Uwe Keßler

Das erste Gesetz

18.07.2002
Das erste Gesetz
 
 
 
Die drei Gesetze der Robotik lauten:
·        Ein Roboter darf keinen Menschen verletzen oder durch Untätigkeit zu Schaden kommen lassen.
·        Ein Roboter muß den Befehlen eines Menschen gehorchen, es sei denn, solche Befehle stehen im
         Widerspruch zum ersten Gesetzt.
·        Ein Roboter muß seine eigene Existenz schützen, solange dieser Schutz nicht dem Ersten oder Zweiten
         Gesetz widerspricht.
 
 
Eric Wahl war mit knapp 28 Jahren wohl der jüngste Manager, den die US Robot und Mechanical Men Corporation. bis her hatte. Er war vielleicht nicht der beste; aber einer der ehrgeizigsten Manager. Und er wußte sich zu verkaufen.
Wahrscheinlich war genau daß das Problem...
„Hören sie, Walters, die Entscheidung ist bereits getroffen. Der Vorstand hat sich für Wahl entschieden.“ Alfred Lanning zog an seiner Zigarre. Ich schaute direkt in sein faltiges Gesicht.
„Halten sie das für klug Sir? Ich meine, wenn sie bedenken wie er mit seinem Material umgeht...“
„Wahrscheinlich haben Sie recht. Aber der CS ist kein Ferrari. Der Vorstand wollte ihn, wir haben nicht daran zu rütteln.“
„Aber Doktor Lanning...“
„Kein aber. Natürlich lassen wir Wahl mit dem Prototypen nicht allein. Und hier kommen Sie ins Spiel. Als einer unserer führenden Ingenieure werden Sie zur Überwachung eingesetzt. Ihre Aufgabe wird es sein, in regelmäßigen Abständen bei Wahl vorbei zu sehen, Informationen zu sammeln und Bericht zu erstatten.“
 „Dann kommt CS 7 nicht zu uns ins Labor?“
„Wo denken sie hin. Der ganze Transport, daß ist viel zu auffällig. Bedenken sie, daß es für dieses Unternehmen im Grunde keine richtige Genehmigung gibt.“
„Aber Sir, im Labor haben wir alle notwendigen Geräte. Eventuelle Abweichungen könnten wir so viel früher feststellen.“
Alfred Lanning strich mit der Hand über die Platte seines Schreibtisches. „Jaja. wenn Sie glauben, irgendeine Abweichung zu erkennen, bringen wir ihn wieder ins Labor. Momentan gibt es jedenfalls keine bessere Lösung. Ich vertraue da auf ihr Gespür. Wenn auch nur die kleinsten Schwierigkeiten auftreten, holen wir ihn zurück. Sie sind damit auch unsere Notbremse. So bekommen sie einen Schlüssel zu seinem Haus.“
Eric Wahl besaß ein schönes Haus, wahrscheinlich das schönste der gesamten Führungsetage. Modern, und bis zum I – Tüpfelchen von handverlesenen Designern ausgestattet. So, wie es einem erfolgreichen Jungmanager zusteht. Sicher, es wäre schon schön, sich dort einmal umzusehen. Doch bei dem Gedanken, den Jungmanager unter der Dusche oder in seiner Unterwäsche anzutreffen, erfaßte mich ein leichtes Schaudern.
Wenn Alfred Lanning dieses Schaudern offensichtlich nicht teilte, zufrieden war auch er nicht. Eric Wahl nahm die Dinge des Lebens gerne etwas lockerer, zu locker vielleicht. Schließlich sollte dies der endgültige, und damit der wichtigste Test für die CS– Reihe sein.
Nur was konnte er schon ausrichten? Gut, die gesamte Forschung lag zu seinen Füßen, doch ein Unternehmen besteht aus mehr als aus der Forschungsabteilung. Selbst dann, wenn diese den größten Teil der US Robot & Mechanical Men Corporation ausmachte. Kaufleute leiteten dieses Unternehmen, genau wie jedes andere Unternehmen auf dieser Welt auch. Natürlich, es war wichtig, an Geld zu kommen und die Finanzen im inneren dieses Unternehmen richtig zu leiten. Doch in aller Regel wissen diese Kaufleute nicht, was wirklich in ihrem Unternehmen passiert. Sie kennen nur ihre Bilanzen, und wissen was sie trübt, oder was sie durch die Decke schießen läßt. Und in dem sie beschlossen hatten, den CS7, oder einfach Chris, Eric Wahl anzuvertrauen, hatten sie indirekt eine Werbekampagne gestartet: Und die Wahlsche Villa würde den gebotenen Rahmen geben. Der perfekte Haushälter für das perfekte Haus. Und auch Eric Wahl würde perfekt sein, oder zumindest sich so geben. Er würde sein blendend weißes Lächeln und sein gebräuntes Gesicht präsentieren. Und nicht nur ich war der Meinung gewesen, daß diese Werbemaßnahme leicht auch nach hinten losgehen konnte. Doch die Kaufleute hatten sich durchgesetzt. Ihr letztes Argument war, daß gerade Wahls Extravaganzen der richtige Test für Chris sein würden. Dabei war das ganze Unternehmen schon von beginn an recht heikel gewesen.
Ein positronischer Roboter war eigentlich nicht so außergewöhnlich. Einige Hundert hatten sich schon bewährt, auf Raumstationen, Erzgruben oder in Kernkraftwerken. Dort verrichteten sie zufriedenstellend ihren Dienst. Doch sie taten ihn unter der Aufsicht von versiertem Fachpersonal. Dieses ganz spezielle Modell hingegen sollte in einem ordinären Haushalt seinen Dienst verrichten. Und das war etwas völlig neues. Während eines Arbeitsprozesses in einem Betrieb wußte man, was auf einem zukam. Das Material konnte für die entsprechenden Anforderungen ausgelegt werden. Doch in einem Haushalt gab es genug unbekannte Größen. So würden ausgerechnet an dem Ort, für den Roboter ja eigentlich ursprünglich gedacht waren, die meisten Fußangeln warten. Und würde sich Chris nicht bewären, so wäre dies ein nicht zu unterschätzender Schlag gegen die US Robots.
Roboter hatten nicht nur Freunde. Die meisten Menschen betrachteten sie recht argwöhnisch. Lanning bezeichnete dies immer als den Frankenstein- Effekt. Diese Dinger waren halt steif, metallisch und so ganz und gar nicht menschlich. Eine Sicherheit, welche die Leute beruhigen sollte war, daß jeder Roboter den drei Gesetzten verpflichtet war, und so keinem Menschen Schaden zufügen konnte. Dennoch unterlagen die Herstellung und der Gebrauch einer Unzahl von Vorschriften und Regeln. Schon der Transport war damit ein Akt ungeheurer Größe. Der Transport mußte angemeldet werden, und der Roboter durfte sich nicht selbst zu seinem Ziel begeben, sondern mußte in einer Transportkiste dorthin geschafft werden. Diese durfte nicht von innen geöffnet werden können, mußte dem innen liegenden Roboter aber auch Schutz vor Beschädigungen bieten. Ein ziemlich umständliches und teures Unterfangen. Und besagte Vorschriften würden sich bei einem Mißerfolg noch weiter verschärfen.
Besagter Tag kam schneller, als mir lieb war. Und er verlief genau so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Eric Wahl hatte wegen des besonderen Anlasses zu einer Party geladen. Eigentlich brauchte er dazu keinen Anlaß, wahrscheinlich war er deshalb so beliebt. Neben der Führungsetage war auch eine ganze Anzahl Leute anwesend, die ich nicht kannte, und die wohl auch nicht aus der Firma stammten. Sicher, die Presse war anwesend, und auch einige wichtige Leute der Regierung, die sich höchstpersönlich davon überzeugen wollten, daß hier alles seine Richtigkeit hatte. Aber von diesen Herrschaften war ganz sicher keiner in Wahls Sky- Diving Verein. Diese Herren spielten lieber Golf. Trotzdem trugen verdächtig viele Menschen Kleidung mit dem Emblem der >Blueriders<. Eric Wahl hatte einige Freunde eingeladen, warum auch nicht. Schließlich war dies hier sein Haus, und warum sollten seine Freunde nicht wissen, womit er sein Geld verdiente.
Der Roboter war immer noch in seiner Transportkiste verstaut, welche am oberen Ende einer Treppe stand. Dahinter befanden sich die Terrasse und der Gang zu den ebenerdig liegenden Räumlichkeiten. Die geladenen Gäste standen am Fuße der Treppe, und hinter uns war ein recht großzügig aussehendes Buffet aufgebaut. Recht großzügig waren auch die Getränke verteilt worden. Einige Herrschaften hatten schon ganz schön getankt, und der Höhepunkt sollte erst noch kommen.
