Florence Siwak
Grün ist die Hoffnung
Toni trat die halb aufgerauchte Zigarette nervös mit dem Absatz in den Sand.
‘Dass doch Weiber nie punktlich sein können‘ fluchte er.
Ein
Blick zur Uhr belehrte ihn allerdings, dass Lena nicht zu spät, sondern
er zu früh dran war. Er trat ein paar Schritte vor und blickte voll
Unbehagen den Steilhang hinab, der fast senkrecht ins Wasser führte.
Nur
ein niedriger morscher Holzzaun trennte ihn vom Abgrund. Nichts würde
einen Körper aufhalten, der über diese Klippe ging. Die schäumenden
meterhohen Wellen machten kurzen Prozess; sie würden Lenas Körper
ergreifen und auf Nimmerwiedersehen mit sich ziehen.
Während er ruhelos auf- und abging, ließ er ihre Beziehung noch einmal Revue passieren.
Er hatte Lena kennen gelernt wie Dutzende von Frauen vor ihr - in einem unscheinbaren Cafe.
Er
fand sie an solchen Orten - die Unauffälligen, nicht mehr ganz Jungen,
Frauen in der Grauzone; dankbar für jede Aufmerksamkeit.
Sie saß in einer Ecke mit dem Gesicht zur Wand und trug ihr formloses, aber teures Kostüm wie einen Tarnanzug.
Mit ihr ins Gespräch zu kommen, erforderte viel Geduld, aber ihr Vertrauen zu gewinnen, war für ihn der reinste Spaziergang.
Als
er ihr erzählte, wegen seiner Scheidung knapp bei Kasse zu sein, hatte
sie volles Verständnis dafür, dass er sie nicht groß ausführen konnte
und sie begleitete ihn vertrauensvoll auf lange Spaziergänge zu den
einsamsten Orten. Andächtig hörte sie ihm zu, wenn er seine
Zukunftspläne erläuterte, die - leider - alle etwas Kleingeld
erforderten.
Er hatte schon zähe Vögel gerupft, aber Lena trieb ihn zur Verzweiflung.
"Leider, Toni, ich würde ja s o gern helfen...Aber Du weißt ja - mein Einkommen reicht gerade für das Nötigste."
Fast
hätte er ihr geglaubt, wäre da nicht so ein gewisses Funkeln in ihren
Augen gewesen. Und richtig - als sie ihn eines Abends in ihre winzige
Mietwohnung einlud, wurde sie nach einer Flasche Wein zutraulich und
redselig.
Er hatte ihr geistesabwesend den Hals gestreichelt und beiläufig gefragt, warum sie nicht ab und zu mal Schmuck trüge.
"Das mache ich doch, aber nur wenn ich allein bin."
Abrupt
erhob sie sich und ging mit etwas unsicheren Schritten zum Heizkörper,
griff in den Wasserverdunster und hielt ihm triumphierend eine
Plastiktüte entgegen.
"Hier, kaum zu glauben, dass ich so etwas besitze, nicht wahr?"
Als
er den Beutel ausschüttelte, verschlug es ihm den Atem. Noch nie hatte
er so prachtvollen Schmuck gesehen, geschweige denn in den Händen
gehalten. Ungefähr ein Dutzend herrliche Smaragde, groß wie Taubeneier,
wurden von einer fingerdicken Weißgold- oder Platinkordel gehalten.
"Die ist ja Hunderttausende wert - wenn sie echt ist" hatte er überwältigt geröchelt.
"Genau
Vierhunderttausend. Das ist alles, was von unserem so genannten
Familienvermögen übrig geblieben ist. Ich habe sie bisher niemandem
gezeigt; nur dem Juwelier, der sie geschätzt hat.
Siehst Du, hier ist die Expertise."
Eine
wundervolle Zukunft erschien vor Tonis Augen. Er in einem kleinen,
geschmackvollen Cafe irgendwo an der Küste - als Chef, nicht als
Kellner wie früher.
Eine Vision, die Lena gleich darauf brutal zerstörte.
"Ich würden den Schmuck natürlich n i e verkaufen. Niemals!"
