Martina Welack

Der Mann


Mit hastigen Schritten ging der Mann durchs Moor. Kalt war es. Es schneite. Weib und Kind hatte er hinter sich gelassen. Zuhause in der warmen Stube saßen sie wahrscheinlich. Redeten, lachten, redeten so einen verdammten Unsinn und aßen. Aßen sein Fleisch. Das Ergebnis seiner ewigen Jagd, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. Der Lohn war immer der selbe. Nämlich gar keiner. Sie würden ihn nicht mal vermissen.
 
 
Der Mann stolperte. Sein Schuh hatte sich in einer Wurzel verfangen. Er zog den Fuß zu sich und stand auf. Tränen hatte er in den Augen. Weinen – nein, weinen würden sie nicht für ihn. Nicht das Weib, welches immer dicker und dicker und dümmer und dümmer zu werden schien und nicht das Kind. Erst recht nicht das Kind. Es liebte nur die Mutter - und diese liebte nur das Kind. Alleine. Der Mann marschierte weiter, sein Ziel fest vor Augen. Er würde es allein zeigen. Früher oder später würden sie es bemerken, dann würden sie alle ihre eigenen Fehler erkennen. Doch dann wäre es zu spät.. viel zu spät für all ihre Reue.
 
 
Der Mann lachte leise auf. Dann zwang er sich zur Beherrschung und zu noch schnelleren Schritten. Er hatte wenig Zeit. Bald würde die Sonne aufgehen. Das helle, direkte Licht, welches ihn blenden würde und welches er schon deswegen so sehr hasste, weil die Menschen es mochten. Mehr als die Nacht mochten sie es. Doch er liebte das Dunkle. Am liebsten war ihm das Schwarz der Nacht ganz ohne die Sterne, den Mond oder sonstige störende Lichtquellen. Schwarz – wie in seinem Herzen. Kalt und verlassen. Der Schnee fiel.
 
 
 
Ein Rascheln im Gebüsch dicht neben dem Mann. Er blieb stehen. Und ebenso sein Herz. Dann erkannte er den Hasen, der im Schutze der Dunkelheit das Weite im Wald suchte. Der Mann fluchte leise. Warum nur hatte er ausgerechnet jetzt sein Jagdgewehr nicht dabei.. Erschrocken von seinen eigenen Gedanken schüttelte sich der Mann. Dann eilte er weiter.
 
 
 
Schließlich war er angekommen. Still, schwarz und geheimnisvoll glitzernd lag der See vor ihm. Kein Geräusch außer dem Wind in den Bäumen. Der Mann entledigte sich seiner Schuhe. Er ignorierte die Kälte des Schnees. Ihm war, als wäre es warm, wie an einem Frühlingstag. Der Mann hob einen großen Stein vom Boden auf. Mit einem mitgebrachten Stück Tau band er ihn sich fest um den Knöchel. Dann ging er langsam – den schweren Stein hinter sich herziehend – auf den Steg.
 
 
 
Er ging bis ganz ans Ende. Ein letztes Mal hatte er die Augen offen. Dann schloss er sie, als er sich vom Steg fallen lies und das kalte Wasser seinen Körper umspülte. Langsam und ruhig und mit einem glücklichen Lächeln sank er dem Grund des Sees entgegen. Die Nacht war kalt. Es schneite. Der Mann hatte sich selbst das größte aller Geschenke gemacht – er war frei. Es war ja auch Weihnachten.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.10.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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