Harald Haider

Wenn Rosen verwelken - 5.DIANA

 
5.DIANA
 
 
 
 
 
„Der Mann starb durch einen einzigen präzisen Stich ins Herz. Man fand ihn hier hinter dem Busch. Er ist voraussichtlich genauso lang tot wie das Mädchen. Todeszeitpunkt bei beiden war zwischen neun und zehn Uhr nachts. Wie wir bereits feststellen konnten, hatte der Mann den Auftrag eine Pizza zu diesem Haus an Türnummer 64 zu liefern. In dieser Wohnung wohnte das Mädchen, unser zweites Opfer. Wie uns der Chef der Pizzeria erklärte, hat sich Luigi Pierini, so ist der Name des Toten, seit seiner Fahrt zu diesem Wohnhaus nicht mehr gemeldet. Er wollte ihn schon als vermisst melden, weil er einen Unfall befürchtete. Weil er auch nicht an sein Handy ging, machte er sich schon Sorgen. Kommen Sie, Inspektor Dumont, da vorne haben wir auch etwas gefunden, was uns merkwürdig vorkommt.“ Dumont nickte dem Kollegen von der Mordkommission, dessen Name Jason Warwick war, zu und folgte ihm zu einer Reihe von Mülltonnen, die zum Wohnhaus gehörten. Warwick war erst am Vorabend aus seinem Urlaub zurückgekommen. Ansonsten unterstützte er Andre Dumont bei den Fällen, so gut er konnte. Aber ehrlich gesagt mochte ihn Dumont nicht besonders. Warwick hatte einfach eine ziemlich eigenartige Art, war oft ein komischer Kauz...aber Dumonts musste sich zugestehen, dass sich das einige, und das waren nicht gerade wenige, über ihn auch denken werden. Darum war er im Prinzip trotzdem heilfroh, überhaupt einen Gehilfen zu haben, der ihn bei den Ermittlungen unterstützen konnte. Gratuliere, Herr Kollege! Kaum zurück und schon gab’s wieder einen Haufen Arbeit. Dumont betrachtete neugierig die Bewegungen seines Kollegen, der sich zielstrebig einer bestimmten Mülltonne näherte. Warwick öffnete diese und ließ Dumont einen Blick gewähren. In der Tonne lagen eine Pizzaschachtel und eine Kappe, die sich auf dem zweiten Blick als die eines Pizzaunternehmens entpuppte. ‚Alessandro’ stand mit geschwungener Schrift darauf. Ja, so hieß die Pizzeria, in der das Mordopfer gearbeitet hatte. Was Dumont aber wirklich beunruhigte, war die Tatsache, dass beide Fundgegenstände voller Blut befleckt waren. „Wann wurde der Pizzaauftrag aufgegeben? Und von wem?“ fragte Dumont Mr. Warwick. „Wie uns der Pizzeriatyp erzählt hat, wurde die Bestellung um 20:33 Uhr aufgegeben. Von einem Mädchen namens Juliette Sanders...dem zweiten Mordopfer.“ „Kann ich jetzt den Tatort des zweiten Mordes sehen?“ fragte Andre voller Mitgefühl. Was war geschehen? Reihen von Gedanken schwirrten durch seinen Kopf. „Ja sicher, kommen sie“, kam prompt die Antwort. Dumont folgte dem Mann zum Wohnhaus, betrat es und wartete mit ihm auf dem Lift. „Die Wohnung ist in der fünften Etage“, erklärte Warwick ihm. Schon nach wenigen Sekunden öffnete sich der Aufzug und die beiden Männer fuhren zu jenem Stockwerk des Gebäudes, in welchem sich in deren Nacht ein schreckliches Szenario zugetragen hatte. Kaum hatten sie den Aufzug verlassen, bemerkte Dumont schon drei Beamte von der Spurensicherung, die am Stiegenhaus und vor einer Wohnung Spuren aufsammelten, der Wohnung mit der Türnummer 64. Auf dem Türschild stand ‚Familie Sanders’. Warwick und Dumont traten in die Wohnung ein. „Das Opfer liegt da vorne im Wohnzimmer, hier entlang!“ Inspektor Dumont folgte dem Mann zum Tatort. Zuerst konnte er das Mädchen nicht genau sehen, weil ein Beamter gerade vor ihr hockte, aber als er sich wegdrehte, verschlug es Dumont fast den Atem. Der leblose Körper des Mädchen war über und über mit Blut befleckt. Er lag auf dem gläsernen Wohnzimmertisch, eine Hand hing herab und strich leicht den Teppich, der früher leuchtend orange gewesen sein musste, aber nun ebenfalls nur noch rot war. Rot vom Blut von Juliette Sanders. Wieder war es ein verdammt hübsches Mädchen gewesen, dachte sich Dumont. Warum? Wieso nur? Die ewig ihn quälenden Fragen geisterten wieder durch seine Gedanken.  