Christian Michels

Das wechselnde Gesicht des Bösen 2

Das wechselnde Gesicht des Bösen 2

Arturus hatte unrecht gehabt. Sie sprachen nicht am nächstem Tag weiter, auch nicht am Tag darauf. Brutus ging ihm aus dem Weg.
Er hofft immer noch, dass Arturus von allein zur Vernunft kam. Wenn er jetzt mit ihm gesprochen hätte, hätte er sich nicht beherrschen können und der Streit wäre eskaliert. Er wollte sich nicht gegen seinen Anführer stellen, aber er würde es tun, wenn er ihm keine Wahl ließe.
Cedric hatte die letzten beiden Tage fast ausschließlich im Zelt bei dem Gefangenen verbracht. Er tauschte mit ihm Worte der Verachtung aus, er drohte ihm und er sah ihm beim Schlafen zu. Wenn er schlief, konnte der Verwundete seine Schmerzen nicht
verbergen. Dann windete er sich von Seite zu Seite und stöhnte leise. Die Wunde in seinem Bauch war mittlerweile vereitert und verursachte bei jeder Bewegung schreckliche Schmerzen. Auch als er an diesem Morgen erwachte, versuchte er schnell den Schmerz
in seinem Gesicht durch Abscheu zu ersetzen. Aber Cedric wusste genau, wie es ihm ging.
,,War `ne harte Nacht, was?“ Er sprach mit echtem Mitgefühl.
,,Ich werde es überleben.“
,,Es muss unglaublich weh tun.“
,,Bist du deswegen hier? Willst du sehen, wie ich mich vor Schmerz auf dem Boden wälze? Ich werde mich vor einem von euch nie so erniedrigen.“
,,Nein, ich.... .“ Er stockte. Es war sinnlos es bei einem von denen mit Nettigkeit zu versuchen. Sie kannten nur Hass. Er wollte es vermeiden weiter mit ihm zu sprechen. Für eine Zeit war es still. Yehudin lag da und dachte über seine Situation nach, wie so oft in den letzten Tagen. Er fühlte sich dann immer schwach und jämmerlich. Und die einzige Person, mit der er sprechen konnte, war ausgerechnet sein Angreifer.
,, Meint dein Anführer das alles ernst?“
Cedric tat uninteressiert, spukte in den Sand, sagte: ,,Ja.“ und widmete sich wieder seinem eingerissenen Hemd.
,,Ist er verrückt?“
,,Ich denke nicht.“
,,Warum tut er mir dann das hier an?“
,,Du meinst warum er dich so demütigt? Ich glaube, er sieht nichts unehrenhaftes daran, von einem friedenswilligem Feind gerettet zu werden.“
,,Wollt ihr Frieden?“
,,Er will Frieden, also will ich auch Frieden, was mit den Anderen ist, weiß ich nicht.“
Cedric merkte, dass er wieder zuviel mit seinem Kriegerkollegen sprach. Er ging, um etwas zu frühstücken. Draußen setzte er sich zu Brutus und Edgar an die Außenseite eines Zelts. Er versuchte den traurigen Anblick zu Vergessen.
,,Lebt er immer noch?“, fragte Edgar
,,Ja, wie geht’s dem Scheißkerl?“, schloss sich Brutus an.
,,Er leidet.“
,,Das freut mich. Erzähl mir mehr!“
,, Seine Wunde öffnet sich gelegentlich, er verliert jedesmal viel Blut und hat Schmerzen. Er tut mir leid“
,,Großer Gott, du nicht auch noch.“
,,Ich weiß, dass das unsinnig ist. Ich sage mir immer wieder, das er nur erhält was er verdient. Aber jedesmal, wenn ich ihn ansehe, sehe ich nur einen bedauernswerten Menschen, der sich furchtbar quält.“
,,Du solltest solche Gedanken unterdrücken, ein Spinner im Lager reicht.“
,, Hast du mittlerweile mit Arturus gesprochen?“, fragte Edgar besorgt.
,,Nein, aber ich werde es wohl bald tun müssen. Ich würde ihn ungern absetzen “
,,Ihr wollt meutern?“ Cedric war entsetzt.
