Sarah Klomp

Unbemerkte Mordlust

Die Nacht brach langsam heran, der Himmel färbte sich dunkelblau, die Straßenlaternen erleuchteten und Jane war auf dem Weg zu ihrer Freundin. Sie wollten heute Abend mit ein paar anderen gemeinsam eine Party feiern. Kleine Wassertropfen fielen vom Himmel und benetzten die Wege mit einem feuchten Film.
Jane ging schneller, sie musste noch eine halbe Stunde laufen, ihr Bus war nicht gekommen. Zu ihrem Glück hatte sie einen Regenschirm dabei um wenigstens etwas Schutz vor dem Niederschlag zu haben, der immer stärker wurde.
Autos rauschten mit heller Beleuchtung an ihr vorbei, sie nahm alles nur als ein Wirrwarr aus Lichtern und Flackern auf. Um diese Tageszeit war noch viel auf den Straßen los, Menschen strömten tuschelnd an ihr vorbei, ein Geschäft nach dem anderen erschien mit leuchtenden Lettern in ihrem Blickfeld. Doch sie war froh darüber, es störte sie keineswegs. Ihr wäre es wohler gegangen, wenn ihr ganzer Weg voller Menschenmassen wäre, doch sie wusste, dass sie früher oder später einige Gassen passieren musste, um zu ihrer Freundin zu gelangen, dort, wo keine Menschenseele war. Und dies behagte ihr nicht, zu sehr bedrängte sie die Angst, plötzlich überfallen zu werden.
Sie zog ihre Jacke enger zu, es war kalt, der Wind wehte eisig und lenkte den Regen, wie er es wollte. Die letzten Reste des Schnees zerflossen, es erinnerte nicht mehr viel an die einst schönen Wintertage.
Jane bemerkte, wie der Regen langsam wieder aufhörte, sie seufzte, genervt von dem ständigen Umschwung des Wetters und klappte ihren Regenschirm wieder zusammen. Mit dessen langer Eisenspitze streifte sie versehentlich den harten Steinweg unter ihr und fasste ihn höher an, als sie es bemerkte.
Ihr fiel es mit jedem Schritt schwerer, sich durch die perfekte Zusammensetzung von Kälte und Wind zu kämpfen und sie kam nur mühsam voran. Immer wieder schaute sie auf ihre Uhr und dann wieder nach vorn. In Gedanken ging sie den Weg, den sie noch vor sich hatte, Schritt für Schritt durch, errechnete sich, wie lange sie noch laufen müsste und überlegte, was ihre Freundin wohl sagen würde, wenn sie sie viel zu Spät und zitternd vor Kälte vor ihrer Haustür vorfinden würde.
Langsam näherte sich die junge sechzehnjährige dem unbehaglichen Teil ihrer Reise.
Dunkle, enge Gassen, aus denen von überall irgendwelche Geräusche ertönten. Doch sie sagte sich, dass sie nichts zu befürchten hätte, es würde sie schon niemand anfallen. 
Jedenfalls versuchte sie ihren Verstand davon zu überzeugen, doch dieser Kampf endete eher unentschieden und wirklich sicher fühlte sie sich keineswegs.
Und wie erwartet drangen Geräusche in ihr Ohr, die sich nicht nach einem natürlichen Ursprung anhörten. Neben dem Heulen des Windes hörte sie noch ein eigenartiges, dumpfes Geräusch, das sich dennoch schrill anhörte. Doch im nächsten Moment sah sie, dass einfach nur jemand seine Musik zu Laut gestellt hatte und durch den starken Wind sein Fenster immer auf und zu gegangen war.
Also sagte sie sich wieder, dass sie doch wirklich nichts zu befürchten hatte, dennoch verfluchte sie sich innerlich dafür, dass sie nicht mit dem Taxi gefahren war. Auch wenn es sie eine Menge Geld gekostet hätte, so wäre sie doch behaglicher an ihrem Ziel angekommen.
Und so passierte was passieren musste.
Den Regenschirm immer noch fest in der Hand begann sie, zu laufen. Sie bekam Angst, sie hatte hinter sich einen Schatten ausgemacht, der immer näher kam und somit preisgab, dass es sich um einen Menschen handelte.