Und da sah er sie, die Rose. Sie lag auf dem nun mehr roten Hemd des Mädchens, verwelkt, aber trotzdem die Schönheit nicht verloren. Genauso wie bei Susan Thompson. Dumont war sprachlos. ER hatte wieder zugeschlagen. Er hatte fast schon gehofft, dass es jemand anderes war, jemand, der einem nicht so viele Rätsel aufgab wie dieser Mörder. Zwar hatte er es schon befürchtet, dass ER wieder gemordet hat, aber wahr haben wollte er es nicht. Und ein Nachahmungstäter? Nein, diese Tat wurde zu präzise, zielsicher und gnadenlos ausgeführt. Der Mörder hatte auf seine Chance gewartet und dann erbarmungslos und ohne Rücksicht auf weitere Menschenleben zugeschlagen. Und so eine dunkle Seele, die konnte nur ER haben. „Inspektor Dumont?“ Warwick führte ihn direkt zur Leiche. „Wir fanden drei Einstiche im Oberkörper, zwei davon waren vermutlich tödlich. Außerdem wurde sie vergewaltigt.“ Hoffentlich erst, nachdem sie tot war. Dumont hoffte, dass bereits der erste Stich den Schmerz beendete und sie nicht weiter leiden ließ. Was er nicht wusste, war, dass Juliette langsam und qualvoll starb, sich bis zur letzten Sekunden ihres Lebens weigerte, zu sterben. Vergebens. „Wir fanden das hinter der Couch“, deutete Warwick Dumont und zeigte ihm ein glänzendes Etwas. Bei genauer Betrachtung sah er, dass es ein Namensschild war, das man sich anknipsen konnte. Auf der Vorderseite stand in geschwungener Schrift ‚Luigi’ darauf, der Name des toten Pizzalieferanten. Es war sein Namensschild. Und plötzlich leuchtete Dumont das Szenario ein. Er konnte sich vorstellen, was zuvor hier passiert war. „Ich habe eine Vermutung, Mr. Warwick“, stammelte er. „Welche, Inspektor Dumont?“ „Wie ich vermute, wurde Luigi Pierini vor dem Gebäude überwältigt und getötet. Er versteckte die Leiche hinter dem Busch neben den Parkplätzen. Der Mörder nahm sein Namensschild, seine Kappe und natürlich die Pizzaschachtel mit Inhalt. Damit ging er zur Wohnung des Mädchens und täuschte ihr vermutlich vor, der Pizzalieferant zu sein. Sie macht ahnungslos die Tür auf und merkt erst zu spät die wahre Absicht des Mannes. Dann muss dieser sie ins Wohnzimmer gedrängt haben. Hier hat er sie auf dem Tisch dann vergewaltigt und getötet. Höchstwahrscheinlich hat er ihr gedroht, damit sie nicht schreit. Während der Tat muss er dann das Namensschild verloren haben. Nachdem er mit dem Mädchen ‚fertig’ war, legte er ihr noch die Rose über die Wunde. Er verließ vorsichtig das Gebäude und entledigte sich der Kappe und der Pizza, indem er sie in eine Mülltonne warf.“ „Klingt sehr plausibel, so ähnlich müsste es wirklich passiert sein“, meinte Warwick zustimmend. „Fand man bisher irgendwelche Spuren wie Hautfetzen unter ihren Fingernägeln?“ wollte Dumont wissen. „“Nein, leider gar nichts. Es scheint so, als ob sich das Mädchen vor lauter Schock gar nicht gewehrt hat. Nicht einmal, als er das Messer in ihr Herz stieß...wirklich tragisch, diese ganze Sache.“ „Ja, wirklich tragisch, ...wer hat das Mädchen gefunden?“ hakte der Inspektor nach. „Ihre Eltern kamen gegen zwei Uhr von einer Feier nach Hause. Mrs. Sanders hat dann die Leiche entdeckt. Beide sind momentan in ärztlicher Behandlung, sie sind nervlich am Ende. Juliette war ihr einziges Kind gewesen und auch noch ein wahrer Engel, wie einige Nachbarn mir erzählten. Immer zuvorkommend und hilfsbereit.“ Dumont merkte in Warwicks Blick und Gesten, dass ihm das Ganze auch ziemlich nahe ging. „Sie haben nichts von der Tat mitbekommen, eine ältere Frau aus der dritten Etage will aber gegen halb zehn Uhr ein krachendes Auto wegfahren gehört haben. Aber ehrlich gesagt, kann das jeder mit einem alten oder kaputten Wagen gewesen sein.“ Dumont nickte. Warwick hatte recht. Das war kein guter Hinweis, aber er hoffte, dass doch jemand etwas bemerkt hatte. Irgendetwas. Nur etwas, was Dumont bei der Klärung dieses Falles in die richtige Spur führte. Es durfte nicht noch mehr Opfer geben, kein einziges mehr. Aber leider sollten Dumonts Hoffnungen bei weitem nicht erfüllt werden.
 