,,Noch nicht, aber wenn er sich weiter so verhält, lässt er uns vielleicht keine Wahl.“
,,Ihr müsst ihm vertrauen, er tut schon das richtige.“
,,Warum, nur weil er der Ranghöchste ist? Auch er kann Fehler machen, er ist nicht Gott.“
,,Aber vielleicht hat er recht. Vielleicht sollten wir ins Dorf zurückkehren und ein normales Leben führen.“
,,Ich weiß, dass du lieber im Dorf wärst und deinen Spaß mit hübschen Frauen hättest, aber wir haben hier eine Pflicht. Wir können denen nicht trauen und wenn Arturus das vergessen hat, können wir auch ihm nicht trauen“
,,Er hat sehr viel für die Truppe getan.“
,,Ich weiß, aber im Moment ist er eine Gefahr. Und wenn wir ihn ablösen wirst du Stellung beziehen müssen. Du musst dich entscheiden: Heldenverehrung oder Realismus!“
,,Nein, du musst dich entscheiden: Blinder Hass oder Loyalität!“
Cedric war über sich selbst verwundert. Brutus war immerhin sein Vorgesetzter. Er hatte sich noch nie so getraut so mit ihm zu reden. Er erkannte, dass heute, in Sachen Gespräche, nicht sein Tag war und kehrte zu Yehudin zurück. Edgar und der irritiert Brutus aßen noch einige Zeit weiter.

Schließlich entschied Brutus sich, es hinter sich zu bringen. Er bat Edgar mitzukommen, als moralische Unterstützung. Arturus saß in seinem Zelt und aß.
,,Schön euch zu sehen.“
,,Ich wünschte, ich könnte das selbe sagen. Also, lass uns reden.“
,,Worüber?“
,,Über den Zeitpunkt.“
,,Wann, wenn nicht jetzt? Ich glaube einfach die Entscheidung war überfällig.“
,,Das bringt uns zum Warum.“
,,Das Ganze ist doch mittlerweile zwecklos. Seit Jahren konnten wir weder vorrücken noch mussten wir zurückweichen. Das gleiche gilt für den Gegner. Niemand konnte eins der Dörfer wirklich bedrohen.“
,,Aber nur weil sie von den Truppen beschützt werden.“
,,Falsch, weil niemand mehr Interesse daran hat. Also können wir auch genauso gut Frieden schließen.“
,,Es wird Frieden geben, sobald wir gewonnen haben.“
,,Jetzt ist der richtige Zeitpunkt.“
,,Erkennst du nicht, dass du, wenn du jetzt Frieden schließt, den Tod aller anderen sinnlos werden lässt?“
,,Lieber mache ich den Tod so vieler sinnlos, als noch mal so viele sterben zu lassen!“
,,Und das ist falsch!“ Es war eine echte Schwäche von Brutus, immer gleich zu schreien.
,,Es ist noch nicht zu spät“, brachte Edgar sich ein. ,,Wir können den Fehler noch rückgängig machen. Wenn wir den Gefangenen töten, ist die ganze Sache vergessen. Die werden sich vielleicht wundern, warum sie die Leiche nicht finden aber sie werden bestimmt nicht denken, dass wir den Kodex gebrochen haben.“
,, Mich wundert, dass du nicht hinter mir stehst Edgar. Das ist deine Gelegenheit, dem hier zu entkommen. Endlich keine Angst mehr, kämpfen zu müssen und kein schlechtes Gewisse mehr, weil Freunde sterben während du ängstlich im Lager hockst. Aber anscheinend ist deine Beschränktheit noch größer als deine Feigheit.“
Brutus fühlte sich bestätigt. Das Arturus in seinem Rundumschlag jetzt auch die, die ihm etwas näher standen beleidigte, zeigte nur seine Labilität. Auch Edgar rechtfertigte sich nicht. Er kannte seinen Anführer lange genug, um zu sehen, das die Arroganz, die die typische Feindseligkeit abgelöst hatte, nur gespielt war. Außerdem hatte Arturus recht. Er hatte Angst kämpfen zu müssen und er hatte ein schlechtes Gewissen wenn er es nicht tat. Trotzdem konnte er sich keinen Frieden vorstellen.
Arturus sprach weiter: ,,Und selbst wenn ich es rückgängig machen wollte, würde es nicht mehr gehen. Man hat unseren Spähtrupp
gefunden. Nach dem Zustand der Leichen, waren die Gegner wohl besonders wütend. Sie wissen es.“
Brutus erstarrte. 4 Tote in einer Woche. Ihnen standen nicht unbegrenzt Männer zur Verfügung. Derartige Verluste durften sie nicht hinnehmen, wenn sie eine Chance haben wollten. ,, Wenn sie alles wissen, warum sollten sie dann besonders wütend sein?“
,,Anscheinend haben sie es nicht geglaubt.“
,,Ich hätte es auch nicht geglaubt.“
,,Werden sie angreifen?“, fragte Edgar, bevor er merkte, dass seine Angst aus ihm sprach und die Frage bereute.
