Norbert Friehe

Ansteckungsgefahr

 

© Norbert Friehe

 
 
Es ist wieder so weit.
 
Per Wettervorhersage wird der Winter angekündigt. Als ob wir das nicht auch so wüssten. Immerhin haben wir schon Januar. Es wird Zeit, dass es endlich kälter wird, sonst haben wir nächstes Jahr eine Insektenplage mit biblischen Ausmaßen. Unser Maulwurf im Garten hat schon den Anfang gemacht. Seine Tätigkeit lässt den Rückschluss zu, dass der letzte Winter auch zu warm war. Was soll das bloß im kommenden Sommer werden.
 
Vorläufig haben wir erst mal ein ganz anderes Problem. Mit den ständigen Wetterumschwüngen geht eine explosionsartige Vermehrung der Erkältungskrankheiten und ihrer Erreger einher. Wir sehen uns einer Pandemie gegenüber, die alles bisher gekannte an Infektionen in den Schatten stellen soll. So jedenfalls die Aussage der allwissenden, Panik verbreitenden Medien. Endlich darf der Virologe in seinem verstaubten Labor auch mal zu Wort kommen. Das aber bitteschön gleich per Fernsehkamera auf allen verfügbaren Kanälen.
 
Es besteht kein Zweifel. Die Grippe kommt auf allen Viren.
 
 
 
In den Zeitungen steht deutlich zu lesen: Ziehen Sie sich warm an. Die Grippewelle ist im Vormarsch! Die Welle kann mich mal.
 
Ich bevorzuge zur Prophylaxe seit Jahren den hinreichend bekannten Sonnenhutextrakt der alten Indianer. In Tropfen- oder Tablettenform dargereicht, bekommt er gut, beeinträchtigt weder das Bewusstsein noch die Vitalfunktionen und schon gar nicht meinen Geldbeutel. Meine liebe Familie in Gestalt der bestens bekannten, kleinen Frau ist mit mir einer Meinung. Unser Hund kennt keine Erkältungen und hustet uns was.
 
Jedes Jahr das gleiche Schauspiel. Die Menschen haben die Köpfe tief zwischen die Schultern gezogen und drehen sich auf der Straße ängstlich um, ob nicht irgendein wild gewordener Virus um die nächste Ecke gebrettert kommt. Sie haben so viel Angst, dass sie schon krank werden, wenn sie was von  Influenza hören und bekommen Fieber, wenn der Nachbar eine Pille einwirft. Wir dagegen nehmen uns gegenseitig an die Hand, den Hund an die Leine und marschieren in der eiskalten Luft durch die Feldmark.
 
Das ist Vorbeugung. Sauerstoff, das lehrte schon Doktor Eisenbart, ist die beste Medizin, unter anderem deshalb, weil sie kostenlos ist. So manch einer muss nach einer saftigen Grippe seinen Kredit aufstocken, weil die Gesundheitsreform die Kosten explodieren lässt. Nachbar Müller murmelte letztens völlig heiser, dass sein Kühlschrank leer sei, dafür aber sein Medizinschränkchen aus allen Nähten platzt. Das verdammte Penicillin helfe überhaupt nicht und seine Frau würde in Zitronensaft ertrinken. Die Kinder wollen nur den leckeren Hustensaft, weil der so gut schmeckt. Aber der sei viel zu teuer und außerdem hätten sie schon Husten. Wozu dann der Saft, und so weiter, und so weiter.
 
Alle beklagen sich, jeder meckert und die Mafia der Pillendreher erfreut sich steigender Umsätze. Von allen Plakatwänden springen einem in dicke Schals und Mäntel verpackte, potentielle Patienten mit triefenden und rot gefärbten Nasen direkt ins Gesicht. Sie sollen dem Betrachter suggerieren: Hey, du bist krank. Geh zum Arzt und lass dir ordentlich was verschreiben!
 
Mir doch egal. Ich fühle mich bestens.
 
Die Russlanddeutschen in der Nachbarschaft kurieren sich mit heißem Wodka und laufen singend in der Weltgeschichte herum. Ich rufe ein fröhliches ‚Peristroika’ aus dem Fenster und schon werde ich zu einem kräftigen, russisch geprägten Umtrunk eingeladen. Auch das ist Medizin. Ganz besonders der anschließende Schlaf, weil ich nicht gerade an derartige Hausmittelchen gewöhnt bin.
 
