieren, werde ich dich töten."
„Ich bin kaum in der Lage aufzustehen, außerdem scheint deinem Anführer sehr daran gelegen, dass ich überlebe."
„Hey, ich weiß nicht, was er vorhat, aber es ist sicher ein guter Plan, um euch fertig zu machen. Er ist ein genialer Mann."
„Ach so, mir erschien er wie ein geisteskranker Irrer."
„Das wäre auch kein Wunder, nachdem was ihr ihm angetan habt."
„Als ob er der erste wäre, der jemanden in diesem Krieg verloren hat."
Die Blutung hatte aufgehört, aber es tat noch unerträglich weh. Yehudin gab sich große Mühe, nicht erbärmlich zu wirken.
Er erschrak, als er merkte, wie natürlich er mit dem Feind sprach, der ihn schwer verwundet hatte.
Nach einer Pause sagte er: „Wir werden uns für den heutigen Tag rächen."
Cedric sah ihn ungläubig an. „Du bist dem Tod näher als dem Leben und das ist alles an das du denkst?"
„ Wir werden euch alle töten! Ganz langsam werden wir euch umbringen! Wir werden euch die Finger abhacken, wie werden euch die Augen ausstechen, wir werden euch die Kehlen aufschlitzen, das schwör ich bei Gott"
„Du bist krank!"
„Oh nein, mach es dir nicht so leicht! Wir sind alle gleich."
„Ich bin kein Monster!"
„Blödsinn! Ich habe deine Augen gesehen, als du meinen Kameraden getötet hast. Du hast es doch genossen."
Cedric wäre am liebsten hinausgerannt, aber er hatte Befehl, diesen Gefangenen zu bewachen. Er ging auf ihn zu und drückte seine Hand fest in die Wunde. Die Schreie klangen furchtbar. Er setzte sich an die Zeltwand und starrte den zuckenden Körper an. Es war ein erbärmlicher Anblick. Er musste sehr große Schmerzen haben. Aber er verdiente es.

Gleich nachdem sie zurückgekehrt waren, hatte Arturus sich Edgar geschnappt und war mit ihm in seinem Zelt verschwunden. Brutus war ihnen wutschnaubend gefolgt.
„Erklär` mir das gefälligst."
„Was ist passiert?", fragte Edgar
Wütend berichtete Brutus, wie Cedric die Gegner im Wald gefunden hatte und wie Arturus den Ehrenkodex gebrochen hatte.
Als er geendet hatte starrte auch Edgar seinen Freund entsetzt an. Er war am längsten dabei, er hatte mehr Grausamkeit gesehen als die anderen. Es war ihm unbegreiflich, wie Arturus so etwas tun konnte. Schließlich begann der Anführer mit seiner Erklärung.
„Ich bin nicht verrückt, falls ihr das denkt."
„Du machst aber ganz stark den Eindruck!", fuhr Brutus ihn an.
„Ich habe einen Plan: Ich will den Verwundeten retten, als ein Art versöhnlicher Geste."
Brutus` „Was?" klang noch ungläubiger als vorhin.
„Wenn wir ihn nicht töten, wenn wir ich heilen und in sein Lager schicken, werden die Kämpfe vielleicht aufhören."
„Ich hoffe du meinst das nicht ernst."
„Das könnte zu Frieden führen."
„ Das wäre eine ziemlich unrealistische Situation."
„Ich bitte dich. Zwei Dörfer, die zueinander keinen Kontakt mehr haben, schicken ihre besten und fähigsten Männer los um gegeneinander zu kämpfen, nur mit der Aussicht, sie tot oder schwer verstümmelt wiederzusehen, anstatt sie Felder bestehlen, Kinder zeugen, oder Handel betreiben zu lassen. Diese ganze Geschichte ist ziemlich unrealistisch."
Nach einer Pause wandte er sich Edgar zu. „Was hältst du davon?"
Edgar braucht lange, um eine Antwort zu formulieren, in der keine Beleidigungen vorkamen. „Ich verstehe es nicht. Du kennst die doch. Mit denen kann man doch keinen Frieden schließen."
„Ich glaube, nach so langer Zeit wollen auch sie nicht mehr kämpfen."
Brutus sprach wieder: „ Alles, was die wollen, ist uns zu töten."
Arturus ließ sich mit seiner Antwort Zeit. „Hört zu, heute wird nichts mehr passieren, wir reden morgen weiter."
„Nein, wir sind noch nicht fertig."
„Ich sagte wir reden morgen weiter. Ich geh unseren Gast informieren." Er ließ Brutus und Edgar schweigend zurück.
Yehudin reagierte noch fassungsloser als Cedric. Er hörte nur zu, aber er antwortete nicht. Nachdem Arturus gegangen war macht er einige abfällige Bemerkungen über ihn. Cedric viel es schwer seinen Anführer zu verteidigen, Aber wenn es seine Entscheidung war, musste sie richtig sein.