,, Ich glaube schon, vielleicht schon heute abend.“
,, Na das hast du ja super gemacht Anführer,“ bemerkte Brutus.
Arturus überging die Bemerkung. ,,Ihr solltet den heutigen Tag genießen, aber seit nachher bereit.“
Er ging und ließ die beiden zurück. Edgar spürte Unruhe in sich. Er würde kämpfen müssen. Aber er würde es schaffen. Er würde seine Angst überwinden und tapfer kämpfen. Er würde ein Held werden.

Die Planungen für den großen Schlag übten sich auf jeden anders aus. Wolfram ließ die Sache ziemlich kalt. Es spielte keine
große Rolle mehr für ihn. Wieder eine Schlacht, wieder viele Tote und wieder keine Entscheidung. Xaver versuchte sich
wirklich zu engagieren, ober er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Er vermisste Yehudin und sorgte sich um ihn. Wie ging es ihm? Wie kam er mit der Schande zurecht? Lebte er überhaupt noch? Am liebsten wäre er allein ins gegnerische Lager gestürmt, hätte alle getötet und seinen Freund gerettet. Er hatte jetzt seinen Platz inne, fühlte sich aber als wertloser Ersatz. Immerhin hatte er diesen Rang nicht durch seine Leistung erhalten. Nur Zachäus blühte richtig auf. Er genoss es, endlich handeln zu können, er war fast euphorisch. Er hielt viele hasserfüllte Ansprachen und fühlte sich großartig. Sie waren kurz davor, loszuschlagen. Er wollte sich vorher mit Xaver besprechen und kam in sein Zelt. Wolfram war wieder bei ihm.
,,Fühlt ihr es auch? Ruhm und Ehre erwarten uns. Es wird ein großer Sieg.“
,,Wir sind` s nur. Du kannst die Propaganda lassen.“ Wolfram gab sich keine Mühe mehr, seine Verachtung zu verbergen.
,, Wo liegt dein Problem, zum Teufel?“
,,Ich habe kein Problem. Mich beängstigt nur diese Kriegslust ein wenig.“
,, Welche Kriegslust? Wir verteidigen uns nur.“
,, Hast du schon mal daran gedacht, dass sie wirklich Frieden wollen und Yehudin deshalb helfen?“
,,Bitte sag mir, dass du nicht so naiv bist.“
,,Ich halte es auch für unwahrscheinlich, aber du ziehst es nicht einmal in Betracht. Du bist zu verbissen geworden, und ich auch.“
,,Hör zu, konzentriere auf deine Aufgabe und denk nicht so viel, wir werden gleich aufbrechen.“
,,Das wäre dumm. Wenn wir noch einige Stunden warten, hätten wir die Sonne im Rücken und der Gegner wäre geblendet. Ich hoffe, dein kleines Ego kann es noch so lange ohne Ruhm und Ehre aushalten.“
Zachäus ließ sich Zeit: ,,Du hast recht. Danke. Ich gehe und sag es den anderen.“ Kurz bevor er das Zelt verließ, drehte er sich noch einmal um. ,,Noch eins. Wenn du weißt, was gut für dich ist, dann sprichst du mit mir nicht noch einmal in einer derart respektlosen Weise!“
Xaver hatte die Szene schweigend betrachtet. Nun machte er sich neben Yehudin auch Sorgen um Wolfram, er hatte sich verändert.
,, Was ist bloß los mit dir?“
,, Was soll die Frage?“
,, Ich meine deine mangelnde Motivation, deine Feindseligkeit gegenüber Zachäus und dein Desinteresse am großen Kampf.“
,, Wenn ich ehrlich sein soll, ich habe dieses ewige Kämpfen einfach nur satt.“
,,Warum? Es kann doch sehr ehrenvoll sein.“
,,Ich habe neulich ein Kind getötet!“
,,Falsch, du hast einen Soldaten getötet. Wenn die anderen so grausam sind und ihre Kinder in den Kampf schicken, ist das nicht
unser Problem“
,, Wie dem auch sei. Sieh mich doch an. Ich bin 33. In dem Alter wollte ich schon verheiratet und Vater in meinem Dorf sein. Und was für ein Leben habe ich wirklich? Ich kämpfe hier in einem Krieg zwischen zwei mir völlig fremden Dörfern. Ich bin durch Zufall hergekommen und stecken geblieben.“
Xaver war überrascht, dass der harte Wolfram so offenherzig sprach. Aber er wollte nicht auf den Inhalt seiner Worte eingehen.