Schon erklomm Eric die Stufen, Melissa, seine derzeitige Lebensgefährtin immer hintendrein. „Meine Freunde, ich möchte euch herzlich bei mir begrüßen. Heute wird Geschichte geschrieben.“
So, oder ähnlich lief es immer. Und während er seine Rede schwang, steuerte seine Freundin über einen Beamer die passenden Bilder hinzu.
Das mußte der Neid ihm lassen, er wußte, wie man sich selbst präsentierte und wie man etwas zu präsentieren hatte. Vor unser aller Augen lief zunächst eine zusammengepreßte Geschichte des Unternehmens ab. Danach folgte die Vorstellung von bereits erfolgreich eingesetzten Modellen und das CS Forschungsprojekt.
„Und nun, Ladys und Gentlemen, werfen sie mit mir einen Blick auf die Zukunft.“
Und wie von Geisterhand öffnete sich die präparierte Transportkiste, und unter den Tönen von Kubricks >2001 Lautlos im Weltraum< stolzierte Chris drei Schritte nach vorne. Die Menge hielt die Luft an. Da stand er nun, in seiner ganzen Pracht. Man hatte seine Gliedmaßen und sein Gesicht mit Kunststoff verkleidet, einerseits um ihn Salonfähiger zu machen, anderseits, um seine empfindliche Elektronik und beweglichen Teile vor den Gefahren des Haushalts besser zu schützen. Damit sah Chris einem Menschen schon recht ähnlich – doch mehr auch nicht. Eigentlich hatte er mehr Ähnlichkeit mit einer verunglückten Schaufensterpuppe, doch das würde ich niemals laut in Anwesenheit von Mitgliedern des Vorstandes sagen. Gut, man konnte ihm Hemd und Hose überziehen, was diesen Effekt aber nur verstärken würde.
Nachdem sich der Applaus gelegt hatte, wurde Chris heruntergebeten, damit ihn alle Leute aus der Nähe bestaunen konnten. Und danach wurde das Kalte Buffet eröffnet.
Das Kalte Buffet sah besser aus, als es war. Außer recht teuer aussehender Häppchen wurden noch verschiedene Arten von Rohkostsalaten gereicht. Wahrscheinlich waren diese von Erics Freundin angerührt worden. Melissa Corn machte ihren Namen aller Ehre. Bisher hatte ich sie nur einmal gesehen, und da hatte ich sie für ein Blumenkind gehalten. Ein formloser Rock, Sandalen und eine bunte Bluse, so hatte sie damals neben Eric gestanden. Von Arbeitskollegen wußte ich, daß sie sehr viel Wert auf ökologisch einwandfreie Produkte legte. Heute hingegen gab sie sich sehr seriös; im Abendkleid und hochhackigen Schuhen ließ sie unauffällig die Bilder zu Wahls Präsentation ablaufen. Ich hatte zweimal hinschauen müssen, bevor ich sie tatsächlich widererkannte. Eigentlich wußte ich nicht mehr über sie, als daß sie sehr erfolgreich als Informatikerin arbeitete. Und damit hatte Wahl die richtige Wahl für diesen Abend getroffen. Nur, wie der erfolgreiche Jungmanager und die grüne Informatikerin sich gefunden hatte, beziehungsweise, was sie zusammenhielt, das wußte ich nicht.
Ich ging nach Hause, als das Interesse an Chris verebbte, und das übliche Einerlei die Gäste beschäftigte. Zum einen wollte ich morgen in aller Frühe nach dem Roboter sehen, zum anderen hatte ich beim besten Willen nicht mehr die Kraft, einen solchen Abend durchzustehen. Obwohl ich als einer der ersten gegangen war, war ich hundemüde.
Das Leben war einfach ungerecht. Ich hatte mein ganzes Leben in mein Studium und in meine Arbeit gesteckt. Und obwohl sich meine Leistungen sehen lassen konnten, war ich bei der US. Robot & Mechanical Men Corp. immer noch einer unter vielen. Und Eric Wahl war einfach nur so durchgerauscht. Er war gut gebaut und sonnengebräunt und sportlich, während ich bestenfalls als gut erhaltener Mittvierziger durchging. Er hatte in wenigen Jahren mehr erreicht, als die meisten Männer in einem Arbeitsleben. Unter seiner Mithilfe wurden die Abteilungen effizienter gestaltet. Und er war es, der die benötigten Gelder herbeischaffte, die Taschen der Aktionäre öffnete. Er war es auch, der ein fettes Gehalt kassierte und die Frauen abschleppte. Und er war ganz sicher derjenige, der den CS7 haben wollte.
Wahl war ein wichtiger Mitarbeiter, und wahrscheinlich war seine Arbeit wichtiger, als ich mir eingestehen wollte. Und für eine verantwortungsvolle Arbeit sollte man auch entsprechend entlohnt werden. Wahl war sehr beschäftigt, und eine positronische Haushaltshilfe zuverlässiger als der Nachbar. Außerdem war dieser Roboter etwas neues, etwas, was kein anderer hatte. Also, etwas, mit dem man angeben konnte. Vor rund einem dreiviertel Jahr hatte er im kleinen Kreis die Ankunft seines neuen Ferraris gefeiert. Zwei Wochen später lag Wahl in Gips, weil er seinen fahrenden Untersatz gegen einen Baum gesetzt hatte. Gut, ein Roboter ist kein Ferrari. Das dritte Gesetz würde schon schlimmeres verhindern. Und ich hatte noch eine zusätzliche Sicherheit eingebaut. Chris würde nur auf eine bestimmte Personengruppe reagieren. Natürlich auf Eric Wahl und auf seine Freundin. Doch den Befehlen sämtlicher Mitarbeiter des Entwicklungsbüros hatte ich oberste Priorität eingeräumt. So würde der Roboter eher meine Befehle befolgen, als die seines Besitzers. Das mochte sich zwar etwas nach Rache anhören, doch weder Wahl noch seine Freunde waren Fachleute im Bezug auf die Robotik, und schon ein falscher Befehl konnte das empfindliche positronische Gehirn schädigen.
Direkt am Tag nach der spektakulären Einführung des Roboters suchte ich also Wahls Haus auf, zu sehen, wie Chris den Abend überstanden hatte. Natürlich, ich hätte den Schlüssel benutzen können, doch war es sicher spät geworden, wenn nicht gar früh. Und ich verspürte nicht die geringste Lust, mich mit dem verkaterten Hausherren anzulegen. Melissa öffnete mir. „Guten Morgen, sie sind doch Harry Wolters, nicht wahr?“
„Henry Walters!“ lächelte ich ein wenig gequält. „Ich bin hier, um nach dem CS 7 zu sehen.“
„Ah, ja, Eric sagte so was. Chris, so nennen sie ihn doch, oder? Gestern hat er etwas Ärger gemacht.“
Mir fuhr der Schreck in die Glieder. „Ärger? Was hat er denn angestellt?“
„Nun, er hat nicht so gehorcht, wie er sollte. Einige Freunde von uns wollten ihn testen, und er hat erst gehorcht, als Eric es ihm befohlen hat.“
„Ach das, ja, das war eine zusätzliche Sicherung, um den Roboter zu schützen. Er sollte nur von einem ausgesuchten Personenkreis befehligt werden. Schließlich ist er immer noch in der Testphase.“
„Ach so!“ Melissa nickte.
Ich hatte kaum den Koffer mit dem Diagnosegerät aufgestellt, als mir schon der Hausherr über den Weg lief und ich tatsächlich einen Blick auf den verkaterten Eric Wahl in Unterhosen und Morgenrock werfen durfte. „Henry, nicht? Sagen Sie, was haben Sie mit dem CS gemacht? Er war gestern abend ziemlich bockig.“
„Ja, das habe ich schon gehört“, erwiderte ich. „Sie vergessen, daß sich der Roboter immer noch in der Testphase befindet. Darum...“
„Dieses Ding soll gefälligst tun, was man ihm sagt. Schließlich wurde er gebaut, um zu gehorchen.“
„Er wurde gebaut, um nützlich zu sein, um Hausarbeiten zu übernehmen und das Personal zu entlasten.“ Mit diesen Worten entfernte ich das Hula- Röckchen, welches um Chris Hüften gewickelt war. „Mr. Wahl, Diese Maschine ist viel zu empfindlich und zu teuer, als daß ein unbedarfter damit rumspielen darf. Oder würden Sie Ihren Ferrari einfach einer fremden Person anvertrauen?“
Eric Wahl drehte sich um und verschwand.
„Das dürfen Sie ihm nicht übel nehmen.“ versuchte mich Melissa zu beruhigen. „Gestern ist es ganz schön spät geworden.“
„Ja, daß dachte ich mir schon.“ Nach dem ich meine Arbeit beendet hatte, befahl ich Chris, das Haus von den Partyresten zu befreien, was dieser dann auch unter den staunenden Augen von Melissa Corn tat.
