Irmgard Schöndorf Welch

Totale Sonnenfinsternis am 11. August 1999

*






 

TOTALE SONNENFINSTERNIS IM SAARLAND.
 
Wer erinnert sich noch an den 11. August 1999? Es herrschte ein Medienrummel ohnegleichen.
Die Erwartung und Euphorie waren gigantisch.




10. August 1999
morgens:

"Rafft euch auf und kommt her", rufe ich einer unentschlossenen Sabine durchs Telefon zu, "es ist DAS Ereignis des Jahrhunderts. Ihr dürft es nicht verpassen!"
"Na jaaa!"
"Davon wirst du einmal deinen Kindern erzählen", animiere ich auch meinen Sohn, "so etwas wird es in Deutschland zu euren Lebzeiten nicht mehr geben!"
"Wieso? 2087 passierts doch schon wieder!", sagt er.

Die beiden werden also im Auto von Aachen zu mir nach Saarbrücken kommen, denn bei ihnen ist die Verfinsterung nur partiell. Wir hier an der Saar sind diesmal die Auserwählten des Schicksals, DAS Sonnenfinsternisgebiet par Excellence. In den Fernsehnachrichten erwähnen sie uns seit Tagen. Wir sind eines der wenigen Bundesländer, die mitten im Kernschatten des Mondes liegen werden, jener wundersamen Verdunkelung, die morgen mit vehementer Geschwindigkeit von der Küste des englischen Cornwall über Nordwestfrankreich, das Saarland, Rheinland-Pfalz, den Stuttgarter- und Münchener Raum und einen winzigen Teil Österreichs rasen wird, dann weiter nach Ungarn, Rumänien, Türkei, um irgendwo in indischer Ferne im Golf von Bengalen zu verschwinden. Überall auf seinem Weg, dem sogenannten ‚Totalitätsbereich‘, wird die Sonne langsam vollständig vom Mondschatten bedeckt werden und am Ende eine schwarze Scheibe sein, umhüllt von ihrem herrlichen Strahlenkranz, der Korona. Aber ... in den in Betracht kommenden Gegenden bleibt der Himmel wahrscheinlich bewölkt, nur bei uns wird das Wunder sichtbar werden und der Zauber sich voll entfalten ... "wenn nichts dazwischen kommt", prophezeien die Wettergewaltigen.

*

10. August
20 Uhr:

Egmont und Sabine sind da.
"Was, ihr habt euch keine Schutzbrillen besorgt", rufe ich.
"Und es gibt auch keine mehr", sagt Sabine.
Es ist unfassbar, dass sie so nachlässig gewesen sind. Aber mein Sohn und seine Freundin sind nicht die einzigen: es ist unglaublich, wie viele Menschen k e i n e Schutzbrillen bekommen haben. Die Armen ... überall in den Optikerläden und Kaufhäusern der Stadt hatte man sie heute herumirren und flehentlich nach den begehrten Kostbarkeiten fahnden sehen. In letzter Minute. Jetzt wo es zu spät ist!

Gott sei Dank habe ich zwei dieser aluminiumbeschichteten Brillen. Die eine stammt aus einem bekannten Drogeriemarkt ( gerade in letzter Minute noch ergattert! ), die andere war vorige Woche der Fernsehzeitschrift beigelegt. Ich packe sie beide in watteweiches Papier, denn - Vorsicht ... das kleinste Löchlein oder ein Riss in der Folie, kann beim In-die-Sonne-Sehen bewirken, dass man sich die Augen für immer ruiniert - ist die ständige Warnung der Experten.

Die Wetterprognose für ganz Europa: denkbar schlecht. "Stuttgart und München werden morgen im Regen versinken, nur in dem schmalen Streifen, der den Karlsruher Raum umfasst und das Saarland ... da KÖNNTE die Sonne durchbrechen."
Wir hören das am Fernsehen aus dem Mund eines ziemlich konsterniert wirkenden Wetterfroschs und sehen uns skeptisch an.