Alkohol desinfiziert. So gesehen würden mich die nächsten drei Wochen keine Viren mehr erreichen und bestenfalls völlig besoffen von mir abprallen. Unabhängig davon bin ich immer noch gesund. Dieser Begriff wurde unlängst mit folgenden Worten definiert: Gesund ist nur, wer noch nicht eingehend genug untersucht wurde. Punkt.
 
Darin liegt die Wurzel der Werbestrategie für die unterschiedlichsten Produkte zur Bekämpfung der alljährlich wiederkehrenden Grippewelle. Mich würden sie damit nicht beeinflussen, wie so viele meiner bedauernswerten Mitmenschen. Die meisten werden erst im Wartezimmer krank, wenn sie neben so einem Bazillenmutterschiff sitzen. Eben noch froh und munter sind sie nach einer Stunde nur noch ein hustendes und prustendes Wrack, das daheim den traurigen Rest der Familie infiziert und mit Taschentüchern um sich wirft. Der Pingpongeffekt sorgt dafür, dass der Virus überlebt. Egal in wessen Körper. Dort haust er und freut sich seiner Existenz, wohl wissend, dass er dort fröhlich mutieren kann. Vielleicht kommt irgendwann mal ein Huhn vorbei, auf das er überspringen kann. Es darf auch ein ganz gewöhnlicher Zweibeiner sein, bei dem er sich niederlässt. Es gibt ja genug davon. Außerdem wird dringend angeraten, sich impfen zu lassen. Das hört sich ziemlich albern angesichts der Tatsache an, dass gar nicht genügend Serum vorhanden sein soll.
 
Angeblich haben die Amis mal wieder alles aufgekauft. Ist doch logisch. Schließlich müssen sie für den Kampf gegen das Böse in der Welt fit sein. Sie starren vor Waffen, sind aber gegen ein paar lächerliche Viren machtlos. Ein Anachronismus, wie er im Buche steht.
 
Der Schwarzmarkt blüht und die Pharmaunternehmen verdienen sich eine goldene Nase. Aber auch die kann mal triefen. Das geschieht spätestens dann, wenn ein Grossteil der Influenzageschädigten sich wieder Mutter Natur zuwendet, im Wald bei der Kräuterhexe sitzend ein Happening veranstaltet, sich dort einen heilenden, übel schmeckenden Tee einverleibt und fortan gesund und immun durchs Leben geht. Da kann es dann passieren, dass der eine oder andere Arzt voll Grausen in die Zukunft sieht. Wir, meine Familie und ich, haben jedenfalls seit Jahren keinen Doktor wegen einer lächerlichen Erkältung frequentiert, sondern verlassen uns darauf, dass der Supermarkt nebenan genügend Zitronen und Apfelsinen vorrätig hat. Wir haben uns mit Mineralwasser zur gründlichen Spülung der Nieren und Vitaminen aus der Flasche in der Hoffnung eingedeckt, dass diese Hilfsmittel ausreichen, die anrollende Grippewelle zu überstehen.
 
Gestern war ich erst wieder einkaufen. Irgendwie muss es trotzdem einem ganz gewöhnlichen, winzigen Virus gelungen sein, meiner habhaft zu werden. Meine Nase läuft ein wenig und ein kitzeln im Hals macht mir auch ein wenig Sorgen. Meine stets besorgte Frau hat mich sogleich mit Holundertee abgefüllt und trotz anhaltender Proteste und heftiger Gegenwehr nach einem heißen Vollbad ins Bett geschickt.
 
Mein Immunsystem steht vor dem Kollaps und das Fieberthermometer klettert mit affenartiger Geschwindigkeit in den roten Bereich. Der eilends herbei gerufene Hausarzt diagnostiziert, wie könnte es anders sein, eine handfeste Erkältung. Seitdem sieht unser Schlafzimmer aus wie eine Isolierstation, der Hund schiebt vor der Tür oder vor meinem Bett Wache, meine Frau läuft in der Wohnung Patrouille und passt auf, dass sie mir selbst nicht zu nahe kommt.
 
 
 
Immerhin besteht Ansteckungsgefahr.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.10.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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