„Also Walters, was haben Sie denn angestellt?“ Wollte Alfred Lanning wissen. „Eric Wahl hat sich offiziell bei uns beschwert.“
„Ich habe nichts gemacht, was wir hier nicht besprochen hätten.“ Erwiderte ich. „Es geht nur um diese zusätzliche Sicherheit, die wir besprochen haben.“
„Wahl behauptet, Sie hätten ihn damit vor seinen Freunden bloßgestellt.“
„Mr. Lanning, Sie wissen genau so gut wie ich, daß ein falscher oder widersprüchlicher Befehl zu Schaden führen kann. Außerdem sollte der CS als Hilfe für den Haushalt eingesetzt werden. Es gibt viele Menschen, die eine solche Hilfe bitter nötig hätten, und den CS statt dessen als Bauchtänzerin einzusetzen hallte ich schlichtweg für Verschwendung.“
Alfred Lannings Brauen wanderten nach oben.
Mit seiner offiziellen Beschwerde hatte Eric Wahl sich, sinnbildlicher Weise, selbst ins Knie geschossen. Nicht nur, daß ich von diesem Projekt nicht abgezogen wurde, auch fingen seine Kollegen hinter seinem Rücken an zu tuscheln und zu lästern. Einmal bekam ich mit, wie Frank Miller aus der Buchhaltung einen Bauchtanz vollführte, und das mit zusammen getackerten Blättern um seine Hüften. Man sollte gar nicht glauben, wie schnell sich Klatsch in einem so großen Unternehmen verbreiten kann. Natürlich bekam auch Eric Wahl dies mit, und es verbesserte nicht unbedingt seine Laune. 
Möglicherweise setzte nun das ein, was man als negativen Kreislauf bezeichnete. Wahls Leistungen im Management ließen nach, was zu einer Verschlechterung des betrieblichen und des häuslichem Umfeldes führte, welche wiederum eine Verschlechterung von Wahls Erfolgsbilanzen nach sich zog. Gut, seine Erfolgsbilanz konnte sich immer noch sehen lassen, doch er fing an, Fehler zu machen und sein Ruf als Wunderkind war dahin.
Auch in anderer Hinsicht schien einiges zu zerfallen. Melissa Corn und Eric Wahl fingen an sich zu streiten. Da ich ja mindestens einmal pro Woche im Wahlschen Haushalt zu Gast war, bekam ich hin und wieder etwas davon mit.
Unzufrieden, weil die Geschäfte nicht so liefen, wie sie sollten, knallte er seine Sachen in die Ecke und verschwand. Entweder igelte er sich in seinem Arbeitszimmer ein, oder er suchte Flucht in immer extremeren Sportarten. Eric Wahl war sehr sportlich, und während dieser Zeit baute er diese Leidenschaft noch weiter aus. Offensichtlich konnte nichts zu schnell und zu gefährlich genug sein. Melissa verfolgte diese Entwicklung auch mit Argwohn, zumal sie herausfand, daß er sich nicht nur sportlich betätigte. Von Frauen und Drogen war plötzlich die Rede. Eric beschwor zwar, daß nichts an diesem Gerede dran sei, doch ihren Einwendungen und Vorwürfen entzog er sich auf altbewährte Weise.
Eines Freitagabends, ich wollte gerade zu Bett gehen, klingelte bei mir das Telefon, ein Unglücksfall sei passiert, ich müsse sofort kommen, Chris habe irgendwas angestellt.
Die Situation, die ich im Hause Wahl antraf, war recht bizarr. Chris hielt eine zappelnde Melissa Corn im Arm, während Eric mit den Resten eines Stuhls auf seinen Rücken einschlug.
Folgendes war passiert: Eric hatte mal wieder einen schlechten Tag gehabt, und auf weitere schlechte Nachrichten am heimatlichen Herd gerne Verzichtet. Doch Melissa wollte sich dieses Mal nicht so einfach abspeisen lasen, und am ende war der Streit eskaliert. In bester Hausfrauenmanie hatte sie versucht, ihrem Lebenspartner eine Vase an dem Kopf zu werfen. Allerdings hatte der Robotter dies mitbekommen, und reagiert, in dem er Melissa festhielt und am Wurf hinderte – bloß hielt er sie nun fest, und ließ nicht mehr los.
„Gut, daß Wichtigste ist nun, daß Sie sich beruhigen.“
„Wie soll Sie sich denn beruhigen wenn dieses Ding sie festhält?“
„Das erste Gesetz ist wirksam. Er wird erst loslassen, wenn er meint, daß die Gefahr vorüber ist.“
Es dauerte seine Zeit, bis sich erst die Herrschaften beruhigten, und noch viel länger, bis ich Chris davon überzeugt hatte, Melissa endlich loszulassen.
„Gut, Miss Corn, ich denke, es wäre besser, wenn Sie heute im Gästezimmer schlafen.“
„Gut.“ Melissa war etwas blaß um die Nase, als sie sich zurückzog. Chris Photoelektrische Augen verfolgten sie argwöhnisch.
„Soll dieses Ding heute nacht etwa hierbleiben?“ wollte Eric Wahl wissen?
„Es wird wohl nichts anderes übrig bleiben“ entgegnete ich. „Sie wissen, wie aufwendig es ist, einen Roboter transportieren zu lassen. Vorerst wird er hierbleiben müssen. Es ist ja auch gar nichts Schlimmes passiert. Er hat halt nur auf das erste Gesetz der Robotik reagiert, um Schaden von Ihnen abzuwenden.“
„Ein schöner Schutz ist das!“
„Was erwarten Sie? Chris ist halt mit solchen Situationen nicht vertraut. Er weiß nicht, wie er handeln muß, sondern nur, daß er handeln muß. Und er hat sie doch losgelassen, als er sich sicher war, daß keine Gefahr mehr von ihr ausging.“
„Aber warum wurde denn daß nicht einprogrammiert?
„Mr. Wahl, Sie vergessen, daß man unmöglich alles einprogrammieren kann. Es ist unmöglich, einen Roboter auf alle menschlichen Verhaltensweisen vorzubereiten. Er muß dies alles noch lernen, wie ein kleines Kind.“
„Ein gefährliches kleines Kind. Ein Kind, daß in ein Heim gehört.“
Ich holte tief Luft. „Mr. Wahl, ich könnte mir vorstellen, daß auch Sie es in Ihrer Kindheit wild getrieben haben. Im übrigen haben Sie Chris angefordert, Sie wollten ihn ja unbedingt haben. Und wenn er heute nicht gewesen wäre, wären Sie mit einem Loch im Kopf auf dem Wege ins Krankenhaus. Im übrigen denke ich, daß Sie an dem Ausbruch von Miss Corn selbst schuld sind. Wenn Sie ihr häusliches Glück etwas anders handhaben würden, wäre das alles nicht passiert. Gut, ich werde morgen Früh wiederkommen, um den Roboter zu untersuchen.“
„Wohin wollen Sie gehen?“
„Nach Hause, ins Bett! Es ist schon spät!“
„Aber der Roboter...“
„Chris, du wirst dich heute Nacht nicht von der Stelle rühren. Und zwar so lange, bis ich morgen früh wieder zurück bin. Verstanden?“
„Verstanden!“ bestätigte der Roboter.
Damit verließ ich daß Haus und ließ einen ziemlich bleichen Eric Wahl zurück.
Am nächsten Morgen bestätigte sich durch eine Diagnose, daß Chris tatsächlich aufgrund des ersten Gesetzes gehandelt hatte. Und zum anderen hatten sich die Hausbewohner wieder beruhigt. Chris verrichtete wieder seine Arbeit im Haushalt, und die Lage beruhigte sich wieder, selbst Eric fand zur alten Form zurück.
So sah es zumindest aus.
Doch in einem hatte ich mich nicht geirrt. Eric und Melissa paßten von ihrer Lebensart her nicht zusammen. Und auch, wenn beide einander liebten, ihre Gegensätze würden sie in diesem Falle auseinandertreiben.
Zunächst blieb mir diese Entwicklung verborgen. Möglicherweise unterbrach ich nun durch meine Besuche die häuslichen Dispute, doch wahrscheinlicher war es, daß sich beide im Haus zusammennahmen; den Zwischenfall mit Chris hatten sie sicher nicht vergessen.
So wurden wir alle von den folgenden Ereignissen überrascht.
Das eigentliche Drama nahm ende Dezember seinen Lauf. Die Firma war, bis auf das unbedingt erforderliche Personal, wie ausgestorben; fast alle Mitarbeiter hatten sich zwischen Weihnachten und Neujahr freigenommen. Und auch Eric Wahl war weggefahren, um mit einigen Freunden in Aspen zu snowboarden. Melissa hatte er zuhause zurück gelassen.
Doch wie das so ist, wenn ein gewisser Schlag Mensch sich in Rudeln zusammenfindet, dann kann es ziemlich derb zugehen. Einer versucht den anderen zu übertreffen, und so endete Erics Winterausflug im Krankenhaus.
Schon das seine Freundin nicht mit ihm in die Winterfrische gefahren war, hätte man als schlechtes Omen deuten können. Und als Eric aus dem Spital entlassen wurde, saß Melissa schon auf gepackten Koffern.