*

Hier in Saarbrücken wird das kommende Jahrhundertereignis schon seit heute Nachmittag gefeiert. Und jetzt am Abend haben sie am St. Johanner Markt ein großes Feuerwerk gestartet. Von der Knallerei hochgescheucht, rennen wir auf den Balkon und mitten hinein in einen wüsten Wolkenbruch. Das durch den prasselnden Regen seltsam gedämpfte und gemilderte Farbenspiel der Raketen und Pyrotechnik löst eine irreale Stimmung aus. Dann beginnen auf einmal sämtliche Kirchenglocken zu läuten
Von allen Türmen tönt es festlich und erhaben. Ein noch nie dagewesener, sonderbar schöner Klangteppich flutet über Saarbrückens Wohnungen und Dächer. Die ganze Innenstadt scheint wie ein großer Konzertsaal. Die Glocken der einzelnen Kirchen steigern sich im Zusammenklingen u n d im Wechselspiel zu einer gewaltigen Symphonie. Obwohl wir nicht wissen, ob man mit diesem Ereignis schon die kommende Sonnenfinsternis zelebrieren will, scheint es doch sicher eng damit verbunden. Ich hätte stundenlang lauschen mögen.

*


11. August 1999
9 Uhr früh:

Es ist so weit. Der Jahrhunderttag! In den Kneipen rund um den St. Johanner Markt und auf den Terrassen der Studenten-WGs hier im Viertel haben sie die Sonnenfinsternis bis in dies frühen Morgenstunden hinein feuchtfröhlich vorgefeiert. Man weiß auch nicht: sind die vielen aufgedrehten Menschen, die überall herumlaufen, noch von gestern oder schon wieder unterwegs?

Der Himmel ist düster, verhangen. Ich packe Proviant, Getränke und was dazugehört, in einen Korb. Wir werden das Ereignis nämlich mit einem Picknick hoch oben auf einer alles überblickenden Anhöhe begehen, die wir aber erst noch suchen müssen.

Wir fahren einfach drauf los. Der hiesige Wetterdienst hat gemeldet, der sicherste Ort, die Sonne zu sehen, liege wohl auf den Spicherer Höhen und im Bliesgau, Richtung französische Grenze. Das passt uns. Dort ist die Gegend ohnehin besonders eindrucksvoll. Die Radio-Moderatoren verbreiten Zuversicht. Trotzdem: zwei Schirme haben wir mitgenommen. Denn das Wetter lässt im Augenblick noch SEHR zu wünschen übrig. Sabine hat auch Isoliermatten und Decken ins Auto gepackt.
Egmont fährt.
"Habt ihr den Fotoapparat dabei?" frage ich bescheiden.
"Nein, wir haben keine Filter mehr gekriegt", sagt Sabine.
"Und überhaupt... so etwas zu knipsen... dazu braucht es technischen Aufwand, Mütterchen ... das geht nicht einfach so mit normaler Blende und einem simplen Klick", grinst mein Sohn, dem die welterschütternde Bedeutung des kommenden Geschehnisses und die Notwendigkeit, es für die Nachwelt festzuhalten, wohl doch noch nicht so richtig klar ist - fürchte ich.

Die Straßen sind schon zugestopft mit Autos. Es regnet. Stürmisch ist der Himmel, lauwarm die Luft.
"Oben auf dem Karstadt-Deck und anderen öffentlichen Hochhausterrassen ist bereits der Bär los, der Sekt gekühlt, sind Fernrohre aufgebaut und so weiter... überall die reinste Partystimmung", verkündet jubelnd ein hektischer Radio-Moderator.
Auch in den Saar-Anlagen und auf der Wilhelm-Heinrich-Brücke wogt – wir sehen es im Vorbeifahren – eine des Schnürl-Regens wegen leicht irritierte, aber im großen Ganzen sicherlich hochgestimmte Menschenmenge. Leider waren sich die einzelnen Fernsehsender heute Morgen nicht einig, ob der Schöpfer ( das Schicksal ) grausam sein oder doch noch ein erbarmendes Einsehen haben würde. Die einen verbreiteten süße Hoffnung, die anderen totalen Pessimismus. Und alles liegt nur an dem blöden französischen Sturmtief, das jetzt, ( entgegen den Berechnungen!! ) mit einem Tag Verspätung ( oder ist es Verfrühung? ) über uns hereingebrochen ist! Noch nie wurde das Wettergeschehen Sekunde für Sekunde von so vielen Menschenaugen so hoffnungsheischend UND kritisch verfolgt, noch nie wurde nach einem bisschen Blau am Himmel so sehnsuchtsvoll Ausschau gehalten.

