Andrea Renk

Die Rosenprinzessin

 
 
 
Sie hatte den Termin verpasst. Das war ihr ja noch nie passiert. Sie stand fluchend vor der kleinen Falltür, die sich neben dem Baccararosenstrauch befand. Sie klopfte, rüttelte, stampfte. Alles umsonst. Sie war bisher nie zu spät gewesen, hatte es immer geschafft rechtzeitig zum Winterschlaf da zu sein. Auch wenn sie immer die letzte war, aber sie war rechtzeitig da.
Dieses Jahr war sie zu spät. Und sie wusste es gab keine Ausnahme. Wer zum festgesetzten Termin nicht da war, der musste sich draußen einen Platz zum überwintern suchen.

Verzweifelt sah sie sich um. Es war durchaus schon zu spüren, dass es abends kälter wurde und es war abzusehen, dass es nur noch ein, oder zwei Wochen dauern würde, bis sie einen festen Unterschlupf brauchen würde, sonst würde sie erfrieren.
Ihr, wurde schlagartig bewusst, dass sie sich ja nur im Rosenbeet auskannte und darüber hinaus ihr alles weitere fremd war. Es war ja auch nie notwendig, sich darüber hinaus zu informieren, was da sonst noch so war.
Hier im Rosenbeet konnte sie auf keinen Fall bleiben. Die Blätter der Rosensträucher würden bald abfallen und ihr keinen Schutz für den Winter bieten können. Sie würde hier erfrieren.
 
Sie machte sich auf die Suche nach einem geeignet Platz, an dem sie den Winter verbringen konnte. Was würde sie dafür geben jetzt in der Höhle mit den anderen Blumenprinzessinnen zu sitzen. Da war es wohlig warm, man konnte sich die Zeit vertreiben, hatte immer jemand zum spielen und lachen. Und vor allem sie waren in der Nähe ihrer geliebten Blumen. Immerhin waren die Wurzeln in greifbarer Nähe. Nun wusste sie gar nicht mal ob sie einen geeigneten Platz finden würde, geschweige denn ob sie ihre geliebten Rosen in der Nähe hätte. Sie ahnte schon, dass es ein sehr trister Winter werden würde.
 
Sie suchte noch ein paar der letzten Rosenblätter zusammen, verschnürte sie zu einem kleinen Bündel und machte sich auf den Weg sich einen Unterschlupf zu suchen. Er musste trocken sein. Es durfte nicht ziehen und sie musste genug Schutz vor der großen Kälte haben. An Unterhaltung oder gar die Nähe von Blumen, dachte sie erst einmal gar nicht. Dann machte sie sich entgültig auf den Weg. Ein letzter Blick zurück und eine Träne in den Augenwinkeln. Wenn sie den langen Winter überleben würde, dann kam sich ganz sicher hierher zurück.
 
Eine Weile war sie schon unterwegs. Viele neue Dinge sah sie. Und das meiste, war nicht dazu geeignet den Winter zu verbringen. Sie fand ganz unbekannte Pflanzen. Ganz vielfältiger Art. Aber alles waren Arten, die mit ihrem Rosenbeet so gar nichts gemeinsam hatten.
In einem Baum fand sie eine Ritze die sie sich genauer anschaute. Aber bei genauerer Betrachtung oder eher gesagt Erfühlung, musste sie feststellen, dass es heftig durch die Spalte zog, hier würde sie sehr schnell krank werden. Das würde sie nicht überleben, also konnte sie hier nicht bleiben.
Weiter vorne war noch ein umgefallener Baumstamm. Aber der kam auch nicht in Frage, da es am Boden ziemlich nass werden konnte. Also konnte sie hier auch nicht den ganzen Winter blieben.
Aber für die eine Nacht musste der Baumstamm genügen. Es war schon spät und sie wurde müde. Zudem sah sie nicht mehr so gut, wenn es dunkel war. Sie versuchte unter dem Baumstamm eine halbwegs bequeme Stelle für die Nacht zu finden. Sie nahm ein paar trockene Blätter und legte sie zu einem Lager zurecht. Sie fand nach langem hin und her eine Stellung in der sie wenigstens ein bisschen schlummern konnte. Morgen früh, wenn die Sonne aufging, wollte sie sich gleich wieder auf den Weg machen.
Die Nacht war lang und unheimlich. So viele fremde Geräusche, die fremde Umgebung, das ungewohnte Lager. Sie hatte kaum ein Auge zugemacht.
 
Als endlich die Sonne aufging, saß sie schon bereit auf ihrem Lager, hatte die ihr Gesicht in die Hänge gelegt und dachte nach. Was wäre, wenn sie kein geeignetes  Lager finden würde? Wenn es nass, kalt oder zügig war, würde sie krank werden und sie würde den Winter nicht überleben.
Sie zwang sich zur Zuversicht. Sie durfte daran einfach nicht denken. Sie würde ganz sicherlich ein Lager finden und musste nicht im kalten Winter frieren.
Mit diesem Gedanken machte sie sich wieder auf den Weg. Den halben Tag war sie nun schon unterwegs und hatte nichts anderes gefunden, als halb morsche Bäume, Steinhaufen in denen es furchtbar zog und die auch nicht wirklich trocken war. Die Baumhöhlen und anderen Möglichkeiten die zum überwintern gut waren, die waren schon von anderen besetzt. Es war einfach schon zu spät. Sie wäre ja normal auch schon längst mit den anderen in der Erdhöhle. Also somit auch schon nicht mehr unterwegs.
 