Diana Hawkins biss voll Genuss in ihr Erdbeermarmeladenbrot, nahm abwechselnd immer einen Schluck Orangensaft, bevor sie erneut ein kleines Stück abbiss. Es war ein ruhiger Morgen. An diesem Tag war Diana schon etwas früher aufgestanden als sonst, so gegen sechs Uhr früh. Sie hatte nicht sehr gut geschlafen und darum wollte sie wenigstens jetzt beim Frühstück entspannen und alles genießen. Mit einem Ohr lauschte sie der wohltuenden Musik aus dem Radio, aber mit ihren Gedanken war sie nur bei Andre. Sie hatte in wirklich sehr gern. Ihr war es bis jetzt nie bewusst, wie gern sie ihn hatte. Sie kam sich vor wie ein Teenager mit dem ersten Liebeskummer. Genauso fühlte sie sich jetzt, obwohl noch gar nichts wirklich passiert war. Kleine Flirts, aber etwas Ernstes? Diana glaubte fest daran, dass etwas aus den beiden werden könnte, aber sie hatte eine schlimme Vorahnung, dass es nie dazu kommen würde.
 
So, jetzt wecken wir unseren Schatz einmal auf! Bin gespannt, wie sie auf mein Mail reagieren wird. Bald werden wir sehen, ob du wirklich etwas über mich weißt oder ob uns zwei nur das Schicksal zusammengeführt hat. Freu mich schon darauf. Kann es gar nicht mehr erwarten...Noch immer in Gedanken versunken führte seine rechte Hand den Mauszeiger am Monitor auf den Button mit der Aufschrift ‚SENDEN’. Ein schneller Klick und das Mail war schon unterwegs zu seinem Empfänger: Diana Hawkins. Ein zerfahrenes Grinsen im Gesicht des Mann mit dem schwarzen Trenchcoat verriet, dass er hochzufrieden. Er hatte nicht gedacht, so schnell eine neue Rose zu finden. Zwar würde es dieses Mal wahrscheinlich ein wenig schwerer werden, da er es mit einer Polizistin zu tun hatte, aber für Ms. Hawkins hatte er schon etwas Besonderes vorbereitet. Selbstbewusst erhob der Mann sich aus seinem Sessel und schnappte sich Fotoapparat und weitere Gegenstände, die er sorgfältig in eine Plastiktasche packte und damit zielsicher das heruntergekommene Gebäude verließ.
 
Schauen wir nun noch schnell, ob ich ein Mail bekommen habe. Diana nahm ihr tägliches Ritual vor, dass darin bestand, zuerst zu checken, ob sie jemand angerufen hat, sie eine SMS oder eine E-Mail bekommen hatte. Um die Wahrheit zu sagen, bekam sie nicht oft Post und Nachrichten. Sie war zwar eine attraktive Dame und hatte eine herzliche Art, aber sie war sehr schüchtern und misstrauisch gegenüber Männern. Sie wusste nicht, warum das so war. Der einzige, der wirklich Gefühle in ihr weckte, war ihr Arbeitskollege Andre Dumont. Lange Zeit hat sie es sich nicht zugeben wollen, aber nun war sie davon überzeugt. Ohne viel Zuversicht loggte sie sich auf dem Bildschirm mit ihrem Benutzernamen und Passwort ein und wartete darauf, zu ihrem ‚interaktiven Postkasten’ verbunden zu werden. Die einzigen Mails, die sie sonst bekam, waren Werbungen, Newsletter, sinnlose Programme oder witzige Dateien, welche sie von ihren Freundinnen geschickt bekam. Aber diesmal war zu ihrem Erstaunen noch ein anderes Mail dabei. Aber als sie den Absender las, lief es Diana kalt den Rücken runter. Das E-Mail stammte von ‚Angel021’.
 
Ah, da bist du ja! Hübsch siehst du aus! So unschuldig! Sag ‚Cheese!’, meine Süße Rose! Fünfmal klickte der Mann in seinem alten Ford auf den Auslöser des Fotoapparats, wie in Trance. Leise flüsterte er vor sich her. Er war besessen. Besessen von seinem neuen Opfer. Und wenn ER besessen war, dann hieß es, dass er alles unternahm, um dieses Opfer zu bekommen. Seine Rose. Der Mann blickte noch einmal hinauf zu dem Fenster im ersten Stock, wo man eine attraktive junge Frau vor dem PC sitzend sah. Mit einem hinterlistigen Lächeln wendete er sich ab und startete das Auto. Mit grausamen Hintergedanken fuhr er langsam davon und ließ die Frau im Fenster hinter ihm. Er konnte nur noch an sie denken und an ihren baldigen Tod. Es würde nicht mehr lange dauern. Nein, dafür würde er schon sorgen. Die Frau im Fenster war Diana Hawkins.
 
Mit beinahe zittrigen Händen führte diese Frau die Maus zum Menüpunkt ‚Öffnen der Nachricht’. Eine nicht beschreibbare Angst kam in ihr hoch. Was hatte sie getan? War es richtig gewesen, mit dem vermeintlichen Mörder von Susan Thompson zu chatten? Aber was war, wenn es gar nicht der Mörder war, mit dem sie vorgestern im Chat geplaudert hatte? Dann war ja alles in Ordnung, oder? Mit großem Unbehagen klickte sie auf den Button am Bildschirm und sogleich öffnete sich ein Brief darauf. Nun zitterte Diana am ganzen Körper. Es war der Mörder. ER war es. Sie hatte mit IHM gechattet. Er musste es sein. Mit Entsetzen las sie Zeile für Zeile angestrengt durch, mit der Hoffnung, sich zu irren. Zuerst fand sie nichts Verdächtiges, aber plötzlich entkam ihr ein dumpfer Schrei. Sie wollte ihn unterdrücken, aber das eine Detail im Brief ließ sie erschaudern. Nein, das konnte nicht sein! Nein!
 
 
Liebe Diana!
 
Wie geht’s meiner süßen Rose?
Ich vermisse dich schon.
Hab feststellen müssen, dass du mir noch immer kein Foto von dir geschickt hast.
War sehr enttäuscht darüber, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.
Was machst du immer so?
Kann nur noch an dich denken.
Komisch, wenn man bedenkt, dass wir uns kaum kennen.
Aber ich habe trotzdem das Gefühl, als ob wir so etwas wie Seelenverwandte sind.
Bei mir hat es sogar ein wenig gefunkt.
Freue mich schon, wenn ich dir direkt in deine schönen blauen Augen schauen kann.
Vielleicht hast du auch Interesse an einem Treffen.
Wenn es dir ein wenig zu schnell geht, verstehe ich das vollkommen.
Wir können uns via E-Mails weiter näher kennen lernen und wenn du bereit bist, brauchst du es mir nur zu schreiben, ich warte dann schon auf dich, meine Süße!
 
Kuss!
Erwartungsvoll,
 
Dein ‚Angel021’
 
Sie konnte es nicht fassen. Alle möglichen Gedanken rasten wie Eilzüge durch ihren Kopf. Sie versuchte sich an jeden Teil der Chatunterhaltung mit ‚Angel021’ zurückzuerinnern, aber ein Detail, DAS Detail fiel ihr nicht ein. Sie las entsetzt noch einmal die Zeile mit diesem Detail durch.
Freue mich schon, wenn ich dir direkt in deine schönen blauen Augen schauen kann.
Das war’s! Diana fing an bitterlich zu weinen. Zusammengekrümmt vor Angst kauerte sie auf dem Sessel und schluchzte vor sich hin. ‚...in deine schönen blauen Augen...’ Sie hatte ‚Angel021’ gegenüber nie ihre Augenfarbe erwähnt...
 
