Horst Dreizler

Das Auge der Sonne

Ein schrilles Kreischen weckt ihn.
Er versucht die Zunge zu bewegen, die ihm wie ein trockenes Stück Holz im Mund liegt.
Durst.....er braucht jetzt unbedingt Wasser, die Reise hat ihm sehr viel Flüssigkeit entzogen, es ist bekannt, er kennt es aus seiner Vorbereitungszeit, bei intergalaktischen Flügen und einem menschlichen Körper von 80 Kg Gewicht dürfte er bestimmt 3 Liter Körpersaft verloren haben.
Vorsichtig öffnet er die Augen.
Die grelle, gelbe Sonne tut weh, er kneift die Lider zusammen, aus schmalen Schlitzen mustert er seine
Umgebung.
Eine Waldlichtung, hohes, scharfkantiges Steppengras, im Hintergrund die mächtigen Farnbäume, die
Landschaft, die er erwartet hat, an die er sich erinnern kann.

Mit schrillem Geschrei stösst immer wieder ein Schwarm Habichte auf ihn herab, er hat keine Angst, er
weiss, sie fressen nur totes Fleisch.
Langsam richtet er sich auf, jeder Muskel des ungewohnten Körpers schmerzt.
Leise dringt das plätscherndes Geräusch in sein Bewusstsein, die Quelle muss dort, gleich am Waldrand
sein.
Er braucht Wasser, er setzt sich in Bewegung.
 
Er liegt flach auf dem Bauch, den Kopf ins Wasserloch gesteckt säuft er wie ein Tier.
100 000 Lichtjahre von seiner Heimat, von seinem Planeten entfernt, wo man der reinen materialistischen Existenz längst entkommen ist, wo Fantasien und Wünsche das Leben bestimmen, wo die Sprache als Kommunikationsmedium nebensächlich ist und wo man sich in Gedankenwelten trifft und austauscht.
Aber dieser Planet stirbt, er kühlt aus, die Sonne, die ihn erwärmt erlischt.
Deshalb wurde er geschickt,... eine neue Welt zu finden, ...eine neue Bleibe.
Das Wasser ist köstlich, es belebt ihn, macht ihn wach..........und so spürt er den Sturm von Hass und
Tod, der plötzlich über ihn hereinbricht, noch bevor er das heisere Gebrüll des Säbelzahntigers hinter
seinem Rücken hört.....
 
Sie ducken sich auf einem mächtigen Ast des Riesenfarnbaums in halber Höhe.
Ihre dunklen, stark behaarten Körper pressen sich aneinander, schwarze, flinke Augen unter einer fliehenden Stirn zucken aufgeregt hin und her, zitternd blecken einige ihre kräftigen, gelben Zähne, aber ...sie geben keinen Laut von sich, menschliche Affenwesen, mehr Affe ?...mehr Mensch ?
Sie beobachten ihren Hauptfeind, den Tiger, beim Beute machen.
Nur, diesmal sind nicht sie das ausgesuchte Fressziel, nein, es ist dieses Wesen, das ihnen ähnlich sieht, aber doch so anders ist...dieses bleiche, haarlose, schmale Wesen am Wasserloch, das gierig trinkt und die Gefahr anscheinend nicht bemerkt....
...und dann geschieht das Unglaubliche, ein Ereignis, welches die haarigen Wesen zwar sehen aber nicht
begreifen können, weil es allem bisher erlebten widerspricht, allen Instinkten entgegenläuft.
 

Der Tiger schleicht näher, lautlos, duckt sich zum Sprung ...die Haarigen rollen wild mit den Augen, vorbei, es ist um ihn geschehen, aber lieber er als sie, ...
Da steht das Wesen an der Wasserstelle mit einer gleitenden Bewegung auf und dreht sich um.
Die schmale, hohe Gestalt , die Sonne im Rücken, der Kopf von einem gelben Strahlenkranz umgeben, beide Arme nach vorne gestreckt, die offenen Handflächen nach oben und die Augen, funkelnde Faszinationen, als brenne ein Feuer in ihnen.... der Säbelzahntiger, eben noch kurz vor dem Absprung, die Zähne schon sicher in einer leichte Beute wähnend, steht auf, schnuppert verlegen im Gras, schüttelt sein mächtiges Haupt, gähnt , trottet ins nahe Gebüsch und ist verschwunden.
Die affigen Menschen sitzen wie erstarrt auf ihrem Ast, nicht begreifend, was sie gerade gesehen haben
können sie den Blick nicht von der strahlenden Gestalt abwenden, die ihren Blick nun auf sie richtet und sie durch das Blättergewirr genau zu sehen scheint.
Eine wohlige Wärme durchzieht sie,.. Freude, Zuversicht, Glück,..Gefühle, bisher selten empfunden, haben sie gemeinsam nur den einen Wunsch, zu diesem Wesen zu gehen, es willkommen zu heissen und es in ihrer Mitte aufzunehmen, dieses Wesen, dessen Augen wie Sonnen leuchten und das ihr Schicksal für immer ändern sollte...
 
Epilog:

Im Jahre 1994 suchten ruandische Bürgerkriegsflüchtlinge in einer Höhle in der Nähe der zairischen Grenzstadt Goma Unterschlupf.
Im Lichtschein eines kleinen Feuers entdeckten sie an den Höhlenwänden ausgedehnte Malereien.
Durch die Kriegswirren bedingt drang die Nachricht erst Jahre später an die Öffentlichkeit .
Im Jahre 1998 nahm der australische Geologe und Archäologe Robert M. Heaven von der Universität Brisbane mit seinem Team Untersuchungen der Höhle vor.
Die Ergebnisse wurden kürzlich im "Farce Scientist" veröffentlicht.

Heaven schreibt , die etwa 100m² grosse Höhle sei an den Wänden mit Bildern aus der Alt-Mittel- und Jungsteinzeit (Alterbestimmung mittels Radioisotope) bemalt, überwiegend Jagdmotive.
Das älteste Kunstwerk wurde gleich am Höhleneingang entdeckt, eine Gruppe von Menschen, ein Tierbild (Raubtier?), etwas abgesetzt davon eine etwas grössere menschliche Gestalt, mit einer linsenförmigen Figur über dem Kopf ( H. vermutet die Darstellung eines Auges) umgeben von strahlenförmigen Linien.

Heaven:" Wir nannten es "das Auge der Sonne", die Darstellung ist annähernd 100.000 Jahre alt, also
aus der Zeit, als die ersten menschlichen Wesen den Schutz der Waldgebiete verlassen haben, als sie anfingen, die Steppen zu besiedeln, als sie erstmals Waffen herstellten und als sie anfingen zu Göttern zu
beten. Es ist die Zeit, ab der wir erstmals von "Menschen" sprechen können.
Irgendetwas ist damals geschehen , irgendeine Initialzündung hat sie auf die Stufe des Menschseins
gehoben. Wir forschen weiter." 


Am 23.12.1999 verschwand ein kleiner Lichtpunkt aus der Magellanschen Wolke, vermutlich
ein Sternenkollaps. Aufgrund der Entfernung und unter Berücksichtigun der Lichtgeschwindigkeit hat das
Ereignis vor ca. 100.000 Jahren stattgefunden.


Das Ende?...wer kennt schon das Ende...?



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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.01.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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