Harald Haider

Wenn Rosen verwelken - 7.GEFÜHLE

7.GEFÜHLE
 
 
 
Als Andre Dumont so vor der verschlossenen Wohnungstür von Dianas Appartement stand, überlegte er, ob er seine Kollegin  wirklich besuchen sollte. Schüchtern trat er im Treppenhaus von einer Wand zur anderen. Verunsichert blickte er auf die schöne rote Rose  in seiner rechten Hand, die er beim Blumenhändler zwei Strassen weiter gekauft hatte, und schloss nachdenklich seine Augen. Eines war ihm im Laufe der turbulenten vergangenen Tage klar geworden. Seine Gefühle gegenüber seiner überaus hübschen Kollegin wurden immer intensiver und heute hatte er so richtig gemerkt, wie sehr er ihr Gesicht, ihr bezauberndes und aufmunterndes Lächeln vermisst hat. Diana brachte wieder etwas mehr Licht und Freude in sein sonst so tristes Leben. Mit einem Kribbeln im Bauch drückte Andre einmal auf die Türklingel. Nichts regte sich. Andre konnte kein Geräusch aus der Wohnung vernehmen. Vielleicht was sie ja gar nicht zu Hause. Noch einmal betätigte der von den emotionalen Ermittlungen physisch und vor allem psychisch angekratzte Inspektor die Klingel. Sie schien wirklich nicht da zu sein. Mit einer leichten Enttäuschung wollte sich Andre bereits wieder Richtung Treppe machen, als er die leise Stimme von Diana hörte. „Andre?“ Seine Kollegin hatte ihn durch den Türspion erkannt und öffnete langsam die Wohnungstür. „Was machst denn du hier?“ Andre schaute tief in Dianas Augen und bemerkte sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. „Hi Diana. Ich wollte mal schauen, wie es dir geht…ah, die ist für dich!“ Andre streckte ihr die Rose entgegen und musterte dabei mitfühlend ihren traurigen und glasigen Blick. Auf einmal konnte sie sich nicht mehr länger halten. Diana fing bitterlich zu weinen an. Andre trat zu ihr in die Wohnung und schloss hinter sich die Tür. Er legte die Rose auf ein nahe gelegenes Regal und berührte vorsichtig ihr Gesicht. Dann nahm er ihren Kopf und legte ihn an seine Brust. Was war passiert? Warum war Diana so niedergeschlagen? Aus welchem Grund fing sie einfach zu weinen an, nachdem sie sein Mitbringsel gesehen hat? Selbst ziemlich verwirrt musste er miterleben, wie diese liebenswerte und immer gut aufgelegte junge Dame in seinen Armen lag und total fertig und verzweifelt zu sein schien. Mit sanften Bewegungen strich Andre ihr sanft durch ihr langes Haar. Und dann ließ er seinen Gefühlen freien Lauf. Er küsste behutsam ihre Stirn, ihre Wangen. Und tatsächlich schien Diana ruhiger zu werden. Mit leichter Ungläubigkeit sah sie ihn an. Und dann schenkte sie ihm ein leichtes Lächeln. Mit einem Taschentuch wischte er ihr die Tränen aus dem Gesicht. Dann schloss er aufgeregt seine Augen und küsste sie auf ihre runden schönen Lippen. Diana erwiderte seinen Kuss. Sie küssten sich erneut und intensiver. Nachdem sie ihre Hände auf seine Schultern gelegt hatte, flüsterte Diana ihm glücklich ins Ohr: „Endlich bist du da!“ Leichte Tränen flossen erneut über ihre Wangen, doch schienen es jetzt Tränen der Freude zu sein. Und in diesem Augenblick wurde Andre erst klar, dass Diana ebenso tiefe Gefühle für ihn hegte wie er für sie. Ihre Lippen suchten erneut seinen Mund. Liebevoll sahen sie sich an. Die Minuten verstrichen. Die beiden kamen sich immer näher. Mit einem Funkeln in ihren wieder strahlenden Augen führte Diana ihren Kollegen in ihr Schlafzimmer. Sie zog ihn auf ihr weiches Bett. Während sie sich weiter küssten, entledigten sie sich gegenseitig ihrer Kleidung. Anschließend versanken sie in ein Meer von Gefühlen, wie sie beide sie in ihrem Leben noch nie so schön und atemberaubend erlebt hatten.
 
Es war kurz vor zehn Uhr nachts, als der Mann im schwarzen Trenchcoat die Autobahn Richtung Arlington verließ. Knapp zwanzig Meilen waren es noch bis zur Stadt. Sein rostiger Ford krachte durch die zu dieser Tageszeit wenig befahrenen Strassen. Auf dem Rücksitz und im Kofferraum waren Dutzende Kartons und Pakete gestapelt. Auf einigen konnte man deutliche Blutspritzer erkennen. Spuren, die an das kürzlich begangene Verbrechen erinnerten. Joe Preston war wie ein armes Schwein abgeschlachtet worden. Jeder Augenzeuge wäre noch immer geschockt über diese brutale Tat gewesen, doch der Mörder fuhr regungslos durch die Nacht. Er steuerte seinen alten Wagen wie in Trance durch die Kurven. In seinen dunklen Augen herrschte Leere. Plötzlich stieg erstark auf die Bremse und blieb mitten auf seiner Fahrspur stehen. Langsam und zitternd öffnete er die Fahrertür und trat mit wackeligen Schritten auf die Strasse So stand er da, verwirrt auf dem von den milden Tagestemperaturen noch aufgeizten Asphalt und starrte in den klaren Sternenhimmel. Mit unsicheren Bewegungen ging er von seinem Wagen weg und näherte sich dem kleinen Waldstück neben der Strasse. Er schlich durch die dunkle Umgebung der großen Bäume und Sträucher, ohne jegliches Ziel. Die auf dem Waldboden liegenden dürren Äste knackten unter seinen Schritten. Dann blieb er plötzlich wie angewurzelt stehen. Er ließ seinen Blick wieder Richtung Himmel schweifen. Schwach leuchtete der Mond durch die Baumkronen. Der Mann im schwarzen Trenchcoat musste einmal kräftig schlucken. Er schloss seine Augen und fing an zu summen. Es klang wie ein bekanntes Kinderlied, nur wirkte es aus den Lippen dieses Serienmörders makaber und unheimlich. Das Gesumme ließ ihn alles um sich herum vergessen. Nur so kann man verstehen, wie er das schrille Hupen von mehreren Wagen überhören konnte. Sein Ford blockierte die gesamte Fahrbahn, doch dem Mann schien das mehr als egal zu sein. Wie er so Kinderlieder summend durch die Bäume torkelte, sah er aus, als stünde er unter Hypnose. Seine Augenlider zuckten wild herum, während er sie fest geschlossen hatte. Irgendwie schaffte er es ohne Zusammenstoss mit einem der riesigen Tannen und kam schließlich auf eine Lichtung. Abrupt beendete er das Gesumme und stand einfach so da. Langsam öffnete er seine Augen wieder und sah sich um. Sein Blick blieb am hell erstrahlenden Mond hängen. Er starrte ihn intensiv an. Und dann fing er an hysterisch zu lachen. Es war das Lachen eines Irren, eines Mannes, der seinen Verstand komplett zu verloren haben schien. Kaum zu glauben, dass dieser Mann in den vergangenen 24 Stunden für drei Morde verantwortlich war. Das Lachen wurde immer schriller. Der Mann stieß seinen Kopf dabei nach hinten, dann wieder nach vorne. Er wirkte wie ein Besessener in einem Horrorfilm. Die Augen verdreht, den Mund weit offen, von einer Seite rann ihm Speichel übers Kinn und tropfte anschließend auf den Trenchcoat. So stand er da und lachte. Dann brach er dieses wahnsinnige Gelächter auf die Sekunde ab und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das Gras unter ihm. Plötzlich verwandelte sich dieses Lachen langsam aber sicher in ein irres Weinen. Der Mann sank auf die Knie zusammen und fiel in die leicht feuchte Wiese. Benommen blieb zunächst regungslos liegen, sah verwirrt um sich und hörte zunächst auf zu weinen. Verängstigt schloss er seine Augen und lag weiter einfach da. Zitternd zog er langsam seine Körperteile zusammen und blieb in Embryohaltung liegen, etwas Unverständliches brabbelnd. Er begann ein wenig zu schluchzen, Tränenperlen sammelten sich in seinen Augen. Aus dem Schluchzen wurde erneut ein Weinen. Nein, kein normales Weinen, es war fast wie ein Kreischen. Es klang in etwa wie ein Reh, welches in eine Bärenfalle getreten war und nun gefangen und voller Schmerzen um Hilfe plärrt. Es dauerte einige Minuten, bis er sich wieder so halbwegs gesammelt hatte. Dann wurde es ganz still auf der Lichtung. Der Mann im schwarzen Trenchcoat war friedlich eingedöst. Von fern hallten noch kurze Hupgeräusche. Das Verhalten des ‚Rosenmörders’ war nicht zu begreifen. Da tötet er noch wenige Stunden zuvor einen hilflosen Menschen kaltblütig und ohne Emotionen und jetzt lag er zusammengekrümmt wie ein Häufchen Elend im Gras. Was ging nur in ihm vor?
 