"Bei den Spicherer Höhen und an der Bellevue gibt es kein Durchkommen mehr", verkündet jetzt der Moderator, "es hat absolut keinen Zweck, dorthin zu fahren!".
Wir umrunden diese Örtlichkeiten weiträumig. Sämtliche Fernsehanstalten haben da oben ihre Übertragungswagen stehen. Die Bevölkerung unseres Ländchens, aber auch halb Restdeutschlands scheine hier bei uns im Stau zu stehen, alle Plätze seien total zugeparkt mit Motorrädern, PKWs und Hunderten von Bussen, heißt es im Radio.
Klar, aus allen Bundesländern sind sie an die Saar gekommen ... viele Unentwegte sogar aus nordeuropäischen Gefilden.

"'La France' ist ebenfalls im Finsternisfieber", schreit uns Uschi durchs Handy zu. Sie wohnt hinter der Grenze in Lothringen.
"Überall bei uns stehen Hinweis-Schilder mit der dramatischen Aufschrift: zur 'eclipse du soleil... hier entlang'... oder so... und überall sind Autoschlangen und Menschenmassen. Alles ist am Ausflippen. Meine Hunde jaulen wie die Schakale."
*

Wir durchqueren jetzt den Bliesgau. Mandelbachtal. Hügel, Wälder, Wiesen, weite Horizonte! Es regnet nicht mehr so stark. Ab und zu schaut sogar die Sonne aus den Wolken. Da wissen wir: alles wird gut ...

*


11. August 1999
10.45 Uhr morgens:

Wir suchen nach einem idealen Beobachtungsplatz. Üppig grün muss es sein, da wo wir lagern werden. Weite wollen wir, Aussicht bis zum Horizont und den Blick hinunter in ein idyllisches Tal.
Wir brauchen eine Gegend, die herrlich genug ist für das große Ereignis, das Sonne und Mond für uns entfalten werden. Nirgends ist es im Sommer schöner als hier. Wir müssen nur Acht geben, dass wir uns nicht aus dem 100 km-Streifen der 'Totalität' entfernen. Sabine hat sie akribisch im Autoatlas anmarkiert. Damit wir wissen, wo die Grenzen sind, die wir nicht überfahren dürfen! Denn nur 5 Prozent von der Totalität entfernt zu sein, bedeutet schon, dass wir das volle Spektakel verpassen, das heißt, dass die Sonne nicht mehr komplett verdeckt wird ... Aber nur wenn der Mond die Sonnenscheibe vollkommen überlappt, wird man auch die Korona sehen und nur so kann man miterleben, wie es von 12 Uhr 29 bis 12 Uhr 31 am helllichten Mittag für genau 2 Minuten pechschwarze Nacht wird. So zumindest ist es mir erklärt worden.

‘........ es war ein herrlicher ( Eindruck), dessen selbst ein hundertjähriges Menschenleben wenige aufzuweisen haben wird. Ich weiß, dass ich nie, weder von Musik noch Dichtkunst, noch von irgendeiner Naturerscheinung oder Kunst so ergriffen und erschüttert worden war', ........ schrieb Adalbert Stifter, der dem raren Phänomen am 8. Juli des Jahres 1842 in Wien beigewohnt und es in hehren literarischen Worten für die Nachwelt festgehalten hat.


