Evelyn Krampitz

glücksTag



Es war Freitag, der dreizehnte. Am liebsten wäre ich im Bett geblieben und hätte diesen Tag verschlafen. Einfach verträumt. Doch das ging nicht, denn es fand eine wichtige Konferenz statt und ich sollte über Aberglauben referieren.
Ich!

Damit nichts schief gehen konnte bereitete ich meinen Auftritt sehr gründlich vor: Mein Manuskript war perfekt, das blaue Kostüm hing frisch aus der Reinigung im Schrank und in meiner Handtasche befanden sich vier Paar Ersatzstrumpfhosen.
Also quälte ich mich an diesen besagten Morgen aus dem Bett. Nachdem ich geduscht und gefrühstückt hatte, verließ ich perfekt gestylt das Haus. Es war ein wundervoller Morgen und ich ließ mein Auto in der Garage.
Es war neu.
Ein Spaziergang von ca. zwanzig Minuten würde mir gewiss gut tun und während mich die Sonnenstrahlen begleiteten, wollte ich meine Gedanken sortieren. Außerdem hatte ich vorsichtshalber zwei Stunden für die kurze Strecke eingeplant.
So schritt ich frohen Mutes voran, bog um die nächste Ecke und stand vor einer Leiter.
Einer sehr langen.
Diese scheinbar wacklige Konstruktion blockierte den ganzen Fußgängerweg. Auf keinen Fall konnte ich unter ihr hindurch gehen, wie all die anderen Passanten es taten, und machte vorsichtshalber einen großen Bogen um die vermeintliche Gefahr.
Autoreifen quietschten. Eine Hupe ertönte und ein alter Opel preschte sehr nah an mir vorbei, dessen Fahrer tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe, dabei schrie er irgendetwas und fuhr mit dem Auto durch die einzige Pfütze weit und breit. Mein Sprung zur Seite war nicht schnell genug und schmutziges Wasser bespritzte mich.
Kopfschüttelnd und wütend über das rüpelhafte Benehmen des Opelfahrers setzte ich meinen Weg fort, der mich durch eine kleine Einfamilienhaussiedlung führte.
Friedlich und ruhig war es hier.
Erleichtert holte ich Luft, denn die Hälfte des Weges lag bereits hinter mir. Da erblickte ich eine Katze.
Eine schwarze!
Träge lag sie in einem Vorgarten und schien zu schlafen.
Sie rührte sich nicht, ich ebenso.
Wie angewurzelt verharrte ich und starte das Tier an. Eine Ewigkeit von fünf Minuten stand ich da.
Guckte.
Nichts geschah. So ging ich auf Zehenspitzen weiter. Kurz bevor ich auf gleicher Höhe mit dem Vieh war, streckte es sich. Gönnerhaft riss es das Maul auf, gähnte und sprang auf.
Ich beschleunigte meine Schritte und wollte so schnell wie möglich vorbei laufen.
Vergeblich.
Das schwarze Fellbündel huschte tatsächlich vor mir über die Straße und verschwand auf der gegenüberliegenden Seite im Gebüsch. Abrupt stockte ich. Meine Beine wollten keinen Schritt weitergehen. Irgendetwas hielt mich fest und verhinderte, dass ich über die magische Linie trat. Daher entschloss ich mich umzudrehen und einen kleinen Umweg durch den Park zu nehmen.
So schlenderte ich durch die Grünanlage und entdeckte auf einem Rasenstück viele Kleepflänzchen. Da noch genügend Zeit war, machte ich einen kurzen Abstecher auf die Wiese und suchte nach einem vierblättrigen Exemplar.