Am späten Nachmittag kam sie zu einem ganz furchtbar großen Baum. War es ein Baum? Nein so sah kein Baum aus. Da waren ganz hohe, breite, weiße Wände und zwischendrin war so was durchsichtiges man konnte es anfassen. Es fühlte sich ganz glatt und kalt an.  Es schauderte sie, nein das war kein Platz für sie zum überwintern. Etwas was sich so gar nicht kuschelig und warm anfühlte. Sie wollte schon weitergehen als sie durch das kalte, glatte durchschaute und Rosen erblickte. Die schönsten Rosen, die sie je gesehen hatte. Sie blieb wie erstarrt stehen.
Ihre Augen hätten nicht größer werden können. Ihre Mundwinkel fielen nach unten und sie war einfach nur sprachlos.
Sie fasste das glatte, kalte noch einmal an. Es war kein Traum. Sie konnte es wirklich spüren. Sie kniff sich in ihren Arm. Nein sie träumte nicht. Sie rieb sich die Augen, nein da war nichts falsches, das waren wirklich Rosen.
Sie musste da reinkommen. Sie suchte die ganze Wand nach einem Loch ab, nach einer Ritze oder einem Spalt durch den sie hinein huschen konnte.
Sie fand nichts. An der Seite an der sie stand war nichts zu finden. Aber wenn sie hier wegging, wer sagte ihr, dass die Rosenpracht noch da war, wenn sie wieder zurück kam, weil sie keine Möglichkeit fand zu den Rosen zu kommen.

Als sie so da stand und überlegte, was sie machen sollte, klopfte jemand von der anderen Seite aus an die kalte Wand. Sie schaute auf und sah einen kleinen Wicht. Er war ganz grün und hatte ganz große Ohren. Und einen komischen langen Hinterkörper.
Er zeigte mit den Fingern ganz aufgeregt an die andere Seite und deutete ihr dort hinzugehen.. Sie überlegte eine Weile und machte sich dann auf den Weg. Die Wand war ganz schön lang. Und schon seit einem ganzen Stück hatte sie die Rosen aus den Augen verloren.
Sie lief ins Ungewisse. Wusste ja gar nicht warum der Wicht sie in diese Richtung schickte.
 
Bis sie wieder zu so einer durchsichtigen Wand kam. Diese war aber kleiner und irgendwie bewegte diese sich auch. Der Wicht war auch da. Er musste den Weg an der anderen Seite gegangen sein.
Auf einmal stand er vor ihr.
„Du bist eine Rosenprinzessin, stimmt´s?“ Sie staunte nicht schlecht. „Ja das bin ich. Woher weißt du das?“
„Na, das war nicht schwer zu erraten. Erstens hast du ein paar Rosenblätter zu deinem Bündel zusammengeschnürt und dann hast du so sehnsüchtig die Rosen angeschaut. Damit hast du dich dann wirklich zu erkennen gegeben.“

“ Ja die Rosen. Stimmt, ich habe noch nie im Herbst so herrliche Rosen gesehen. Wie geht das überhaupt? Zumal sie hinter einer so kalten, glatten Wand sind. Die können doch so kalt gar nicht wachsen und überleben.“
 
„Also, erst mal zu mir. Ich bin eine Kohlraupe. Und was für dich eine kalte glatte Wand ist, das ist eine Glasscheibe. Das hier ist ein Gewächshaus. Innen drin ist es kuschelig warm und angenehm. Die Idealen Bedingungen für die Pflanzen auch im Winter zu wachsen. Die kalte Wand und die weißen Wände halten den Regen, den Schnee und die Kälte ab. Sie fühlen sich also nur von außen kalt an. Ich war zu spät in meinem Winterquartier. Ich denke, du wahrscheinlich auch. Und als ich auf die Wanderschaft ging um einen geeigneten Unterschlupf zu finden kam ich hier her, und habe Gott sei dank, das Schlupfloch hier gefunden. Nun habe ich es mir drinnen gemütlich gemacht. Es gibt dort sogar Kohlpflanzen. Komm herein und schaue dich um. Ich bin mir sicher du wirst hier auch ein Plätzchen finden.“
 
Sie traute ihren Augen kaum. Es war tatsächlich alles so, wie sie es von außen gesehen hatte. Sie sah ein großes Beet mit den schönsten blühenden Rosen und der Duft war schon von weit weg zu riechen. Als sie zu dem Beet kam jauchzte sie vor Freude. Sie lief zu den Rosen, umarmte sie und steckte ihren Kopf in die zarten frischen Blüten. Sie war überglücklich.
Sie fand auch bald ein Lager welches sie mitten in den Rosen aufschlagen konnte. Hier konnte sie überwintern. Und das besser als sie sich erhofft hatte.
Und sie hatte den ganzen Winter über frische Rosen um sich herum. Wenn sie das im Frühjahr den anderen erzählte. Sie war überglücklich.
Mit der Kohlraupe freundete sie sich schnell an und zusammen erkundeten  sie nach und nach, das ganze Gewächshaus.
Das war der schönste Winter den sie hatte und im nächsten Jahr nahm sie sich vor, den anderen Blumenprinzessinnen von ihrem Winterquartier zu erzählen und sie hier her zu bringen. So konnten sie zusammen den Winter im Paradies verbringen.
 
a.r.©  05.01.2006
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.01.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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