Ana Logie

Interview mit einem Rassisten

Rico, der rasenden Reporter, faehrt mit einem zweikoepfigen Kamerateam und einem Chauffeur in einem Gelaendewagen ueber eine holprige und staubige Landstrasse. Es ist heiss, die Sonne strahlt unerbaermlich von einem knallblauen Himmel herab. In der Ferne zeichnet sich eine Gebirgskette ab und in der Naehe bluehen Wiesen, Waelder und Felder.
 
Rico (in die laufende Kamera sprechend): Herzlich willkommen zu einer weiteren Ausgabe von "Menschen sehen und begreifen - Der Rassist und wie er ist". Wir befinden uns in einem Land am Ende der Welt und in Anfahrt auf das Domizil unseres heutigen Interviewpartners. Er ist Rassist mit Leib und Seele und wir duerfen gespannt sein, was er uns erzaehlen wird. Dort vorne sehen wir auch schon den ersten Huegel seiner unterirdischen Bunkerbehausung. Dem Maulwurf gleich hat er sich ein Heim geschaffen, das sogar radioaktiver Strahlung trotzen wuerde. Die Paranoia, wie z.B. die vor moeglichen Atombombenabwuerfen, ist nicht zuletzt eines der Charakteristika des Rassisten. Sie befluegelt ihn zu un...pardon...uebermenschlichen Taten...und schon sind wir da...
 
Rico sagt etwas in einer fremden Sprache zum Chauffeur, der Gelaendewagen haelt vor einem etwa vier Meter hohen Erdhuegel, dessen Vorderseite mit einem gusseisernen Tor den Zugang zu einem Tunnelsystem vermuten laesst. Das Tor ist mit verschiedenen Zeichen versehen, die zum Teil keltischen Ursprungs sind, teilweise Kriegssymbole darstellen sollen. Vor dem Tor steht ein aelterer Herr mit Schrotflinte und beaeugt kritisch den sich nahenden Reporter und sein Kamerateam.
 
Rico (zur Kamera gewandt): Trefflicher haetten wir unseren heutigen Interviewpartner kaum vorfinden koennen: stramme Haltung, Gewehr bei Fuss, feindseliger Blick. Der Rassist ist in dieser Position, in der er Tage ausharren kann, vielfach beschrieben worden und wir duerfen uns gluecklich nennen, ihn heute so anzutreffen. Herr Rassist, ich gruesse sie herzlich und ueberbringe auch viele Gruesse aus den Landen ihrer Ahnvaeter.
 
Rassist: Paah!
 
Rico: Herr Rassist, sie sind Rassist aus Ueberzeugung und schon seit vielen Jahren. Wie lange denn genau?
 
Rassist: Ich bin Rassist seit meiner Geburt. Ich war Rassist, ich bin Rassist und ich werde immer Rassist sein.
 
Rico: Was macht ihnen das "Rassist sein" so wertvoll? Oder genauer gesagt: welcher Aspekt gefaellt ihnen am meisten am Rassismus?
 
Rassist: Es ist die Reinheit, die pure Reinheit. Sehen sie diese Haut? Hoeren Sie diese Stimme, diesen Klang? Mein Urgrossvater vaeterlicherseits war Brite, mein Ururgrossvater muetterlicherseits Daene und der Hund meines Grossvater vaeterlicherseits war ein deutscher Schaeferhund...Es fliesst also reinstes Blut der reinsten Rasse in meinen Adern...
 
Rico: Ihre Vorfahren, die vor vielen Jahrzehnten hier ans Ende der Welt emigriert sind, waren Europaeer. Doch mit Verlaub, werter Herr, wenn ich sie so betrachte, dann scheint mir, als haette einst auch ein Eingeborenenmaedchen einem ihrer Ahnvaeter schoene Augen gemacht...
 
Rassist (bruellt ihn an): Reden sie nie wieder so schaendlich ueber meine Vorfahren! Ich verbiete Ihnen das, ich verbiete es ihnen. Ich bin 100%ig reinrassig und wenn sie mir noch einmal Unreinheit unterstellen, schicke ich ihnen einen Gruss mit der Flinte zwischen die Augen!
 
Rico (in die Kamera sprechend): Explosionsartige Wutausbrueche sind ein weiteres Charakteristikum des Rassisten. Stundenlang kann er hoeflich sein oder eine freundliche Unterhaltung fuehren. Trifft ein Gespraechspartner jedoch einmal den "wunden Punkt", in unserem Fall das in Frage stellen der "genetischen Reinheit", dann kann er Zeuge dieses Spektakels werden.
 