Und tatsächlich fand ich eins im Schatten einer Rosenhecke. Entzückt bückte ich mich und pflückte den Glücksbringer. Als ich mich aufrichtete, verfing sich meine Hochsteckfrisur in den Rosendornen. Je mehr ich versuchte den Kopf aus dem Busch zu ziehen, je fester verknoteten sich meine Locken in den Zweigen. Schließlich konnte ich mich nach einem Kampf mit der Hecke befreien. Allerdings war meine Haartracht im Eimer. Verzweifelt zupfte und zog ich an meinen Locken, um sie halbwegs wieder in Form zu bringen, und sah zufällig auf meine Armbanduhr.
Vor Schreck hielt ich in meiner Bewegung inne und schluckte.
Die zwei Stunden waren bis auf knapp dreißig Minuten geschmolzen. In dem Moment lief es mir eiskalt über den Rücken. Meine Arme fielen wie schwere Säcke nach unten und ich murmelte: „Ruhig. Ganz ruhig. Du schaffst das lässig. Es sind nur noch fünf Minuten. Quatsch. Zwei. Du kannst dich sogar noch frisch machen. Also keine Panik. Schön langsam und du schaffst es!“ Eilig tippelte ich über die Wiese auf den Weg zurück und hastete weiter.
Kurz bevor ich mein Ziel erreichte, kam mir wie aus dem Nichts ein Schornsteinfeger entgegen.
Groß, schmutzig und strahlend ging er mit weit ausholenden Schritten an meiner linken Seite vorbei.
Ich konnte nicht anders.
Ich musste ihm hinterher laufen.
Als ich ihn erreichte, stupste ich ihm auf die Schulter und rief etwas außer Atem: „Hallo, junger Mann! Bitte warten Sie kurz. Ich brauche heute noch ganz viel Glück!“
Er blieb stehen, drehte sich um und musterte mich von Kopf bis Fuß. Lächelte. Dann nahm er mich einfach in die Arme und drückte mich. Jetzt konnte absolut nichts mehr schief gehen.
Strahlend nickte ich den Unbekannten an und wand mich aus seiner Umarmung. Sekunden später lief er davon und ich flitzte die Treppe zum Eingangsportal des Konferenzzentrums empor. An der Tür blieb ich stehen und sah an mir herunter. Beim Anblick der schwarzen Flecke auf meiner Kostümjacke wurde mir schlecht. Der angebliche Glücksbringer hatte sich als schlichte Katastrophe entpuppt.
Aus.
So konnte ich unmöglich auf die Bühne treten. Geschockt schlich ich auf die Damentoilette und betrachtete mein Spiegelbild. Dort erblickte ich anstatt einer gut aussehenden Frau ein zerzaustes Etwas. Meine dunkelblonden Locken flogen wirr um den Kopf, auch hatte ich kleine Schrammen an der Stirn. Meine Jacke sowie die Strumpfhose waren befleckt und meine Hände sahen nach einem Nahkampf aus.
Das war das Ende meiner Karriere.
Vorbei.
Frustriert betrachtete ich das vierblättrige Kleeblatt in meiner Hand und flüsterte mit belegter Stimme: „Alles Schwindel. Von wegen Glück. Ich habe kein Glück. Ich habe bald gar nichts mehr!“ Mit hängenden Schultern ergriff ich meine Tasche und wollte heimlich davon eilen, da schoss mir eine Idee durch den Kopf. Sie war ungewöhnlich, jedoch passte sie zu diesem Tag und zu meiner Rede.
Kurz entschlossen zog ich meine Schuhe aus und brach mit großer Anstrengung die Absätze ab. Danach beschmierte ich mir die Stirn und meine Hände mit Straßendreck – damit keiner die frischen Kratzspuren sehen konnte.
Zum Schluss trennte ich noch ein Stückchen von der Ärmelnaht meiner Kostümjacke auf, holte durch das Loch etwas Futter heraus und zog die Jacke wieder an. Jetzt war ich fertig und stellte mich vor die Spiegelfront. Zufrieden betrachtete ich mein unmögliches Aussehen.