Und wer immer es war, er lief nun hinter Jane her.
Panik breitete sich nun in der jungen Frau aus, sie lief, so schnell sie konnte, ihre Gedanken überschlugen sich, ihre Gefühle wirbelten durcheinander, wurden aber von dem einen dominierenden Gefühl, der Angst, in den Schatten gestellt.
Sie blickte sich immer wider um, sah, wie der Mann, sie hatte ihn eindeutig als Mann identifizieren können, näher kam. Und sie fühlte, wie sie langsamer wurde.
Die Kälte und der Kampf gegen den Wind hatten sie schon erheblich geschwächt und auch trotz der Notreserven an Kraft, die durch die Angst freigesetzt wurden, wurde sie immer müder.
Bis sie schließlich nicht mehr konnte und er sie eingeholt hatte.
Er packte sie von hinten, drängte sie auf den Boden. Die kläglichen Schreie, die Jane noch von sich geben konnte, nutzen ihr auch nicht mehr, denn sogleich presste er ihr die dreckige Hand auf den Mund.
Sie versuchte sich loszureißen, vergebens. Sie hatte nicht die Kraft, sich gegen einen ausgewachsenen Mann zu wehren.
Er drängte sich immer näher an sie, Tränen bildeten sich in ihren Augenwinkeln, sie wollte, dass es aufhört. Warum musste gerade ihr so etwas passieren?
Ihre eine Hand krampfte sich immer mehr um einen feuchten Stoff zusammen, langsam realisierte sie, was sie in ihrer Hand hielt.
Und sogleich begann sie mit der Eisenspitze ihres Regenschirmes auf den Mann einzustechen. Sie traf ihn nicht immer, doch auf jedenfall ausreichend genug, denn er ließ von ihr ab und hielt sich, stöhnend und ächzend vor Schmerz, die Brust. Blut floss an seinen Händen herunter.
„Du dreckige kleine Nutte!“ schrie er sie an und stürzte sich abermals auf sie, um ihr ihre Waffe zu entreißen. Doch diesmal hatte Jane Glück, denn sie bückte sich gerade rechtzeitig, so dass er über sie hinweg stolperte. Bevor er sich aufrappeln konnte, stach sie ein weiteres Mal auf ihn ein und vernahm seine Schreie mit einer Woge aus Genugtuung.
Gelenkt von ihrem Zorn und von den Spuren ihrer Angst ließ Jane nicht von ihm ab, auch wenn sie lieber weggelaufen wäre. Sie befand sich in einer Art Trance und ihr Körper bewegte sich von selbst, ohne dass sie irgendeinen Einfluss auf ihr Handeln hatte.
Irgendwann bewegte sich ihr Gegenüber nicht mehr und sie ließ langsam von ihm ab.
Jane fiel auf die Knie, schmiss den Blutdurchtränkten Schirm weg und begann zu keuchen, schreien konnte sie nicht mehr.
Immer noch zitternd realisierte sie Stück für Stück was geschehen war, was sie getan hatte. Sie kroch näher an den nun regungslosen fremden Mann heran und bemerkte mit Schrecken, dass er aufgehört hatte, zu atmen. Blut lief aus seinem Mund, sie hatte mit der Eisenspitze ihres Regenschirms seinen Hals durchbohrt.
Tränen bildeten sich auf ihren Wangen, sie hatte soeben einen Menschen getötet.
Irgendwie rappelte sie sich auf und ging ein paar Schritte weiter, erreichte ein paar Mülltonnen, in die sie sich übergab.
Sie sank erneut voller Erschöpfung auf die Knie, kleine Tränen bildeten sich in ihren Augen, verschmolzen zu einer Großen und machten sich auf den Weg über ihre Wangen zu Boden.Sie verbarg ihr Gesicht und wartete hilflos und hoffnungslos auf den nächsten Morgen

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.12.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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