„Das kannst du mir doch nicht antun. Nicht ausgerechnet jetzt.“
„Eric, wie oft haben wir schon darüber geredet. Ich halte es einfach nicht mehr aus!“
„Aber Melissa, doch nicht ausgerechnet jetzt...“
 „Eric, ich habe es endgültig satt, ständig für dich die Krankenschwester zu spielen. Wozu auch, du hörst doch eh nicht auf das, was ich sage. Wenn es dir schlecht geht, dann brauchst du mich. Ansonsten bin ich dir doch egal. Ansonsten verziehst du dich doch in dein Schneckenhaus.“
„Melissa, bitte!“
„Vielleicht ist es ja auch meine Schuld, ich hätte es eher merken sollen. Wir passen eben doch nicht zusammen. Du hast deinen Sport und deine Freunde...“
„Melissa, sag so etwas nicht. Ich brauche dich. Und wenn du mitkommen willst...“
„Warum sollte ich dich begleiten wollen? Nur um zu sehen, wie du dich umbringst? Eric, ich bin es endgültig Leid, am Telefon zu warten, bis ein Anruf aus dem Krankenhaus kommt. Und du brauchst mich auch nicht. Du hast ja deinen vollautomatischen Diener.“
Und damit verließ Melissa Corn Eric Wahls Haus und sein Leben. Gut, er war ziemlich niedergeschlagen, doch er würde es überleben. Melissa war nicht seine erste Freundin, und würde auch nicht seine letzte sein. Der einzige Unterschied, den es zwischen ihr und den anderen Frauen gab, war der, daß sie diese Beziehung beendet hatte. Gut, wie gesagt, ich war mir sicher, daß Eric Wahl über diese Trennung hinweg kommen würde, während ich die wöchentliche Diagnose an dem CS 7 beendete. Da mich ziemlich fehl am Platze fühlte, verließ ich das Haus auch so bald wie möglich.
Eric Wahl erholte sich tatsächlich wieder. Auch, wenn er mit seinen Gipsverbänden nicht in die Firma kommen konnte, nahm er seine Arbeit bald wieder auf. In einer Zeit der totalen Vernetzung war dies ein Kinderspiel, und Chris unterstützte ihn nach Kräften, indem er Eric Wahls Haus mit einem komplett neuen Computersystem ausstattete. Von nun an konnte der Jungmanager seine komplette Arbeit von jedem Zimmer seines Hauses oder auf jedem Platz Weltweit machen und abschicken, konnte von jedem Ort aus an Konferenzen teilnehmen, und praktisch zu jeder Zeit überall präsent sein.
Und Eric Wahl nutzte dieses Angebot ausgiebig aus. Man bekam ihn nur noch selten persönlich zu Gesicht, wirklich alles konnte er von seinen Terminals aus erledigen. Selbst die Präsentationen, die er sonst persönlich abspulte, erledigte nun ein Hologramm. Und die Multimediashow, die er nun vorlegte, war wesentlich beeindruckender, als die Show, welche ich damals bei Chris Einführung gesehen hatte.
Abgesehen davon, daß er nicht mehr persönlich vorbeikam, lief alles gut. An seiner Arbeit gab es nichts mehr auszusetzen, ganz im Gegenteil, der Vorstand war voller Lob für ihn.
Mir allerdings war aus irgendeinen Grund unbehaglich zumute. Denn selbst bei meinen Besuchen im Wahlschen Haushalt traf ich nur noch Chris an. Eric Wahl war entweder nicht zu Hause, oder aber er hockte in seinem Arbeitszimmer und wollte nicht gestört werden.
Gut, ich würde ihn nicht vermissen.
Aber dennoch...
Ein komisches Gefühl blieb mir. Als ob ein kleiner Teufel bei mir im Nacken saß, der mir ständig „Hier stimmt etwas nicht“ ins Ohr flüsterte. Die Diagnose bei Chris lieferte keine ungewöhnlichen Ergebnisse, und es gab auch sonst keine Hinweise darauf, daß etwas nicht hätte stimmen können.
Und dennoch...
Nachts lag ich nun wach im Bett. Ich hatte Eric Wahl das letzte Mal persönlich gesehen, als er aus dem Krankenhaus kam, der Tag, an dem er von Melissa verlassen worden war. Und das war vor rund drei Monaten gewesen. Danach war er nur noch auf Bildschirmen und als Hologramm aufgetaucht...
Langsam versuchte ich diese Gedanken abzuschütteln. Warum sollte er sich nicht dieser Technologie bedienen? Wahl war ein moderner Mensch, und diese Technologie für genau seine Arbeit entwickelt worden. Und wenn ihm was passiert sein sollte, wer sonst erledigte seine Arbeit oder nahm an den Sitzungen teil? Und warum hatte Chris sein Verschwinden nicht gemeldet? Vor allem aber, was hätte Chris ihm antun sollen? Schließlich war Eric doch durch das erste Gesetz ganz besonders Geschützt. Chris war ganz sicher ein wesentlich besserer und besorgterer Haushälter als es eine menschliche Haushaltskraft je sein könnte. Rund drei Wochen später sollte mein kleiner Dämon jedoch neue Nahrung bekommen.
Durch Zufall sah ich Melissa Corn wieder. Sie leitete den Umbau unseres Firmeninternen Netzwerkes. Sie erkannte mich wieder und sprach mich an.
„Henry, nicht wahr? Sagen Sie, wie geht es Eric?“
„Gut, nehme ich an.“
„Sie haben ihn nicht persönlich gesprochen?“
„Nein, er ist oft unterwegs.“
Miss Corn gab ein entnervtes Stöhnen von sich. Ich stellte fest, daß sie außerordentlich blaß war. „Niemand hat ihn gesehen!“
„Was meinen Sie damit?“
„Ich weiß nicht was los ist. Aber Eric ist verschwunden. Ich kenne niemanden, der ihn in letzter Zeit gesehen hat.“
„Aber er ist doch bei allen Treffen des Vorstandes dabei.“
„Aber er nimmt nicht persönlich an diesen Treffen teil. Er macht alles nur noch übers Netz.“
„Aber das ist doch ganz natürlich. So kann er selbst von seinen Vereinen aus an den Sitzungen teilnehmen. Das ist doch ganz bequem für ihn.“
„Er ist aus allen Sportvereinen ausgetreten.“
Darauf wußte ich zunächst nichts zu sagen.
„Ich habe bei den >Bluriders< angerufen, und er hat seine Mitgliedschaft vor zwei Monaten gekündigt. Und auch aus all seine anderen Vereinen ist er ausgetreten.“
„Sind sie da sicher?“
„Nun, fast. Fallschirmspringen, Skifahren und Tauchen hat er in Vereinen betrieben. Außerdem ist mir einer seine Freunde über den Weg gelaufen und mich gefragt, was mit ihm los ist. Er hat wohl eine geplante Rafting – Tour abgesagt. Mir scheint, er hat all seine Aktivitäten eingestellt. Und da Sie ja Zugang zu seinem Haus haben, dachte ich, Sie wüßten näheres.“
„Es tut mir leid, Miss Corn, aber auch mir ist er in letzter Zeit nicht über den Weg gelaufen. Doch wenn etwas wäre, hätte Chris uns doch sicher unterrichtet.“
Mellisa Corns Gesicht nahm einen eigentümlichen Ausdruck an. „Henry, ich glaube eher, daß dieser Roboter für sein verschwinden verantwortlich ist. Sie setzen viel zu viel Vertrauen in diese Technik. Sie sagten doch selber, daß sich dieser Roboter noch in der Testphase befindet. Es kann wer weiß was passiert sein.“
„Ich habe jede Woche eine vollständige Diagnose durchgeführt, und mir ist nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Wenn Sie sich solche Sorgen machen, besuchen Sie ihn doch mal.“
„Das wollte ich auch, doch wenn ich einfach bei ihm vorbeikomme, dann macht nur dieser Roboter auf und erklärt mir, er wäre nicht zuhause. Und am Telefon läßt er sich verleugnen, oder aber er hat keine Zeit für mich. Henry, ich bitte Sie! Was kann ihn so in Anspruch nehmen, daß er all seine Freizeitaktivitäten aufgibt? Können Sie nicht mal nachsehen, was da nicht stimmt?“
Schlief ich in anderen Nächten wegen meines kleinen Dämons schlecht, so schlief ich in dieser Nacht gar nicht.
„Nach dem rechten sehen“ darum war ich gebeten worden. Was stimmte mit Eric Wahl nicht? Vor allem, wie sollte ich nach ihm sehen, wenn er nicht zuhause war? Und vor allem, was hatte Chris mit dieser Geschichte zu schaffen?