Der Inspektor und seine Kollegin lagen glücklich zusammengekuschelt unter dem knallroten Tuchent. Sie hatten endlich zusammen gefunden. Im Schlafzimmer herrschte romantische Atmosphäre. Diana hatte ein paar Kerzen angezündet und um das Bett herum aufgestellt. Aus dem CD-Player erklang die sanfte Stimme von Dido mit ‚Here with me’. Es war wunderschön gewesen. Sie hatten sich zärtlich und leidenschaftlich geliebt. Man merkte, dass beide schon lange darauf gewartet hatten. So wurde es etwas ganz Besonderes für sie. Nun lagen sie da, aneinander geschmiegt, nicht mehr zu trennen. „Andre?“ Diana wandte sich dem Gesicht ihrer neuen Liebe zu. Sie konnte es noch gar nicht richtig realisieren, wahrhaft glauben. Endlich hatte er sich getraut seine versteckt gehaltenen Gefühle offen zu zeigen. Ehrlich gesagt musste sie sich eingestehen, dass auch sie zu schüchtern damit umgegangen ist. Doch nun war sie sehr zufrieden, dass er an diesem Abend gekommen war. Diana brauchte im Moment dringend jemanden, der ihr Sicherheit und Geborgenheit gab, ihr Liebe schenkte. Darum musste sie ihm alles nun erzählen. Denn sie hatte große Angst. Unbeschreibliche Angst. Ok, sie war vielleicht nicht die nervenstärkste Frau, doch ein weinerliches Mauerblümchen war sie auch wieder nicht. Und ihre Angst fand sie berechtigt. „Ja, mein Engel?“ Seine gefühlvolle Stimme war wie Balsam für ihre angeknackste Seele. Diana sah ihm ganz tief in seine Augen und öffnete Andre ihr Herz. „Er war hier…“ Andre wusste nicht, wen Diana damit meinte. „Wen meinst du?“ „’Angel021’ war heute in meiner Wohnung…glaube ich zumindest…“ „Was?“ Entsetzt und ungläubig starrte der Inspektor seine hübsche Geliebte an, in deren Augen sich bereits wieder Tränen sammelten. Tränen der Angst. Er bemerkte, wie Diana fest ihre Lider schloss und seufzen musste. „…ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich glauben soll…vielleicht drehe ich nur durch…“ Ein hoffnungsloses und verzweifeltes Lächeln spiegelte sich auf ihrem Gesicht. Andre konnte nur verdutzt warten, bis Diana weitererzählen würde. Doch es vergingen lange Sekunden, bis sie im Stande war, mit ihrem haarsträubenden Bericht fortzufahren. „Alles hat am Montag begonnen. Ich wollte dir etwas unter die Arme greifen und habe im Internet nach Informationen recherchiert. Irgendwann bin ich in den lokalen Chatroom gesurft, in dem Susan mit diesem ‚Angel021’ Kontakt hatte. Zuerst wusste ich nicht einmal, warum ich diese Seite geöffnet hatte. So wollte ich bereits wieder woanders weitersuchen, als ich plötzlich den Nickname des Verdächtigen am Monitor erblickte. Mir war nichts anderes übrig geblieben, als mit ihm ein Gespräch zu beginnen. Ich wollte unbedingt herausfinden, ob es wirklich DER ‚Angel021’ war, den wir suchten…“ „Und?“ Andre Dumonts Gehirnzellen fingen in diesen Momenten wieder kräftig zu arbeiten an. Er konnte es gar nicht erwarten, bis Diana fortfahren würde. Doch warum hat sie ihm nicht schon damals darüber Bericht erstattet? „…ich weiß nicht. Um auch weiterhin nähere Recherchen unternehmen zu können, musste ich ihm meine E-Mail-Adresse geben…“ „Du hast was?“ Fassungslos sah Andre seine Kollegin an. „…Es war ein Fehler gewesen…das weiß ich jetzt…“ „Was hast du vorher gemeint mit der Aussage, dass dieser Typ in deiner Wohnung gewesen sei?“ „Heute früh habe ich eine Nachricht von ‚Angel021’ bekommen. Warte kurz…“ Mit schnellen Bewegungen stand sie auf und verließ mit bedächtigen Schritten das Zimmer. Andre sah ihr verliebt nach. Ihre langen schönen Beine…Diana war in allen Belangen eine echte Traumfrau. Sie war intelligent, humorvoll, hilfsbereit, immer freundlich und wunderschön. Sie machte das Leben wieder lebenswert. Schon nach einer Minute legte sie den kuscheligen Tuchent wieder um ihren wohlgeformten Körper. Mit dabei hatte sie einen DinA4-Zettel, den sie Andre reichte. Es war das Mail von ‚Angel021’. Ihr zitternder Zeigefinger zeigte auf die Stelle, die Diana am Morgen so durcheinander gebracht hatte. Hoch konzentriert las er zuerst diesen Satz, dann den ganzen Brief genau durch. Einige markante Textstellen fand er äußerst verdächtig. Der Schreibstil ähnelte den Mails, die Susan Thompson bekommen hat.
 
 
 
Liebe Diana!
 
Wie geht’s meiner süßen Rose?
Ich vermisse dich schon.
Hab feststellen müssen, dass du mir noch immer kein Foto von dir geschickt hast.
War sehr enttäuscht darüber, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.
Was machst du immer so?
Kann nur noch an dich denken.
Komisch, wenn man bedenkt, dass wir uns kaum kennen.
Aber ich habe trotzdem das Gefühl, als ob wir so etwas wie Seelenverwandte sind.
Bei mir hat es sogar ein wenig gefunkt.
Freue mich schon, wenn ich dir direkt in deine schönen blauen Augen schauen kann.
Vielleicht hast du auch Interesse an einem Treffen.
Wenn es dir ein wenig zu schnell geht, verstehe ich das vollkommen.
Wir können uns via E-Mails weiter näher kennen lernen und wenn du bereit bist, brauchst du es mir nur zu schreiben, ich warte dann schon auf dich, meine Süße!
 
