Klaus-D. Heid

Böses Beispiel

Gewaltverherrlichende Spiele sollen unseren Kindern Brutalität und Hemmungslosigkeit injizieren? Wenn auf den PC-Monitoren Blut spritzt, Gliedmaßen abgesägt werden und Eingeweide verspritzen, kann das zur Verrohung unserer lieben Kleinen führen?
Das permanente Betrachten von Szenen, in denen Frauen vergewaltigt, Soldaten abgeschlachtet und ganze Nationen ausgelöscht werden, soll allen Ernstes bei unseren Kindern psychische Störungen auslösen? Es entspricht nicht den Maßstäben der freiwilligen Selbstkontrolle, dass Vierzehnjährige sich nach einem anstrengenden Schultag ein paar Killervideos ansehen oder per Mausklick ein paar Menschen von hässlichen Aliens zermantschen lassen? Selbsternannte Jugendschützer mokieren sich, dass in einigen PC- und Konsolenspielen mehr Blut fließt, als im gesamten II. Weltkrieg vergossen wurde? Es wird an der Stabilität von 10- bis 18jährigen Schülern gezweifelt, die sich ab und zu daran erfreuen, wenn sie mit geschickten Fingerbewegungen Köpfe abtrennen und Körper explodieren lassen können?

Jetzt machen Sie sich doch nicht lächerlich!

Ein bisschen Kriegspielen hat noch keinem geschadet! Die Welt ist nun mal böse, pervers und voller Grausamkeiten. Je früher unsere Kinder mit dieser Realität konfrontiert werden, desto besser ist es doch, oder? Außerdem kann wohl niemand von uns Eltern verlangen, dass wir uns ständig um das Freizeitvergnügen unserer Kinder kümmern. Schon rein praktisch fehlt es dazu an Zeit und auch an technischen Kenntnissen. Kinder brauchen ihre Freiräume, damit wir Eltern auch ab und an etwas Zeit für uns haben. Sollen wir womöglich jede Minute unserer Kinder kontrollieren? Sollen wir vielleicht eine Zensur ausüben? Sollen wir unsere Kinder in die Videotheken begleiten, um zu prüfen, welche Filme und Spiele dort ausgeliehen werden? Und wer macht inzwischen unsere Arbeit und verdient das Geld?

Mein Mann ist berufstätig. Ich bin berufstätig. Wenn wir beiden von der Arbeit nach Hause kommen, sind wir heilfroh, wenn unsere Kids sich mit sich selbst beschäftigen. Ist es nicht genug, wenn wir unseren Kindern ein ordentliches Taschengeld zahlen? Das Leben ist verdammt teuer geworden! Jeder Cent muss hart erarbeitet werden, den unsere Kinder in die Videotheken schleppen. Im Ausgleich dazu, gönnen wir uns eben ein wenig Freizeit ohne Kinder. Na und? Es muss ja schließlich nicht gleich dazu führen, dass unsere lieben Kleinen mit der Machete die Nachbarskinder zerstückeln. Es ist auch vollkommen übertrieben, dass Kinder, die viel Zeit mit PC-Spielen verbringen, mit der Axt Arme und Beine ungeliebter Klassenkameraden abtrennen.

Letztendlich hat eben auch der Staat eine gewisse Verantwortung zu tragen, wenn er schon derartig hohe Lebenshaltungskosten zulässt! Und auch die Lehrer sollten sich mal an die eigene Nase fassen, ob sie nicht besser auf ihre schutzbefohlenen Schüler und Schülerinnen aufpassen müssen. Soll denn alles bei uns armen überforderten Eltern hängen bleiben? Müssen wir uns wirklich um jeden Scheiß alleine kümmern? Und wer kümmert sich – bitte schön! – um uns?

Was meinen Sie? Ich kann meine Verantwortung nicht so einfach abschieben? Als Eltern haben wir die wichtigste Last der Erziehung zu tragen?

So? Meinen Sie das wirklich? Na ja. Ich würde mich ja gerne länger mit Ihnen unterhalten – aber leider fehlt mir die Zeit dazu. Sie verstehen sicher, dass ich noch eine Menge Arbeit zu erledigen habe. Mein Junge ist übrigens erstaunlich still in seinem Zimmer. Sehen Sie? Er sitzt garantiert vor seinem Monitor und spielt artig mit diesem neuen Spiel, dass er sich ausgeliehen hat. Wie hieß es noch gleich? ‚Schulmassaker’? ‚Killt den Mathelehrer’? ‚Die Zerstückelung des Kollegiums’? Ich hab’s vergessen. Ist ja auch egal. Hauptsache, mein Benjamin ist schön still beim Spielen. Ich kann jetzt in aller Ruhe das Fleisch fürs Mittagessen tranchieren, wenn ich bloß endlich das Tranchiermesser finden würde. Gestern steckte es doch noch im Messerblock...

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