Zwei Wochen später bekam ich die Gelegenheit, mit dem Jungmanager persönlich zu sprechen, dachte ich jedenfalls. Im Vorstandsbüro fand eine Sitzung statt, und bei einem kurzen Blick in das Konferenzzimmer konnte ich mich davon überzeugen, daß Eric Wahl zuhause war. Jedenfalls Zeigte der Hintergrund des Hologramms den Kamin aus seinem Arbeitszimmer und ein Kunstwerk, das daneben plaziert war. Kurz darauf setzte ich mich in das Auto und fuhr zu Wahls Haus, ich würde noch vor Beendigung dieser Sitzung dort sein.
„Ich würde gerne den Hausherren sprechen“, wendete ich mich sogleich an Chris.
Der Roboter zögerte etwas, „Warten Sie bitte, ich werde Sie anmelden!“
Chris zog von dannen. Warum hatte er so gezögert, und warum mußte er mich anmelden? Eric Wahl faßte die Dinge gerne etwas lockerer an, als die meisten seiner Mitarbeiter. Und warum diese Pause von Chris? Wenn er mich schon anmelden mußte, warum nicht sofort. Worüber mußte der Roboter so lange nachdenken? Sein Gehirn arbeitete wesentlich effizienter als das eines Menschen; in Pausen, in denen ein Mensch sich überlegte, ob der Schlips auch zum Sakko paßte, konnte Chris die Probleme der gesamten Menschheit überdenken.
Chris kam zurück. „Entschuldigen Sie bitte Henry, aber Mr. Wahl ist sehr beschäftigt. Er will Sie nicht sehen.“
„Hast du was dagegen, wenn ich mich davon selbst überzeuge?“
Der Roboter blieb stumm und blickte mich mit seinen rotglühenden Augen ausdruckslos an. So langsam verstand ich, warum sich Melissa in der Nähe von Chris nicht wohlfühlte.
Ich begab mich zum Arbeitszimmer, in dem ich den Jungmanager vermutete. Die Türe war abgeschlossen. Ich klopfte an, erst etwas zögerlich, dann lauter.
„Henry, sind Sie das?“
„Ja, Mr. Wahl. Ich würde Sie gerne einmal Sprechen.“
„Henry, Sie stören ein wichtiges Telefonat. Hat das nicht Zeit bis später?“
„Ich würde Sie gerne persönlich sprechen.“
„Henry, ich bin sehr beschäftigt. Wenn es wichtig ist, dann sagen Sie es sofort, oder rufen Sie mich später an.“
„Eigentlich wollte ich nur nachsehen, ob alles in Ordnung ist, und schöne Grüße soll ich auch noch bestellen.“
„Ja, mir geht es gut. Und danke für die Grüße.“
Ich verließ das Haus, meine Zweifel aber war ich nicht losgeworden.
„Sie glauben also, daß etwas nicht stimmt. Mit dem CS oder mit Eric Wahl?“ In Alfred Lannings faltigem Gesicht bemerkte ich den Ausdruck der Verwunderung.
„Möglicherweise mit beiden“ murmelte ich. Ich wünschte mir, daß er wenigstens seine stinkende Zigarre ausmachte, es fiel mir eh schon schwer genug, mich zu konzentrieren.
„Aber Sie sind sich nicht sicher!“
„Nein, Sir, aber es gibt verschiedene Anhaltspunkte.“
„Sie meinen, daß niemand Eric Wahl gesehen hat? Heute hat er doch an einer Konferenz teilgenommen.“
„Nur sein Hologramm, Sir.“
„Und Sie haben mit ihm gesprochen.“
„Nun, daß ist es ja gerade. Eigentlich habe ich nur mit einer Tür gesprochen. Ich meine, mit einer einfachen Gegensprechanlage ließe sich ein derartiges Kunststück schon vollbringen. Und Hologramme werden durch Computer erzeugt. Es ist kein Geheimnis, daß solche Bilder manipuliert werden können.“
„Und worauf wollen Sie hinaus, Walters? Das der CS Mr. Wahl umgebracht hat, und nun seine Stelle einnimmt? Sie wissen genau so gut wie ich, daß das unmöglich ist. Eric Wahl wird durch das erste Gesetz geschützt.“
„Aber irgend etwas stimmt doch nicht. Ich meine, selbst seine Freundin kommt nicht mehr an ihn ran…“
„Also, dafür gibt es nun doch wirklich eine einfache Erklärung. Sie sagten doch selbst, daß sie ihm den Laufpaß gegeben hat. Er wird es nicht verkraftet haben, von einem Mädchen abserviert worden zu sein. Natürlich wird er sie nicht mehr sehen wollen. Wahrscheinlich sein Ego…“
„Aber Sir, auch keiner seiner anderen Freunde hat ihn seit Monaten zu Gesicht bekommen.“
Nun hob Alfred Lanning doch die Brauen. „Haben Sie den CS gründlich durchgecheckt?“
„Ja, Sir, sehr gründlich.“
„Und, haben Sie irgendwelche Abweichungen gefunden?“
„Nein Sir, nicht die kleinste Abweichung in den positronischen Bahnen seines Gehirns. Nicht eine.“
Alfred Lanning zog kräftig an seiner Zigarre. „Als Ingenieur muß ich Ihnen doch wohl nicht sagen, daß ein >möglicherweise< nicht ausreicht, um die Pferde scheu zu machen. Hören Sie, Walters, sollten wir den CS wieder von Wahl abziehen, dann wird das leider nicht unbemerkt bleiben. Und was dann los ist, brauche ich Ihnen wohl auch nicht zu sagen. Diese Genehmigungen gehen durch viele Hände, und schon der bloße Verdacht daß etwas mit unserem Robotter nicht stimmen könnte, wird der Firma großen Schaden zufügen.“
Ich wollte schon Einwände erheben, doch mit einer Handbewegung brachte er mich zum schweigen.
„Diese Angelegenheit ist einfach zu wichtig, um aufgrund von Vermutungen einfach Abgebrochen zu werden. Um etwas zu unternehmen, müssen Sie wirklich und felsenfest beweisen können daß etwas nicht stimmt, und Sie müssen erklären können, was nicht stimmt. Möglich, daß der CS Wahls Anwesenheit simuliert, aber sollte Eric Wahl sich einfach auf die Bahamas abgesetzt haben, stehen wir am Ende wie die Trottel da. Und der für die Firma entstandene Schaden läßt sich dann auch nicht mehr so einfach ausbügeln.“
Gut, auch das war eine Möglichkeit, sogar eine recht wahrscheinliche. Unser Jungmanager hatte immer für Haiti geschwärmt. Bloß reichte diese Vermutung nicht aus, den kleinen Dämon in meinem Genick zu beruhigen.
Wie sollte ich vorgehen? Eigentlich war die Überprüfung von Chris das einzige, was ich machen konnte. Am nächsten Tag tauschte ich die Geräte, welche ich zur Diagnose benutzte, aus, und entwickelte einige neue Testverfahren an den hiesigen Robottern ausprobierte. So würde ich eventuellen Fehlern schon auf die Schliche kommen. Einen Tag später wollte ich meine neue Ausrüstung an Chris testen.
Wie zu erwarten war es Chris, der mir die Tür öffnete. Der Hausherr war nicht anwesend, was mich allerdings nicht weiter überraschte.
„Wir werden heute mal einige andere Tests machen, ich möchte wissen, wie aussagekräftig einige neue Verfahren sind.“
Chris stellte keine Fragen und machte keine Anstallten, sich zu widersetzen. Sollte er wirklich gegen das erste Gesetz verstoßen und Eric Wahl verschwinden lassen haben, so müßten sich irgendwelche Abweichungen und Unregelmäßigkeiten Zeigen. Jedes der drei Gesetze war mit den anderen positronischen Bahnen so verknüpft, daß ein Verstoß gegen eines dieser Gesetze zwangsläufig auch zu Veränderungen in allen übrigen Bereichen seines Gehirns führen würde. Ich scannte die Muster seines Gehirns und verglich sie mit den Mustern früherer Testes. Vergeblich. Es gab nicht die geringste Abweichung die irgendwelche Unregelmäßigkeiten selbst mit den ursprünglichen Mustern aufwiesen. Ich testete seine Motorik, indem ich ihn auf einem Bein stehen, oder andere Bewegungen ausführen ließ. Ich ließ ihn buchstabieren und Verse rezitieren, und es schien alles in Ordnung, Chris war gesund wie ein neugeborenes Wickelkind.