Während
der nächsten Zeit kreisten seine Gedanken wie besessen nur um die
sicherste Methode, gefahrlos an dieses Collier zu gelanten. Auch wenn
es ihm widerstrebte, schien ihm Lenas Tod die einzige Möglichkeit zu
sein, seine Zukunft zu sichern, denn er hatte instinktiv erkannt dass
er sie bei all ihrer Nachgiebigkeit nicht würde umstimmen können.
Deshalb
wartete er nun an dieser Gott verlassenen Stelle mitten im dicksten
Novembernebel und rauchte eine Zigarette nach der anderen, während die
Kälte langsam durch seine zwar sorgsam gebügelten, aber schon sehr
fadenscheinigen Hosenbeine kroch.
Endlich!
Als er Lena auf sich zukommen sah, warf er die Zigarette in den Sand und ging ihr entgegen.
Sie
kämpfte gegen den Sturm an und ihr heller Mantel bauschte sich um sie
wie ein Ballon. Er war neu, wie er feststellte, und wesentlich
eleganter als ihre sonstige Garderobe. Als sie schwer atmend vor ihm
stand und mit geröteten Wangen zu ihm aufschaute, sah sie richtig
hübsch aus; nicht so grau und verhuscht wie sonst.
Sie hängte sich an seinen Arm und begrüßte ihn liebevoll.
"Toni, Liebling, ich habe eine Überraschung..."
"Später, lass uns erst ein paar Schritte gehen, ich bin ganz steif geworden. Komm, gib mir Deine Tasche.
Energisch hängte er sich ihre Tasche über die Schulter.
Jetzt musste es schnell gehen, sonst würde er es nicht tun können.
Der Wohnungsschlüssel war sicher in ihrer Handtasche - oder vielleicht doch im Mantel?
Spielerisch umarmte er sie. Nein, die Manteltaschen waren leer. Langsam, mit klopfendem Herzen drängte er sie in Richtung Zaun.
"Schau mal, da drüben..." zeigte er in den Nebel. Sie kniff die Augen zusammen und beugte sich etwas vor.
Er schloss kurz die Augen und stieß ihr beide Fäuste in den Rücken.
Ihr
schmächtiger Körper wurde nach vorn geschleudert. Verzweifelt versuchte
sie, das Gleichgewicht wiederzuerlangen, drehte sich noch im Fall und
ruderte wild mit den Armen. Dabei riss sie den halb geöffneten Mantel
nach hinter über die Schultern. Entsetzt sah Toni ihre weit
aufgerissenen, verständnislosen Augen und - am Hals das Collier -
glänzend, strahlend - auf dem Weg in die Tiefe.
Wie gelähmt starrte er dem Körper hinterher, der von den Wellen verschluckt wurde. Und mit ihm seine Zukunft.
Er
sank auf die Knie und presste Lenas Tasche an seine Brust. Der Regen
hatte inzwischen seine Kleidung völlig durchweicht und ließ ihn zittern.
Nach einer Ewigkeit - wie ihm schien - erhob er sich mühsam und begann, in der Tasche zu stöbern.
‘Alte Gewohnheiten sterben langsam‘
dachte er bitter, als er ihre Habseligkeiten prüfte. Ein Brief erregte
seine Aufmerksamkeit. Flüchtig überflog er ihn, um ihn mit wachsender
Erregung erneut zu lesen:
'...Ich
begrüße Ihren Entschluss, das Collier durch mich veräußern zu lassen.
Vierhunderttausend dürften sicher zu erzielen sein...
Persönlich freue ich mich, dass Sie einen Menschen gefunden haben, mit dem Sie sich eine Zukunft aufbauen wollen.
Ein sehr guter Grund, sich von dem Schmuck zu trennen... .
...
Juwelier '
Toni
zerknüllte mit kraftlosen Fingern den Brief und warf ihn Lena
hinterher. Die Tasche ließ er folgen, nicht ohne vorher die Geldbörse
ausgeräumt zu haben.
Resigniert machte er sich auf den Rückweg. Den letzten Bus würde er wohl noch schaffen.
Ein guter, tiefer Schlaf...das war es, was er jetzt brauchte.
"Das Leben geht weiter - neues Spiel, neues Glück..." brabbelte er vor sich hin.
Er hatte laut, sogar sehr laut gesprochen, aber keiner hörte ihn; der Sturm war noch lauter.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.11.2005.
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