"Nachher wird es so dunkel sein, dass man sogar die Sterne sieht", sagt mein Söhnchen mit verträumter Miene und zündet sich eine Zigarette an.
"Heh, jetzt wird's aber Zeit ... du fährst und fährst wie ein Gedopter, wir müssen uns endlich entscheiden, wohin wir wollen", drängt Sabine, "Irgendwann sollten wir nämlich PARKEN!"
"Haha, sag mir wo!", lacht Egmont.
Alle Randstreifen der Straße sind nämlich von Fahrzeugen blockiert. Menschen haben sich häuslich auf Hockern und Liegestühlen ( viele unter Plastikplanen ) niedergelassen. Da sind sie: Nummernschilder sogar aus Dänemark, Schweden, Norwegen. Überall PKWs, Campingwagen, Caravans.
Schaulustige füllen die Gegend, wohin wir auch kommen. Und das Wetter? Nieselregen. Der Himmel ist ... bewölkt.

*


11. August 1999
11.15 Uhr:

Es dauert nur noch eine gute Stunde bis zu dem großen Finale. Jetzt wird’s aber Zeit, denn langsam dürfte der Mond schon dabei sein, die Sonne zu verdecken.
Endlich, wie durch ein Wunder finden wir doch unseren Platz. Egmont ist einfach im Niemandsland zwischen den Grenzen einen Forstweg entlang gefahren, der eigentlich gesperrt ist. Zum Glück konnte man die Barriere wegräumen. Zu unseren Füßen breiten sich jetzt im Tal Wiesen, in der Ferne einige Ortschaften, am Horizont Wälder. In Sicht-, aber nicht in Hörweite von uns lagert neben ihrem PKW ein ganzer Familienclan. Auch sie müssen zehn Minuten lang hier über verbotene Wege und durch Wälder geholpert sein, um endlich diesen lauschigen Winkel zu finden. Zuletzt kommt noch ein Kleinwagen mit Hamburger Kennzeichen, parkt direkt neben uns. Drei junge Leute klettern heraus.
Sonst ist keine Menschenseele hier ... nur das spärliche Zwitschern der Vögel ist zu hören. Das Gras, regennass, riecht würzig und frisch.

*


11. August 1999
11.30 Uhr:
Wir tragen die Isoliermatten, Kissen und alles, was dazugehört auf die Wiese. Der Nieseln hat aufgehört. Den Proviant packen wir noch nicht aus. Der Himmel ist nämlich verhangen. Es kann jeden Moment wieder zu regnen anfangen.

"Heh, wo sind die Brillen", schreit Sabine. DENN DA IST SIE plötzlich, DIE SONNE. Sie bricht gerade hinter einer Wolkenwand hervor. In Glanz und Pracht. Wir jubeln. Und, o Wunder, sie, die durch unseren Augenschutz wie ein ziemlich kleines Bällchen aussieht, ist oben am rechten Rand schon vom schwarzen Schatten des Mondes angeknabbert. Durch die Brillen sehen wir staunend zu: das geht jetzt schnell, es ist, als fresse der Mond die Sonne auf. Stück für Stück. Die drei Norddeutschen schlendern herbei. Zwei Jungen, ein Mädchen.
"Bitte, dürfen wir auch einmal durchsehen?"
"Klar!"
Es geht denen wie den meisten Leuten. Sie haben keine Brillen mehr bekommen. Aber sie überreichen uns zirka 20 einseitig bedruckte Din A 4-Bögen, darauf Grafiken und Infos.
"Alles über die Finsternis. Das könnt ihr euch durchlesen, wir haben es aus dem Internet kopiert!"
Auch sonst sind sie vorbereitet. Sie haben viereckige schwarze Glasscheiben mitgebracht. Sie zu benutzen wagen sie aber nicht so recht. Der Netzhaut wegen.