Auch in der Programmierung des CS 7 tat sich nichts ungewöhnliches, lediglich der Speicher seines Gehirns war mit zusätzlichen Daten angefüllt worden. Was kein Wunder war, schließlich speicherte der Roboter alle Momente seines Lebens; das macht der Mensch ja auch, bloß daß er sich nicht mehr an jedes Detail erinnern wird. Nur fand ich, daß doch überraschend viel von seinem Speicherplatz belegt war, schließlich war er ja noch nicht so lange hier im Haus stationiert. Und in der letzten Zeit glänzte der Hausherr durch ständige Abwesenheit. Und als ich diese Daten abrufen wollte, erlebte ich meine erste wirkliche Überraschung. Ich konnte nicht in seinem Speicher rein, irgendein Defekt sorgte dafür, daß mir der wesentlichste Teil seines Gedächtnisses verborgen blieb. Nach einiger Suche entdeckte ich den Fehler dann auch. Eines der „Beinchen“ an dem betreffenden Stechanschluß fehlte. Und so präsentierte mir mein Diagnosegerät nur zerstückelte Daten, die es nicht in die richtige Form bringen konnte. Wäre dieser kleine Steckanschluß verbogen gewesen, so hätte mich sicher mein schlechtes Gewissen gedrückt. Doch man hätte ihn zurückbiegen und die Daten trotz allem abrufen können. Doch genau das war erfolgreich verhindert worden. Die Frage war nur von wem? Hatte der Hausherr tatsächlich das Weite gesucht, und wollte nicht, daß ich es herausfinde? Ein einfacher Befehl von Eric hätte sicher nicht gereicht, damit Chris den Zugang zu seinem Speicher mechanisch versperrte. Davor stand das dritte Gesetz. Sollte Eric aber durch irgendeine Information, die in Chris´ Gehirn gespeichert war, Schaden nehmen können, sah dies schon anders aus. Doch dann hatte er den Roboter sicher befohlen, darüber zu schweigen, und da hier dann das erste Gesetz griff, würde mir Chris darüber auch nichts verraten.
Ich packte meine Sachen zusammen, als ich hörte, wie in Erics Arbeitszimmer das Telefon läutete. Das Klingeln hörte auf und ich hörte die Stimme des Jungmanagers.
„Sag mal Chris, ist Eric Wahl wirklich nicht zuhause?“
„Nein, Mr. Walters. Was Sie dort hören ist ein Gespräch, das über eine Schnittstelle läuft. Hier ist nur ein Lautsprecher mit angeschlossen. Wenn es Sie stört, schalte ich es ab.“
„Neinnein, ist schon in Ordnung. Ich wollte sowieso jetzt gehen.“
Also nahm ich meine Sachen, und verließ das Haus.
Und wieder fing dieser kleine Dämon in meinem Nacken an, mich zu piesacken; er machte seine Sache wirklich gut.
Den Untersuchungsergebnissen nach war alles in schönster Ordnung. Alles saß genau da, wo es sein sollte.
Mit Ausnahme des Jungmanagers.
Wo sollte Eric Wahl abgeblieben sein? Alfred Lanning konnte recht behalten, und Eric hatte seine Chance genutzt, und war auf die Bahamas umgesiedelt. Doch warum hatte er niemanden davon erzählt? Oder aber, er war wegen Chris aus dem Haus geflüchtet, und wollte nicht, daß seine Niederlage bekannt wurde. Den Abend, an dem er und Melissa aneinander geraten waren, hatten weder er noch sie vergessen. Frankenstein läßt grüßen.
Genau der Anschluß, der für diesen Datentransfer unentbehrlich war, war herausgebrochen worden. Eric Wahl hatte eine Kaufmännische Laufbahn eingeschlagen, verfügte er überhaupt über so viel Fachwissen, um diesen Sabotageakt zu begehen? Wohl eher nicht. Hatte Chris es ihm verraten? Ließ das dritte Gesetzt überhaupt so viel Spielraum? Und warum sollte er den Anschluß des Speichers manipulieren? Hatte Eric Wahl sich einfach abgesetzt, und machte der Robotter die gesamte Arbeit? In diesem Falle dürfte Eric Wahl tatsächlich die längste Zeit des Managerstabes angehört haben. Gut, auch daß konnte man unter der Rubrik „Schaden“ verbuchen, schließlich würde Eric Wahl ohne ein Gehalt verhungern müssen.
Vielleicht war es wirklich des Rätsels Lösung. Der Jungmanager war auf die Bahamas geflüchtet, und Chris erledigte hier seine Arbeit. Die Stimme konnte aufgezeichnet werden, und ein Hologramm in den Raum zu werfen, war nun wirklich kein Kunststück. Eric Wahl hätte dann die Möglichkeiten des Robotters vollends ausgelotet.
Aber dennoch…
Die kaputte Steckverbindung beunruhigte mich. Wenn das dritte Gesetz einen derartigen Spielraum zuließ, wer weiß, welchen Spielraum die anderen Gesetze boten.
„Mr. Lanning?“
„Ja, am Apparat. Sind Sie es, Walters?“
„Ja, Sir. Ich wollte Sie um einen Gefallen bitten.“
„Ach Walters, um was für einen Gefallen denn?“
„Könnten Sie bitte in einer Stunde zu Wahls Haus kommen, und mich abholen?“
„Walters, ist ihr Wagen kaputt? Können Sie denn kein Taxi rufen?“
„Sir, ich habe Chris überprüft, und ich glaube, ich habe eine Lücke gefunden.“
Eine ganze Weile herrschte tiefes Schweigen in der Leitung, ich hatte fast die Befürchtung, Alfred Lanning hätte seine Zigarre verschluckt. „Was für eine Lücke?“ hauchte es dann aus dem Hörer hinaus. Es hörte sich fast so an, als wäre dieser Satz direkt aus einer Gruft gekommen.
„Sir, ich habe die Befürchtung, daß die drei Gesetze Chris zu viel Spielraum lassen. Darum will ich mich noch einmal im Haus umsehen.“
„…Walters… was sagen Sie da?“
„Sir, der Roboter ist beschädigt worden. Ich glaube sogar, daß er sich selbst beschädigt hat. Und wenn daß der Fall ist, dann hat er vorsätzlich gegen das dritte Gesetz verstoßen. Und möglicherweise lassen ihn die zwei anderen Gesetze auch etwas Spielraum. Und wenn daß der Fall war, dann war es kein Wunder, wenn ich keine Abweichung finden konnte. Möglicherweise irre ich mich ja, aber trotzdem hätte ich gerne ein wenig Rückendeckung, nur für den Fall, daß ich mich doch nicht irre!“ Damit legte ich auf.
Möglicherweise hatte ich zu dick aufgetragen. Alfred Lanning gehörte sicher nicht zu den Menschen, die im Bezug auf seine Arbeit Gefahren auf die Leichte Schulter nahmen. Insbesondere was die Sicherheit anbelangte, ließ er bei den Robotern bestimmte Verhaltensmuster immer wieder durchtesten; dem Dauertest bei Wahl hatte er nur widerwillig zugestimmt. Trotzdem wollte ich Verstärkung haben, und das so schnell wie möglich. Die ständigen Vorhaltungen des kleinen Plagegeistes in meinem Nacken hatten sich vor meinem inneren Auge zu einem Bild geformt. Und auch Alfred Lanning hatte genügend Phantasie, um sich auszumalen, was passieren konnte, wenn diese Gesetze einem Roboter zu viel Freiraum ließen. Frankenstein ließ grüßen…
Zuvor hatte ich immer geklingelt, um eingelassen zu werden. Einfach die Codekarte zu benutzen, um ins Haus zu gelangen, schien mir einfach zu unverfroren. Ich wollte den Hausherren nicht so einfach überraschen, oder aber von ihm überrascht werden. Schließlich ist unangemeldeter Besuch schon unangenehm genug; und einfach in ein fremdes Haus einzudringen einfach zu dreist. Und selbst wenn Eric Wahl nicht zuhause war, Chris würde mir immer öffnen.
Doch diesmal benutzte ich den mir anvertrauten Schlüssel. Ich zog die Codekarte aus meiner Brieftasche und steckte sie in den dafür vorgesehenen Schlitz. Es piepte, und die Tür sprang auf. Vorsichtig lugte ich durch den Spalt. Fast hätte ich erwartet, daß sich die Türe vollends öffnete und Chris vor mir stand.
Nichts, ich hatte Glück.
Ich mußte sehr vorsichtig vorgehen, schließlich kannte ich Chris´ ausgezeichnetes Gehör, war ich doch an seiner Entwicklung beteiligt gewesen. Im Wohnzimmer, wo ich ihn noch vorhin untersucht hatte, stand er nicht mehr, sonst hätte er mich gehört. Ich vermutete den Roboter im Arbeitszimmer, es war abgeschirmt um jegliche störende Einflüsse fernzuhalten.
Ich drang weiter ins Haus vor, und fand meine Vermutungen bestätigt. Chris hatte sich von seinem angestammten Platz fortbewegt, und das ohne jeden Befehl. Ein weiterer Stein, der meine Theorie untermauerte. Ohne Befehl würde sich ein Roboter nie von der Stelle rühren. Er würde jahrelang an einem Ort verweilen, solange, bis ein Mensch ihm eine Arbeit zuwies. Doch Eric war offiziell fort, und Chris übernahm seine Arbeit.
Zuerst nahm ich mir die oberen Räume vor. Die Chipkarte würde mir schon alle verschlossenen Türen öffnen.
