Norbert Friehe

Die Sache mit den Türen

 
© Norbert Friehe
 
 
 
 
 
 
 
Schon der berühmte und leider viel zu früh verstorbene Heinz Erhardt sagte:
 
„Und wieder wird es kalt hienieden, es weht aus Norden statt aus Süden.“
 
Wie recht er hatte und immer noch hat. Jedes Jahr wiederholt sich dieser nicht enden wollende Kreislauf von warm – besser bekannt als Sommer – zu kalt, also Winter.
Diese Jahreszeit erfreut sich in unserer kleinen aber recht munteren Familie deshalb so großer Beliebtheit, weil wir niemals ganz genau wissen, wie hoch dieses Jahr unsere Heizkosten ausfallen. Schuld an diesem Dilemma ist unser bestens bekannter Schäferhund mit dem lustigen Namen Charlie.
Dieses fröhliche vierbeinige Wesen ist ständig in Bewegung und durchquert die Wohnung in alle vorhandenen Himmelsrichtungen und ganz besonders in jene, aus denen die Heizungsluft kommt.
 
 
Nachdem ich meinen Kaffee getrunken und unseren Hund mit reichlich Futter versorgt hatte, schlich ich leise durch die Wohnung und drehte die Heizkörper auf. Dieser Vorgang wiederholt sich jeden Morgen, weil meine kleine aber sehr resolute Frau es auf den Tod nicht ausstehen kann, wenn nicht wenigstens die Küche oder das Badezimmer bei eisigen Außentemperaturen geheizt sind.
Da ich immer bestrebt bin, den Hausfrieden aufrecht zu erhalten, gehe ich der Tätigkeit des Heizens jeden Morgen akribisch nach. Im übrigen friere ich auch nicht so gern.
Darum erlaubte ich mir, auch im Büro kurz die Heizung aufzudrehen. Es ist unglaublich schwierig, mit kalten Fingern am Computer zu arbeiten und mit Handschuhen kann ich die Tastatur keinesfalls bedienen.
Trotzdem bin ich bestrebt, die Heizkosten zu minimieren, wo es nur geht.
Koste es, was es wolle!  
Unseren Hund scheint das gar nicht zu interessieren. Er ignoriert meine Bestrebungen konsequent.
Für gewöhnlich ziehe ich die Tür meines Arbeitszimmers hinter mir zu, so dass sie noch einen Spalt breit geöffnet ist. Meine Frau tut es mir gleich, je nachdem wo sie sich gerade aufhält.
Wir haben viele Türen mit Zimmern dahinter, die erstens wenigstens abends geheizt werden müssen und die zweitens unabhängig von der dort herrschenden Raumtemperatur in unregelmäßigen Abständen von Charlie frequentiert werden.
Ich habe keine Ahnung, warum er überall rein und raus rennen muss.
Er tut es einfach, einem ungeschriebenen inneren Gesetz gehorchend. Ich unterstelle ihm gnädigerweise, dass ihn sein ausgesprochen gut entwickelter Beschützerinstinkt dazu veranlasst, eben dieser fragwürdigen Tätigkeit nachzugehen.
Während ich also schreibend im Büro sitze und die Wärme genieße, höre ich im Hintergrund ein Hustensolo, welches verkündet: „Liebling, ich bin aufgewacht.“ So oder ähnlich kündigt sich meine kleine Frau allmorgendlich an.
Bis dahin hatte unser Hund noch friedlich schnarchend in seinem Sessel unter dem Bürofenster gelegen, sprang jetzt aber auf, um die Dame des Hauses gebührend zu empfangen. Folglich wurde die Tür aufgestoßen und ich bekam augenblicklich Eisfüße.
Charlie war es egal und meiner Frau sowieso. Ihr war noch warm genug, weil sie gerade erst aus dem Bett gekommen war. Mir war es keineswegs egal aber ich empfand dies morgens nicht so schlimm, weil es jeden Morgen geschah - die Sache mit den Türen.
 