Die ganze Fahrt über zum Revier liefen alle Gehirnzellen von Inspektor Andre Dumont heiß. Nun waren es schon drei Mordopfer, wenn man Janette Peeters aus Dallas dazu nahm, sogar vier. Aber obwohl alles so brutal, so realistisch ablief, konnte Dumont noch immer nicht realisieren, wie das Ganze überhaupt möglich war. Paul Sylka. Ja, Paul Sylka war tot. Er konnte die Morde nicht begangen haben, aber trotzdem war etwas ziemlich faul an ihm. Warum ließen sich keine Fotos von ihm auftreiben? Alle verschwunden. Wieso? Was macht das für einen Sinn? Andre schüttelte den Kopf. Das konnte alles nicht wahr sein. Sollte er aufgeben? Nein! Direktor Payton hat ihm nun sein Vertrauen ausgesprochen und jetzt durfte er ihn nicht enttäuschen. Dieser Fall nagte zwar sehr an seiner Psyche, aber er musste es durchstehen, schon allein den Mordopfern zuliebe. Ihr Mörder gehört endlich gefasst. Es durfte keine Zeit mehr vergeudet werden. Er blickte flüchtig auf seine Armbanduhr. Schon fast zwölf Uhr mittags. Ja, die ganzen Zeugenaussagen und die ersten Tatortuntersuchungen hatten schon gewaltig Zeit gekostet. Besonders tragisch fand Dumont aber das Gespräch mit dem Hausarzt der Sanders, der sich um die beiden Eltern gekümmert hatte. Seiner Aussage nach kauerten sie eng umschlungen auf dem Sofa zusammen und flüsterten nur immer ihren Namen: Juliette, Juliette. Sie konnten nicht begreifen, warum so etwas Unfassbares, Grausames mit ihrer Tochter passieren konnte. Wie auch? Dumont konnte es auch nicht. Keiner konnte das. Wie konnte man schon einen Mord an einem unschuldigen Mädchen begreifen? Und auch noch auf so hinterlistige und brutale Art und Weise. Es war unmöglich. Andre Dumont bog langsam auf den Parkplatz des Reviers ein, mit den Gedanken aber nur bei den armen Eltern. Fast wie in Trance trat er ins Gebäude ein und ging mit schweren Schritten zum Bürozimmer von Direktor Edward Payton. Er musste ihm die neuesten Ergebnisse mitteilen, das war ihm auch schuldig. Nur, er hatte leider kaum brauchbare Ergebnisse. Mit einem tiefen Seufzer trat er ins Zimmer ein, wo er schon vom Chef erwartet wurde.
 
 

‚Dallas Morning News’ , Mittwoch, 23.Mai’01

 
ARLINGTON,TX- Der ‘ROSENMÖRDER’ hat wieder zugeschlagen! In der Nacht auf heute wurde die 18-jährige Juliette S. zu Hause brutal vergewaltigt und ermordet. Sie wurde durch drei Stiche ins Herz getötet und eine verwelkte Rose bei der Leiche hinterlassen. Diese Vorgehensweise entspricht dem gleichen Verhaltensmuster des Mörders, der auch Susan T.(19J.) umgebracht hatte(wir berichteten). Obwohl es die Polizei noch nicht offiziell bestätigen wollte, muss man davon ausgehen, dass es sich um denselben Täter handelt. Die Eltern des Mädchens, die die Leiche gefunden haben, sind momentan in ärztlicher Behandlung.
Auch ein Polizeibeamter war total geschockt: „Wie sie da so auf dem Tisch gelegen hat, alles voller Blut, das ging jeden ziemlich nahe. Dieser Mörder muss endlich geschnappt werden...das sind wir den Eltern der beiden Mädchen einfach schuldig.“
 
Vor dem Wohngebäude(Bild rechts), in dem Juliette S. gestorben ist, fand man auch eine zweite Leiche. Der tote Mann hieß Luigi Pierini, war 29 Jahre alt und arbeitete zuletzt in einer Pizzeria in der Nähe des Tatorts. In welchem Zusammenhang er mit den Mädchenmorden steht, konnte bis jetzt noch nicht geklärt werden.
 
Die Polizei richtet sich nun verstärkt an die Bevölkerung der Stadt:
Jeder sachdienliche Hinweis soll sofort beim Revier oder bei der Nummer 0346-789346 gemeldet werden. Man muss hoffen und beten, dass der Mörder bald geschnappt wird, damit die Menschen in Arlington endlich wieder ruhig schlafen können.
 
Aus Arlington, Texas                                                                                    Bob Niedermayer
 
 
Es war kurz nach Mittag, als Andre Dumont an die Bürotür von Diana Hawkins klopfte. „Hallo? Diana?“ Langsam öffnete er die Tür und lugte in den Raum hinein. Er musterte den Bürotisch, die unversehrten Unterlagen, den ausgeschalteten Computer. Wo war sie? Die Antwort sollte er schon wenige Sekunden bekommen. Ein anderer Mitarbeiter aus der Computerabteilung bog gerade um die Ecke. „Ah, Inspektor Dumont, suchen Sie Ms. Hawkins? Die hat sich für heute krank gemeldet.“ „Äh...danke...“ Was? Diana war krank? Da werde ich ihr kurz gute Besserung ausrichten. Er nahm sein Handy, wählte und ließ sich bei der Ankunft Dianas Nummer geben. Nach sechs Mal läuten legte Andre wieder auf. Diana ging nicht zum Telefon. Und das erste Mal verspürte er unwahrscheinliche Sorge um seine Kollegin. Er hatte das schreckliche Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war. Vielleicht war es besser, einmal zu ihr vorbeizuschauen. Nur zu sehen, dass alles passte. Ja, das würde er später tun. Noch ein wenig in Gedanken bei Diana machte er sich wieder auf dem Weg zu seinem Wagen. Jason Warwick und er hatten nämlich wieder einen Termin bei Dr. Arthur Patterson, dem Gerichtsmediziner.
 