Kuss!
Erwartungsvoll,
 
Dein ‚Angel021’
 
„Die Chancen, dass du den richtigen Mann erwischt hast, stehen nicht schlecht. Es sind zu viele Übereinstimmungen mit den anderen Briefen.“ Andre bemerkte, wie eine Träne wieder über Dianas Wangen floss. Er nahm sie zu sich in seine Arme und tröstete sie mit einem gefühlvollen Kuss. Nach einer kurzen Pause kam Diana zum letzten Teil ihres Berichts. „Als ich heute kurz aus dem Haus gegangen war, muss jemand meine Wohnung betreten haben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es ‚Angel021’ gewesen ist…“Diana, wie kommst du auf diesen schrecklichen Verdacht?“ „…puh…als ich zurückgekommen bin, sind mir gewisse Dinge aufgefallen…“ Diana zeigte auf den Kleiderschrank, der in der linken Ecke des Zimmers stand. „Dort lag einer meiner Slips auf dem Boden. ER muss ihn versehentlich hinunterfallen lassen haben, als er meine Kleidung durchsucht hat. Ein BH von mir lag im falschen Regal und…oh mein Gott, er hat alles unter die Lupe genommen, Andre!“ Verunsichert und ängstlich sah sie ihn an. Dann erzählte sie weiter. „Außerdem war eine kleine Schraube auf dem Wohnzimmerteppich gelegen, einen, den ich nie gesehen habe. Verstehst du? Ich habe solche Angst. Was ist, wenn ER wiederkommt?“ Niemand wird mehr in deine Wohnung eindringen. Das verspreche ich dir!“ Er streichelte sanft über Dianas schöne Brüste und küsste ihre Lippen voller Leidenschaft. „Bitte bleib heute bei mir! Geh nicht fort!“ „Nein, mein Engel, ich verlasse dich nicht. Ich werde auf dich aufpassen!“ „Du bist ein echter Schatz…Danke!“ Sie strich liebevoll durch sein krauses Haar, solche Momente hat sie schon lange sehsüchtig herbeigesehnt. Jetzt was Andre da, ihr Beschützer, ihr Rückhalt. „Aber warum hast du mir nichts erzählt?“ „Ich wollte zuerst sicher gehen, dass ich wirklich den richtigen ‚Angel021’ erwischt hatte. Natürlich hätte ich vorsichtiger vorgehen sollen, aber…ich wollte dir doch nur helfen. Entschuldigung!“ „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Diana. Komm her…“ Er nahm sie mit seine kräftigen Händen in seine Arme. Diane ließ ihren Kopf auf seine Brust sinken. Sie starrte auf die Zimmerdecke. Nach ein paar schönen ruhigen Momenten stellte sie Andre die Frage, die Diana am meisten im Gehirn herumspukte. Der Verdacht, der ihre Seele so sehr quälte. „Bin ich jetzt sein nächstes Opfer? Will er mich jetzt auch töten, wie die zwei anderen armen Mädchen? (SCHLUCHZ!) …ich will noch nicht sterben…Andre, bitte verhindere das…bitte!“ Wieder begann sie zu weinen. Doch dieses Mal brauchte Andre um einiges länger, bis er sie so halbwegs beruhigen konnte. Erst langsam versiegten ihre Tränen. „Wie gesagt: ich werde auf dich aufpassen! Keiner wird dir wehtun, keiner! Ich will dich nicht mehr verlieren…Dina, ich liebe dich. Ich liebe dich mehr als alles andere auf dieser Welt…ich brauche dich…“ Diese Sätze zauberten endgültig wieder ein hübsches Lächeln auf ihr Gesicht. „Ich liebe dich auch, Andre! Du bist mein Ein und Alles!“ So lagen sie da, frisch verliebt, mit gemischten Gefühlen. Einerseits wäre alles ein wunderschöner Traum, andererseits gab es noch diesen Psychopathen, der noch frei umherläuft. Der Mörder, der es vermutlich auf Diana abgesehen hatte. Der Mann im schwarzen Trenchcoat, der gerade etwas ausgekühlt aus seinem kurzen Schläfchen mitten in der Natur aufwachte…
 
Wo bin ich? Leicht benebelt sah sich der Mann im schwarzen Trenchcoat um. Die Lichtung war durch den hellen Mond gut erhellt und er konnte viele zuerst seltsam aussehende Schatten bei näherem Anblick als harmlose und gewöhnliche Sträucher und ähnliches identifizieren.  Doch noch immer war er sich nicht im Klaren, wie er hierher gekommen ist. Sachte stand er aus dem feuchten Gras auf und musterte erneut die Umgebung. Dann schoss es ihm wieder ein. Oh Gott! Nicht schon wieder! Wütend schlug er sich mit seiner Faust selbst auf die Stirn. Einmal, zweimal. Warum? Diese Anfälle bzw. unkontrollierbaren Wandlungen waren in den letzten Jahren immer seltener geworden. Seit er ein Teenager gewesen war, musste er sich mit ihnen herumplagen. Öfters wachte er wie auch in dieser Nacht irgendwo auf und wusste nicht mehr genau, wie er an diese Orte gekommen war. Als seine Eltern ihn in psychiatrische Behandlung geschickt haben, wurde es immer besser. Einmal hat ein Psychiaterteam einen seiner ziemlich schrägen Anfälle gefilmt. Da war er einfach in Trance gefallen, hatte lustige Lieder gesummt und gesungen und urplötzlich kam ein Weinkrampf über ihm. Der Psychiater hatte gemeint, es sei eine verwandte Form von Schizophrenie, bei der man oft unterdrückte Erinnerungen aufarbeiten müsste. Ihm waren noch andere seltsame Verhaltensweisen aufgefallen. Zum Beispiel war es schon öfters vorgekommen, dass er mit sich selber geredet hat oder Personen im Behandlungsraum sah, die gar nicht da waren. Zum Beispiel seine Mutter. Oh, Mum, meine geliebte Mum! Nur schwer konnte sich der Mann im schwarzen Trenchcoat zusammenreißen und Tränen unterdrücken. Diese scheiß Anfälle! OK, der Doktor war toll gewesen. Er hatte sich immer um den Mann gekümmert. Jahrelang war er in seiner Behandlung gewesen. Aus ihm war fast ein normaler Mensch geworden, abgesehen davon, dass er eine Kleinstadt momentan als Serienmörder heimsuchte. Aber die Anfälle waren beinahe zur Gänze verschwunden gewesen. Warum mussten sie gerade jetzt wieder auftauchen. Jetzt, wo er sich gerade auf seine nächste Rose vorbereiten musste. Denn auch sie sollte bald ihm gehören. Nein, er konnte nicht einfach darauf vertrauen, dass ihm seine Anfälle nicht in die Quere kommen würden. Er brauchte Hilfe. Dringend. Der Mann im schwarzen Trenchcoat hatte nun nur ein vorrangiges Ziel: Er musste zurück nach Dallas. Dort gab es jemanden, der ihm helfen würde. Jemand, der ihm schon früher helfen konnte. Erst dann könnte er in Arlington beruhigt seine Mission fortsetzen. Leicht verwirrt und orientierungslos blickte er sich um. Wie kam er wieder zu seinem Wagen? An dieses Detail konnte er sich noch wage erinnern. Er hatte den Ford auf der Strasse abgestellt und musste dann irgendwie auf diese Lichtung gekommen sein. Mit langsamen Schritten wankte er durchs Gras zum Waldstück. Es kam ihm bekannt vor. Wahrscheinlich war er aus dieser Richtung gekommen. In seinen kranken Gedanken versunken durchquerte er den kleinen Wald innerhalb weniger Minuten. Es sah schon wieder ein wenig danach aus, als ob der Rosenmörder erneut in Trance fallen würde und einen dieser unheimlichen Anfälle durchleben müsste. Mit starrem Blick marschierte er weiter durchs Gestrüpp, bis er den alten Ford durch die Bäume bereits erkennen konnte. Ein leichtes unwirklich scheinendes Lächeln spiegelte sich auf seinem Gesicht. Das Lächeln hatte etwas von einem Wahnsinnigen. Doch der war dieser Mann wahrscheinlich wirklich. Ein unberechenbarer Wahnsinniger, dessen Gedanken man nie lesen, seinen Gesichtsausdruck nie deuten und seine nächsten Handlungen man nie abschätzen konnte. Und dieser Mann sah bei näherem Hinschauen noch etwas anderes als nur seinen Wagen. Er sah etwas, was sein irres Lächeln gleich wieder aus seinem Gesicht schwinden ließ. Etwas sehr Beunruhigendes. Keine zwanzig Meter vom Ford entfernt stand ein Motorrad. Auf diesem Motorrad stand deutlich in weißen Buchstaben ‚POLICE’ geschrieben. Ein scheiß Bulle war in seiner Nähe und das gefiel dem Mann im schwarzen Trenchcoat überhaupt nicht. Und dann erblickte er schon den unwillkommenen Besucher. Der Streifenpolizist kam gerade hinter dem Wagen hervor und näherte sich der Fahrertür. Wütend starrte der Rosenmörder das neue Hindernis an, im Schutz der Sträucher beobachtete er angriffsbereit jede Bewegung des Ordnungshüters.
 