,, Warum kommst du grade jetzt darauf.“
,, Das hat keinen Grund.“ Eine Lüge. Es lag an eben diesem, von ihm getöteten Soldaten, der aussah wie zwölf und ihn so furchtbar angestarrt hatte. ,,Aber es ist noch nicht zu spät für mich. Ich kann noch ein glückliches Leben haben.“
,,Was soll das heißen?“
,, Ich verlasse euch. Natürlich nicht jetzt, aber wenn die Schlacht vorbei ist, werde ich nicht mehr lange hier sein.“
,, Du kannst nicht so einfach gehen.“
,,Warum nicht? Ich bin euch nichts schuldig. Ich kenne niemanden in eurem Dorf, den ich beschützen will.“
Er ging. Xaver wollte ihm folgen, ließ es aber. Jetzt musste er sich auf die Schlacht und auf die Befreiung seines Freundes vorbereiten. Yehudin war wichtiger als Wolfram.

Xavers bester Freund war immer noch nicht fähig, aufzustehen. Er lag auf seinem provisorischen Bett und gab sich ganz seinen Schmerzen hin. Cedric kam vom Mittagessen wieder. Auch diese Mahlzeit hatte er nicht sehr genossen. Zwar hatte er sich diesmal nicht mit Brutus gestritten, aber er hatte die beunruhigenden Nachrichten gehört.
,,Deine Leute wissen bescheit. Sie werde wohl angreifen, um dich zu befreien.“
Yehudin kniff seine Augen fest zusammen und schluckte mehrmals.
,,Sollte dich das nicht freuen?“
,,Ich glaube nicht, dass sie aus Kameradschaft kommen. Sie werde mich nicht sehr vermissen. Wenn sie mich wirklich hohlen, werden sie mich verachten. Ich habe mich gefangen nehmen lassen und Schande über die Truppe gebracht.“
,,Es war doch nicht deine Schuld. Ich habe dich verletzt und Arturus hat befohlen, dich mitzunehmen. Sie werden es verstehen.“
,,Versuchst du mir Mut zu machen?“
Ja, das tat er und es erschreckte ihn selbst am meisten. Er fasste wieder den Vorsatz, weniger zu reden.
,,Wann werden sie kommen?“, fragte Yehudin nach einer Pause.
,,Bald.“
,,Hast du Angst?“
,,Natürlich nicht, Mistkerl! Mit denen werden wir leicht fertig.“ Er war kein allzu guter Lügner.
,,Sei dir nicht so sicher, auch wir können kämpfen.“ Yehudin versuchte sich nicht aggressiv anzuhören.
,,Wir werden gewinnen. Wir kennen unser Lager besser und wir haben einen genialen Anführer, glaube ich.“
,,Glaubst du?“
,,Ich bin mir nicht mehr sicher. Er hat sich sehr verändert, seit sein Bruder tot ist. Ich kann nicht mehr zu ihm aufschauen“
Und dahin waren die guten Vorsätze. ,, Er war immer ein Halt für mich, der mir Mut machte, aber jetzt. Ich habe das Gefühl verloren, dass am Ende alles gut wird. Deine Soldaten werden bald hiersein. Und ich könnte alles verlieren, meine Freunde, mein Leben. Das klingt jetzt sehr kindisch, oder?“
,,Nein, überhaupt nicht.“
,,Ich fürchte mich einfach davor, mit einem labilen Anführer und einem Stellvertreter, der meutern will, zu kämpfen. Ich will nicht sterben.“
,,Du wirst nicht sterben. Vielleicht kann dein Anführer wirklich Frieden schließen.“
,,Versuchst du jetzt mir Mut zu machen?“
Diese Frage ließ auch Yehudin unbeantwortet. Von draußen war eine Stimme zu hören, die Cedrics Namen rief. Es war Brutus. Er erklärte, dass er noch den Angriffsplan mit Arturus klären und ihn dabei haben wollte. Edgar begleitete sie. Alle drei waren gespannt, wie der Ranghöchste sich diesmal verhalten würde. Nach der Begrüßung begann Brutus zu sprechen.
