Steffi Zeisig

Das Date

Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel sagte ihr, dass sie umwerfend aussah. Sie hatten dieses Date lange geplant und sie wollte heute nichts dem Zufall überlassen, alles sollte perfekt sein. Schliesslich traf sie auch Mister Perfekt. Sie hatte ihn vor etwa einem Jahr im Chat kennen gelernt. Aus einer anfänglichen Symphatie wurde eine leidenschaftliche Chataffäire, allerdings beschränkten sich ihre Kontakte auf den Chat, Emails und gelegentlich eine SMS. Er war genau ihr Typ, leidenschaftlich, witzig, charmant, gutaussehend und und und... Gab es überhaupt etwas an ihm auszusetzen? Ihr fiel nichts ein.
 
Er sass mit seinem Kumpel an der Bar und bestellte noch einen Wodka. Kein Problem, sein Kumpel würde ihn zu seinem Date fahren, die letzten Meter würde er laufen. Er wusste, dass er heute besonders gut aussah. Die Frau, die er treffen wollte war eine Traumfrau, da wollte er vorbereitet sein und in nichts nachstehen. Na gut, er kannte sie nur aus dem Chat, aber so wie er sie kannte gefiel sie ihm. Sie war genau sein Typ, leidenschaftlich, witzig, charmant, gutaussehend und und und... Gab es überhaupt etwas an ihr auszusetzen? Ihm fiel nichts ein.
 
 
Sie freute sich auf ihn. Seit fast einem Jahr bewunderte und begehrte sie ihn. Jedes Mal, wenn er den Chat betritt schlägt ihr Herz im Dreieck. Sie vergisst die Welt um sich herum und lebt nur noch in der Cyberwelt, mit ihm! Und wenn sie dann im Bett liegt kann sie vor Glückseligkeit lange nicht einschlafen. Er ist einfach umwerfend, das Date war lange überfällig.
 
Er rief sich immer wieder ihr Bild ins Gedächtnis, die strahlenden Augen das Lächeln. Nein, keine andere Frau hatte ihn je im Chat so betört, so rasend vor Leidenschaft werden lassen. Er hatte eigentlich selten Zeit zum chatten, aber wenn, dann suchte er nur nach ihr. Er verzehrte sich nach ihr. Nach einer durchchatteten Nacht lag er oft stundenlang wach, an Schlaf war nicht zu denken. Er steckte in Gedanken immer noch steinhart in ihr.
 
 
Warum ich? Sie stellte sich diese Frage immer häufiger in letzter Zeit. Ein so toller, perfekter Typ der praktisch jede Frau haben kann, kein Zweifel. Vielleicht meint er gar nicht mich sondern „Libelle“ mein Nick im Chat, dachte sie. Ja, im Chat kann man sich hinter einem Nick verstecken und seinem Gegenüber sonst etwas vorgaukeln, das ist einfach so. Und sie ertappte mich immer öfter dabei ihm Dinge zu sagen, die sie sonst nie sagen würde. Sie hatten nächtelangen Cybersex der weit an der Realität vorbeiging. Aber wenn sie sich so gab, wie sie wirklich war, dann, so fürchtete sie, war sie für ihn uninteressant. Was, wenn er heute genau diese Dinge einfordern würde, die sie real nicht zu geben bereit war? Zweifel überkamen sie. Sie setzte sich vor einen Kosmetikspiegel und legte letzte Korrekturen an ihrem Make up an.
 
 
Was habe ich was andere Männer nicht haben, warum ich? Zum wiederholten male ging ihm diese Frage durch den Kopf. Warum hat so eine tolle, perfekte Frau ausgerechnet auf ihn gewartet, und dazu noch virtuell. Meine Güte, die kann doch Jeden haben. Was, wenn sie gar nicht auf ihn sondern auf „Magier“ wartet, also auf einen Nick, den es so gar nicht gibt. Im Chat ist alles so einfach, man kann lügen ohne rot zu werden. Die Buchstaben auf dem Bildschirm sind geduldig, sie verraten nichts über die wahre Identität des Absenders. Und er hatte wirklich das ein oder andere mal genau das gesagt/geschrieben, was sie hören/lesen wollte. Die Wahrheit lag mitunter weit davon entfernt. Verlegen schüttelte er den Kopf aber er fand keine Antwort.
 
 
 
Sie stand im Flur, fertig zur Abfahrt, den Autoschlüssel in der Hand. Sie hatten sich auf halber Strecke verabredet, es lagen also gut 100 km vor ihr. Was, wenn er nicht kommt weil er es sich anders überlegt hat? Warum sollte er sich ausgerechnet mit ihr treffen wollen? Bestimmt kommt er nicht oder nur aus Höflichkeit um ihr zu sagen „sorry, du bist doch nicht mein Typ“. Aber das wäre fatal, das würde sie zutiefst in ihrer Eitelkeit verletzen.  Sie spielte mit dem Autoschlüssel in der Hand und wippte unruhig in ihren viel zu hohen Stöckelschuhen.
 
Er sah in sein leeres Wodkaglas und orderte unverzüglich ein neues. Nein, er würde sich nicht betrinken, nur seine Zweifel hinunterspülen. Er war sich nämlich immer noch nicht sicher, ob er dieses Date wahrnehmen sollte. Sie konnte es sich ja anders überlegt haben und ihn gar nicht wollen. Unruhig sah er auf seine Uhr, wenn er pünktlich sein wollte, dann mussten sie jetzt los.
 
 
"Wenn ich jetzt zu diesem Date fahre, dann weiss er wie verrückt ich nach ihm bin. Und wenn er mich abweist, weil ich real dann doch nicht seinen Vorstellungen entspreche, das wäre eine Katastrophe", ihre Gedanken drehten sich im Kreise. Sollte sie dahin fahren 100 km nur um sich einen Korb abzuholen?
 
Wenn er jetzt zu diesem Date fährt, dann bildet sie sich vielleicht etwas drauf ein, dann weiss sie, wie sehr ich sie begehre. Aber vielleicht will sie mich „live und in Farbe“ gar nicht. Soll ich mir eine Niederlage abholen? Ein letzter Schluck aus dem Wodkaglas und ein Kopfschütteln.
 
Sie dachte daran, das Date per SMS aus einem erfundenen Grund abzusagen, aber das würde er durchschauen und er würde sich kaputtlachen über ihre Ängste und Zweifel.
 
Sollte er ihr eine SMS schicken und etwas von Zahnschmerzen schreiben? Nein, sie würde die Lüge sofort erkennen und sein Image bei ihr wäre verloren.
 
Das Restaurant war brechend voll, nur ein Tisch mit einem kleinen Schild „reserviert“ war frei. Der Kellner sah auf seine Uhr und grummelte „45 Minuten drüber, da kommt wohl keiner mehr“. Dann nahm er das Schild weg.
 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Steffi Zeisig).
Der Beitrag wurde von Steffi Zeisig auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.12.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Steffi Zeisig als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Rico sucht seine Farben von Marika Thommen



Erzählt wird ein fantastisches Abenteuer, in dem ein Schmetterling sich auf die abenteuerliche Suche nach seinen verlorenen Farben begibt.
Zusammen mit seinem neuen Freund dem Storch überwinden sie Gefahren und lösen schwierige Rätsel.

Für Kinder ab 5 geeignet.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Einfach so zum Lesen und Nachdenken" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Steffi Zeisig

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Mister Universum von Steffi Zeisig (Ernüchterung)
Hochzeitstag von Martina Wiemers (Einfach so zum Lesen und Nachdenken)
Der Arztbesuch 2 von Klaus Lutz (Besinnliches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen