Jan Vollmer

Die Grenzen des Wachstums

Es war einmal vor langer, langer Zeit in einem weit, weit entfernten Land, da lebte ein recht unbeliebter König recht isoliert in seinem schnuckeligen kleinen Schlößchen am rande der Hauptstadt.
Nun ja, das böse Volk trachtete seinem Herrscher des öfteren mal nach dem Leben.
In regelmäßigen Abständen kam es hier und da mal zu einer lustigen kleinen Revolte, die sich ab und an auch mal zu einer ausgewachsenen Revolution hochpeitschte.
Aber daran hatte sich der unbeliebte König längst gewöhnt, und mit der Hilfe seiner mächtigen absolut herrschenden Königsfreunde aus den Nachbarländern hatte er mittlerweile schon die 17. Republik recht unbeschadet überstanden.
Keine hundert Meter von dem Schlößchen des Königs entfernt stand das Staatsgefängnis. Und in dessen Hinterhof stand die mittlerweile schon siebenmal generalüberholte Guillotine.
Momentan wurden jeden Tag zwölf Revolutionäre geköpft.
Aber das konnte sich jeden Tag auch wieder ändern! Schon morgen konnte wieder ein Dutzend Adlige ihr Leben verlieren.
Natürlich waren schon längst alle Adligen des Landes nicht mehr am Leben, aber das bereitete dem König keine Kopfschmerzen! Nach jeder geglückten Konterrevolution schlug er sechs oder sieben Dutzend ätzende Bürger zu Rittern und machte sie so schön adlig, auf daß die Revolution auch zukünftig noch was zu köpfen hatte und sich, statt am König zu vergreifen, an den „Schmarotzern“ vergriff.
So wäre es denn auch die nächsten Jahrhunderte in schönster Ordnung weitergegangen, wäre da nicht so eine schreckliche Wirtschaftskrise auf die Region zugekommen.
Diese Krise eben nötigte einige der Königsfreunde des Königs dazu, große Einschnitte in ihrem Militärhaushalt vorzunehmen. So konnte sich der unbeliebte König gar nicht mehr so sicher sein, nach der nächsten Revolution noch zu leben!
Also schickte er viele seiner momentan adligen Vasallen aus in alle Welt, um nach einer recht billigen und doch sehr zuverlässigen systemstabilisierenden Alternative ausschau zu halten, da aus verständlichen finanziellen Gründen die Bildung einer eigenen schlagfertigen Söldnerarmee als Alternative ausfiel und man wohl kaum eine Bürgerarmee aufstellen konnte!
Daher blieb man schließlich bei einem Angebot der Agentur Glückliches Familienleben hängen.
Man entschloß sich einen kleinen armen Riesen zu adoptieren und zum Königsprotektor zu erziehen. Ein kleiner niedlicher Riese. Zwei Monate alt, zwei Meter groß und knapp 200 Kilo schwer. War der nicht süß?
Er war der uneheliche Sohn eines bergischen Giganten und einer flachländischen Titanin. Wenn er nach seiner Mutter kommen sollte, könnte er dann vielleicht sogar irgendwann einmal mit Blitzen um sich werfen! Was für Möglichkeiten!
Nun, der Plan war folgender. Der Riese sollte im Falle der Revolution den König beschützen und natürlich die Guillotine wieder einnehmen, denn wer über die Guillotine herrschte, beherrschte auch das Land.
Das war immer so und würde auch so bleiben. Denn die Erfahrung lehrte, sobald die Revolution die Guillotine verlor, war sie zerschlagen und umgekehrt natürlich, sobald sie sie in ihren Besitz nahm, war die Regierung vorläufig am Boden - in mehreren Stücken versteht sich.
Diese strategischen Stellen gab es in allen Ländern. Hier war es die Guillotine, dort mochte es der Turm eines Magiers, der Palast des Königs oder ganz profan schlicht die nächste Rundschreistation sein.
Die nächsten Revolutionen überstand der König mehr schlecht als recht, doch immerhin, er überlebte und mit ihm natürlich auch sein kleiner Riese. Dieser war mittlerweile fast vier Meter groß, drei Jahre alt und fast eine halbe Tonne schwer.
Dennoch war der König sehr besorgt um seinen kleinen Riesen.
Denn seit fast einem Monat war er überhaupt nicht mehr gewachsen und das ausgerechnet jetzt, wo er doch demnächst seine erste Rüstung anprobieren sollte!
Der König hatte schon einen sündhaft teuren Waffenschmied bestellt. Dieser hatte die Paladine des Bergkönigs eingedost und auch schon den ein oder anderen Riesen.
Doch nun rief der König nach einem diplomierten Riesenarzt, um ihn zu fragen, was man anstellen könne, damit sein Riese etwas schneller wachse und natürlich auch recht groß werde.
Der Arzt meinte, das kein Grund zur Sorge vorläge, da Riesen erst im Alter von dreißig richtig ausgewachsen wären und der Kleine da ja noch richtig Zeit habe.
Das beruhigte den König ganz und gar nicht, da die nächste Revolution schon wieder im kommen war und er sich doch endlich auf seinen Riesen verlassen wollte.
Der Hofzauberer, im internationalen Vergleich eine wirklich schlecht bezahlte und weit zurückgebliebene Nummer, riet dem König zu speziellen Wachstumsprodukten, welche schon so manchen eitlen Zwergen auf sagenumwobene 1,60 Meter gepuscht haben sollten! Natürlich wurde diese Zeug noch bei keinem Riesen ausprobiert, aber was einem Zwerg nicht schadet, kann für einen Riesen doch nicht schlecht sein!?
Gesagt - getan, und der kleine Riese bekam das Zeug aus orkischer Herstellung nun eimerweise.
Die Intention, die hinter dem Produkt stand, nämlich Zwerge so wachsen zu lassen, daß sie in ihren Höhlen stecken blieben und dort elendig verrecken sollten, ging nicht ganz so auf, und so verloren die Orks Schlacht um Schlacht gegen die gloriose und nun auch groß gewachsene Zwergenarmee.
Die Jahre vergingen, noch brauchte der König seinen Riesen nicht gegen das Volk einsetzen, und so feierte der Riese seinen siebten Geburtstag.
Er war nun zehn Meter groß und fünf Tonnen schwer. Der König schenkte seinem Riesen eine schicke neue Stahlrüstung und ein schnuckeliges neues vier Meter langes Schwert.
Überhaupt kümmerte sich der König rührend um seinen Kleinen. Er erzählte ihm jeden Abend Märchen und Geschichten über ganz böse Revolutionäre, die dem armen König weh tun wollten und über heldenhafte Riesen, die stets dem König halfen.
Und tatsächlich, kurz darauf schlug der kleine Pimpf seine erste kleine richtige Revolution nieder.
Das war eine Überraschung! Die Revolutionäre machten sich erst mal richtig in die Hose, bevor sie von dem Kleinen zu Matsch zertrampelt wurden.
Der König war begeistert!
Zu seinem zehnten Geburtstag mußte der Riese umziehen in ein altes leer stehendes Lagerhaus. Er war mittlerweile fünfzehn Meter groß und wog seine guten neun Tonnen.
Der Riesenarzt war begeistert, solch ein Wachstum hatte er noch nie bei einem Riesen beobachtet! Nun ja, er wußte ja auch nicht, worauf das zurückzuführen war.
Mit Zwölf war der Riese schon 20 Meter groß und wog fünfzehn Tonnen.
So etwas wie Stabilität war in das Land des Königs eingekehrt. Denn man erkannte, daß man gegen den Riesen keine Chance hatte.
Außerdem, wenn man geköpft worden war, konnte man immerhin noch anständig beerdigt werden, was bei einem plattgedrückten Klumpen Fleisch schon schwieriger war.
Als der Riese sechzehn wurde, begann der König seinem Schatz das Lesen und Rechnen beizubringen. Er wollte, daß der Riese später einmal wissenschaftliche Werke über die Rechtmäßigkeit der königlichen Alleinherrschaft lesen konnte.
Mit Zwanzig war der Riese schon die dreißig Meter groß, die sein Vater zählte und wog, da ihm die ersten Muskeln kamen, knapp 40 Tonnen.
Ein außergewöhnlich großer Riese stellte der Arzt fest, als er mal wieder einen gewöhnlichen Check up machte.
Mit 25 Jahren mußte der Riese schon wieder umziehen. Man wählte eine für die Luftschiffe des Magiers, welche eh nicht flogen, erbaute Halle, in der sich der mittlerweile 45 Meter große Riese wieder recht heimisch fühlte. Mit seinen nun fast 150 Tonnen war er eine wirklich imposante Erscheinung.