,,Können wir über die Angriffstaktik sprechen?“
,,Welche Angriffstaktik?“, fragte Arturus, „Eure Aufgabe ist es euch zu verteidigen und ich versuche mit deren Anführer zu sprechen.“
,, Du willst mit ihm sprechen? Der Gegner denkt, dass wir sämtliche Moral verloren haben und will sich rächen. Es gibt deswegen vielleicht viele Tote.“
,,Vielleicht?“ Die Bitterkeit in seiner Stimme war nicht zu überhören.
,,Und das nimmst du einfach hin?“
,,Nein. Wenn ich mit ihrem Anführer reden könnte, haben wir eine Chance. Ich bin ein guter Rethoriker.“
,,Man kann einen jahrzehntelangen Krieg nicht durch einen kurzen Dialog beenden, verdammt noch mal.“
,,Das weiß ich auch, aber man kann Verhandlungen aufnehmen.“
,,Verhandeln, mit denen? Du willst mit den Mördern deiner ganzen Familie verhandeln? Wie krank bist du denn?“
,,Na jetzt wird’s interessant. Willst du mir noch was sagen?“
,,Du bist feige. Feige und verlogen!“
Er erwartete einen Schlag, aber nichts passierte. Arturus schrie nicht einmal zurück. Er brachte nur ein wütendes Schnauben zu stande. Schließlich sprach Brutus weiter.
,,Jahrelang hast du Männer in den Tod geschickt, ohne mit der Wimper zu zucken. Und jetzt hat es jemanden erwischt, an dem dir lag, und schon brichst du zusammen. War sein Leben denn wirklich so viel wichtiger als das der anderen?“
,,Ich trauere um jeden meiner Männer.“
,,Ach ja, wir haben diese Woche noch drei andere Männer verloren. Ich habe nicht gesehen, dass dir ihr Tod sehr nahe ging.“
,,Jeder Tote berührt mich. Aber Darius war mein Bruder und sein Tod hat mir die Augen geöffnet, dass... .“
,,...Dass der Krieg sinnlos ist und dass wir Frieden schließen sollten, ja ja. Schwachsinn! Du hast Angst. Du stellst dein eigenes kleines Leben über das Wohl der Truppe und das des Dorfes. Du hast Angst zu sterben wie er, du Feigling, du...“
,,Ja, ja, ja zum Teufel, ich habe Angst!“
Das war Arturus, wie man ihn kannte: laut und aggressiv. Sofort beherrschte er die Szene. Nur dass er diesmal tatsächlich Tränen in den Augen hatte. Ob es Wut oder etwas anderes war, wusste er selbst nicht. Aber so konnte ihn ja niemand mehr ernst nehmen. Jetzt war er erledigt. Brutus starrte ihm fest in die Augen. Cedric und Edgar trauten sich das nicht. Sie versuchte , einen anderen Punkt in seinem Gesicht zu fixieren.
,,Ich habe Angst. Ich habe Angst, zu sterben, ohne gelebt zu haben. Ich habe Angst, noch mehr Männer in den Tod zu schicken und davor noch mehr selbst zu töten.“
Er wurde immer leiser und sein Tonfall wechselte von aggressiv zu weinerlich. Er zwang sich nicht loszuheulen.
,,Wir haben hier eine Chance, dem zu entkommen. Wir müssen nur allen klarmachen, dass wir es ernst meinen. Ich glaube, wir können das schaffen. Nach all de Jahren könntest du mir ruhig vertrauen. Wenn es nicht klappt, werde ich Tod sein, entweder durch die oder durch euch. Ich mache es dir wirklich leicht. ,Er war verrückt` das kannst du allen sagen. ,Er war verrückt, konnte den Tod seines Bruders nicht verkraften. Er war verrückt, brach den Ehrenkodex und wollte Frieden, er war verrückt`.“
Die erste Träne rann über seine Wange. Cedric und Edgar starrten nun auf den Boden und wagten nicht aufzusehen. Brutus sah ihn an und empfand echtes bedauern. Er fühlte sich seinem Anführer ganz nah, das erstemal seit Tagen und ging, bevor er zu sentimental wurde. Die anderen beiden blieben noch einig Augenblicke, ohne etwas zu sagen oder sich zu bewegen. Aber schließlich gingen auch sie. Der Feind würde bald dasein und man musste sich vorbereiten. Cedric war für Yehudin Bewachung eingeteilt. Edgar und der Rest verteidigten die Lagergrenzen. Arturus blieb noch einige Zeit im Zelt und überlegte, ab wann es schiefgelaufen war.