Es war genau 23:13, als Peter Jenkins die Nachricht aus der Zentrale bekommen hatte, dass ein Wagen seit geraumer Zeit mitten auf der Fahrbahn in der Nähe der Autobahn stand, fahrerlos. Einige Autofahrer hatten sich über den störenden blauen Ford beschwert. Der 26-jährige Streifenpolizist der örtlichen Autobahnpolizei, der diesen Beruf schon seit vier Jahren ausübte, wurde beauftragt einen kurzen Blick darauf zu werfen. Kurz vor halb zwölf Uhr nachts erreichte er bereits das vermeintliche Fahrzeug. Entschlossen stellte er sein Motorrad ab und näherte sich dem Wagen mit sicheren Bewegungen. Er ließ zunächst seinen Blick herumschweifen, doch nichts Ungewöhnliches fiel ihm auf. Der Besitzer des Fahrzeuges schien nicht in der Nähe zu sein. Bevor er mit der genauen Untersuchung des Wagens begann, warf er noch einen schnellen Blick auf seine Armbanduhr. In einer halben Stunde hatte er es für fast eine Woche geschafft. Dann war seine Schicht zu Ende und dann warteten ein paar Tage Urlaub auf den aufstrebenden Polizisten. Die würde er mit seiner kleinen Familie verbringen. Jenkins hatte vor zwei Jahren seine gleichaltrige Langzeitgeliebte Sarah geheiratet und vor fünf Monaten gebar sie ihr erstes Kind. Der süße kleine Ryan! Seine Ähnlichkeit mit seinem Vater konnte man nicht leugnen. Genau dieselbe witzige Stupsnase und wenn Peter nach der Arbeit immer in die Augen des Kleinen blickte, kam es ihm vor, als ob er in einen Spiegel sehen würde. Das war sein Junge, den er wie seine Frau unsterblich leibte. Sie lenkten ihn vom rauen Polizeialltag ab und gaben ihm immer wieder neue Kraft für seine Arbeit. Die beiden waren für Peter sein Ein und Alles. Schließlich wandte er sich wieder von seinen schönen und beruhigenden Gedanken ab und begann mit einer Kontrollrunde um den Wagen. Mit einer Taschenlampe durchleuchtete er das Wageninnere. Ihm fiel auf, dass die ganze Rückbank mit kleinen Schachteln und Verpackungen verschlicht war. Den Blick herumschweifend, ging Peter Jenkins um den Wagen herum und konnte eigentlich nichts Auffälliges entdecken. Wo war nur sein Fahrer hingekommen? Verwundert öffnete er langsam die Fahrertür des stark rostenden Ford Escort und durchsuchte zunächst das Handschuhfach. Mit flinken Handbewegungen suchte er darin herum und stieß dabei auf ein paar Fotoaufnahmen, die von einem hübschen Mädchen geschossen worden waren und auf einen Taschenkalender. Jenkins blätterte in flüchtig durch und konnte auf Anhieb feststellen, dass der Besitzer dieses Wagens ziemlich eigenartig sein musste. Minutiös waren alle für den Unbekannten wichtigen Aktionen und Handlungen festgehalten. Jenkins las bestimmte Stellen wie „18:51 – 20:03-mit Susan gechattet„ 15:04-Juliette von Schule nach Hause gefahren“ und als bisher letzter Eintrag unter dem heutigen Datum „12:20-Diana zu Hause besucht“. Wow, der Typ scheint viel Glück bei den Frauen zu haben. Dann fiel der Blick des Polizisten noch einmal auf die Fotos. Dieses Mädchen kam ihm bekannt vor. Wo hatte er dieses Gesicht nur gesehen. Nachdenklich legte er die Sachen wieder zurück ins Fach und drehte sich der Rückbank zu. Neugierig nahm er eine der Schachteln und öffnete sie sachte. Die Schachtel war mit Styroporkugeln ausgepolstert und so musste Jenkins ein wenig wühlen, bis er mit seinen Fingern etwas Festes ertasten konnte. Beim Anblick des Inhaltes wurde ihm mulmig zumute. Jenkins hielt gerade eine Schachtel mit kleinen Wanzen in seiner Hand. Wem gehörte nur dieser verdammte Rostkübel? Nirgends waren Fahrzeugpapiere oder sonstige informative Unterlagen zu finden gewesen. Der Polizist hatte ein echt schlechtes Gefühl. Am besten, er meldete seinen Fund bei der Zentrale. Mit einer kontrollierten Handbewegung nahm er sein Funkgerät und ging damit nochmals zur Wagenrückseite. Er gab das Kennzeichen durch und informierte seine Kollegen über den Inhalt des Wagens. Aus der Zentrale bekam er schließlich den Auftrag beim Wagen zu bleiben, bis der beauftragte Abschleppwagen bei ihm eingetroffen sei. Leicht unzufrieden mit diesem Befehl setzte sich Jenkins wieder auf den Fahrersitz des Fords und fing an zu grübeln. Was hatte das alles zu bedeuten? Er ließ alle seine gefundenen Sachen nochmals im Kopf durchlaufen. Mit der Taschenlampe leuchtete er nachdenklich auf die Schachteln hinter ihm. Und dann bemerkte er die Flecken darauf. Der Polizist sah genauer hin und stellte fest, dass ziemlich viele dieser Verpackungen mit diesen roten Flecken übersät waren. Rote Flecken! Peters Augen weiteten sich unter dem schockierenden Gedanken, was diese Flecken waren. Er streckte einen Finger aus und näherte sich einem noch ein bisschen feuchten Fleck. Sofort setzte sich ein kleiner Tropfen auf seiner Fingerkuppe fest. Er betrachtete die Flüssigkeit und machte neugierig einen kurzen Geruchs- und Geschmackstest. Leider, Ketchup war es nicht, auch keine Farbe. Er hatte vermutlich recht. Es war Blut. Die Sache wurde immer mysteriöser. Der Polizist konnte nicht mehr klar denken. Wieder fielen ihm die zuvor gefundenen Gegenstände ein und dann konnte er sich  wieder erinnern. Oh nein! Mit einer leichten Gänsehaut verließ er angeekelt das Fahrzeug und blickte es verabscheuend und fassungslos an. Jetzt wusste er wieder, woher er das Mädchen von den Fotos kannte. Dieses Mädchen war in der vergangenen Nacht umgebracht worden. Es wurde vermutet, dass dieser ‚Rosenmörder’ dafür verantwortlich sei. Der Name des Mädchens…er war Juliette. Peter Jenkins spürte einen leichten Stich in der Magengegend. Es war unfassbar. Rasch nahm er den Taschenkalender aus dem Handschuhfach und las nochmals die Namen der Frauen. „…Susan…das war doch das erste Opfer,…Juliette, das von gestern…oh mein Gott!“ Der Kalender fiel ihm geschockt aus seinen Händen und klatschte auf den Asphalt. Dem Polizisten wurde schlecht. Es konnte nicht sein. Die gesammelten Fakten ließen ihm das Blut in den Adern gefrieren. Mit wie in Zeitlupe ablaufenden Bewegungen nahm er das Funkgerät aus der Halterung und löste sich erst wieder aus der Verkrampfung, als er die Stimme seines Kollegen am anderen Ende hörte. „…Henry…ich weiß nun, wem dieser Wagen gehört…du wirst es sicher nicht glauben…“
 
