Hans-Peter Zürcher

Ausflug

 4. Oktober 2005

Schon früh am Morgen wurde ich von meinem Grossvater an diesem Sonntagmorgen abgeholt. Es war Frühsommer, ein schöner Tag kündigte sich an. Spazierstock, Sonnenhut, Gilet samt obligater Taschenuhr und Gabadöschen gehörten zu seiner Ausrüstung wie auch seine grosse lederne Umhängetasche. „ Ich möchte mit Peterli, „ so nannte mich manchmal mein Grossvater, besonders dann, wenn er eine Überraschung für mich vorbereitet hatte oder sonst etwas im Schilde führte, „ ein wenig über Land ziehen. Wir kommen heute jedenfalls nicht aufs Mittagessen zurück, ich habe etwas mit dabei „ meinte er zu meiner Mutter und weg waren wir. So zogen wir, ich an der Hand von Grossvater geführt, die Burghalde hoch Richtung Ruine Rosenburg. Es duftete nach Heu, denn überall auf den Wiesen rundherum wurde gemäht. „ Wohin gehen wir, Grossvater ? etwa auf die Rosenburg ? machen wir dann ein Feuer ? „ „ Nein, nein, du wirst dann schon sehen „ meinte er und ein schmunzeln überzog sein Gesicht, zwinkerte mir mit dem linken Auge zu „ wir machen heute einen schönen Ausflug „ Natürlich konnte ich unter dem Wort < Ausflug > nichts spezielles vorstellen, vor allem dann nicht, wenn kein Feuer gemacht werden soll.

Die Rosenburg liessen wir links liegen und schlugen den Weg zum Rödel ein. Im Wald war wieder so einiges los. Vogelgezwitscher rund herum und auf dem Weg das Laub vom letzten Herbst, das mit jedem Schritt ein rascheln erzeugte. Dann war da aber doch noch etwas zu hören, ein fernes Brummen, das von einem Flugzeug herrühren musste. Nicht weit von hier, im Breitfeld gab es einen Flugplatz für Kleinflugzeuge. An schönen Wochenenden war es daher nicht selten, dass über Herisau Geräusche von Flugzeug -motoren zu hören waren. In einer Waldlichtung wurde erst einmal eine Rast gemacht. Rittlings setzten wir und auf einen großen, geschälten Baumstamm. Mir gelang dies jedoch nur mit der Hilfe von Grossvater, der mich aufhob und vor sich hinsetzte, so dass wir uns gegenseitig anschauen konnten. Er zwinkerte mit dem linken Auge und begann zu schmunzeln. „ Wir sollten etwas trinken, schließlich sind wir schon über eine Stunde unterwegs, das gibt Durst „. Seiner Tasche entnahm er für mich eine Flasche Himbeersirup und für sich eine Flasche Bier. Nachdem er mir einen Becher dieser süßen, roten Saftes, der für mich so etwas wie ein Göttertrunk darstellte, eingeschenkt hatte, machte er sich an der Bierflasche zu schaffen. „ Weißt du noch, wie es letztes Mal gespritzt hat ? das müssen wir heute verhindern, denn das wäre schade um das feine Bier „, Langsam und vorsichtig öffnete er den Bügelverschluss und liess so den Druck aus der Flasche weichen. Dabei zischte es lustig. „ So, der Geist ist nun weg „, nahm einen großen Schluck aus der Flasche und noch einen, verschloss bedächtig die Flasche „ aa... das tut gut „. Dann erzählte er mir eine Geschichte von einem Zauberer, der konnte viele Sachen zaubern. Eine Flasche Bier mit nur einem leichten Schlag auf den Porzellankopf des Verschlussbügels öffnen, hervor zaubern oder verschwinden lassen, fliegen und vieles mehr. Er hatte mir einige seiner Künste verraten. Schau „ ... und bevor ich begriff was los war, holte er ein Fünffranken - Stück aus meinem linken Ohr. Ich staunte nicht schlecht, < das muss ich morgen in der Schule erzählen, dass mein Grossvater zaubern kann.  Zaubern, ja das möchte ich auch können. Hmm, was würde ich damit alles anstellen >. „ Komm, wir müssen weiter, du kannst dann heute Nacht träumen.