Edgar hockte mit seiner länglichen Stichwaffe mit dem Rücken zur Feuerstelle und starrte in den Wald. Die Jahre im Lager hatten seinen Körper zerstört. Nach einigen Minuten in dieser Position tat ihm alles weh.
Er dachte oft über seinen Tod nach. Er war davon regelrecht besessen und er hatte panische Angst davor. Es würde regnen und der Boden würde matschig sein. Er würde kämpfen müssen und verlieren. Aber jetzt darüber nachzudenken war wenig hilfreich.
Es war ein grauer Tag, ein leichter Wind wehte und eine merkwürdige Stille schien alles zu umgeben. Es begann zu regnen und der Boden wurde matschig. Edgar hatte keine Zeit , um ein Held zu werden. Gegen die 10 Gegner die aus dem Gehölz vor ihm sprangen hatte er keine Chance. Er hatte sie nicht einmal gehört. Sie schnitten ihn die Kehle fast im vorbeigehen durch, kurz und schmerzlos. Aus allen Richtungen kamen nun Soldaten zum Angriff, an die 50 Mann, alles was sie hatten. Arturus standen 58 Männer zur Verfügung. Das Morden begann sofort. Als Arturus den Lärm hörte, sprintete er aus seinem Zelt. Er versuchte, den Kampf nicht zu beachten und hielt nach dem gegnerischem Anführer Ausschau. Zachäus war, aufgrund seiner Rangabzeichen, leicht als dieser zu erkennen. Arturus lief zu ihm und plötzlich standen sie sich mit ihren Speeren bewaffnet gegenüber. Auch Zachäus erkannte, wen er vor sich hatte. Einige Sekunden starrten sie sich in die Augen, bis Arturus zu sprechen begann.
,,Das muss aufhören. Befiehl deinen Leuten es zu beenden. Wir wollen nicht mehr kämpfen.“
,,Ich bin nicht wahnsinnig. Wenn wir zögern werdet ihr uns töten.“ Er war bereit, jeden Moment zuzustoßen.
Arturus antwortete nicht. Nachdem er einen Moment inne gehalten hatte, warf er seinen Speer in den Matsch, breitete seine Arme weit aus und trat näher an Zachäus heran. Er erklärte nochmals, dass sie es ernst meinten. Ein Soldat wollte an Zachäus vorbeistürmen und den unbewaffneten töten, aber sein Anführer hielt ihn zurück. Zachäus war fasziniert von diesem mutigen Mann. Er begann zu schreien, dass seine Männer das Kämpfen beenden sollten. Arturus war fast euphorisch. Auch er gab seinen Männern den Befehl,
aufzuhören. Allmählich wurden die Bewegungen der Soldaten langsamer. Sie sahen ihre Anführer friedlich neben einander stehen, langsam senkten alle ihre Waffen und starrten sie an. Neben Edgar lagen mittlerweile 10 weitere Leichen auf dem Boden.
,,Also, rede!“, knurrte Zachäus.
,,Euer Kamerad lebt, er... .“
,,Ja, ja, ihr habt ihn gefangen genommen, um uns alle zu demütigen.“
,,Wir halfen ihm, er war verwundet.“
,,Ihr wart es, die ihn verwundet habt.“
,,Darauf hatte ich keinen Einfluss, ich befahl ihn zu retten, als Zeichen des guten Willens. Wie gesagt, ich will Frieden. Geht in euer Lager, nehmt ihn mit und ihr werdet nie wieder von uns hören.“
Alle Soldaten waren bewegungslos. Sie standen friedlich nebeneinander. Die Situation strahlte eine merkwürdige Ruhe aus. Niemand konnte sich keinen Frieden mit dem Feind vorstellen. Wolfram war die Ausnahme, er schöpfte echte Hoffnung. Xaver hörte gar nicht zu. Er fragte sich, in welchem Zelt Yehudin sich befand Sein Blick fiel auf das Zelt, dessen Vorhang als einziges zugezogen war. Das musste es sein.
,,Welche Sicherheit hätten wir?“, fragte Zachäus ungläubig.