Verdammt! Jetzt hatte dieser Scheißkerl alles entdeckt! Aber egal, er wird es sowieso niemanden mehr erzählen können… Der Mann im schwarzen Trenchcoat kauerte noch immer hinter zwei Sträuchern und musste aus seinem Versteck mit ansehen, wie der Polizist den Wagen penibel durchsuchte. Daraufhin begab sich Peter Jenkins zur Rückseite, um der Zentrale das Kennzeichen durchzugeben. Der Mörder wollte auf den besten Moment warten, in dem er zuschlagen konnte. Es musste sein. Dieser Bulle stand ihm im Weg. Hätte er nur die Finger vom Ford gelassen. Jetzt war es für ihn zu spät. Der starre Blick des Mörders schien Jenkins fast zu durchbohren, so stechend und intensiv sah er ihn an. Dieser würde gleich das Puzzle zusammenstellen und herausfinden, mit wem er es zu tun hatte. Als der Polizist dann geschockt das Wageninnere verließ, wusste der Mann im schwarzen Trenchcoat, dass er eins und eins zusammengestellt und den Fahrer des Wagens identifiziert hatte. Nun wusste er, dass er gerade den Wagen des Rosenmörders durchsucht hatte. Dieser starrte ihn noch immer unentwegt an, beobachtete, wie der Bulle die Zentrale informierte und war sich sicher, dass der richtige Zeitpunkt nun gekommen war. Es war nämlich höchste Zeit nach Dallas zurückzukehren. Darum musste der Polizist jetzt aus dem Weg geräumt werden. Es gab keinen anderen Ausweg.
 
Mit einem tiefen Schnaufen steckte Peter Jenkins das Funkgerät wieder in die Halterung. Die Überprüfung des Kennzeichens hatte ergeben, dass es sich bei dem Besitzer des Fahrzeuges um einen gewissen Ramon Hernandez handelte. Im Moment checken die Kollegen in der Zentrale, wo dieser Ramon Hernandez wohnt. Wenn man alle Fakten richtig deutete, musste man davon ausgehen, dass der Gesuchte der Rosenmörder war, der die Kleinstadt Arlington in der vergangenen Woche stets in Aufruhr gebracht hatte. Auf sein Konto gingen bislang drei Morde und nun war man auf dem besten Weg zu verhindern, dass weitere Morde geschehen würden. Peter Jenkins starrte auf seine Uhr. Wo blieb denn der Abschleppwagen? Er fühlte sich sehr unwohl. Schließlich stand er neben dem Auto eines potenziellen Killers und wusste nicht, ob dieser nicht auch in der Nähe war. Der Polizist ertappte sich dabei, wie er seine rechte Hand immer fester um den Griff seiner im Halfter steckenden Dienstwaffe schloss. Im Falle des Falles sollte er vorbereitet sein. Und dann hörte er es. Ein seltsames Rascheln aus dem Dickicht des Waldes. „Wer ist da?“ Jenkins probierte so entschlossen und sicher wie möglich zu rufen, aber ganz überzeugend kam es nicht rüber. Man merkte, dass der junge Polizist noch nicht allzu oft etwas mit Mördern zu tun gehabt hatte. Meistens gab es nur Geschwindigkeitsüberschreitungen, manchmal waren auch Drogendealer ertappt worden, aber es mit so einem kaltblütigen Kerl zu tun zu haben…nein, bislang blieb es Peter erspart. Seine Dienstwaffe musste er zwar schon öfters zücken, doch abdrücken brauchte er nie. Meistens ließen sich die Täter ohne besondere Gegenwehr überwältigen. Doch in diesem Fall wusste der Polizist, dass es nicht so glimpflich kommen würde. Ein weiteres Mal vernahm er ein lautes Rascheln. Nochmals rief er in den Wald. Doch auch dieses Mal bekam er keine Antwort. Konzentriert starrte der Polizist zur besagten Stelle. Durch die Dunkelheit konnte er kaum was erkennen. Er zog die Pistole auf dem Halfter und richtete sie in Richtung der Sträucher. „Kommen sie heraus!“ Doch auch auf diesem Befehl hatte er wiederum keinen Erfolg. Mit langsamen Schritten näherte sich der Polizist den Sträuchern. Mit der Taschenlampe leuchtete er sie ab, doch war nichts Außergewöhnliches zu entdecken. Der Lichtstrahl wanderte weiter zu den Bäumen. Peter musste seine Augen sehr anstrengen, um klar sehen zu können. Und plötzlich sah er jemanden hinter einen der dicken Stämme verschwinden. Ein weiteres Mal befahl der Polizist dem Unbekannten aus seinem Versteck zu kommen. Mit knackenden Geräuschen trat er immer weiter in das Waldstück hinein. Vielleicht war es ein wenig zu riskant, doch andererseits war es sein Job. Er musste dieser Sache nachgehen. Jetzt konnte er nicht kneifen. Angstperlen sammelten sich auf Jenkins’ Stirn. Seine Kehle war durch die Aufregung trocken geworden. Die Anspannung nahm mit jeder Sekunde zu. Nun stand er nur wenige Schritte von dem Baum entfernt, hinter dem er die Person gesehen hatte. Ein drittes Mal schrie er sein nicht gerade selbstsicher wirkendes „Kommen sie raus!“ Und dieses Mal ging alles viel zu schnell. Auf seinen Befehl hin stürmte plötzlich der Unbekannte hinter dem Baum hervor und rannte auf den überraschten Jenkins zu. Doch bevor der Polizist auf diesen Angriff reagieren konnte, wurde er auch schon auf den feuchten Waldboden gerissen. Verzweifelt versuchte er mit der Waffe auf den Mörder zu zielen, doch der schlug sie ihm mit einem dicken Ast aus der Hand. Schmerzverzerrt hielt sich Jenkins die wunde Stelle und versuchte wieder aufzustehen. Doch der Mann, der einen langen schwarzen Trenchcoat trug und einen sehr unheimlichen Gesichtsausdruck hatte, schlug ihm mit dem Ast in den Magen. Dann holte er zu einem Schlag auf Jenkins’ Gesicht aus. In dieser kurzen nur Sekundenbruchstücke dauernden Phase nahm der Polizist noch einmal all seinen Lebensgeist zusammen und trat dem Verbrecher mit seinem Fuß in die linke Kniekehle. Mit einem makabren Schrei stürzte der Mann auf den Boden. Peter robbte schnell ein Stück davon und richtete sich auf. Seine Hand schmerzte gewaltig. Sie war vermutlich gebrochen. Die Wucht des Schlages hatte wirklich Spuren hinterlassen. Die Vorderseite hatte schon leicht blaue Stellen und der Polizist konnte sie kaum bewegen. Doch im Moment hatte er sowieso andere Sorgen. Vor ihm lag mit hoher Wahrscheinlichkeit der gesuchte Rosenmörder. Die Augen nicht von dem Kerl lassend tastete er auf dem Waldboden nach seiner Waffe. Und das nützte der Mann im schwarzen Trenchcoat. Er wartete den richtigen Augenblick ab und startete wieder einen Überraschungsangriff. Als Jenkins die Lage abschätzen konnte, war es bereits zu spät. Er wurde fest an einen Baumstamm gerammt. Ein tiefer Schmerz zog sich über seinen Rücken. Mit zusammengebissenen Zähnen rutschte der Polizist wieder auf den Boden. Leicht benommen suchte sein Blick den Mann, doch der Angreifer war verschwunden. Mit der gesunden Hand griff er sich auf die Wirbelsäule. Er zog sich langsam wieder beim Stamm hinauf und bewegte sich mit wankenden Schritten weiter durch das Dickicht. Wo war er hingekommen? Peter Jenkins drehte sich einmal herum und da stand er schon wieder. Trotz der Dunkelheit konnte er ein irres Lächeln auf seinen Lippen erkennen. Der Mann im schwarzen Trenchcoat stieß ihm das Jagdmesser tief in den Oberkörper. Der Polizist stolperte zurück und fiel hart zu Boden. Mit seiner linken Hand griff er auf den Griff des Messers, welcher aus seiner Bauchgegend ragte. Blut übergoss sich über den dunklen Motorradanzug. Nach Luft röchelnd lag Jenkins da, blickte wie wild herum. Er ahnte, dass er nun sterben würde. Sarah und Ryan würde er nie wieder sehen. Der Mörder näherte sich dem wehrlosen Polizisten und zog ihm ohne mit der Wimper zu zucken das Messer gnadenlos wieder aus der Wunde. Mit schnellen Schritten ließ er ihn auf dem Waldboden liegen und verließ das Waldstück. Kurz darauf konnte man den lauten Motor aufheulen hören, als der Mann die Fahrt zurück nach Dallas begann. Derweil lag Peter Jenkins verzweifelt da, seine letzten Gedanken galten noch einmal seiner lieben Familie. Dann fiel sein Kopf zur Seite. Ein Piepsen von seiner Armbanduhr verriet, dass seine Schicht nun zu Ende war. Für immer.
 