Auf jeden Fall waren mittlerweile alle Räume gut beheizt und ich drehte die Heizung bis auf die in meinem Büro und in der Küche auf Null. Es ist überflüssig zu erwähnen, dass die von nun an unbeheizten Zimmer relativ schnell auskühlten. Vorläufig würden meine kleine Frau und ich uns sowieso in der Küche zum gemeinsamen Kaffee aufhalten, um den neuesten Tratsch durchzukauen, wie jeden Morgen. Diese Tätigkeit bietet mitunter einigen Stoff, aus dem meine Kurzgeschichten gemacht werden.  
 
Selbstverständlich hatte ich die Tür ein klein wenig angelehnt oder besser gesagt ein klein wenig offen gelassen, damit der Herr Schäferhund wenigstens noch unsere Stimmen vernehmen konnte.
Dass dieses sehr wichtig für ihn ist, hatte uns vor ewigen Zeiten sein Trainer im Internat mit den Worten eingeschärft, „.......und sorgen Sie dafür, dass der Hund sich immer von einem Raum zum anderen bewegen kann. Hunde sind Fluchttiere.“
Punkt und Ende.
Wir befolgten diese Verklausulierung artig. Mein Verstand sagte mir im Gegensatz dazu, dass sich Heizungsluft ebenfalls bei geöffneten Türen auf der Flucht befindet, weg von unseren Füssen und hin zu den ausgekühlten Räumen. Daran hatte der Trainer nicht gedacht.
Scheinbar hatte er den Winter in seine Planung überhaupt nicht einbezogen.
Wir dagegen schon.  
 
Es dauerte auch gar nicht lange, da hörte ich ein leises Scharren, so als ob sich jemand durch die Küchentür quetschen würde. Und richtig........ Ein behaarter, nicht ganz unbekannter Kopf schob sich durch die Tür und veranlasste mich augenblicklich aufzuspringen, um die verdammte Tür wieder halbwegs zu schließen.
 
Sein Erscheinen ließ im Umkehrschluss zu, dass nun das Büro mit kalter Luft versorgt wurde, weil wie bereits erwähnt die übrigen Räume – und das sind drei – nicht mehr beheizt wurden, deren Türen aber trotzdem wegen unseres Fluchttieres angelehnt waren. Charlie kam aber nur zu uns, um sich einige Streicheleinheiten abzuholen und anschließend wieder dahin zu gehen, wo er hergekommen war.
 
Nach Erteilung der Zärtlichkeiten drehte er auf der Stelle um und verschwand wieder durch den verbliebenen Spalt zu seinem Ausgangspunkt. Folglich hatte ich zwei Türen zu schließen. Ein regelrechter Pendelverkehr nahm seinen Anfang und voraussichtlich bis abends kein Ende.
 
Um wenigstens einiger Attacken seitens unseres Hundes entgegen zu wirken, jagte ich als Präventivschlag Nachbars Katze in den Garten. Dieser befindet sich genau unter dem Fenster meines Arbeitszimmers und wird von uns als „Hundekino“ bezeichnet.  
 
Das Erscheinen der kleinen Bestie wurde mit lautem Gebell quittiert und sorgte dafür, dass Charlie sich vorläufig wegen seiner Neugier nicht von dort fortbewegen würde.
 
Genau in diesem Moment, als ich mich bereits sicher wähnte, bellte auf der anderen Seite des Hauses ein in der Nachbarschaft hausender riesiger schwarzer Hund. Und schon war unser Kampfschwein unterwegs. Bürotür auf, Schlafzimmer aufgestoßen und mit den Pfoten auf die Fensterbank, laut bellen und mit umherfliegendem Speichel Bilder auf die Scheibe gemalt, nebenbei noch einen Blumentopf abgeräumt und gewaltig knurren. Das war in etwa der Vorgang, der sich im Nebenzimmer abspielte.
 
Hauptsächlich drang aber die Kälte in die Wohnung. Unserem Pelztier konnte das ganz egal sein, hatte er doch die passende Kleidung am Körper.
 
