Ronald Deutschland

Kanamy - Kekse

Es war kurz vor vierundzwanzig Uhr. Ich stand unvermittelt auf und verließ  das Zimmer. Ich ging in den Flur. Ich konnte die Sachen nicht zu Ende bügeln, ich öffnete die Tür und schlug sie hinter mir zu, während ich rannte. Ich rannte weg. Ich stoppte abrupt. Wohin denn? Dachte ich, nach Hause?  Ich blieb im Lichtkegel einer Straßenlaterne stehen und setzte mich auf die Parkbank daneben.  Ich bemühte mich zu weinen. Ich saß nur noch halb im Licht. Es war irgendwie angenehm. Ich mochte auch Zwielicht. Weder in der Dunkelheit noch in der prallen Sonne hatte ich mich wohl gefühlt. Aber das war angenehm. Neben mich in den Schatten setzte sich ein älterer Mann im Nadelstreifenanzug. „ Na Junge, so spät noch draußen?“ Ich genoss das Zwielicht. „ Ja.“, flüsterte ich benommen. „Und was machst du hier?“ „ Nichts.“ „Wo kommst du denn her?“, fragte er ruhig, als er seine Ellenbogen auf die Knie stützte. „ Von Misako.“, sagte ich, sicher es würde ihm nichts sagen. „ Und das ist diese kleine Blonde?“, bohrte er nach. „ Nein, die mit dem Messer.“ „ Und welche magst du mehr?“ Ich schwieg. Welche? Ich wusste es nicht. „ Hast schon mit einer geschlafen?“ Ich schloss die Augen und versuchte noch immer zu weinen. „Nein.“ Er blickte auf die Straße. Warum erzählte ich diesem Mann so etwas? Aber es stimmte ja, ich war ja auch noch Jungfrau. Es gab Zeiten, in denen ich einfach nicht allein sein wollte und Momente, in denen mich die anderen mal gern haben konnten. Und jetzt schien so ein Moment zu sein. Im Augenblick wollte ich allein sein. Dass er mich ansprach, machte mich ein wenig wütend. Er konnte ja eigentlich nichts dafür, er störte einfach. Ich war richtig betäubt vom Wechselspiel von hell und dunkel, das mich stetig in der Mitte teilte. Es war, als schnitt es tief in meine Seele einen Weg. Ich konnte ihn nicht gehen um mich zu verstehen. „ Warum nicht? Das hätte deine Entscheidung beeinflusst.“ Ich sah ihn an. „ Ich bin etwas seltsam, ich liebe beide, und das reicht, aber…“ Er sah so verständnisvoll aus und zugleich verspürte ich eine Abneigung ihm gegenüber. „ Also, ich hab keine Angst, wenn es ist, dann ist es. Obwohl Viele das denken, ist mir das nicht egal. Es ist aber, dass das wäre wie ein Griff in eine enge Keksdose. Wenn ich keinen Keks nehme ist es sinnlos. Wenn ich aber welche nehme, kriege ich meine Hand nicht mehr heraus, weil meine Faust zu groß ist.“ Ich hob zur Demonstration die Hand und ballte sie zur Faust. Er fing an tief zu lachen. Etwas zurückhaltend vielleicht, aber er lachte. „ Ein sehr eigenartiger Vergleich.“ Ich lächelte nicht, er war der treffendste, der mir einfiel. Und ich dachte nicht zum ersten mal darüber nach. Er beruhigte sich wieder und wandte sich ein weiteres mal an mich. „ Und? In welche Dose würdest du lieber hineingreifen?“ Er sah mich erwartend an. Ich stand auf und drehte mich um zu gehen. Ich setzte einen Fuß vor den anderen, drehte mich noch einmal zu ihm.
„ Ich mag gar keine Kekse…“,
sagte ich und verließ die Straße.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.12.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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