Nils Lüdtke
Ein Füller
Er windet sich langsam meine Finger entlang, ohne meinen Blick auf sich zu ziehen.
Ich sehe auf Glas, einen Spiegel, hinter dem sich bittere Schwärze statisch dem Licht meiner Tischlampe entgegenstellt. Ich fokussiere, was manche Menschen wohl „mich“ nennen würden.
Es hilft nicht. Dort findet sich keine Antwort.
Er führt den Handballen zurück auf das Papier, neigt sich und zieht seinen Bahnen Bilder nach. Gleichwohl er sie nicht sehen kann und ohne das Wissen um sein Publikum, ist mit ihm etwas Beflissenes.
Der Geschmack der Zigarette ist ungewohnt, wohl aber nicht ungewöhnlich, in Anbetracht von Situation und auch Umstand, dass ich vor zwanzig Jahren mit dem Rauchen aufgehört hatte.
Ha! Wie gut ich mich doch darauf verstehe Zeit zu verschwenden.
Ich habe keine Familie, der es etwas zu sagen gäbe, wie etwas von Liebe oder Trauer, noch habe ich Freunde denen ich mich zu erkennen geben könnte, um ihnen meine Erinnerungen zu vergüten. Ich hatte dieser Dinge nichts. Schließlich gibt es mich ja auch nicht. Nun zumindest mag ich mich nicht als Existenz bezeichnen.
Mein Henker wartet, ist doch zu geduldig mich zu drängen. Ich aber bin zu gutmütig, das Unvermeidliche zu vermeiden zu versuchen. Verdammt soll ich sein dafür!
Mein letztes Essen wird wohl besser als sonst, aber nicht wirklich gut gewesen sein. Ganz so wie in den melodramatischen Tragödien mittelmäßiger Füllerhalter, von denen man ständig lesen und hören muss.
„Ein wenig noch“ flüstere ich in die leere Zelle meiner Zeilen, deren kühle Mauern und Stäbe, meine missliche Geschichte erzählen werden.
Ich drücke die glimmende Giftmischung in den Aschenbecher, beobachtet von gierigem Starren, gelangweiltem Blinzeln und meinen Augen, „meinen“ gleichgültigen Augen.
Ich bilde mir dabei nichts ein. Ich bin unbedeutend. Unzählige sind von ihm gemeuchelt. Es passiert einfach, wird Zeit… oder, wie in meinem Fall, war es ein fataler Plan, dem ich zum Opfer wurde. Es ist ihm nicht übel zu nehmen.
Ein Leben für den Tod gemacht. Das oberflächlichste Klischee vom Sinn des Lebens, aber auch das Offensichtlichste.
Es scheint sehr durcheinander lieber Leser, nicht? Ja, ich stimme wohl zu, doch gehört mein Charakterschlag wohl nicht zu den Eloquentesten.
Sei’s drum wenn auch nicht er, so wird sein Herr meinem Tintenwert bald müde.
Ich lege ihn nieder, den Füller, der mit dem ich diesen Abschiedsbrief, der wohl an mich „selbst“ gerichtet sein muss, schrieb und ich schrieb:
Ich lege ihn nieder und er reißt mich aus „mir“, hin in das Schwarz.
Ich zünde mir eine Zigarette an. Mit sechzehn Jahren schon abhängig, denke ich in tiefster Betrübnis bei mir.
Ich jongliere ihn erneut durch meine Hand, sehe von den beschrieben Blättern hoch auf das blasse Gesicht das ich mir zuwerfe, wundere, was wohl dahinter ist, im Dunkel der träumend betäubten Welt, dass es mir so eine mörderisch philosophische Mitternachtslaune wecken konnte.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.01.2006.
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