Manchmal verschwindet die Sonne hinter Wolkenwülsten. Dann wieder strahlt sie uns in voller Herrlichkeit entgegen und scheint sommerheiß auf unsere Haut. Wir blicken abwechselnd durch die Brillen ... zu oft soll man ja nicht ... wer weiß ...
Die Sonne sieht jetzt wie eine halbe Lunasichel aus, die am hellen Tageshimmel hängt. Man kann gut beobachen, wie der schwarze Mondschatten eilig auf ihr weiterwandert, sie immer mehr und mehr bedeckt.
"Es ist toll", brüllt das norddeutsche Mädchen - am Ohr ihr Handy, vor Augen meine Brille - "herrlich", schreit sie ihrem fernen Gegenüber zu, "voll das Erlebnis, megageil ..."

Egmont, Sabine und ich fallen uns beinahe in die Arme. Die Sonne ist tatsächlich da! Wir sind Kinder des Glückes, einen wundervolleren Platz als diesen hätten wir nicht finden können.
Der Moderator wehklagt gerade mit brechender Stimme durch unser lautstark aufgedrehtes Autoradio, dass bei ihm oben auf den menschenumlagerten Spicherer Höhen, wo das ganze Personal und Equipment für die große Übertragung bereitstünde, rein gar nichts zu sehen sei ... nur Wolken, Regen ...
Also bei uns nicht! Im Gegenteil: Here come the sun ... und obwohl jetzt bloß noch zu einem Drittel sichtbar und sichelförmig wie ein abnehmender Mond – man stelle sich die Sonne vor, die keine Scheibe mehr ist - erstrahlt sie wunderbar hell.
"Ich weiß nicht, diese Brillen ...", murmelt mein Sohn, "ob die wirklich optimal ... Ich habe schon ... Augenstiche!"
"Ja, ja, dass deine Guckerchen das nicht vertragen, war mir von vorneherein klar!", so Sabine.

Egmont und die beiden Hamburger Jungen sind nun auf Internet-Anweisungen hin am Experimentieren. Mit einer Bleistiftspitze haben sie in Papierblätter Löcher gebohrt, durch die die Lichtstrahlen fallen werden und halten diese irgendwie zwischen Sonne und Boden, legen auch ein Stück weißen Karton auf die Erde ... und tatsächlich, da zeichnet sich winzig die Sonne auf dem Karton ab. Und nicht nur EINMAL sieht man sie ... durch jedes der stecknadelkopfgroßen Löcher im Papier fällt auf den Pappdeckelbogen ein helles Mini-Abbild von ihr, das ständig dünner und sichelförmiger wird. Ganz klar zu sehen. Wie am Himmel. Nur seitenverkehrt.

Unsere nordischen Finsternisexperten legen jetzt noch ein helles Frotteehandtuch ins Gras:
"Darüber wird man nun gleich schwarz den Mondschatten huschen sehen!"
Auch diese superbe Idee haben sie bestimmt dem Internet entnommen.

*


11. August 199
ab 12.26 Uhr:

Den huschenden Mondschatten auf dem Tuch kriegen wir nicht mehr zu sehen, denn es geht alles sehr schnell, jetzt. Und leider ist die Sonne auf einmal von Wolken komplett verhüllt.

Trotzdem ... unsagbar seltsam ist dieser Augenblick

Niederdrückend schweres, fahles, graues Licht senkt sich herab auf die Erde, etwas das man nie gekannt hat, etwas wie... Ewigkeit. Egmont entzündet - unerwartet - ein Räucherstäbchen und steckt es schweigend zwischen das nasse Gras. Es scheint, als halte die Welt den Atem an. Unirdisch ist es. Die Vögel sind mit einem Schlag verstummt. Dieses bleischwere Licht! Als laste der Druck des Universums in diesen Sekunden auf uns. Eine Spur von Jenseits, dem kalten Unbekannten. Kein Wunder, dass unsere Ahnen sich fürchteten. Meine Knie zittern auch. Etwas in mir sagt: 'Vorsicht... lass dich nicht hinreißen. Deine Gefühle und die Verzauberung kommen nur aus deiner hochgepuschten Erwartungshaltung'! Dennoch ... mir ist ... sehr sonderbar und erhaben zumute.

