Silvia Pree

Warum erzählst du mir das alles noch?

Ich kann nicht schlafen.
Wieder einmal.
Wälze mich von einer Seite auf die andere.
Meine Schläfen hämmern.
Du aber schläfst ruhig.
Ich höre deinen gleichmäßigen Atem.
Und ich kann es nicht verstehen.
Überhaupt nicht.
Wie lange sind wir beisammen?
Fast drei Jahre.
Mit deinem Charme hast du meine Bedenken rasch genommen.
Du warst arbeitslos.
Aber du wolltest dich selbständig machen.
Du hattest große Pläne.
Und du hast sie noch immer.
Seltsam.
Damals habe ich dir alles geglaubt.
Jedes Wort.
Du hast die Gabe Menschen zu überzeugen.
Nicht nur mich.
Auch den Bankbeamten etwa.
Er hat dir den Kredit gegeben.
Ohne weiteres.
Und den Rahmen sogar noch einmal ausgeweitet.
Bis auch ihm klar geworden ist.
Das Feuer deiner Worte ist Schall und Rauch.
Du wärst wohl der geborene Redner gewesen.
Oder auch ein guter Vertreter.
Die Leute neigen dazu dir alles zu glauben…
So wie ich…

Ich stehe auf.
Gehe auf den Balkon.
Die Nacht ist mild.
Wir können die Wohnung nicht mehr bezahlen.
Und ich bin schwanger.
Ich wollte es nicht.
Ich dachte sogar darüber nach, es…
Aber du hast protestiert.
Lautstark.
Das kommt überhaupt nicht in Frage!
Unser Sohn!
Eine Sorge mehr.
Du versprichst mir, dass wir eine neue Wohnung bekommen.
Bald.
In bester Lage…
Ich schüttle nur den Kopf.
Vor drei Jahren hätte ich dir geglaubt.
Ohne zu zögern.
Aber jetzt?
Ich kenne dich mittlerweile.
Du sagst nie die Wahrheit.
Und du sagst nie, was du denkst.
Du spielst allem und jedem etwas vor.
Sogar dir selbst.
Ich habe oft das Gefühl.
Du glaubst selber, was du sagst.
Du wünscht es dir so sehr, dass es wahr wird.
Dass in einem Moment alle Zweifel verschwinden.
Und im nächsten Augenblick denkst du nicht mehr daran.
Aber ich.
Und in den drei Jahren hat sich viel getan.
Ein Märchenschloss nach dem anderen ist eingestürzt.
Deine Träume haben sich nicht verwirklicht.
Du hast Schulden.
Einen Kredit, der offen ist.
Mir graut vor dem Gerichtsvollzieher.
Gott sei dank hafte ich nicht dafür.
Aber meine Ersparnisse sind aufgebraucht.
Alles.
Manchmal…
Manchmal frage ich mich sogar:
Wann wirst du mich verlassen?
Ich kann dir kein Geld mehr geben.
Und ich weiß du brauchst Geld.
Für deinen teuren BMW.
Die Leasingraten zahlen sich nicht von selbst.
Ebenso die Miete für das Geschäftsbüro.
Es musste ja in bester Lage sein!
Mir ist oft schlecht, wenn ich an die nächsten Wochen denke.
An mein Kind.
Und wann ich aus der Wohnung muss.

Aber du schläfst.
Ruhig.
Wie ein Kind.
Fast könnte man sagen:
Den Schlaf des Gerechten…
Wenn ich es nicht besser wüsste!
Und morgen früh, wenn du aufstehst…
Dann wirst du mir wieder von deinen neuen Plänen erzählen.
Wie du alle Probleme in den Griff bekommen willst.
Mit einem Schlag.
Deine Augen werden strahlen.
Und ich werde wieder von deinen Worten ergriffen sein.
Beinahe zumindest.
Vielleicht für einen kurzen Moment.
Aber ich habe dir zu oft zugehört.
Ich kenne den Unterschieden zwischen wahr und falsch.
Und weiß längst:
Deine Worte bedeuten nichts.
Heute so.
Morgen ganz anders.
Ich frage mich nur eines.
Warum erzählst du mir das alles noch?
Du weißt, dass ich dich durchschaue.
Ich kenne dich besser als jeder andere Mensch.
Warum machst du mir überhaupt noch etwas vor?
Aber du kannst wohl nicht anders.
Dein Weg zu leben…
Aber nicht meiner…
Nicht mehr…

Ich stehe noch immer auf dem Balkon.
Starre in die Nacht.
Und weiß nicht, worauf ich warte.

Vivienne

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.12.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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