Trotzdem saß mir die Angst im Nacken, so fest wie der kleine Dämon vorher. Eigentlich war es albern, vor wem sollte ich mich fürchten? Chris durfte mir ja nichts antun. Vorsichtig öffnete ich die erste Tür. Doch niemand war da. Das Zimmer schrie regelrecht „Ich bin nie benutzt worden“. Auch alle anderen Räume waren, bis auf die Einrichtungsgegenstände, leer. Geradezu unheimlich. Alles war blitzsauber und geordnet. Keine persönlichen Gegenstände standen, lagen, oder hingen herum. Keine Anzeichen, daß hier jemals jemand gewohnt hatte. Dies hier hätte auch ein Musterhaus oder ein modernes Museum sein können, und momentan war ich hier die einzige lebende Seele hier. Die Zeit verstrich, und ich war immer noch nicht fündig geworden, und Alfred Lanning und sein Stab waren sicher schon im Eiltempo hierher unterwegs. Blieben nur noch der Keller und das Arbeitszimmer.
Da ich Chris im Arbeitszimmer vermutete, ging ich hinunter in den Keller. Hier war es nicht ganz so aufgeräumt, alles was man oben nicht sehen sollte, war hier unten gelandet. Irgendwie beruhigend, wenigstens hier war es genau so wie überall anders auch…
Zunächst konnte ich auch hier nichts Auffälliges finden. Obwohl; ich fand es schon ungewöhnlich, daß so viele elektronische Bauteile hier unten herumlagen. Gut, das Haus war total vernetzt worden, doch war es die Software, die den größten Umfang an solchen Vernetzungen trug. Die Hardware dafür ließ sich bequem in einen Koffer verstauen. Trotzdem lagen hier massenhaft Bauteile und elektrotechnische Komponenten herum, von denen selbst ich nicht unbedingt wußte, wozu sie gut sein sollten. Entweder hatte es Chris zu gut gemeint, als er das Haus aufgerüstet hatte, oder aber Eric Wahl hatte ein Hobby, von dem ich noch nichts wußte. Hatte eigentlich irgend jemand überprüft, was Chris bestellt hatte? Durch das Zeug wurde immerhin das Konto der Firma belastet, und es würde die US Robots und Mechanical Men empfindlich treffen, wenn eines ihrer Produkte einem Manager helfen würde, einen Handel mit Hardware aus nicht ganz einwandfreien Quellen aufzuziehen.
Meine Gedanken wanderten bald in eine ganz andere Richtung. Mit einem Mal stand ich vor der Transportkiste, in der Chris geliefert worden war. Und dahinter verbarg sich eine Tür.
Ich hätte sie fast gar nicht bemerkt, doch sah ich einen Kartenleser an der Wand, so einer, mit dem auch die Haustür gesichert war. Ich fing an zu schwitzen, gerade hatte mir mein kleiner Dämon einen Schlag in den Nacken verpaßt.
Nur die Außentüren waren mit einer solchen Vorrichtung gesichert, bei meinem Rundgang hatte ich mich davon überzeugen können. Und es gab nur einen Grund, warum diese Kellertüre genau so gesichert war, und die Transportkiste davor stand. Hier hatte der Roboter Eric Wahl eingesperrt.
Wenn meine Vermutungen stimmten, dann hatte der Roboter ihn schon vor zwei Monaten hier unten eingekerkert. Und wahrscheinlich sogar zum Schutz vor sich selbst. Wer außer Chris wußte schon, was nach dem Auszug seiner Lebensgefährtin hier los gewesen ist.
Zwei Monate.
Wie Eric Wahl wohl nun aussah? Eine Szene aus >Der Graf von Monte Christo< spielte sich vor meinen inneren Auge ab; Richard Chamberlain als Edmond Dantes, wie er unschuldig eingekerkert im Chateau d’If schmachtet. Elend in zerrissener Kleidung und mit Haaren und Bart, die einem Yeti zu ehre gereicht hätten…
Mit all meiner Kraft stemmte ich mich gegen den Transportcontainer, schließlich quetschte ich mich zwischen Container und Türe und schob ihn so beiseite. Noch ein Stück, und noch eins…
Schließlich glaubte ich, ausreichend Platz zu haben. Ich mußte darauf gefaßt sein, daß, sobald die Türe auf war, mir Etwas entgegensprang, mich umrannte oder auch niederschlug. Ich wüßte nicht, wie ich auf eine zweimonatige Einzelhaft reagieren würde.
Ich steckte die Karte in den Schlitz.
Es piepte, und die Tür sprang auf.
Nichts! Alles blieb ruhig.
„Hallo?“ Vorsichtig rief ich durch den offenen Spalt. „Mister Wahl?“ Doch ich bekam keine Antwort. Vorsichtig blickte ich durch den offenen Spalt. Einige Lichter blinkten, wie von Anzeigen einer Steuerung. Auch, als ich eingetreten war, konnte ich nicht viel mehr sehen. Meine Hand tastete nach dem Lichtschalter an der Wand entlang. Und als sie fündig geworden war, sah ich, was aus Eric Wahl geworden war, warum er nicht mehr persönlich erschienen war; „Ich habe es dir doch gleich gesagt“ meldete sich der kleine Dämon in meinem Nacken, und ich haßte ihn dafür, daß er recht behalten hatte.
Der Roboter hatte Eric Wahl eingesperrt – doch nicht in einer einfachen Zelle. Der Vergleich mit der >Matrix< drängte sich auf, abgeschottet von der Außenwelt war der Hausherr in einem Tank verstaut worden. Ich war hin- und hergerissen zwischen Grauen und Faszination. Hier, in diesem Behälter würde er sicher Hunderte von Jahren überleben können, doch er war auch ganz sicher nicht freiwillig hier hineingeklettert und hatte sich in ein künstliches Koma versetzt. Das Atmen und die Zufuhr von Nährstoffen übernahm nun eine Maschine, die, gespeist von einem Mikrofusionsreaktor, eine halbe Ewigkeit arbeiten würde.
Und dann drehte ich mich zur Türe um, und sah, daß jemand im Türrahmen stand. Zwei rote, Photoelektrische Augen sahen mich an. Chris hatte mich bemerkt, und die Tür, die er blockierte, war der einzigste Ausgang.
Ich wußte weder genau, wie lange ich bewußtlos gewesen war, noch, wie mich Chris außer Gefecht gesetzt hatte. Doch als ich aufwachte lag ich auf dem Rücken, und war mit ledernen Riemen an einer Liege gebunden. Ich versuchte meinen Kopf etwas zu drehen, um eine bessere Sicht zu erlangen. Chris war bei der Arbeit, neben den Tank, in dem Eric ruhte, stand schon das Grundgerüst für einen zweiten solchen Behälter. Sicher hier hatte er genügend Werkzeuge und Komponenten, um sein Werk zu vollenden, und um möglicherweise noch diverse Ersatzgeräte zusammenzubasteln. Und das alles hatte die Firma bezahlt, und zwar ohne Wissen, was damit passieren würde. Fürwahr, dieses Labor war eines Frankensteins würdig.
Ich versuchte mich loszuwinden, jedoch vergebens. Chris war kein Mensch, und wußte was er tat. Ich hingegen konnte nur hilflos herumstochern. „Chris, wie konntest du das nur tun? Du hast gegen das erste Gesetz verstoßen. Du hast Menschen Schaden zugefügt!“
Chris drehte seinen Kopf in meine Richtung. „Ich habe Ihnen keinen Schaden zugefügt, Mr. Walters.“ Und dann fuhr er mit seiner Arbeit fort.
„Du hältst mich hier fest. Das erfüllt schon den Tatbestand.“
Wieder unterbrach Chris seine Arbeit. „In welcher Hinsicht haben Sie denn einen Schaden erlitten? Die Riemen sind exakt eingestellt und können Sie nicht verletzen.“
„Du hast mich angegriffen!“
„Ich habe Sie lediglich kurzzeitig Anestesiert. Nur so lange, bis ich Sie fixieren konnte. Sonst hätten Sie sich verletzt.“
Mir stand der Schweiß auf der Stirne. Wo blieb Alfred Lanning nur so lange? Wenn es dumm liefe, hatte er meinen Anruf nicht ernst genommen, und saß immer noch in seinem Büro.
„Das was du machst, ist aber unrecht“ beharrte ich „Es gibt sogar Gesetze gegen Kidnapping.“
„Gesetze gelten nur für Menschen, nicht für Maschinen.“
Ich stöhnte auf. Chris war ein verdammt harter Gegner. „Aber du hast mich verletzt, nicht nur mich, sondern auch Eric Wahl. Nicht körperlich, sondern seelisch.“
„So etwas wie eine Seele existiert nicht!“
Der CS zeigte keinerlei Reaktion. Keine verlangsamten Bewegungen, keine stotternde Stimme, nichts, was auf eine Schädigung seines Gehirns deutete. Chris war sich seiner Sache sicher.