Um Grade kühler ist es geworden. Atembeklemmend ist die Düsternis. Fremd. Dann prasselt plötzlich der Regen wie aus geöffneten Schleusen. Wir sind in Sekundenschnelle bis auf die Knochen durchnässt. Noch immer in diesem grauen, fahlen, bleiernen Licht, rennen wir durch eine erstarrte Natur zum schützenden Auto.
Dann ... Urweltnacht. Die Wälder in der Ferne und die Wiesen um uns sind jetzt in tiefes Dunkel getaucht.


Da, während wir zum Auto sprinten in der schwarzen Nacht ... ein mächtiger Donnerschlag. Obwohl hier vorher kein Gewitter war. Kein Blitz ... aber ein einziger, ohrenbetäubender Donnerschlag direkt über unseren Köpfen. Wir drei und die Norddeutschen schreien auf ...

*


11. August 1999
12.45 Uhr:
Normalität. Der Tag ist wieder zurückgekehrt. Es regnet. Wir durften die ‚schwarze Sonne‘ und ihre Korona nicht in ihrer ganzen Pracht erleben.
Dicke Wolkenwirbel haben sie unseren Blicken in allerletzter Minute entzogen.

Ich denke an das graue, bleischwere, unirdische Licht, das über uns fiel, kurz vor der totalen Finsternis und an den splitternden Donnerschlag.
War das eine kosmische Botschaft? Göttlicher Warnschuss vor den Bug? Oder purer Zufall? Das All löst unsere Rätsel nie!

Es regnet schon wieder stark ...
Die jungen Leute aus Hamburg fahren jetzt weg. Durch halb geöffnete Autofenster strecken sie die Arme heraus und winken uns zum Abschied.

"Kommt, wir trinken erst einmal einen Kaffee!" Ich krame die Thermoskanne aus.
"Wer gibt mir bitte eine Zigarette?", sagt Sabine und meint damit: "Das war‘s dann wohl!"

Ach ja ... die Wissenschaftler hatten alles perfekt berechnet und die Medien betitelten das Ereignis lange vorher schon lässig als ‚Sofi‘ und Angst hat wahrscheinlich niemand gehabt, denn wir Heutigen hatten im Voraus gewusst: sie würde blitzschnell vergehen, diese Nacht mitten am Tag. Doch unsere Vorfahren müssen geglaubt haben, als sie die Zeichen sahen, das sei nun das Ende der Welt. Ich kann sie verstehen.

Wir fahren dann nach Saargemünd in die alte Fayencerie zum Mittagessen. Alle Straßen sind mit Autos vollgestopft.
Aber Egmont, mein Sohn, ist heute ausnahmsweise einmal geduldig, auch wenn wir im Schritttempo dahin kriechen müssen.


*****
***
*



Anmerkung zu dem feierlichen Glockenspektakel über Saarbrücken am 10. August 1999, dem Vorabend der Sonnenfinsternis:
Es handelte sich um die Idee und Performance des spanischen Komponisten und Tonkünstlers Llorenc Barber, eine Art 'open-air‘ -Konzert, an dem alle Stadtteilpfarreien beteiligt waren. Wie der Titel des Geschehnisses schon erklärt, wurde eine ‘KLANGBRÜCKE‘ über die ganze Innenstadt gelegt. Die Glocken der Saarbrücker Kirchtürme, von zirka 40 Menschen nach einer eindrucksvollen Komposition geläutet, vereinten sich knapp eine Stunde lang ( von 22 bis fast 23 Uhr ) über den Dächern zu einer wahrhaft ‚himmlischen‘ Symphonie.

***



Danken möchte ich herzlich Frau Irmgard Schmidt aus Saarbrücken, die sich die Mühe gemacht hat, mir die fehlenden Unterlagen und Daten über das Glocken-Ereignis zu schicken. :-)






Copyright Irmgard Schöndorf Welch, 1999
bearbeitet am 12. August 2004
 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.10.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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