Herr Rassist, sie sind Rassist in aktiver und passiver Ausuebung. Was duerfen wir darunter verstehen?
 
Rassist: Rassist sein kann man auf sehr unterschiedliche und vielfaeltige Weise. Subtiler Rassismus ist sicher am weitesten verbreitet, traf allerdings noch nie meinen Geschmack. Das ist etwas fuer Frauen und Kinder oder Geschoepfe, deren Urteilsfaehigkeit ohnehin zweifelhaft ist. Frueher war ich ein sehr aktiver Rassist. Besonders in meinen jungen Jahren habe ich alles verdroschen, was mir unrein vorkam. Sicher, aktiven Rassismus uebt man am besten in einer Gruppe von Gleichgesinnten aus, das mindert die Ueberlebenschancen des Opfers und foerdert das Zusammengehoerigkeitsgefuehl. Im Laufe der Jahre bin ich, auch aus Ruecksichtnahme auf meine Gesundheit, mehr zum passiven Rassismus uebergegangen.
 
Rico: Inwiefern? Wuerden Sie das bitte genauer unseren Zuschauern erlaeutern?
 
Rassist: Ich schreibe hobbymaessig Hetzschriften und kleine rassistische Parabeln, lese einmal woechentlich im Reine-Rasse-Radio Passagen aus "Mein Kampf", A. Rosenbergs "Der Mythos des 20. Jahrhunderts" oder Auszuege aus Reden von Goebbels. Manchmal kommt abends auch einfach nur ein guter Freund zu mir - ebenfalls Rassist - wir schnupfen etwas Kokain, trinken einen guten Tropfen, rauchen Zigarren, plaudern ein wenig und fuehlen uns rassisch ueberlegen.
 
Rico: Aha, ich wusste gar nicht, dass das so einfach sein kann. Wendet sich ihr Rassismus eigentlich nur gegen dunkelhaeutige oder auch gegen...mmmh...gewisse Religionsgemeinschaften?
 
Rassist: Ich lehne alles ab, was anders ist als ich. Hautfarbe, Religion, Geschlecht...
 
Rico: Sie sind homosexuell?
 
Rassist (bruellt): Ich verbiete ihnen derartige Unterstellungen, das ist impertinent!! Ich bin ein guter Heterosexueller und habe mit einer Frau sieben Kinder gezeugt. Falls sie mir nicht glauben, dann kann ich ja gerne deren Leichen ausgraben, die ich im Garten verscharrt habe...
 
Rico: Leichen? Wollen sie damit sagen, ihre Frau und Kinder sind tot?
 
Rassist: Ja, ich habe sie selbst umgebracht.
 
Rico: Das ist merkwuerdig. Finden sie es als Rassist nicht wichtig, auch an Arterhaltung der reinen Rasse zu denken?
 
Rassist: Reine Rasse? Meine Frau war eine Eingeborene, braunhaeutig, sie verstehen. Wissen sie, am Anfang dachte ich, ich koennte damit umgehen, immerhin sind diese Frauen gut umgaenglich. Aber ueber die Jahre wurde mir der Gedanke, mein Blut verunreint zu haben schier unertraeglich. Da habe ich meine Frau und die Kinder umgebracht. Ist doch nur konsequent, oder? Entweder ganz Rassist oder gar nicht.
 
Rico (fassungslos): Und wer bereitet ihnen jetzt ihr Fruehstueck? Besorgt's ihnen unter der Dusche? Buegelt die Hemden? Sie sind Rassist, aber sie koennen doch nicht alleine...?
 
Rassist: Im Laufe der Jahre lernt man eben dazu und noch lieber sterbe ich alleine als aufrechter Rassist denn als Verraeter an der Sache...
 
Rico (etwas gefasster): Herr Rassist, ich danke ihnen fuer das Interview. (Zur Kamera gewandt) Werte Zuschauer, sie sehen mich etwas verbluefft und ich darf annehmen, es geht ihnen aehnlich. Sicher ist das Phaenomen der Autoelimination unter Rassisten bekannt, doch in dieser Deutlichkeit selten anzutreffen.
 
Ich hoffe, sie fanden das Interview genauso spannend wie ich und ich moechte sie schon heute fuer unsere naechste Ausgabe von "Menschen sehen und begreifen" einladen. Dann mit dem Titel "Ich bin paedophil und wie alt bist Du, mein Kleiner?". Bleiben sie dran, schalten sie wieder ein, alles Gute und auf Wiedersehen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.10.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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