Ingo Baumgartner

Kinderwünsche - Eine Weihnachtsgeschichte

„Du Opa, schreibst mir was auf?“, fragt der kleine Kevin seinen Großvater. Kevin ist ein vifes Bürschchen mit seinen ganzen sechs Jahren und ein paar Monaten dazu – und kein Engländer oder Ire, wie man aus dem Rufnamen schließen könnte. Nein, nein, so heißt der Nachwuchs, in den man die ganze Hoffnung setzt, heute in der Alpenrepublik auch auf dem Land und nicht nur in der Stadt, wo die Leute sowieso jeder Mode nachlaufen. Kevin, Patrik, Mario haben Franz, Hans und Sepp sogar aus den hintersten Talschaften verdrängt.

Ja, Kevin ist eben ein Kind seiner Zeit, nicht nur dem Namen nach. Trotzdem ist er vor allem ein Kind. Und Kinder haben Wünsche, oft die erstaunlichsten, besonders vor Weihnachten. Zehn Tage sind es noch bis zum Christfest. Die Geschenke liegen bereit, artig verpackt warten sie in Schränken, Schubladen, auf dem Dachboden oder gar hinter dem Heizkessel auf die Freuden- und Entzückensrufe, die ihnen beim Auspacken entgegenschallen werden.

Für den Erstklassler Kevin warten heuer besonders viele. Lauter sinnvolle, wie der Vater meint. Und praktische noch dazu, wie die Mutter betont: Ein Computerspiel, bei dem man Flugzeuge abschießen muss um zu punkten, ein neuer Gameboy für die Playstation und noch einige weitere Programme, die für einen Sechsjährigen im 21. Jahrhundert unerlässlich sind. Kevin kann noch nicht viel lesen und schreiben. Wie soll er auch drei Monate nach seinem Schulstart? Die Lehrerin ist etwas langsam, kritisiert er immer wieder. Aber auf dem Computer - er hat natürlich einen für sich allein – ja, auf diesem Gerät ist er Meister. Da versteht er sogar die Anweisungen in Englisch und auch der Umgang mit dem Internet ist ihm nicht fremd. Diese Fähigkeiten ihres Sohnes sehen die Eltern gar nicht ungern und wollen sie fördern, wo und wie es halt nur geht.

„Du Opa, schreibst mir was auf?“, bittet der angehende Computerfachmann also, und zwar in einer schüchternen Art und Weise, die dem Großvater nicht ganz geheuer ist. Da muss es um etwas ganz besonders Wichtiges oder Dringliches gehen.

„Was soll ich denn schreiben, Bub?“ fragt er. Er sagt immer Bub, weil er sich mit dem so fremd klingenden Namen nicht und nicht anfreunden kann.

Der Knirps druckst herum. Man sieht ihm auch äußerlich an, wie er sich innerlich windet. Schließlich rafft er sich auf: „Ich möchte dem Christkind schreiben. Ich hätt’ da einen Wunsch, eh nur einen“.

Ob das schon sein Enkel ist, der da vor ihm steht, überlegt der Großvater. Sein Enkelkind, das im zarten Alter von fünf Jahren schon festgestellt hat „Das Christkind gibt’s nicht, die Geschenke kaufen Papa und Mama“. Ja, Papa und Mama haben es für notwendig gehalten, ihren Sohn möglichst frühzeitig über die realen Dinge auf dieser Welt aufzuklären. So haben sie dem Knaben alles Wissenswerte über Buben und Mädchen, Männer und Frauen und so weiter halt, eingeredet, den Osterhasen, den Nikolaus und eben das Christkind aber ausgeredet.

Kevin findet den eierlegenden Osterhasen auch höchstens Zwei- bis Dreijährigen zumutbar. Und der Nikolaus ist ebenfalls längst als Onkel Rudi entlarvt. Beim Christkind ist er sich aber trotz der elterlichen Bemühungen nicht ganz sicher.

Dem erstaunten Opa ist nicht ganz wohl in seiner Haut. Wahrscheinlich wird er komplizierte Dinge aufschreiben müssen, die er nicht versteht oder einfach nicht schreiben kann. Er holt aber einen Briefbogen, einen Umschlag dazu und einen Kugelschreiber. Dann setzt er sich hin. „Also schreiben wir einmal: ‚Liebes Christkind, ich wünsche mir … `“. Er blickt zu seinem Enkel auf und der diktiert nach einiger Überwindung: „ … Holzstöckerl, sonst nichts als Holzstöckerl, gelbe, rote und blaue und sie sollen zweimal so groß sein wie die Baustöckerl, die’s zum Kaufen gibt“.

Ungläubiges Staunen und Erleichterung sind dem alten Herren über das ganze Gesicht anzusehen. Staunen über den Wunsch und Erleichterung, weil er das eben Gehörte natürlich mühelos schreiben kann. Er fügt also „… Holzstöckerl, sonst nichts als Holzstöckerl, gelbe, rote und blaue und sie sollen zweimal so groß sein wie die Baustöckerl, die’s zum Kaufen gibt“ an den angefangenen Satz, setzt noch „Dein Kevin“ darunter und legt den Brief, wie es sich gehört, aufs Fensterbrett. Und wie es sich ebenfalls gehört, ist dieser weg, auf mysteriöse Weise verschwunden, als Kevin nach einiger Zeit nachschauen kommt, um sich von dem ordnungsgemäßen Abgang der Post zu überzeugen.

Nun ist es am Großvater, die Dinge in die Hand zu nehmen. Er muss mit den Eltern sprechen. Sein Sohn und seine Schwiegertochter sind entsetzt. Nicht nur weil sie alle Geschenke schon besorgt haben, sondern weil ihnen der ausgefallene Wunsch des Kindes lächerlich erscheint, eine momentane Marotte wahrscheinlich, der man auf keinen Fall nachgeben sollte. „Vater, du lebst in einer anderen Zeit! Glaubst du wirklich, dass Kevin sich Bauklötze wünscht? Nein, das kommt sicher nicht in Frage. Holzklötze für einen Sechsjährigen, ha, du hast vielleicht Ideen!“

Der Großvater weiß, sein Sohn wird seine Meinung nicht mehr ändern, versucht also gar nicht, noch weiter darüber zu diskutieren.

An den folgenden Tagen ist Opa kaum anzutreffen. Nicht bei den Fernsehprogrammen, die er gewöhnlich nie ungeschaut lässt, nicht bei der Jause, nicht einmal beim Frühstück, das sonst immer gemeinsam eingenommen wird. „Opa ist verschnupft, weil ich ihm die Sache mit den Bausteinen ausgeredet habe. Stell dir vor, wie enttäuscht der Bub mit diesem Kleinkinderkram als Geschenk wäre. Nicht mehr auszuhalten!“ So ist der Vater ganz einer Meinung mit seiner Frau.

Schnell sind die verbleibenden zehn adventlichen Tage um, für die Eltern noch hektisch, für den Großvater wissen wir es nicht, für Kevin eine Zeit der Vorfreude aber auch des ungewissen Bangens.

Dann erstrahlt endlich der Lichterbaum und es erstrahlt der Bub. Mit einem Jubelschrei stürzt er sich auf die Kiste mit den Quadern und Würfeln. Die vielen anderen Päckchen mit dem ganzen Computerzeug bleiben unbeachtet. Es ist ein Weihnachtsfest, wie man es sich wünscht. Freude und Zufriedenheit. Zumindest bei Kevin und dem Großvater, auf dessen Fingern noch immer einige Lackspuren zu sehen sind, die in den Farben zufällig mit dem Anstrich der Baustöckerl übereinstimmen.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.12.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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