Norbert Friehe

Jenseits der Fünfzig

 

Jenseits der Fünfzig

© Norbert Friehe
 
 
 
 
 
Als stolzer Besitzer einer Digitalkamera probierte ich vor einigen Tagen aus, wie ich denn so in einem Minivideo rüber komme. Ich positionierte den Apparat auf meinem PC, an dem ich eigentlich am meisten arbeite. Vorzugsweise dann, wenn mir mal wieder die Finger jucken und ich, meinem inneren Drang folgend, eine Geschichte schreiben will oder muss. Ständig geschieht irgend etwas, dem ich eine fröhliche, bitterböse oder gelegentlich auch mal eine besinnliche Seite abgewinnen kann. Von daher betrachtet, könnte ich ununterbrochen schreiben. Es sei denn, mein bester Freund Charlie, der Schäferhund, oder meine liebe kleine Frau stören mich.
Meinem suchenden und aufmerksamen Auge entgeht nichts. Auch nicht die Tatsache, dass sich bei näherer Betrachtung des Videos in meinem Gesicht und am Hals kleinere Fältchen niedergelassen haben. Es ist wirklich komisch. Am Hinterteil hat man Platz dafür aber dort bekommt man keine.
 
Ich kann mit ruhigem Gewissen von mir behaupten, dass ich nicht eitel bin. Dennoch verspürte ich den Drang, der Faltenbildung vor unserem Badezimmerspiegel auf den Grund zu gehen. Dort angekommen, legte ich den Kopf in den Nacken und strich mir wohlwollend über den Hals und befand, dass die angehenden Furchen doch gar nicht so tief sind, wie mir das dämliche Video vorgaukelte. Allerdings, wenn ich in normaler Haltung stand, sah das doch schon ein wenig bedrohlicher aus. Nicht so, wie bei dem berühmten Michelin-Männchen. Aber scheinbar würde ich in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren diesen Status erreicht haben. Mit dem Gedanken, dass wir alle nicht jünger werden, tröstete ich mich vorübergehend.
Und dann stach es mir ins Auge. Das erste graue Haar an meiner linken - oder war es die rechte - Schläfe grinste mich an. War es das einzige? Oder würde ich noch mehr finden?
‚Junge, sei ehrlich. Du bist jenseits der Fünfzig.’ , sagte ich mir. Damit kompensierte ich natürlich den unaufhaltsamen Alterungsprozess. Ich würde mich ins Unvermeidliche fügen müssen, war aber doch neugierig, wie viele von den grauen Strähnchen ich noch entdeckte. Mit einem zweiten, wesentlich kleineren Schminkspiegel aus dem Kosmetikfundus meiner Frau machte ich mich auf die Suche.
Und siehe da, an meinem vorderen Haaransatz entdeckte ich noch das eine oder andere graue Fähnchen nahe meiner Geheimratsecken, die schon seit meiner Kindheit meine Stirn zieren.
Auf geheimnisvolle Weise mussten meine erregten Schwingungen mein Weib erreicht haben, die plötzlich wie aus der Erde gewachsen neben mir stand. Ein wissendes Lächeln lag um ihre Mundwinkel und sie meinte lapidar: „Stell dich nicht so an. Ist doch alles an der richtigen Stelle. Auch dein Bauch.“
Das saß. Der graue Haaransatz wurde schlagartig zur Nebensache.
„Ich weiß selber, dass ich einen Bauch habe. Der ist auch das einzige in meinem Leben, was bezahlt ist.“, schloss ich genervt die Konversation. Als Junggeselle, immer auf der Jagd nach dem weiblichen Geschlecht, kannte ich so was wie einen Bauch überhaupt nicht. Diese Formulierung für einen ganz gewöhnlichen Ausdruck der körpereigenen Schwerkraft fehlte jahrelang in meinem Wortschatz. Ich spürte ihn nur, wenn ich Hunger hatte. Jetzt fühlte ich mein Gewölbe schon beim Schuhe zubinden  oder wenn ich den Hund nach einem Spaziergang im Regen abtrocknen musste.
„Was hast du nur mit meinem Bäuchlein.“, entfuhr es mir. Schließlich war meine Frau immer der Auffassung gewesen, dass ein Mann ohne Bauch ein Krüppel sei. Und ich vertrat die Meinung, dass ein Bauch vom Saufen besser wäre als ein Buckel vom Arbeiten.
Mir war klar, dass sie mir nicht zu nahe treten wollte. Ganz im Gegenteil. Sie ermahnte mich ständig liebevoll, meinen Körper doch so zu akzeptieren, wie er ist. Das wiederum traf bei mir nicht auf Gegenliebe, weil ich denke, dass Fixierung Stillstand bedeutet. Also werde ich mich gegen diesen kleinen Balkon über meinem Patengeschenk zur Wehr setzen. Die Muskeln, die ich noch hatte, setzte ich ein, um meine Polster zu bekämpfen.
„Du wirst einen Bauchtrainer benötigen.“ , ergänzte mein Schatz mit einem merkwürdigen Unterton.
„Wozu, ich habe schon einen Bauch.“ , entgegnete ich giftig, entschloss mich aber still und heimlich, die längst überfälligen Übungen, sprich Sit-Ups, in Angriff zu nehmen.
Vorläufig blieb es bei dem Vorhaben, weil ich das Training auf dem römischen Brett falsch ausgeführt hatte. Einige Tuben ABC-Salbe fanden ihren Weg auf das Planquadrat rund um meine Bandscheibe. Der gesamte Lendenwirbelbereich wurde sorgfältig damit eingerieben und mir war dort anschließend kochend heiß.
Es würde alles nichts helfen. Mir blieb nur noch die Alternative, meine Ernährung umzustellen. Dabei hasse ich alles, was auch nur entfernt nach Diät riecht.
Morgens keine Spiegeleier, mittags kein Eisbein mit Sauerkraut und Bier, abends keine Chips und so weiter. Stattdessen gibt es Möhrchen und Salat, wahlweise mit Gurken oder Schnittlauch. Auch eine Tomate durfte sich mal auf meinen Teller verirren. Zwiebeln wurden wegen der Geruchsentwicklung  komplett gestrichen und Knoblauch sowieso. Brot bekam ich nur noch in Krümeln gereicht, Brötchen kamen gar nicht mehr auf den Tisch, jedenfalls nicht auf meiner Seite und Kaffee trank ich auch nicht mehr. Dafür blockierten zahlreiche Wasserflaschen die Ecke, in der sonst immer eine Kiste Bier oder auch einige Flaschen feinen Rotweins standen.
 
Als ich nach mehreren Wochen dieser Tortur wieder vor dem verdammten Spiegel stand, war mein Bauch nicht weniger geworden. Im Gesicht hatten sich Sorgenfalten breit gemacht, weil mir aufgrund der Nahrungseinschränkung wichtiges Collagen fehlte, das die Haut an den richtigen Stellen glättet. Die Feldhasen saßen im Garten und heulten, weil kein Salat und keine Mohrüben mehr da waren und mir wurde immer elender, je öfter ich mein Spiegelbild betrachtete. So konnte ich mich selbst nicht mehr ertragen. Ich sah aus wie ein Bund Wurzeln. Wie der Tod auf Latschen.
Seitdem liebe ich mich und meinen Bauch, futtere wieder munter drauf los, habe die Kamera mitsamt Spiegel auf den Sperrmüll entsorgt und freue mich meines Lebens.
 
Auch mit Falten und grauen Haaren.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.10.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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