Das brachte mich auf weitere Überlegungen. Wir hatten die Möglichkeit, uns mindestens drei Pullover überzuziehen. Dann würden wir uns vermutlich kaum noch bewegen können und aussehen wie das berühmte Michelinmännchen, umgeben von Wollwürsten.
Eine weitere Alternative wäre, Charlie beizubringen, die Türen auch wieder zu schließen, anstatt sie einfach nur aufzustoßen, was sich aber als ungleich schwieriger herausstellen würde.
 
Man könnte auch noch eine elektronisch gesteuerte Kontaktschwelle in den Boden einlassen, die diese Arbeit übernahm. Angesichts der Anzahl der vorhandenen Zimmer verwarf ich diesen Gedanken aus Kostengründen. Vielleicht könnte man auch ein paar Bindfäden durch den Flur spannen, jeweils am Ende eine Türklinke, kurz daran ziehen und zu ist die Tür. Allerdings hatten wir Angst, uns in den Fäden zu verfangen wie die Fische im Netz.
Was, zum Teufel, konnten wir also tun?
Rein theoretisch hätte man auch einige Reißzwecken streuen können. Auch diese Idee war nicht so gut, wollten wir unserem kleinen Freund mit dem riesenhaften Bewegungsdrang nicht weh tun. Allerdings hatte ich auch keine Lust, andauernd auf der Jagd nach halb offenen Tür hin und her zu pendeln – so wie er.
 
Und dann kam mir die Erleuchtung.
 
Mir fiel ein, dass es für Katzen extra Türklappen gibt, durch die sie rein und raus kriechen können. Parallel dazu fiel mir ein, dass ich noch eine wunderschöne Stichsäge im Keller mein eigen nannte und diese nunmehr zum Aussägen der Türen benützen könnte.
Jawohl, genau das würde ich nun tun. Selbst auf die Gefahr hin, dass ich bei einem eventuellen Auszug aus der Wohnung sämtliche Türen erneuern müsste.
 
Nachdem ich im Baumarkt schnell noch einige Scharniere besorgt hatte, nahm ich die schweißtreibende Arbeit in Angriff. Ungefähr nach vier Stunden war alles so, wie ich es mir vorgestellt hatte und hängte die leicht geänderten Türen wieder in ihre Angeln, zog sie zu und wartete ab, was geschah.
Innerlich hoffte ich, dass unser Kleiner nach einem Crashkurs im Türenklappen-Kriechen diese Möglichkeit des Revierwechsels fleißig nutzen würde. Normalerweise stand er Neuerungen nicht sehr misstrauisch gegenüber.
 
Dieses Mal strafte er sein übliches Verhalten Lügen und machte all meine Hoffnungen schlagartig zunichte.
Er ignorierte den technischen Fortschritt, stieß die Türen weiterhin auf, sah mich nur verächtlich an und schenkte meiner Arbeit nicht die geringste Beachtung.
Es gab nur zwei Möglichkeiten: Erstens den Hund abschaffen und zweitens die Türen aushängen.
 
Da wir uns einem geleisteten Eid zufolge aber niemals von unserem Kumpel trennen wollten, entschied ich mich dafür, die Türen zu entfernen und im Keller überwintern zu lassen.
Nun sind wir alle glücklich und zufrieden. Der Hund, weil er sich wieder entsprechend seiner Natur frei bewegen kann und wir, weil wir nicht mehr alle Nase lang aufspringen müssen – besonders ich – um die fraglichen Türen zu schließen.
 
Seitdem heizen wir wie die Teufel und können uns pendelnd dorthin bewegen, wo wir gerade hin wollen.
 
Selbstverständlich sehen wir unserer nächsten Heizkostenabrechnung sehr gespannt entgegen. Auf jeden Fall werden wir den Postboten mühelos von jedem Standort in der Wohnung sehen können, weil seit dem heutigen Tage keine einzige Tür die Sicht versperren kann.
 
 
 
Wir haben unserem Hund einen ungeahnten Freiraum zu verdanken und es gibt bei uns keine kalten Räume mehr. Es bleibt nur die Befürchtung, dass uns nächsten Winter die Heizung abgedreht wird, weil wir die Rechnung nicht bezahlen können. Aber das macht dann auch nichts, weil alle Räume kalt bleiben – so ganz ohne Türen.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.11.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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