DONNERSTAG, 24.Mai 2001
 
„Kann ich noch etwas Marmelade haben?“ „Sicher doch!“ Diana reichte ihrem Kollegen den Becher mit der leckeren Erdbeerkonfitüre und blickte ihm dabei verliebt in die Augen. Dieser erwiderte ihren Blick, nahm ihre Hand und küsste sie sanft. Andre streichelte gefühlvoll über ihre zarten Finger und genoss jeden Augenblick, so friedlich und makellos wie dieser, die er so nah bei ihr sein, ihr seine Gefühle in vollen Zügen offenbaren konnte. Bewundert und fasziniert begutachtete er das außerordentlich hübsche Gesicht seiner Kollegin. Er hatte sich damals sofort in sie verliebt, Diana hatte so einen gewaltigen Charme, dem kein Mann widerstehen konnte. Was sie von vielen anderen jungen Frauen unterschied, war die Tatsache, dass sie trotz ihrer Schönheit und Beliebtheit nie arrogant oder abgehoben wirkte. Sie war immer natürlich, zuvorkommend, einfach nett. Und obwohl sie es nicht nötig hatte, war sie oft ziemlich schüchtern, was er aber sehr süß an ihr fand. Ihm gefiel, wenn sich ihre wohlgeformten Wangen leicht rot färbten, wenn Diana etwas ungelegen kam oder ihr etwas sehr peinlich war. Sie war so unschuldig, ein wahrer Engel. Und darum musste sie beschützt werden. Nach dem Frühstück würde er sofort Polizeischutz für seine Kollegin anfordern. „Andre, was ist?“ Dianas besorgte Stimme rüttelte ihn wieder aus seinen Gedanken. „…nichts, Diana, nichts…“ „Andre?“ „Ja?“ „Ich wollte mich für mein Verhalten am Abend entschuldigen. Als ich dir die Tür geöffnet hatte und du mir die Rose, die ausgesprochen schön ist, geben wolltest, musste ich …ich dachte an den Rosenmörder und wie ER bald vor meiner Tür stehen würde…danke, dass du gestern gekommen bist. Ich hätte die Nacht nervlich nicht gepackt...“ Behutsam lehnte sie sich über den Tisch und gab Andre einen langen gefühlvollen Kuss. Es war alles so wunderschön, doch könnte diese Idylle leicht wieder zerstörbar sein. Andre hätte es auch lieber gehabt, weiterhin zärtliche Stunden mit seiner neuen Liebe zu verbringen, doch sogar ihr sanfter Kuss schien ihn nicht aus seinen wilden Gedankensprüngen befreien zu können. Langsam ließ er den Blick durch Dianas Wohnung schweifen. Einen guten Geschmack hatte sie, das musste man ihr lassen. Er musste nachdenken. Wie konnte man diesen Rosenmörder nur fassen? Andre Dumont hoffte, dass er zeitig eine Analyse der Untersuchung bekam, die er am vergangenen Tag veranlasst hatte. Wenn sich sein Verdacht für richtig erweisen sollte, dann wussten sie wenigstens mal die Identität des Mörders und er hoffte, dass sich damit die Ermittlungen vorantreiben ließen. Als er so in Gedanken versunken durch die Räumlichkeiten blickte, hielt er plötzlich still. Was hatte Diana gesagt? Sie hatte eine kleine Schraube auf dem Wohnzimmerteppich gefunden, den sie nicht definieren konnte. Und, wie Andre jetzt bemerkte, stand genau auf dem Teppich ein kleiner Tisch. Auf diesem Tisch stand Dianas Telefon. Der Inspektor schnellte aus dem Sessel auf und startete auf das Objekt zu. Mit flinken Bewegungen nahm er es unter die Lupe. Und sein Verdacht war erhärtet. Auf der Unterseite des Telefons fehlte eine kleine Schraube, die, die Diana gefunden hatte. Andre wusste, was das bedeutete. Seine Kollegin hatte recht gehabt: der Rosenmörder war in ihrer Wohnung gewesen und hatte auch ihr Telefon verwanzt, wie schon die der anderen zwei Opfer. Sie sollte wirklich sein nächstes Opfer sein. Das hieß, der Inspektor durfte jetzt keine Zeit mehr verlieren. Einen Spurensuchtrupp in Dianas Wohnung zu holen, war für Andre sinnlos. Auch bei den anderen Mädchen hatte der Täter immer genau darauf geachtet keine Fingerabdrücke und sonstige Spuren zu hinterlassen. Aber warum war er bei Diana so unvorsichtig gewesen und hatte gewisse Sachen auf anderen Stellen liegengelassen? Auf diese Frage wusste Andre keine Antwort, doch er vermutete, dass der Mörder in Zeitnot geraten war und Dianas Appartement so schnell wie möglich wieder verlassen wollte, damit er nicht ertappt werden würde. Während er so tüftelnd vor Dianas Telefon hockte, war Diana verwirrt näher gekommen. „Andre, was ist denn?“ Zuerst gab er keine Antwort. Doch nach ein paar langen Sekunden unterbrach er das Schweigen. „Du hast recht gehabt…ER ist hier gewesen. Dein Telefon hat ER verwanzt, wie auch bei den anderen Mädchen. ER will dich überwachen können…“ „Oh Gott, ich hab’s gewusst…“ Diana ließ sich auf das Sofa neben dem Teppich sinken und hielt sich fassungslos die Hände vors Gesicht. Andre setzte sich neben sie und nahm sie in seine Arme. „Keine Sorge! Bald ist dieser Albtraum endlich vorbei, das verspreche ich dir!“ Er küsste ihr zart auf ihre Stirn und hielt sie einfach so in seinen Händen. Dann schreckten beide hoch. Das Telefon klingelte. Mit leicht zittrigen Bewegungen nahm Diana den Hörer und flüsterte fast hinein. „Hallo?“ Die Stimme am anderen Ende der Leitung ließ sie ein wenig ruhiger werden. Es war Director Edward Payton. „Diana? Wie geht es ihnen heute?“ „Geht schon wieder, Director…“ „Schön zu hören. Ich wollte sie fragen, ob sie wissen, wo Inspector Dumont ist. Er hat sein Handy im Büro liegengelassen und ich habe auch schon bei ihm daheim angerufen, aber er meldet sich nicht…“ Diana blickte mit einem leichten Lächeln zur gesuchten Person, die neugierig neben ihr saß. Der Mann, der mit ihr die vergangene Nacht verbracht, der sie geliebt und beschützt hatte. „…ähm…er ist hier…warten sie…“ Sie reichte den Hörer an Andre weiter. „Ja?“ „Dumont, endlich erwische ich sie. Es ist wieder etwas passiert…“
 