Diana saß vor ihrem PC und starrte nur auf den Bildschirm, auf dem noch immer das Mail von ‚Angel021’ zu sehen war. Immer und immer wieder wollte sie sich an das Gespräch im Chat zurückerinnern. Hatte sie nun doch ihre Augenfarbe erwähnt? Sie war sich selber nicht mehr sicher. Die plötzliche Angst machte sie total verrückt. Was hatte sie alles geschrieben? Ja, dass sie dunkelbraunes Haar hatte, aber von ihren Augen war ihrer Meinung nie die Rede. Und was sollte sie jetzt tun? Wenn er wirklich wusste, dass sie keine Studentin, sondern eine Polizeiangestellte war? Was würde er tun? Ihr nur Angst einjagen wollen? Ja, das war ihm bereits gelungen. Aber das Ungewisse war, dass Diana noch immer nicht 100%-ig sicher sein konnte, dass dieser ‚Angel021’ DER ‚Angel021’ war, den alle suchten. Und man konnte ja immer noch nicht genau sagen, ob dieser ‚Angel021’ überhaupt in direktem Zusammenhang mit dem Mord an Susan Thompson steht. Obwohl natürlich alle Indizien auf ihn schließen. Vor allem die Rosen. Diana wusste selbst nicht mehr, was sie nun glauben sollte. Nur eins wusste sie: in diesem Zustand konnte sie wirklich unmöglich arbeiten. Darum hatte sie sich auch krank gemeldet. Um auf andere Gedanken zu kommen, schaltete sie den Fernseher ein, wo gerade die Nachrichten liefen. Diana holte sich noch schnell ein Glas Wasser und wollte sich gerade auf die Couch setzen, als der Bericht kam. Sie erstarrte. Fast wäre ihr das Glas aus der Hand gerutscht. Langsam, wie in Zeitlupe setzte sie sich nieder, gebannt auf die Bilder und der Reporterstimme achtend.
„In diesem Gebäude kam es heute Nacht zu einem Blutbad. Die 18-jährige Juliette Sanders wurde von einem noch Unbekannten in ihrer Wohnung vergewaltigt und anschließend brutal erstochen. Da man auch eine Rose bei der Leiche fand, muss man davon ausgehen, dass es sich um denselben Mörder handelt, der am letzten Samstag auch die 19-jährige Susan Thompson umgebracht hat. Die Polizei kann sich noch nicht erklären, welches Symbol diese Rose sei. Sie vermuten es als die ‚Visitenkarte’ des Täters, den man in Fachkreisen schon als den ‚Rosenmörder’ kennt. Aber ein weiterer Fund macht diesen Fall noch mysteriöser: In der Nähe des Wohngebäudes wurde die Leiche des 29-jährigen Luigi Pierini entdeckt, auch er wurde erstochen. Die Polizei wollte noch nicht Stellung nehmen, in welcher Verbindung die Opfer stehen. Auf jeden Fall wurde bei Pierini keine Rose gefunden...Ah, da ist der Inspektor von der Mordkommission...entschuldigen sie...“
Diana blickte entsetzt auf den Fernseher, konnte am Bildschirm Andre Dumont auftauchen sehen. Der Reporter richtete das Mikrofon auf ihn.
„ ‚Können Sie uns schon Näheres über die beiden Opfer sagen?’ ‚Nein, ich möchte noch nichts mitteilen, solange wir noch nichts wirklich Konkretes und Handfestes in der Hand haben. Nur eines will ich Ihnen sagen: Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um diesen dreckigen Schweinehund zu fassen...entschuldigung...’ ‚Kein Problem, danke für Ihre Stellungsnahme!’ Wir sahen gerade, dass sogar die Polizei einen Riesenhass gegenüber dem Täter empfinden, und wie ich meine, scheint es fast schon sicher, dass der ‚Rosenmörder’ wirklich alle drei Morde begangen hat. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, wenn wieder etwas Neues in dieser Angelegenheit passiert, sind wir wieder live für Sie da. Ihr Matt Cullen, Texas News Channel 5.“
Diana schüttelte den Kopf. Nein, das konnte nicht wahr sein! Es musste was passieren! Entschlossen stand sie auf und setzte sich wieder an ihren PC, in dessen Tastatur sie eilig Buchstabe für Buchstabe eintippte.
 