Nun hatten wir für die nächste halbe Stunde ein Thema. Darob bemerkte ich vorerst nicht, dass an diesem Sonntag viele Flugzeuge unterwegs waren. Als wir dann aber kurz vor Winkeln aus dem Wald aufs freie Feld wechselten und ein Doppeldecker tief über unsere Köpfe hinweg flog, wurde unser Gesprächsthema in eine andere Richtung gelenkt. „ Schau mal, wie tief der fliegt „ rief ich meinem Grossvater verängstigt zu, hielt mich an seiner Hand fest und sagte weiter „ wieso macht er das, stürzt er jetzt ab „. Ich hatte noch nie ein so tief fliegendes Flugzeug gesehen, denn wenn einmal eins über unser Haus flog, war es viel höher. „ Schau, Hans-Peter, da kommt schon wieder eins ... und dort hinten ist ein Flieger am starten. Du, komm wir gehen einmal schauen, was da los ist auf dem Breitfeld „. Dass es auf dem Breitfeld auch ein Flugplatz gab, wusste ich bereits von einem anderen Ausflug her, als wir im Rosenwald die Rehe beobachtet hatten. Das war vor zwei Jahren, < ich war damals noch im Kindergarten aber jetzt bin schon groß und in der zweiten Klasse >.

Von weitem waren die Hangars mit ihren runden, gewölbten Dächern sichtbar. Überall hohe Fahnenstangen mit langen, grün – weißen Fahnen behangen, die im leichten Wind lustig flatterten. Über den weit geöffneten, großen Toren der Hangars hingen riesige  Schweizerfahnen. Auch grosse Luftballons, ähnlich grosser Spielbälle, standen zwischen zwei Hallen und Flugzeuge verschiedenster Art und Größe standen herum. Als wir näher kamen, hörten wir eine Musikkapelle spielen und über dem Platz kreuzte ein Flugzeug durch die Lüfte, mit einer langen Fahne nach sich ziehend, die beschriftet war. „ Was steht auf der Fahne, Grossvater? “ „ das ist keine Fahne, sondern ein Spruchband, < St. Galler Flugtage > steht darauf „. Mit Spruchband konnte ich nichts anfangen, für mich war das eine Fahne. Auf dem Breitfeld war einiges los, eine Fest -wirtschaft war ebenso vorhanden wie Bratwurststände. Sogar ein Pferdekarussell mit Orgelmusik.

„ Heute gibt es dann eine feine Bratwurst, aber erst schauen wir uns die  Flugzeuge und die großen Luftballons an „. Diese waren nun wirklich riesig anzuschauen. Grosse geflochtene Körbe mit vielen Seilen, an denen kleine Fahnen flatterten und über die Ballons waren grosse Netze gespannt, die eben an diesen Seilen befestigt waren. In den Körben standen Leute, wie auch um die Körbe herum. Der Platz der Ballons war abgesperrt, man konnte nicht näher heran treten, das war auch gut so. Nun erhob sich in Abständen von einigen Minuten einer nach dem anderen langsam vom Boden und entschwand in das Bleu des Himmels. Ei, war das ein Schauspiel. Eifrig warfen die Leute auch etwas aus den Körben. „ Was machen die denn da? “, fragte ich Grossvater. „ Die werfen Ballast ab, damit sie an Höhe gewinnen „. Lautsprecherdurchsagen, Flug -zeugmotoren, Musikfetzen der Blasmusik und von der Karussellorgel, all dies gab mir zusammen mit dem Geruch der Bratwürste ein Gefühl von Jahrmarktstimmung und dies mitten im Sommer.