Was war das? Schlaftrunken wachte der Mann in seinem Bett auf. Durcheinander blickte er um sich, musste sich aber erst an die Dunkelheit im Schlafzimmer gewöhnen. Seine rechte Hand tastete nach der Nachttischlampe, dessen Licht den Raum kurz darauf füllte. Der Mann im hellblauen Seidenschlafanzug spitzte seine Ohren. Doch er konnte nichts hören. Vermutlich hatte er sich geirrt. Ihm war wirklich so gewesen, als ob ihn ein Geräusch aus seinen angenehmen Träumen gerissen hätte. Höchstwahrscheinlich war es wieder Nachbarkatze, die auf nächtlicher Jagd nach Mäusen war. Der Mann mit dem schon leicht weißen Haar beschloss weiterzuschlafen. Ein Blick auf seinen Wecker zeigte, dass es sowieso erst kurz nach zwei Uhr morgens war. Schnell drehte er das Licht wieder ab und vergrub seinen Körper wieder fest unter der warmen kuscheligen Bettdecke. Noch ziemlich müde schloss der Mann wieder seine Augenlider, um sich wieder in die Welt der Träume und Fantasien zu begeben. Doch nur kurz hielt diese Ruhe. Da! Wieder dieses klopfende Geräusch! Erschrocken schreckte der Arzt aus seinem Bett auf. Zitternd schaltete er erneut die Nachttischlampe ein und stand vorsichtig auf. Ohne seinen Blick von der Zimmertür zu wenden, tastete er nach seiner Brille, die auf dem kleinen restaurierten Tischchen neben dem großen Bett lag. Unbeholfen setzte er sie auf und schlüpfte mit seinen knochigen und blassen Füssen in weiche Pantoffeln, mit denen er den Gang zur Tür wagte. So leise er nur konnte, trat er auf den Gang hinaus und horchte. Ja! Schon wieder! Es war jemand in seiner Villa! Hilflos sah sich der Mann am Gang nach einer geeigneten Waffe um. Schließlich entschied er sich mit einem eisernen Kerzenständer den Weg ins Erdgeschoss zu wagen. Während er die ersten Stufen der Wendeltreppe hinter sich brachte, achtete er darauf jedes nur so unnötige Geräusch zu vermeiden. Obwohl er durch die Dunkelheit kaum etwas erkennen konnte, getraute er nicht das Licht einzuschalten. Wenn er mit seiner Vermutung richtig lag, war vermutlich ein Einbrecher in den Räumen unter ihm. Bei genauerem Hinhören kam er zum Entschluss, dass die Geräusche aus seinem Bürozimmer kamen. Ohne die Tür des besagten Zimmers aus den Augen zu lassen, trat der Arzt die letzten Stufen der Treppe hinunter. Die Unwissenheit, was oder wer ihn beim Betreten seines Büros erwarten würde, schnürte ihm den Hals zu. Er musste sich anstrengen, um genug Luft zu bekommen. Am liebsten hätte er die Polizei um Hilfe gerufen, doch erstens war sein Telefonanschluss ironischerweise genau in dem Zimmer, woher die ominösen Geräusche kamen und zweitens hätte er sowieso zuviel Angst gehabt, um diesen Schritt zu wagen. So blieben ihm zwei Möglichkeiten. Weder er versuchte die Villa zu verlassen oder er stellte sich der eventuellen Gefahr. Außerdem könnte es ja auch andere plausible Erklärungen für das Klopfen geben, welches durch die dicke Eichentür seines Bürozimmers drang. Was zum Beispiel gegen einen Einbrecher sprach, war die Tatsache, dass die Villa des Mannes mit einer modernen Alarmanlage gesichert und so kaum zu betreten war. Das laute Piepsen bei einem Einbruchversuch hätte ihn doch sicher rechtzeitig informiert. Vielleicht war es nur eine Maus, die sich in das Haus verirrt hatte und nun im Büro nach Nahrung suchte. Wieder musste er mit gewissem Galgenhumor an die Nachbarkatze denken. Er versuchte sich auf die folgenden Theorien zu versteifen, doch insgeheim wusste er, dass keine davon plausibel genug war, um wirklich zu stimmen. Jeder professionelle Einbrecher konnte heutzutage Alarmanlagen knacken und wie hätte sich denn eine Maus in sein Büro verlaufen sollen. Na eben. Den Kerzenständer fest umklammert stand der Mann im Schlafanzug nun vor dieser Tür, seine linke Hand näherte sich zaghaft dem goldenen Türgriff. Mit leicht zusammengekniffenen Augen drückte er ihn hinunter und betrat leise das Zimmer. Er hatte einen maskierten Einbrecher erwartet, der gerade seinen Bürotisch nach wertvollen Gegenständen und Dokumenten durchstöbern würde. Stattdessen war er ein bisschen überrascht, aber auch erleichtert, als er das Büro ruhig im Dunkeln weilen sah. Er betrachtete die schönen großen Kästen, die er vor einigen Jahren erwerben konnte. Sein Blick wanderte quer durchs Zimmer, doch alles war an seinem üblichen Platz. Keine Spur von einem Eindringen zu sehen, alles wirkte normal. Und auch das Klopfen war mittlerweile verstummt. Vielleicht hatten dem Arzt nur seine Nerven einen Streich gespielt und die Geräusche waren doch harmloser Natur gewesen. Könnte im besten Fall echt von der Katze von Mr. Whitmore verursacht worden sein. Sein großes Grundstück wurde vielleicht gerade in diesen Minuten zum Jagdrevier dieses kleinen Biestes. So gesehen musste er die Richtung, aus der er die Geräusche vermutet hatte, falsch interpretiert haben. Aber egal! Auf jeden Fall atmete er kräftig auf und ließ seine „Waffe“ niedersinken. Er war schon wieder dabei die Tür zuzumachen, als ihn etwas stutzig machte. Der Bürosessel war ihm mit der Rückseite zugewandt, doch der nun mehr als vorher verängstigte Mediziner war sich sicher, ihn nicht in dieser Stellung beim Bettgehen hinterlassen zu haben. Er musste sicher gehen, auch wenn es ihm sehr schwer fiel. Hoch konzentriert und für einen eventuellen Frontalangriff gewappnet betätigte er den Lichtschalter. Der Raum wurde zugleich hell erleuchtet. Vorsichtig näherte sich der Mann dem dunkelbraunen Ledersessel und schreckte unerwartet zurück. Jemand saß darin. Und diese Person im Sessel hustete kurz. Dem Arzt verschlug es die Sprache. Er bereute es so übertrieben mutig und unüberlegt diesen Schritt gewagt zu haben. Wäre er einfach abgehauen und hätte die Polizei gerufen. Jetzt war es jedoch schon zu spät. Wie angewurzelt stand der Mann mitten in seinem Bürozimmer, welches aufs Edelste ausgestattet war, und starrte auf seinen Bürosessel. Dann vernahm er folgende Worte aus dieser Richtung: „Guten Abend, Herr Doktor!“ „…wer sind sie?“ „Ich bin zurück!“ Ein kalter Schauer lief über den Rücken des Arztes. Ihm kam die Stimme sehr bekannt vor, doch konnte er sie noch nicht einwandfrei einordnen. Noch einmal stellte er dem Eindringling die Frage „Wer sind sie?“ und im selben Atemzug „Was wollen sie hier?“ Da drehte sich der Mann im Sessel um. Beim Anblick des nächtlichen Besuchs wurde Dr. Steve Conroy schlecht. Nein! Das konnte nicht sein! „Ich bin’s, Doktor Conroy! Was ich will? Ich brauche ihre Hilfe…sie müssen mir helfen…“ Conroys Blick flackerte umher vor Entsetzen und Unfassbarkeit. Ihm war, als würde er einen Geist sehen. Schließlich saß der schon längst für tot gegoltene Paul Sylka in seinem Bürosessel und starrte ihn hilflos und erwartungsvoll an. Dem Arzt im Schlafanzug wurde schwindelig und etwas schwarz vor den Augen. Es konnte einfach nicht wahr sein.
 