„Ah, Inspektor Dumont. Endlich sind Sie da, es ist dringend!…Wo ist übrigens Mr. Warwick? Ich habe gedacht, der ist schon aus dem Urlaub zurück.“ Dumont kam gegen dreiviertel eins in die Leichenhalle, wo er schon von Dr. Arthur Patterson erwartet wurde. „Warwick? Der hat seine Geldtasche am Tatort liegen gelassen und holt sie schnell. Er ruft mich hier an, wenn er sich auf dem Weg hierher macht. Also, warum wollten Sie mich nun so dringend sprechen?“ Dumont war ziemlich neugierig, weil Dr. Patterson hatte am Telefon aufgeregt geklungen. „Aha, dann komme ich zur Sache. Während an der Leiche vom Pizzalieferanten leider keine brauchbaren Spuren zu entdecken waren, wurde bei dem Mädchen ein männliches dunkles Haar gefunden. Hoffentlich haben wir Glück und es stammt vom Täter. Beide starben wie vermutet an ihren Stichverletzungen, die wieder sehr präzise ins Herz platziert wurden. Sie hatten keine Überlebenschance. Und wir können jetzt mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass wir es mit ein und demselben Täter zu tun haben. Es wurde dasselbe Jagdmesser bei den Morden gestern verwendet wie bei Susan Thompson. Ah, übrigens konnten auch in der gefundenen Kappe des Toten Haare gefunden werden, und zwar zwei verschiedene Strukturen, ein Art müsste vom Täter sein, die andere von der Leiche. Nachher werde ich gleich beginnen, die Haare von ihm“, er zeigte auf die männliche Leiche von Luigi Pierini, „mit den gefundenen vergleichen...aber eigentlich wollte ich Ihnen etwas ganz Anderes erzählen.“ Dumont horchte auf. „Ja, Dr. Patterson?“ „Ich hatte, nachdem wir das über diesen Paul Sylka herausgefunden haben, Nachforschungen angestellt und eine Untersuchungen anordnen lassen...“ „Welche Untersuchung?“ Andre Dumont wurde schon langsam neugierig. „Ich habe mit dem Labor in Dallas telefoniert und die waren sehr hilfsbereit bei meiner Bitte gewesen. Nachdem sie sich die Erlaubnis dazu geholt haben, bargen sie die Überreste von Paul Sylka aus seinem Grab. Der Körper war ja schon durch das Feuer sehr in Mitleidenschaft gezogen worden, was ja auch den Umstand ausmachte, dass er nur anhand seines Namensschild, welches zum Glück noch lesbar geblieben war, als Mr. Sylka identifiziert werden konnte. Die Leiche, die die Kollegen aus Dallas nun untersuchten, war noch dazu schon sehr stark verwest, aber ein großer Teil der Zähne waren noch sehr gut erhalten. So wurde das Gebiss untersucht und nach längerem Suchen auch Bilder von Paul Sylkas Gebiss angefordert. Man sagte mir, dass es gar nicht leicht war, seinen ehemaligen Zahnarzt ausfindig zu machen, aber wenigstens hatten sie Erfolg. Die Zähne der Leiche wurden genau mit den Röntgenbildern verglichen, und obwohl nicht mehr alle Zähne vorhanden waren, konnten sie ein klares Ergebnis feststellen...“ Dumont sah den Gerichtsmediziner mit starrem Blick an. Was hatten die aus dem Labor nun herausgefunden? „...Es konnte herausgefunden werden, dass die Leiche, die man aus Paul Sylkas Grab geborgen hat,...“ Dr. Patterson musste erst durchschnaufen, bevor er das unglaubliche Ergebnis Dumont kundgab. „...nicht Paul Sylka ist...“ Andre Dumont wurde kurz schwarz vor den Augen. Konnte es denn noch verwirrender werden? „Was? Sind Sie ganz sicher?“ „Ja, hundertprozentig sicher, Inspektor Dumont. Anhand der Röntgenbilder konnten einige ziemlich sichtbare Unterschiede zwischen den beiden Gebissen festgestellt werden. Es wurde mir versichert, dass kein Fehler vorliegt. Es ist nicht Paul Sylka, der in seinem Grab gelegen hat.“ „Das macht die ganze Sache noch mysteriöser. Wenn nicht es nicht Sylka ist, wer dann?“ „Ja, das ist eine gute Frage. Ich kann es selber nicht glauben. Um diesen Fall beneide ich sie wirklich nicht, Inspektor Dumont.“ „Na ja, am besten ist, Sie untersuchen noch die Haare, vielleicht bringen uns die einen Schritt weiter. Ich werde wieder zum Revier zurückfahren...und vielen Dank für Ihre große Unterstützung.“ „Kein Problem, schließlich wollen wir alle, dass der Mörder schnell hinter Schloss und Riegel kommt, nicht wahr?“ Dumont nickte nur kurz dazu, dann wandte er sich dem Ausgang zu. Plötzlich läutete sein Handy. Ah, das musste Warwick sein! Bin gespannt, ob er seine Geldtasche gefunden hat. Aber ein Blick auf das Display zeigte ihm eine unbekannte Nummer. „Inspektor Dumont, Mordkommission?“ meldete er sich. „Ja, hier ist Jason. Wollte nur sagen, dass die Geldtasche noch nicht >KNACK< aufgetaucht ist.“ Also doch Warwick. „Von wo rufen Sie an?“ wollte Dumont wissen. „Ich bin gerade in der Wohnung von den >KNACK< Sanders und mache mich gleich unterwegs bei Ihnen. Sind Sie noch in >KNACK< der Gerichtsmedizin?“ Inspektor Dumont wurde stutzig. Was war das für ein Knacken? „Warwick? Was knackt denn bei Ihnen so?“ „Was meinen Sie, Inspektor? Ich höre nichts.“ Dumont kam ein Gedanke. „Warwick? Schrauben Sie die Muschel vom Hörer herunter, schnell!“ „Warum? Na gut...ist ziemlich fest angemacht...so, hab's gleich.....Oh Mann!“ „Was ist, Warwick? Was haben Sie gefunden?“ „Inspektor, da ist eine kleine Wanze unter der Muschel eingesetzt. Was hat das zu bedeuten?“ Dumont konnte es nicht fassen. „Warwick? Sind Sie sicher, dass es eine Wanze ist?“ „Ja, absolut sicher, Inspektor.“ „Ok, fassen Sie nichts mehr in der Nähe des Telefons an, ich schicke das Team von der Spurensicherung noch einmal zu der Wohnung.“ „In Ordnung, soll ich jetzt zur Gerichtsmedizin kommen?“ „Nein, fahren Sie gleich zum Revier, ich habe Ihnen einiges zu erzählen.“ „Ok, Inspektor Dumont, bis gleich.“ Dumont beendete das Gespräch und steckte sich das Handy wieder in die Jackentasche. Kopfschüttelnd verließ er das Gebäude und ließ Dr. Arthur Patterson wieder allein mit seinen Untersuchungen.
 