„ Was meinst du Peterli, wollen wir einen Rundflug machen, so kannst du einmal die Welt von oben sehen „. Ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben, so fragte ich zurück „ wie meinst du das, die Welt von oben, als wir letzten Herbst auf dem < Säntis > waren, haben wir die Welt auch von oben gesehen und das hat mir gereicht! „. Vor allem meine Mutter stellte sich damals an, als würde die Welt untergehen. Bereits beim betreten der Gondel der Säntisschwebebahn ging das Theater los, dabei freute ich mich riesig auf dieses Abenteuer, denn außer im Riesenrad am Jahrmarkt konnte ich noch nie in die Höhe entschweben. Also, beim betreten der Gondel der Säntisschwebebahn ging’s schon los mit irgendwelchen Absturzgedanken und als sich das Gefährt dann in Bewegung setzte, da gingen ihr die Nerven vollends durch. Ein Gejammer, ein Gestöhn und bei jeder Mastüberfahrt ein Aufschrei, als müsste die Gondel jeden Augenblick abstürzen. Oben auf dem Säntis war es dann unmöglich, sie von der Station hinunter zum alten Gasthaus zu bewegen. Mir kam dieses Geschrei irgendwie bekannt vor, es war einige Monate früher, als wir auf einem Familienausflug waren, nur war es damals Grossmutter. Ich glaube, das war das erste und auch letzte Mal, dass unsere Mutter in eine Schwebebahn oder etwas ähnliches, das sich auch nur einen Meter vom Boden abhob, getraute einzusteigen.

Also ... < einen Rundflug, Mutter war nicht dabei, da kann ja eigentlich nichts schief gehen > ging mir durch den Kopf < warum denn eigentlich nicht? >. „ Wenn du meinst, gerne „, gab ich Grossvater zur Antwort. Doch plötzlich kamen in mir Zweifel auf „ So ein Flugzeug, ist denn so etwas auch sicher, und wenn dann ein solches abstürzt, und erst noch das, wo wir drin sitzen? Was machen wir dann „. „ Bapper la bapp „ meinte Grossvater „ brauchst keine Angst zu haben, da passiert doch nichts, das Wetter ist schön, die Sicht ist gut und die Piloten sind ausgebildet „. Schon standen wir vor einer großen Tafel, auf der Passagier – Rundflüge angeboten wurden und eh ich mich richtig umsehen konnte, saßen wir in so einem Flugzeug. Die vorderen Flügel waren über dem Cockpit angeordnet. „ Die ist gut für die Aussicht „, meinte Grossvater. Der Pilot war ein älterer Herr, in einem weißen Überkleid und einer Schirmmütze bekleidet. Seine freundliche Art flösste mir Vertrauen ein, nur, seiner Einladung folgend, vorne neben ihm zu sitzen, das wollte ich nicht. Also wurde ich hinten, an der rechten Seite neben Grossvater platziert. Ein bisschen mulmig war es mir schon, aber Angst brauchte ich nicht zu haben, denn Grossvater war ja mit dabei.   

Die Piste war eine gemähte Wiese mit seitlich aufgepflanzten Fähnchen und auf einer hohen Stange bewegte sich im schwachen Wind ein roter Schlauch. „ Damit sieht der Pilot, woher der Wind kommt, das ist wichtig beim starten und landen. „ erklärte mir Grossvater. Der Pilot hatte einen großen Kopfhörer an und redete andauernd mit jemandem. Plötzlich wurden die Motorgeräusche stärker und lauter, das Flugzeug wackelte und rüttelte, als wolle es uns wieder ausspucken und hui, schon waren wir einige Meter über Boden. Nun gab es kein zurück mehr. Verkrampft hielt ich die Hand von Grossvater. Ich schaute ihn an und hatte das Gefühl, dass er auch schon mehr Farbe im Gesicht hatte. Dann liess ich meinen Blick langsam zum Fenster schweifen. Links und rechts war nur Himmel zu sehen, auch vorne beim Piloten, das Motorgeräusch wurde allmählich ruhiger und gleichmäßiger. Unverhofft kippte die Flugmaschine nach links weg und schon lag ich im Arm meines Grossvaters und hielt mich verkrampfend an ihm fest. Mit geschlossenen Augen und  zitternd vor Angst und getraute ich mich nicht zu bewegen. Allerlei ging mir in diesem Augenblick durch den Kopf und ich wünschte mir, nicht in dieses Vehikel eingestiegen zu sein.