„Entschuldigung!“ „Schon ok!“ Payton winkte verständnisvoll ab. Er hatte schon seit geraumer Zeit erfahren, dass Dumont und Diana Hawkins im Revier als Paar gehandelt wurden, und wie er fand, passten sie gut zusammen. Andre hatte sowieso eine Frau gebraucht, die hinter ihm steht. Nun hatte er gleich eine von den ganz tollen Frauen gefunden. Hawkins gehörte zu den fleißigsten und zuverlässigsten Angestellten auf dem Arlingtoner Revier. „Nun sind sie ja da…darf ich fragen, warum sie einen Polizeischutz für Diana Hawkins veranlasst haben? Es geht mich ja nichts an, doch auch wenn sie jetzt fix zusammen sind, gehört sie ja nicht mehr beschützt zu werden als vorher.“ „Director, es ist etwas vorgefallen…wie soll ich’s sagen…Diana ist mit hoher Wahrscheinlichkeit das nächste Opfer vom Rosenmörder.“ „Was?“ Payton zuckte zusammen. Ungläubig hörte er Dumont zu, wie er von Dianas Erlebnissen erzählte. Danach starrte er mitgenommen auf den Boden seines Bürozimmers. „…das habe ich nicht gewusst…schrecklich…gute Arbeit wegen dem Polizeischutz…“ Es ging immer weiter und nun war sogar eine Mitarbeiterin in größter Gefahr. Wie sollte das alles weitergehen? Und jetzt musste er Dumont auch über den Grund seines Anrufes aufklären. „Der Grund, warum ich sie seit einer Stunde erreichen wollte, war folgender: In der Nacht auf heute wurde außerhalb der Stadt ein Streifenpolizist ermordet. Er hatte von der Autobahnzentrale den Auftrag bekommen, ein verdächtiges Fahrzeug, welches leer auf der Fahrbahn aufgefunden wurde, zu kontrollieren. Der Polizist hat der Zentrale das Kennzeichen durchgegeben. Außerdem fand er Fotos von Juliette Sanders im Handschuhfach des Wagens.“ „Oh Gott!“ Dumont wusste, auf was sein Vorgesetzter anspielen wollte. „ Die Zentrale fand heraus, dass das Auto auf einen gewissen Ramon Hernandez angemeldet ist…kommt ihnen dieser Name bekannt vor?“ Andre Dumont war fassungslos. Er spürte, wie nun alles Stück für Stück ans Licht kam…es wurde immer umfangreicher, immer geheimnisvoller. „ Als der Abschleppwagen, der den Wagen zur Zentrale bringen sollte, an die verabredete Stelle kam, fand der Fahrer keinen blauen Ford, sondern nur das Motorrad des Polizisten vor. Er verständigte seine Vorgesetzten, die den Streifenpolizisten anzurufen versuchten. Der Lenker des Abschleppwagens hörte sogleich das Läuten des Handys aus dem Waldstück neben der Strasse. Als er nachsah, fand er die Leiche des jungen Mannes auf dem Waldboden liegen. Die Todesursache war nach erster Bestandsaufnahme ein exakter Stich ins Herz…Dumont, dieser arme Kerl hatte eine junge Frau und einen kleinen Jungen…warum muss das alles so grausam sein…warum, sagen sie mir das?“ Doch der Inspektor konnte es ihm nicht sagen. Er war selber tief betroffen von den letzten Ereignissen. Langsam verließ er Paytons Büro und begab sich in sein eigenes, wo er sich fertig auf seinen Bürosessel fallen ließ. Er starrte auf sein Handy, welches auf dem Schreibtisch lag. Ehrlich gesagt hatte er es absichtlich liegenlassen. Als er am letzten Abend das Revier verlassen wollte, beschloss er ohne Störfaktor zu Diana zu fahren. Das Klingeln des Apparates hatte schon ein paar Mal die knisternde Ruhe zwischen den beiden zerstört und nun wollte er ungestört mit seiner Kollegin reden. Na ja, aus reden wurde mehr…einiges mehr. Andre genoss in Gedanken noch einmal die vergangenen Stunden voller Leidenschaft, Sinnlichkeit und Liebe. Nur schwer wandte er sich von diesen Gefühlen ab und schnappte sich das Handy. Er steckte es in die Seitentasche seiner Jacke und verließ schon wieder das Zimmer. Sein nächster Termin war bei Dr. Patterson. Schon wieder.
 
Ein brasilianisches Volkslied trällernd sperrte Maria dos Santos die Haustür der großen wunderschönen Villa auf. Drei Mal in der Woche kümmerte sich die Südamerikanerin um den Haushalt ihres Arbeitgebers. Selbst konnte sie sich gerade eine kleine Wohnung im Stadtinneren leisten und so den gut bezahlten Lohn gut gebrauchen. Jede ihrer Schichten dauert sechseinhalb Stunden, jeweils von 8:30 -15:00. Wegen ihrer Zuverlässigkeit und ihres netten und ehrlichen Auftretens war der Besitzer des Hauses sehr zufrieden mit ihr. Er möchte sie sogar für die ganze Woche arbeiten lassen, natürlich zu einer gewaltigen Aufstockung ihres Gehaltes. Ab Juni soll es damit losgehen und Maria war sehr stolz darauf. Endlich hatte sie eine Arbeit gefunden, die sie voll ausfüllte. Da war es ihr auch egal, dass der Doktor ein bisschen ein komischer Kauz war. Ansonsten war er sehr zuvorkommend und hilfsbereit, wenn die Frau etwas brauchte. Die 38jährige Brasilianerin durchquerte die Villa, holte sich das Putzzeug aus der Abstellkammer und fing mit der Arbeit an. Ihr Arbeitgeber war meistens schon aus dem Haus, wenn sie kam, doch zu Mittag sah er so gut wie immer kurz vorbei um eine Kleinigkeit zu essen. So saugte sie ein Zimmer nach dem anderen durch und wollte sich gerade das letzte im Erdgeschoss vornehmen. Es war das wundervoll gestaltete Bürozimmer von Dr. Conroy. Pfeifend öffnete sie die Tür und zog den Staubsauger nach. Als sie sich dem Schreibtisch zuwandte, fing sie laut an zu schreien. Ihr sonst ziemlich braunes Gesicht wurde ungewöhnlich blass. Dann lief die Frau schockiert und hysterisch aus der Villa. Der Grund ihres Verhaltens lag schlaff und leblos auf dem Bürosessel. Der Arbeitsgeber von Maria dos Santos war tot. Sein Körper war übersät von Dutzenden tiefen Einstichen. Ein spitzes Messer hatte sich in sein rechtes Auge gebohrt, weiters wurden Arme, Beine und Genitalien getroffen. Sein früher hellblauer Seidenpyjama hatte sich inzwischen dunkelrot gefärbt. Auch der ganze Schreibtisch und der Sessel waren überdeckt von roten Flecken. So, wie der Mann dalag, sah er aus wie ein frisch abgestochenes Schwein. Egal, wer diesen Mann umgebracht hatte, er musste einen wahnsinnigen Hass auf Dr. Conroy gehabt haben. Einen unbeschreiblichen Hass.

Das ist mein persönliches Lieblingskapitel des ersten Teils, da der Titel treffender nicht passen könnte. Auf diesen Seiten passieren Dinge, die so emotional, so wichtig für die weiteren Geschehnisse dieser Story sind. Doch die turbulentesten Seiten kommen erst noch, es wird noch richtig fesselnd.Harald Haider, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.10.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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