Normalerweise sahen sich die gegnerischen Parteien manchmal tagelang nicht und nicht jede Erkundungsmissionen endeten mit Toten. Aber dies war keine normale Woche. Zwei von Arturus´ Männern erwischte es zwei Tage später. Sie waren dumm genug, auf einen Hinterhalt reinzufallen und waren plötzlich von fünf Kämpfern umzingelt. Doch es kam nicht gleich zur Tötung. Zuerst wollte man Auskunft, was mit dem zweitmächtigsten Mann ihrer Truppe passiert war. Der zuerst gefragte Soldat schwieg heldenhaft und starb qualvoll. Aber der andere Kämpfer wollte nicht durch eine, stark schmerzende Bauchverletzung sterben. Er wollte diese Welt schnell und schmerzlos verlassen. Nachdem ihm dies zugesichert worden war, berichtete er alles. Er verriet auch, dass viele seiner Leute glaubten, Arturus sei nach Darius` Tod verrückt geworden. Er erzählte alles, was für seine Feinde interessant sein könnte, nur um nicht leiden zu müssen. Als er fertig war, stachen sie ihm in den Bauch und ließen ihn verbluten. Nachdem das scheußlich klingende Winseln nach Gnade und Erbarmen verstummt war, hingen sie die übel zugerichteten Leichen kopfüber an einen Ast des nächsten Baumes. Anschließend kehrten sie in ihr Lager zurück und berichteten von ihrem Erlebnis. Zachäus war fassungslos und so wütend wie noch nie. Er verschwand fluchtartig und stürzte in Xavers Zelt. Wolfram war bei ihm. Er saß in einer Ecke und versuchte, sein Messer zu schärfen. Als er Darius getötet hatte, war ein weiterer Teil abgebrochen. Zachäus beachtete ihn nicht, wie gewöhnlich.
„ Diese Schweine, diese Schweine", wiederholte er mehrmals.
„Wer?"
„Wer schon? Weißt du, was die mit Yehudin getan haben?" Er ließ Xaver keine Zeit zum Antworten. „Sie haben ihn verwundet und dann gefangengenommen!"
„Großer Gott, diese Mistkerle, warum?" Xaver hatte sich nur schwer damit abgefunden, dass sein bester Freund wohl tot war. Aber das er jetzt dieser Schande ausgesetzt war, traf ihn noch härter.
„Weil sie ihn heilen und mit uns Frieden schließen wollen!" Die Ironie in seiner Stimme war überdeutlich.
„Die erwarten doch nicht allen Ernstes, dass wir das glauben."
„Natürlich nicht. Aber der Soldat, von dem wir das haben, hätte wohl alles gesagt, um seiner gerechten Strafe zu entgehen. Du weißt ja, wie die sind."
„Dafür werden wir uns rächen, oder?"
„Natürlich. Auge um Auge, Zahn um Zahn."
„Nur, dass das leider zu einer blinden und zahnlosen Welt führt." Wolfram begann zu sprechen, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. Stille. Man konnte ihn leicht für einen dümmlichen Kraftprotz halten. Aber er hatte seine Momente. Dann reicht ein Satz um zu zeigen, dass er, wenn es um die Intelligenz ging, es mit jedem seiner Anführer aufnehmen konnte. Wäre er nicht auf so untypische Weise zur Truppe gekommen, hätte Zachäus in ihm nie mehr als einen einfachen Fußsoldaten gesehen. Und auch so war sein Interesse an ihm nicht sehr groß. Nach einigen Sekunde fluchte Zachäus irritiert weiter. Als er genug davon hatte, ging er, gefolgt von Xaver und Wolfram, wieder. Er stellte sich in die Mitte des Lagers, seine Soldaten versammelten sich langsam um ihn. Als alle bereit waren ihm zuzuhören, begann er sie zu unterrichten. Darüber, dass ihre Gegner Yehudin gefangen hielten. Darüber, dass sie damit eine heilige Grenze überschritten hätten und nun die Konsequenzen tragen müssten. Und darüber, dass von nun an alle Energien der Truppe für die Befreiung seines Vertreters und für die Vergeltung dieser Schande verwendet werden sollte. Wolfram verfolgte die Rede nur bis zur Hälfte, danach kehrte er genervt in sein Zelt zurück. Nachdem das Entsetzen aus den Gesichtern der anderen verschwunden war, wuchs die Wut. Zachäus liebte Inszenierungen. Er begann „Rache" zu schreien. Nach zwei Versuchen machten alle mit „Rache! Rache! Rache!"

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Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Christian Michels).
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.05.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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