Mit dreißig checkte der Arzt den Wunderriesen mal wieder ab. Es war die Zeit, als er begann, kleine Blitze mit seinen Fingern in alle Richtungen so spaßeshalber zu verteilen. Zweifellos ein Erbe seiner Mutter.
Normalerweise stoppten Riesen mit Dreißig ihr Wachstum. Und viel größer als dreißig Meter wurden sie auch nicht.
Rein biologisch waren bei zirka 35 Meter die Grenzen des Wachstums erreicht.
Nun, der Kleine, wie ihn alle nur nannten, war mittlerweile schon 65 Meter groß und wog 250 Tonnen!
Nun wurde es dem König doch etwas mulmig, denn er wollte doch nur das Beste für seinen Riesen. Und vielleicht war so gewaltiges Wachstum doch ungesund für den Kleinen.
Also rief der König seinen Hofmagier zu sich und fragte was zu tun sei!
Der Magier hatte von einem orkischen Produkt gehört, welches angeblich das Wachstum stoppen sollte. Also orderte man ein paar Tonnen!
Nun, welche Absicht verfolgten die Orks mit diesem Produkt? Es war im Grunde genommen nur ein konzentriertes Wachstumsmittel. Man hielt immer noch an dem Plan fest, die Zwerge in ihren Höhlen verrecken zu lassen.
Tja, den vier Meter großen Zwerg, der mit einem Schlag fünf Orks tötete, störte das freilich wenig.
Dem Kleinen mundeten die paar Tonnen Wachstumsmittel recht gut.
Fünf Jahre später war gerade das neue Riesenhaus fertiggestellt, und da war es für den 150 Meter großen 1000 Tonnenkoloß auch schon zu klein.
Hundert Meter größer und weitere fünf Jahre später stellte sich ein neues Problem ein.
Der „Kleine“ war zum größten Posten im Staatshaushalt geworden. Er alleine bedurfte genau soviel Nahrung wie alle Untertanen des Königs zusammen. So forderten einige durchaus royalistisch gesinnte Adlige die Abschaffung des Riesens zu Gunsten eines Berufsheeres.
Der Kleine, der mittlerweile sehr aufmerksam das politische Leben des Landes verfolgte, setzte dem ein Ende.
Bei einer Sitzung der Heeresbefürworter kam es plötzlich und unerwartet zu einem kleinen Blitzschlag, welcher alle Anwesenden ein wenig einäscherte.
An seinem 48. Geburtstag starb sein alter geliebter väterlicher Freund, der König.
Natürlich war klar, wer nun herrschen würde. Natürlich niemand anders als der, welcher auch schon seit Jahrzehnten die Macht dazu hatte.
Der Riese war nun unumstrittener König.
Wer wollte jemandem, der nachdem er aufgehört hatte zu wachsen, 500 Meter groß und 25.000 Tonnen wog, schon widersprechen?
Alle Herrscher der näheren Umgebung machten dem Riesen ihre Aufwartung und belieferten ihn mit Nahrung.
Sogar der mächtige Zergenkonsul Nappo Bons ließ dem Riesen einen Thron in einen Berg schlagen, als Symbol seiner Wertschätzung.
Eines Tages jedoch war der Riese gezwungen, einen kleinen Bauernaufstand in einer weit entfernten Region seines Landes niederzutreten.
Also machte er sich auf den viertelstündigen Weg.
Doch dann geschah das Unglück. Der Kleine stolperte über eine alte gerade mal 30 Meter große Eiche. Er fiel zu Boden!
Nun, wenn man 500 Meter groß ist, kann man sich nicht mehr so leicht abfangen.
Und so fiel er in den Tod.
Kein natürliches Gewebe ist für einen Sturz aus 500 Metern Höhe gemacht, selbst Riesenhaut ist dafür viel zu dünn.
Nach einem Erdbeben der Stärke 8 ging eine Welle der Erleichterung durch die Welt, denn ein übermächtiger Nachbar ist immer eine Gefahr.
Sie hatten gelernt, daß man sich nichts über den Kopf wachsen lassen sollte, denn es könnte ein beunruhigendes Eigenleben beginnen!
Und wenn sie aus ihren Fehlern gelernt haben, leben sie noch heute und sind kein Klumpen Matsch.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.05.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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