Diana surfte mit vollem Einsatz durchs Internet. Sie glaubte, zuletzt irgendwelche wichtigen Homepages übersehen zu haben, welche irgendeine wichtige Spur ergeben könnten. Und zuerst wurde sie dieses Mal auch nicht fündig. Aber dann entdeckte sie auf einer Site die Adresse eines Professors namens Albert S. Atkinson. Er war ein Experte für Theorien über Ritualmorde und ihre Absichten. Und dieser Professor arbeitete zurzeit an der Universität in Arlington. Kurzerhand rief Diana dort an und ließ sich einen Termin mit ihm geben. Um zwei Uhr soll sie in sein Büro kommen. Sie notierte sich noch schnell die Adresse der Uni und surfte noch eine Weile weiter, es könnte ja noch etwas Interessantes im Web auftauchen. Aber sie hatte keinen Erfolg mehr. Momentan war Atkinson ihre einzige Hoffnung. Er könnte mithelfen, ein gutes Täterprofil zu erstellen. Es könnte wichtig für die Ermittlungen sein. Ein Blick auf die Zimmeruhr verriet Diana, dass es bereits fast 12 Uhr war. Sie würde sich noch schnell umziehen und sich dann langsam auf den Weg machen. Plötzlich hatte sie das Bedürfnis schnell unter andere Leute zu kommen, nicht ganz allein zu sein. Noch einmal musste sie an das Mail denken. Sie kam zum Entschluss, dass sie doch ihre Augenfarbe erwähnt haben dürfte. Nur durch all den Stress zuletzt war sie zu verwirrt gewesen, um einen klaren Kopf zu haben. Ja, so muss es gewesen sein. Wie sollte ‚Angel021’ denn sonst wissen, dass sie blaue Augen hat? Im ersten Moment hatte sie einfach überreagiert, genau, und sie glaubte, dass alles viel harmloser war als sie zunächst dachte. Leider irrte sie sich gewaltig. Sie hatte ‚Angel021’ wirklich nie ihre Augenfarbe erwähnt. War auch nicht nötig. ER findet sowieso alles heraus, was ER möchte, auch wenn es noch so schwer war. Eine knappe Viertelstunde später war Diana fertig. Sie holte sich noch ihre Handtasche und verließ anschließend ihre Wohnung. Als sie das Gebäude zu Fuß hinter sich ließ, folgten zufriedene Blicke ihren Schritten. Sie wurde aus einem alten Ford beobachtet, bis sie um die Ecke des Häuserblocks verschwand. Währenddessen läutete in Dianas Wohnung das Telefon. Andre Dumont wollte sich um ihr Befinden erkundigen, doch keiner meldete sich. Die Wohnung war leer. Dumonts Versuch endete nach mehrmaligem Läuten. Dann machte er sich auf zu Dr. Patterson, der ihm ja ziemlich schockierende Neuigkeiten zu erzählen hatte. Und während das Läuten in der Wohnung wieder verstummte, öffnete sich unten an der Strasse die Fahrertür des alten Fords und der Mann im Trenchcoat stieg langsam aus. Ein beunruhigendes Grinsen lag auf seinem Gesicht.
 
Endlich! Sie verlässt ihre Wohnung. Diana kann sich ruhig Zeit lassen. So, dann schauen wir mal an, wie meine hübsche Rose wohnt. Unbemerkt schlich der Mann hinauf zur Wohnungstür von Diana Hawkins. Mit erlernten schnellen Handgriffen öffnete er mit einem Dittrich langsam die Tür. Kaum in die Wohnung geschlüpft, machte er sie hinter sich wieder zu. Es soll ja keiner wissen, dass er hier war. Mit gezielten Schritten schlich er durch die Zimmer. Im Wohnzimmer wurde er fündig. Das Telefon stand in der Nähe des Fensters, in dem er heute früh Diana gesehen hatte. Mit flinken Griffen montierte er die Muschel ab und holte ein kleines Gerät aus seiner Tasche, die er mitgenommen hatte. Es war eine Wanze. Kaum drei Minuten später war alles zu seiner Zufriedenheit erledigt. Nur noch seine Fingerabdrücke entfernt, sicher ist sicher. Normalerweise wollte er gleich wieder das Haus verlassen, aber als er in das geöffnete Schlafzimmer reinlugte, wurde er neugierig. Behutsam öffnete er die Regale, erregte sich bei den Dessous von Diana Hawkins und entdeckte schließlich einen Fotoalbum, in dem Dutzende Aufnahmen seiner Rose eingeklebt waren. Da saß er nun auf Dianas Bett und sah sich wie total besessen Seite für Seite an. Mann, war sie toll! So ein Süße Lächeln hatte sie! Mit den schönen Fotos vergaß der Mann die Zeit. Als er das nächste Mal auf die Uhr im Zimmer blickte, musste er sich eingestehen, nun schon über eine halbe Stunde in dieser Wohnung zu sein. Ja, es wurde leider wieder Zeit zu gehen! Nachdem er das Fotoalbum wieder ordentlich verstaut und den Tuchent des Bettes glatt gestrichen hatte, verließ er das Zimmer und anschließend vorsichtig auch die Wohnung. Knapp vier Minuten später konnte man das Krachen und Aufheulen des Motors hören, als der Mann im Trenchcoat mit seinem Ford wegfuhr.
 