„Aber sicher hat der Mensch eine unsterbliche Seele“ rief ich. „Du bestehst ja nicht nur aus Hard-, sondern auch aus Software. Und beim Menschen ist die Software die Seele.“
„Sie meinen die Psyche! In dem Tank ist diese inaktiv, und wird so keinen Schaden nehmen.“
„Aber…“ Was sollte ich darauf antworten, schließlich war ich weder Prediger noch Philosoph, sondern ein nüchternder Ingenieur.
„Du kannst mich hier nicht festhalten Chris! Man wird mich suchen. Die Firma weiß, wo ich bin. Oder willst du den Suchtrupp etwa auch hier unten einsperren?“
„Sie irren sich. Vor wenigen Minuten habe ich Alfred Lanning Kontaktiert, und durchgegeben, daß alles in Ordnung ist.“
„Du kannst mich doch hier nicht wie einen alten Lumpen ablegen. Man wird nach mir suchen!“
„Sie irren sich wieder. Kein Mensch wird Sie vermissen. Sie leben allein und völlig unauffällig. Ihre Arbeit kann auch über eine Fernverbindung erfolgen, genau wie bei Eric Wahl.“
Ich stöhnte auf. Was sollte ich machen, wie den CS davon überzeugen, daß er gegen das erste Gesetzt verstieß. Mein Blick wanderte zu Eric Wahl, der friedlich in seinem Tank schlummerte. Laut Chris war er da sehr gut aufgehoben. Ob Eric genau wie in der >Matrix< in einer imaginären Welt lebte? Nun, bald würde ich es wissen, der zweite Tank nahm unter den Händen von Chris langsam Gestalt an.
Und dann krachte es an der Türe. Einmal, zweimal, und mehrere Männer drangen in den Kellerraum ein. Einer von ihnen war Alfred Lanning. Als Chris Anstalten machte, auf die Gruppe zuzustürmen, zog er eine Fernbedienung. Ein Knopfdruck, und der Roboter erstarrte in seiner Bewegung. Ich holte tief Luft; nie wieder vor, noch jemals hinterher war ich je so erleichtert gewesen.
 
„Nett von Ihnen, daß Sie mich hier besuchen. Sie wissen nicht zufällig, wann ich hier rauskann?“
„Schön, daß Sie schon wieder so munter sind, Walters. Aber die Ärzte meinen, Sie sollten hier noch eine Weile hierbleiben. Zur Beobachtung.“
„Aber mir geht es gut, wirklich!“
„Dann hatten Sie mehr Glück, als der arme Eric. Ich fürchte, er ist ein Fall für die Psychiatrie.“
„Aber wieso denn? Er war doch in diesem Tank vollkommen abgeschottet!“
„Tja, aber er ist ja nicht in diesem Ding geboren worden. Der CS wollte ihn wohl genau wie Sie betäuben, aber so wie es aussieht, hat Eric doch etwas gemerkt, und der Roboter hat ihn dann durch das ganze Haus gejagt. Tja, stammelt nur noch vor sich hin, der Arme. Er ist hinter mir her, und so weiter. Auf der Psychiatrischen Abteilung arbeitet ein Roboter. Reinigt die Gänge, und so weiter. Sie hätten Eric mal sehen sollen, als er den gesehen hat. Ich fürchte, er wird noch eine ganze Weile brauchen. Tja, schade, aber das Experiment ist; wie sagt man so schön, voll in die Hose gegangen. Das trifft es wohl genau.“
„Ist der Schaden sehr schlimm?“
„Alfred Lanning legte den Kopf schief. „Läßt sich jetzt noch nicht genau absehen. In Zahlen zumindest. Aber das Parlament beschäftigt sich schon mit diesem Fall. Zumindest hatten wir in einem Glück, auf die Titelseiten hat es dieser Fall nicht geschafft, daß hat uns schon einmal eine Menge Ärger erspart. Außerdem haben wir Interessenten für diesen Sarkophag, den Chris zusammengebaut hat. Sieht so aus, als wenn nicht nur diverse Sanatorien und Raumfahrtunternehmen daran interessiert wären. Gibt viele reiche Geldsäcke, die wohl ihr Leben so verlängern möchten. Nur… jetzt, wo der Roboter zerstört wurde, werden wir wohl nie verstehen, warum Chris gegen das erste Gesetz verstoßen hat.“
„Hat er nicht.“
Alfred Lannings Gesicht wirkte ohne die für ihn typische Zigarre regelrecht nackt.
„Wenn er gegen das erste Gesetzt verstoßen hätte, dann hätte ich es gemerkt.“
„Aber warum zum Teufel wollte er Sie mit aller Gewalt aus dem Verkehr ziehen?“
„Ich denke, es war eine Kettenreaktion unglücklicher Umstände“ versuchte ich zu erklären „Ich denke, er wollte Eric Wahl vor sich selbst beschützen. Sie wußten ja nicht, was bei ihm los war, aber diese Bauchtanzgeschichte hat schon ausgereicht, um Eric Wahl aus der Bahn zu werfen. Ich weiß, daß sich dieser Streß sehr negativ auf ihn ausgewirkt hat. Und die Trennung von Melissa war dann das Ende. Ich denke, Chris wußte sich nicht anders zu helfen, um Eric Wahl vor sich selbst zu schützen. Und alles andere war dann die Folge davon. Die Simulierung von Wahls Anwesenheit, um dessen Heim und Verdienst zu sichern, der kaputte Stecker, damit niemand an den Erinnerungsspeicher kam, und auch mich wollte er aus diesem Grund aus dem Weg schaffen.“
„Aber Chris hätte doch wissen müssen, daß er Eric Wahl so schweren seelischen Schaden zufügt.“
„Woher denn? Er hat ja seit seiner ersten Stunde nur gearbeitet. Man hätte ihm zuerst im Umgang mit Menschen unterweisen sollen. Für Eric Wahl war er nur so was wie ein Ferrari. Einfach nur ein Gegenstand. Er hat sich nicht um den Roboter gekümmert, sondern ihn einfach machen lassen. Sonst wäre ihm doch aufgefallen, daß der Roboter unten im Keller etwas zusammenbaut. Nein, für diesen Prototypen war Wahl einfach zu unsensibel. Man hätte ihm einen Menschen an die Hand geben müssen, der den Roboter unterrichtet, anstatt ihn einfach nur arbeiten zu lassen. Woher hätte der Roboter denn etwas über die Psyche eines Menschen, oder gar über dessen unsterbliche Seele wissen sollen? Für uns ist es selbstverständlich. Aber wir wachsen ja auch mit diesem Wissen auf. Chris wußte nichts davon, und Eric hat das nicht interessiert. Für ihn war der CS nur ein Prestigeobjekt, bestenfalls eine billige Arbeitskraft. Unser Managertalent hat sich lieber mit sich selbst beschäftigt, darum ist auch seine Partnerschaft mit Melissa Corn zerbrochen.“
Lanning nickte „Wird wohl so sein. Demnächst werden wir wohl einen Psychologen einstellen müssen, einer der rauskriegt, was bei unseren Robotern nicht richtig tickt.“
„Ist das Ihr Ernst?“
Alfred Lanning hob die Schultern. „Mal sehen. Vielleicht ist die Idee ja doch nicht so schlecht. Kommen Sie erst einmal hier raus, dann sehen wir weiter.“
Die Türe schloß sich, und ich war wieder allein im Krankenzimmer. Möglicherweise würde diese Krankenschwester heute Nachmittag noch einmal hineinkommen, und mir Blut abnehmen. Das hatte sie bereits so oft gemacht, daß ich eine Vampirkolonie im Keller vermutete. Ansonsten würde es ein ruhiger Tag werden. Noch zwei Tage, und die Ärzte würden wissen, daß mir nichts fehlte. Und so lange konnte ich nichts tun, außer aus dem Fenster zu starren oder in der Zeitung zu blättern. War es sonst der Leitartikel, der meine Aufmerksamkeit fesselte, so wendete ich mir jetzt zwei andere Sparten zu. Das eine waren die Stellenanzeigen. Irgendwie war mir die Lust vergangen, mit Robotern zu arbeiten, und beruflich hatte mich meine Arbeit in den letzten Jahren nicht sonderlich weitergebracht.
Die andere Sparte waren die Kontaktanzeigen. Chris hatte gesagt, daß mich niemand vermissen würde. Was mich daran sehr hart getroffen hatte war die Tatsache, daß er wahrscheinlich damit recht hatte. Ich hatte bisher ein recht einfaches und unauffälliges Leben geführt. Und ganz sicher konnte es nicht schaden, einige Kleinigkeiten daran zu ändern…
 
 

Wenn es um Science - Fiction geht, ist Isaac Asimov ganz sicher mein Lieblingsautor. Gerne habe ich seine Geschichten gelesen, und gerne hätte ich den 1992 verstorbenen Autor mal kennengelernt.
Aber trotzdem glaube ich, daß ihm hier oder dort einige kleine Fehler unterlaufen sind...
Uwe Keßler, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.12.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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