Das Flugzeug war immer noch in Schräglage „ unten links liegt St. Gallen, wir drehen über das Breitfeld ab und fliegen dann direkt in Richtung Alpstein „ erklärte der Pilot. Langsam richtete sich die Flugmaschine wieder in seine normale Lage und ich getraute mich nun auch wieder langsam aus dem Fenster zu schauen. Aber ich sah rund um nichts anderes als Himmel, also rückte ich nah an das Fenster und liess langsam meinen Blick hinunter schwenken. Erst zögernd, dann staunend schweifte min Blick über die Weite der Landschaft. Als hätte der Pilot dies bemerkt, sagte er, „ unten recht liegt Herisau weiter hinten Schwellbrunn, Waldstatt „. Von hier oben sah alles Flach aus, zwischen Herisau und Schwellbrunn war kein Höhenunterschied ersichtlich. „ Unten Urnäsch, dann links Appenzell, hinten links der Bodensee und vor uns der Alpstein „ erklärte der Pilot weiter. Kaum zu glauben, das wir in dieser kurzen Zeit so weit gekommen sind. Die Angst vergessen, konzentrierte ich mich nun auf die Landschaft unter uns. Über das ganze Appenzellerland waren viele einzelne Häuser verstreut, dann wieder Siedlungen und Dörfer. Wälder waren als grosse, grüne Flecken ersichtlich, die Berge des Alpsteins sahen aus wie graue Wellen mit weißen Schaumkronen, die sich aus Schneefeldern bildeten. „ So, nun werden wir unseren Alpstein einmal etwas näher anschauen „ sagte der Pilot und ging die Flugmaschine in einen steilen Sinkflug über. Vom Altmann her Richtung Säntis Flogen wir nun etwa in Höhe des alten Gasthauses, also tiefer als der Säntisgipfel. Selbst die Berggänger, die die Treppe vom Gipfel zum Gasthaus unterwegs waren oder die Gäste vor dem Restaurant konnten nun ganz deutlich erkannt werden. Mit Taschentüchern wurde uns heftig zugewinkt. Um die Gyrspitze herum und auf der Vorderseite des Säntis überflogen wir dann die Schwebebahn. Nur kurze Zeit später befanden wir uns über dem Walensee. Unmerklich, aber stetig haben wir wieder an Höhe gewonnen. Eine steile Rechtskurve führte uns wieder über das Appenzellerland aber nun wieder im Sinkflug ziemlich tief über Schwellbrunn und Herisau in Richtung Breitfeld. „ Sieh, da unten, unser Haus „ sagte Grossvater ganz aufgeregt und Tatsächlich, das blecherne Flachdach wer ganz deutlich zusehen. Neben dem Haus die Sägerei, rechte unten die Rosenburg. Alles war so nah beieinander, links unten der Gübsensee, weiter hinten die Stadt St. Gallen und eh ich alles recht Begriffen hatten, setzte das Flugzeug auf der Graspiste auf, machte noch  zwei, drei kleine Luftsprünge als wolle nochmals abheben, der Motor heulte kurz auf und aus. Dies war also nun der Ausflug, den Grossvater heute Morgen so geheimnisvoll angekündigt hatte. Der Pilot drückte noch an einigen der vielen Schalter und Hebel herum. < Wenn dies Mutter gewusst hätte, die hätte mich nicht aus dem Haus gelassen > ging mir durch den Kopf < da hätte ich aber viel verpasst, das war ganz etwas anders, als der  Ausflug mit der Schwebebahn auf den Säntis oder eine fahrt mit dem Riesenrad>.  

Wie ich aus dem Flugzeug kam weiss ich nicht mehr, ich fühlte mich unsicher auf dem sicheren Boden und ein wenig wackelig in den Beinen. Vom erlebten noch ganz benommen „ Wie wäre en nun mit einer Bratwurst? „, hörte ich wie aus der Ferne Grossvater fragen. Ich wusste nicht, hatte ich nun geträumt, oder waren wir wirklich richtig geflogen, in einer richtigen Flugmaschine hoch oben durch die Lüfte. Nun begann ich erst so langsam zu realisieren, was da in der letzten Stund abgelaufen war. ... eine Bratwurst, ja das wäre jetzt gut!

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