,,Ich fürchte nur mein Wort.“
,,Das ist bei Weitem nicht genug.“ Er machte eine kurze Pause. ,,Hier ist mein Vorschlag: Ihr verschwindet von hier und kehrt in euer Dorf zurück. Wir übernehmen dieses Lager und bleiben einige Monate. Wenn wir sicher sind, dass ihr es ernst meint, gehen auch wir in unser Dorf zurück.“
,,Das kann ich nicht tun. Ich werde das Dorf nicht ohne Verteidigungslinie lassen.“
,,Ich wusste es. Damit ist alles gesagt.“
,,Nein, warte, wir können doch... .“
Zachäus unterbrach ihn und wendete sich an seine Soldaten: ,,Tötet sie alle!“
Er beachtete Arturus nicht weiter und lief davon. Sofort ging das Schlachten weiter. Kehlen wurden durchgeschnitten, Herzen wurden durchbohrt und viele andere Tötungsvarianten wurden verwendet.
Auch Wolfram starb so. Brutus lief durchs Getümmel, da sah er ihn. Dieser Riese mit der großen Narbe hatte Darius getötet, er war an alldem Schuld. Brutus lief auf ihn zu und ignorierte einige Gelegenheiten andere Gegner zu erledigen. Er sprang vor seine Füße, rief: ,, Ich weiß, wer du bist!“ und stach zu. Wolfram hatte keine Zeit, seine lädierte Waffe zu ziehen. Als er nach unten blickte, sah er das Messer aus seinem Bauch ragen. Er hatte keine Zeit mehr, über das ganze Ausmaß seines Pechs nachzudenken. Sein massiger Körper fiel auf die Knie und sackte in sich zusammen. Für ihn war es vorbei.
Xaver rannte in das von ihm ausgesuchte Zelt. Da lag er, sein bester Freund, um den er sich so gesorgt hatte. Er fiel dem Liegenden um den Hals und murmelte einige Worte der Erleichterung. Dann wandte er sich Cedric zu. Der hatte bis jetzt bei Yehudin ausgeharrt und versucht, dass Geschehen draußen zu ignorieren. Xaver nahm Anlauf und stieß Cedric an die lederne Zeltwand. Er ignorierte Yehudins ,, Tu’ s nicht“ Rufe. Mit seiner linken Hand drückte er die rechte Schulter seines Gegners nach hinten. Mit der rechten griff er nach dem Messer an seinem Gürtel. Yehudins Schreie wurden schriller und lauter. Xaver holte weit aus, als er plötzlich ein ruckartiges Zerren von hinten bemerkte. Yehudin versucht seinen Freund daran zu hindern, seinen Pfleger zu töten. Der Überrumpelte verlor das Gleichgewicht. Er fiel auf seinen Arm. Sein Ellenbogen grub sich in seinen Magen. Seine Hand lag auf Höhe des Halses. Die Klinge bohrte sich schnell durch seine Kehle. Panikartig sank Yehudin, trotz der enormen Schmerzen, auf den Boden und riss seinen Freund herum, bis er auf dem Rücken lag. Sogar der Griff steckte teilweise im Fleisch. Er fing sofort an, hysterisch zu weinen. Cedric stand noch regungslos an der Wand, er war mit der Situation völlig überfordert. Langsam ging er einige Schritte nach vorn, ging in die Knie und legte seine Hand auf Yehudin Schulter. Dieser war völlig aufgelöst und fiel auf die Seite. Schließlich lag er zusammengekauert mit seinem Kopf in Cedrics Schoß und heulte noch mehr.
Arturus lief wirr durchs Lager und sah zu, wie seine Hoffnung durch ein Massaker zerrissen wurde und in einem Meer aus Blut ertrank. Die Hälfte der Männer war bereits tot. Als er wieder grundlos die Richtung änderte, stieß er mit einem Gegner zusammen. Es war Zachäus. Er schloß mit seinem Leben ab. Er wollte sterben. Doch bevor Zachäus sein Werk vollenden konnte, stürmte Brutus zwischen sie. Er legte je eine Hand auf die Brust der beiden und blickte panisch von einem zu anderen. Arturus war perplex.
