Das Candlelight-Dinner
Ich muss ja zugeben, dass man es
peinlich finden kann, in fast 30 Jahren nicht einmal an den Hochzeitstag
gedacht zu haben. Naja, bis auf eine Ausnahme: Die Silberhochzeit. Denn die
musste ja vorbereitet werden. Aber ansonsten hatte ich immer an so viele Dinge
zu denken, dass für etwas Banales wie „Hochzeitstag“ kein Platz war.
„Du liebst mich nicht“, erhielt
ich stets als Reaktion darauf, was allerdings sehr ungerecht war, da ich ja die
Dinge, die mich den Hochzeitstag vergessen ließen, aus Liebe zu ihr machte.
Vielleicht nicht immer, aber doch
ganz schön oft.
Möglicherweise ist ja auch deshalb
der Hochzeitstag eine Art Rotes Tuch für mich: Ich weiche ihm aus, weil er
stets von Vorwürfen begleitet wird. Ungerechte. Und ungerechtfertigte. Denn
dass ich sie liebe, habe ich mindestens schon tausendmal gesagt. Und manchmal
kann ich’s sie sogar spüren lassen. Sie ist dann immer ganz erfüllt von unserem
Sex. Das jedoch wird momentan seltener. Es liegt wohl am Älterwerden. Frauen
sind so.
Nur wir Männer, wir werden reifer
und überlegender. In den Fünfzigern hat sich bei uns Männern proportional so
viel Weisheit angesammelt wie Kochrezepte bei den Frauen. Deshalb trag’ ich ihr
auch nichts nach, das Essen ist ja auch wirklich lecker.
Ein bisschen von dieser Weisheit
wollte ich diesmal anwenden. Zum 28. Hochzeitstag. Seit 1986 liegt sie mir in
den Ohren wegen eines Candlelight-Dinners. Ich fand das für unsere Verhältnisse
immer ein wenig oversized. Was ist sowas schon gegen eine Bratwurst im Fussballstadion
beispielsweise, oder so’n teurer saurer Schampanjer gegen ein sorgfältig
gezapftes, kühles Helles. Aber diesmal sollte sie es kriegen. So quasi als
Überraschung, und damit sie endlich Ruhe gibt. Außerdem hatte das eine recht
praktische Komponente für mich, wollte aber auch gut geplant sein.
Schon einen Monat vor diesem
besonderen Tag ging ich in den Yachtclub, der eine recht gute Restauration
haben musste, wenn man die Preise der Speisenkarte so durchschaute. Ich
reservierte einen kleinen Tisch direkt am großflächigen Terrassenfenster, aus
dem man über die ganze Förde schauen konnte. Und richtiger Schampanjer sollte
in einem Eiskübel auf dem Tisch stehen. Und Blumen. Am besten Butterblumen, die
liebte sie so. Immer wenn wir mit dem Auto in der Natur unterwegs waren, machte
sie mich auf die Butterblumenwiesen aufmerksam. Und da ich ein guter Zuhörer
bin, wollte ich ihr auch diesen Wunsch erfüllen – selbst gegen den Widerstand
des stirnrunzelnden Kellners. Es sollte ja schließlich „ihr“ Abend werden.
Mit der Taxizentrale sprach ich,
um vielleicht einen besonderen Wagen für jenen Abend zu bekommen. Sie würde
staunen. Und dann ließ ich mir von ihrem Friseur einen Gutschein aushändigen
für Frisur, Fingernägelmachen, Peeling und sonstigen unsinnigen Kram.
Am Samstag, als es dann soweit
war, konnte ich es kaum erwarten, bis sie mich mit dem Frühstück weckte. Und
noch vor dem Zeitunglesen platzte ich heraus: „Schatz, heute habe ich eine
Überraschung für dich. Unser heutiger Hochzeitstag soll ein unvergessliches
Erlebnis werden. Wir gehen gleich in die Stadt, dir ein Kleid kaufen, und dann
bekommst du heute abend dein Candlelight-Dinner!“
Ich war ziemlich stolz auf mich,
dass ich sie noch dermaßen überraschen konnte. Nichtmal meine Sportberichte
konnte ich richtig zuende lesen, da war sie schon mit dem Abwasch fertig und
wollte „los“.
Im Kaufhaus dann fanden sich
schöne Kleider. Ich musste sie zwar ein wenig bremsen, wegen der Kosten (man
muss es beim Kauf eines Kleides für nur einen Abend ja nicht übertreiben), aber
irgendwann hatten wir etwas festlich genuges gefunden. Dann brachte ich sie zum
Frisör und gönnte mir während dieser Zeit einen Kinobesuch.
Es war schon ziemlich spät, als
wir zu Hause eintrafen. In einer Stunde sollte das Auto kommen. Für meine Frau
musste das purer Stress sein, ich selbst brauchte ja nur fünf Minuten. Aber
frisiert war sie ja schon und geschminkt, da war also doch eine echte Chance
da. Und tatsächlich: Zwei Minuten vor der Zeit kam sie aus dem Bad, voll
angezogen und fertig gemacht. Sie wirkte zwar ein wenig älter in ihrem neuen
Kleid, aber das war egal. Hauptsache glücklich!
Zu einem unverständlichen Bruch
kam es danach. Erst schaute sie recht merkwürdig auf meine Stadionklamotten,
die ich jedes Mal trug, wenn unser Verein zu Hause spielte, und als die Jungs
vor der Tür hupten (das Timing war klasse, denn ihr Taxi kam auch gerade) und
ich ihr das Geld fürs Essen in die Hand drücken wollte, schien sie fast in
Tränen ausbrechen zu wollen – jedenfalls zitterte ihre Unterlippe so. Und dann
fing sie an zu schreien…
Alles also wie üblich, nur ein
bisschen lauter. Und das, obwohl sie nun doch alles hatte.
Trotzdem ließ ich mir meinen Abend
nicht versauen. Wir gewannen 4:1, und von den Jungs verstand auch keiner, was
sie nur wieder hatte. Es ist uns Männern wohl nicht gegeben, die Frauen zu
verstehen…
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Robert Kuehl).
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.10.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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