Wenig später betrat ich den Konferenzsaal. Natürlich hatte die Veranstaltung schon begonnen. Bewusst ließ ich die Tür mit lautem Knall ins Schloss fallen und lächelte, als neugierige Blicke in meine Richtung flogen. Auf meinem Weg nickte ich dem einen oder anderen freundlich entgegen und humpelte mit erhobenem Haupt zur ersten Reihe, wo mein Platz reserviert war. Dabei hörte ich Murmeln sowie Kichern aus dem Raum.
Mein erster Auftritt war gelungen.

Als ich schließlich auf die Bühne torkelte und mich hinter das Rednerpult stellte, um mit meinem Vortrag zu beginnen, herrschte eine unheimliche Stille. Alle stierten mich an und ihre verständnislosen Blicke durchbohrten mich förmlich.
Gut so!
Sie würden mir zuhören.
Alle.
Langsam ergriff ich das Mikrophon, fummelte es aus der Halterung und lief damit an den Bühnenrand. Dabei schien es mir, als würden einige Zuhörer den Atem anhalten.
Mit fester Stimme begann ich: „Sehr geehrte Gäste! Werte Anwesende! Heute, am Freitag, dem Dreizehnten, sprechen wir über Aberglauben. Diskutieren darüber, welche Bedeutung er in unserer modernen Welt noch besitzt und welche Mythen damit verbunden sind. Doch sehen Sie mich an!“ Demonstrativ drehte ich mich hin und her. Seufzte eindrucksvoll ins Mikrophon, ehe ich weiter sprach: „Schauen Sie genau hin. Ich bin ein Opfer dieses unheilvollen Dreizehnten. Auf meinem Weg wurde ich beinahe von einer Leiter erschlagen, kämpfte mit einer schwarzen Katze um das Vorherrschaftsrecht der Straßenbenutzung und zu guter Letzt ergatterte ich mir einen vierblättrigen Glücksklee unter einem Rosenbusch sowie eine Umarmung von einem Schornsteinfeger. Ein wenig Glück muss der Mensch sich irgendwie sichern - dachte ich mir!“
Dann schwieg ich und hob das zarte Pflänzchen als Beweisstück in die Höhe.
Wartete.
Plötzlich lachte jemand und klatschte. Wie eine Welle breitete sich dieses Geräusch aus und fast alle Anwesenden applaudierten. Währenddessen beförderte ich die Kostümjacke hinter das Rednerpult und bändigte meine Locken mit einem Haargummi zu einem halbwegs vernünftigen Pferdeschwanz.
Minuten später hing abermals eine fast wehtuende Stille über den Menschen und ich fuhr fort: „Ja, Sie haben Recht. Natürlich ist das Blödsinn, Quatsch und Sie haben sehr wohl verstanden, dass ich es Ihnen bildlich vorführte, was so ein Aberglaube alles anrichten kann. Wie es sein könnte, würde man glauben! Aber es kann ja auch ganz anders kommen, wenn man nicht glaubt …“
Und ich quasselte und quasselte und hielt die Rede meines Lebens.
Als ich die Bühne verließ, begleitete mich tobendes Händeklatschen auf den Platz. Gerade als ich mich zurücklehnte und dieses euphorische Gefühl genießen wollte, tippte mir jemand auf den Rücken.
Ärgerlich drehte ich mich um und blickte in zwei blaue Sterne. Diese Augen saugten mich beinahe auf und eine melodische Stimme sprach auf mich ein. Mehr und mehr verschwamm der Saal, verschluckte ein Nebel die Geräusche um mich herum. Ich sah nur noch den Unbekannten und hörte diesen Worte. Der Mann erzählte mir etwas von einem zerbrochenen Spiegel vor einem Jahr und das er seit jenem Ereignis nur Pech gehabt hatte. Aber durch meine Rede wüsste er nun, dass das alles Blödsinn sei und dass er ganz sicher nicht erst in sieben Jahren eine neue Partnerin finden würde; denn seine damalige Freundin ist ihm doch davon gelaufen.
Plötzlich unterbrach ich seinen Redefluss: „Nein! Die findest du ganz bestimmt schon eher. Was hältst du denn davon, wenn ich dir noch mehr erzähle über den Aberglauben und so?“

Er willigte ein.
Ohne auf die stattfindende Podiumsdiskussion Rücksicht zu nehmen standen wir auf und gingen. Dabei ergriff ich entschlossen seine Hand, zog ihn zum Ausgang und führte ihn durch den Park in meine Wohnung.

Seitdem sind wir ein Paar. Ein sehr glückliches und abergläubisch sind wir nur noch ein ganz klein wenig. Nur an den Freitagen, den dreizehnten, bleiben wir Zuhause im Bett und feiern unseren GlücksTag. Außerdem werde ich aufpassen, dass mein Schatz nach sieben Jahren abermals einen Spiegel zerdeppert – nur vorsichtshalber. Denn ich bin mir nicht so sicher, ob ich Glück hatte und er dagegen...

Und genau dies möchte ich nie herausfinden. Wozu auch?!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.01.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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