,,Nach unserem letzen Gespräch ist es eine Überraschung, dich hier zu sehen.“
,, Wenn ich die Wahl habe, nehme ich die Loyalität.“ Er drehte sich zu Zachäus. ,,Tu’ s nicht. Es gibt noch eine Chance.“
Zachäus` Gesicht war voller Abscheu. Er versuchte mehrmals an Brutus vorbeizustechen. Er schrie, nahm seine ganze Kraft zusammen und investierte sie in einen weiteren Stoß. Auch Brutus schrie, als er sich vor den Speer warf. Diesmal hatte er Pech. Sein Schrei verstummte sofort. Er fiel getroffen nach hinten auf Arturus. Der war außer sich vor Wut. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer furchteinflößende Fratze, er atmete schnell und laut. In seinen Augen war nichts als Hass. Er griff nach der Waffe seines toten Kammeraden. Als er wieder nach oben blickte, steckte Zachäus` Speer schon in seinem Bauch. Mit letzter Kraft, stieß er zurück. Beide fielen auf den Boden Arturus begann unter Schmerzen zu sprechen.
,,Warum hast du mir nicht vertraut?“ Es war mehr ein Vorwurf, als eine Frage.
,,Wie konnte ich? Nach allem, was wir uns gegenseitig angetan haben.“
,,Ich wollte nur noch Frieden.“
,,Und ich war bereit, ihn zu schließen. Mein Angebot, das war ernst gemeint. Wenn ihr in euer Dorf gegangen wärt, hätten wir nicht angegriffen.“
,,Tja, dann ist das wohl das Ende.“
Zachäus starb zuerst. Arturus sah dem Geschehen noch einige Momente zu, bevor er die Augen schloß. Der Kampf ging noch einige Zeit weiter. Dann war es wieder still.

Cedric saß an die Zeltwand gelehnt da. Er vergrub die unter Hälfte seines Gesichts in seinen Händen. Die Stille verriet ihm, was passiert war. Er hatte Tränen in den Augen. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzt mal geweint hatte. Er musste noch ein Kind gewesen sein. Gegenüber saß Yehudin auf dem Boden und lehnte sich an sein Bett. Er hatte aufgehört zu weinen, er saß nur apathisch da. Zwischen ihnen lag Xavers auf dem Rücken liegende Leiche. Seine Augen waren weit aufgerissen, das Blut an seinem Hals war getrocknet und hatte seien hellrote Farbe verloren. Als Yehudins Blick auf ihn fiel, sackte er in sich zusammen.
,, Er ist nur meinetwegen gekommen, aus Kameradschaft. Er verachtete mich nicht, er wollte mich retten, und ich habe ihn getötet.“
,,Du hast es nicht mit Absicht getan, es ist nicht deine Schuld.“
,,Es ist alles meine Schuld. Wenn ich im Wald nicht so erbärmlich ausgesehen hätte, wenn mich dein verrückter Anführer einfach getötet hättet...“
,,Er war nicht verrückt!“
,,Meine Leute, deine Leute, sie alle könnten noch leben, wenn ich nicht verwundet worden wäre. Ich hätte niemals meinen besten Freund für einen von euch getötet. Ich sollte auch tot sein, du solltest mich töten.“
,, Wenn du jetzt nicht weiterlebst, sind alle anderen sinnlos gestorben.“
,,Genauso, wie sie gelebt haben.“
,,Komm, ich bringe dich in mein Dorf. Du musst dringend zu einem richtigen Arzt.“
Cedric half seinem Freund auf. Langsam gingen sie aus dem Zelt. Der Regen hatte aufgehört. Als sie die Leichen sahen, hielten sie kurz an. Keiner hatte überlebt. Sie bahnten sich einen Weg durch ihre toten Kammeraden und drehten sich nicht mehr um.

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Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Christian Michels).
Der Beitrag wurde von Christian Michels auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.05.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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In meinen Gedichten, schreibe ich mir meine eigene Realität, meine Träume auch wenn sie oft surreal, meistens abstakt wirken. Schreiben bedingt auch meine Sprache, meine Denkmechanismen mein Gefühl für das Jetzt der Zeit.

Ich vernehme mich selbst, ich höre tief in mich rein, bin bei mir, hier und jetzt. Die Sprache ist dabei meine Helfershelferin und Komplizin, wenn es darum geht, mir die Wirklichkeit vom Leib zu halten. Wenn ich mein erzähltes Ich beschreibe, beeinflusse, beschneide, möchte ich begreifen, wissen, welche Ursachen Einflüsse bestimmte Dinge und Menschen auf mein Inneres auf meine Handlung nehmen, wie sie sich integrieren bzw. verworfen werden um mich dennoch im Gleichgewicht halten können.

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