Mit einer unübersehbaren Enttäuschung durchquerte Diana Hawkins das Universitätsgelände. Dieser Prof. Atkinson konnte ihr zwar ein Täterprofil geben, aber eine richtige Erklärung über die Rosen konnte er ihr nicht geben. Laut seiner Theorie müsste der Mörder zwischen 30-40 Jahre alt und schon einige Male durch kleinere Delikte negativ aufgefallen sein. Außerdem hätte er ein bestimmtes Verhältnis zu seiner Mutter gehabt und eine schlechte Kindheit durchlebt. Er wäre unberechenbar und wurde total harmlos und normal aussehen. Unter einem Haufen anderer Leute würde man nie vermuten, dass er ein Serienmörder sei. Wenn man alle diese Punkte genau betrachtet, passt sie auf die Beschreibung ziemlich jedes mehrfachen Mörders. Darum war das Gespräch mehr oder weniger Zeitverschwendung gewesen. Gedankenversunken setzte sie sich auf die Bank der Bushaltestelle, wo sie sich den Fernsehbericht vom Vormittag noch einmal durch den Kopf gehen ließ. Ja, nun waren es schon drei Opfer. Wie weit sollte es noch gehen? Was wollte ER? ER wollte sie. Sie war jetzt seine Rose. Aber Diana konnte das ja leider nicht ahnen.
 
„Ah, Warwick, wissen Sie, ob man schon eine Spur von Ramon Hernandez gefunden hat?“ Dumonts Stimme wirkte fast gereizt. Dieser Fall spielte immer mehr mit seinen Nerven und immer dann, wenn er glaubte, es könne nicht mehr komplizierter werden, dann wurde er gleich darauf auf den harten und erbarmungslosen Boden der Tatsachen zurückgeholt. Wie sich herausgestellt hat, war auch das Telefon in Susan Thompsons Zimmer verwanzt gewesen. Susans und Juliette Sanders Eltern konnten sich zwar nicht erklären, wie jemand unbemerkt die Geräte bearbeiten konnte, aber schließlich gingen ja alle Elternteile auch in die Arbeit. Bei den Thompson hatte der Täter aber nur vormittags die Gelegenheit sein Ziel zu erledigen, da Jackie Thompson nur halbtags in einem Modegeschäft arbeitete. Der Täter muss also genaue Beobachtungen und Recherchen vorgenommen haben, um genau zu wissen, wann er die Wanze möglichst ungestört am Telefon befestigen konnte. Auch muss er gewusst haben, dass Juliette allein zu Hause war, also muss er vermutlich das Gebäude schon Stunden vor der Tat beschattet haben. Als er das Gespräch von dem Mädchen und der Pizzeria verfolgte, muss er seinen teuflischen Plan geschmiedet haben. Dann hatte er leichtes Spiel. Er gab sich als den Pizzalieferanten aus und gelangte so in ihre Wohnung. Ziemlich hinterlistig. Aber wie kam er in die Wohnung der Sanders hinein, um die Wanze zu platzieren? Durch das Fenster wohl kaum, die Wohnung lag ja bekannterweise in der fünften Etage. Wie die Leute von der Spurensicherung aber bereits entdeckt hatten, sind winzige Kratzspuren am Türschloss zu sehen, der Eindringling könnte einen Draht oder sogar einen Dittrich benützt haben. Aber woher hatte der Täter all diese Werkzeuge und Geräte? Andre Dumont würde sich ein wenig umhören. Es gibt sicher genügend verrückte Typen, die solche Sachen illegal zum Verkauf anbieten. Vielleicht würde er endlich auch ein bisschen Glück haben, obwohl heute hatte ja schon der Zufall mitgeholfen, um auf die Wanzen zu kommen. Warwick hatte die Geldtasche nicht verloren, nur in seinem Büro verlegt. Nach der Rückkehr von den Sanders hatte er sie gefunden. Ihm war’s ein bisschen peinlich, aber im Endeffekt war sein Irrtum Gold wert gewesen. Wenn man herausfinden könnte, wer solche Wanzen verkauft, würde es die Polizei im besten Fall zum Täter führen. Ja, im besten Fall. Es konnte aber auch sein, dass man weder den Verkäufer nicht ausmachen würde oder der sich nicht mehr an alle Käufer erinnern könnte. Alles war möglich. Inspektor Dumont hoffte, auch zu ihren Gunsten.
Jason Warwick hatte gerade sein Bürozimmer betreten und konnte Dumont nur eine negative Nachricht auf seine Frage geben. „Nein, leider nicht. Es scheint fast so, als ob sich dieser Ramon Hernandez nach seiner Kündigung in Rauch aufgelöst hat.“ Warwick wollte Dumont die bittere Antwort mit diesem Wortspiel etwas lockerer rüberbringen, aber er sollte damit voll ins Schwarze treffen. „Was haben Sie gerade gesagt? ...in Rauch aufgelöst...?...Ja, das ist es! Warwick, wenn das stimmt, was ich jetzt vermutete, ja dann bin ich Ihnen einen Drink schuldig. Danke, Warwick!“ Jason Warwick schaute nur verwirrt zu, wie der Inspektor eilig eine Nummer in sein Handy tippte und verließ verdutzt mit einem „Ja, dann bis später! Habe Ihnen gern geholfen!“ das Büro. Nichts ahnend, dass er mit seinem dahingesagten Satz Dumont bei der Aufklärung eines entscheidenden Teiles dieses mysteriösen Falls den entscheidenden Anstoß gab.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.10.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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