Michael Stauner

Der Döner-Pass-Dealer


Heutzutage hat wohl jede kleine Stadt ihre eigene Dönerbude. Oder sogar zwei. Und die türkischen Besitzer wollen dem Trend mit den Treueaktionen schließlich nicht hinterher hinken. Wenn Tankstellen Punkte für abgezapfte Liter Benzin vergeben und du beim Loskauf am Kiosk um die Ecke ab zehn Stück eine Gewinnchance umsonst bekommst, dann geht das auch mit Lebensmittel. So kommt es, dass auch „Erkans Döner“ an der Hauptstraße beim großen Rabatt-Reibach mitmischt – indem er Dönerpässe drucken lässt und ausgibt. Wer sich 15 leckere Fladenbrote mit Truthahnfleisch, Zaziki, Salat und Zwiebeln gönnt, der kann den 16ten kostenlos gegen seinen vollgestempelten Dönerpass eintauschen, samt Getränk.

 

Unsere Geschichte beginnt damit, dass ein Junge namens Kemal Geldsorgen hatte. Das Taschengeld, welches er von seinem schwer arbeitenden Vater monatlich aufs Konto überwiesen bekam, reichte für seinen Lebensstil nicht aus. Kemal, Sohn des Besitzers von „Erkans Döner“ konnte sich die drei bis vier Rap-Alben pro Monat nicht mehr leisten. Sein Konto war gnadenlos überzogen. Er verschwendete seine Euroscheine dafür, Mädchen zu beeindrucken, in Clubs für Unter-16-Jährige zu kommen und sein Moped aufzumotzen. Seinen Vater konnte er nicht um eine Erhöhung bitten, dass hatte er schon im vergangenen September getan. Damals war sein monatlicher Etat um satte 10€ aufgestockt worden, allerdings mit einem kritischen Blick seines selbstständigen Vaters, der mit Kepab der Alleinwirtschafter in der Familie war. Seit rund zwei Jahren lief die Aktion „Dönerpass“ schon und Herr Caveci, wie der Mann mit dem gewetzten Dönermesser bürgerlich hieß, hatte schon einen halben Karton voller ausgefüllter und eingelöster Dönerpässe. Genau das war Kemals Chance auf einen unmoralischen aber ergiebigen Nebenerwerb. In der Schule waren die schmackhaften fleischbeladenen Fladenbrote von „Erkans Döner“ sehr beliebt. Unzählige seiner Mitschüler hatten bereits ihr kostenloses Mittagsmenü bei  seinem Vater abgeholt. Die Gelegenheit für Kemal, wieder in die schwarzen Zahlen zu gelangen.

 

Heimlich stibitzte Kemal ein halbes Dutzend komplett abgestempelte Dönerpässe aus dem Karton, der im Karton in der untersten Schublade der Wohnzimmerkommode verwahrt wurde. Sorgfältig verschlossen und verstaut stellte Kemal seine Quelle des Reichtums wieder zurück. Er zog seine Jacke an, schlüpfte in seine Turnschuhe und schlich sich, bewaffnet mit seiner Hehlerware – sechs potentiellen „Freidönern“, aus dem Haus in den windigen und kühlen Novembernachmittag. Zielstrebig eilte Kemal in eine nahegelegene Seitenstraße und bog nach einigen hundert Metern rechts ab, bis er vor einem grauen Wohnblock aus Backstein stehen blieb. Dort drückte er die Klingel, unter der in schwarzen Druckbuchstaben „Ünsal“ stand. Ein Summer ertönte und Kemal verschwand im Inneren des Betonbunkers, in dem an die 40 Familien wohnten.

 

Am nächsten Morgen in der großen Pause scharten sich ganze Schülertrauben um Kemal. Hakan Ünsal schien seiner ganzen Clique von dem guten Angebot, das Kemal offerierte, erzählt zu haben. Der Deal war simpel: Hakan bekam einen ausgefüllten Dönerpass umsonst, dafür verbreitete er die Nachricht, dass Dönerfreunde für 2€ einen korrekten Döner bekommen würden. Die fünf übrigen Dönerpässe, die er am vorigen Tag aus dem Karton entwendet hatte, wurde der junge Türke auf dem Pausenhof schnell los. Wer sagt nicht nein, wenn er im Prinzip einen leckeren Döner und noch dazu eine Cola für zwei anstatt vier Euro ergattern kann. Kemal fing sich innerhalb weniger Wochen den Namen „Döner-Pass-Dealer“ ein und versorgte bald mehr als nur die Schule mit geklauten Dönerpässen.

 

Sein Vater dagegen stand kurz vor dem Ruin. Täglich stürmten gleich fünf bis sechs Jugendliche seine Imbissbude und lösten ihren Pass ein. Kids, die Erkan Caveci noch nie zuvor gesehen hatte. In seiner Kasse kehrte Ebbe ein und das hohe Aufkommen an vollständigen Dönerpässen, die zweifellos von ihm autorisiert worden waren, machten ihn misstrauisch. Bis ihm bewusst wurde, dass der Karton nicht voller wurde, egal wie viele Pässe er in den letzten Wochen hinein gelegt hatte.

 

Er stellte seinen Sohn zur Rede, der nach den drohenden Gebärden und der immer lauter werdenden Stimme seines Vaters kleinlaut gestand, die Pässe vercheckt zu haben. Kemal musste nun regelmäßig am Stand aushelfen, während Herr Caveci das monatliche Taschengeld seines Sohnes um 10€ senkte, um den Verlust, den er erlitten hatte, die Einnahmen, die ihm entgangen waren, zu kompensieren und seinen Sohn zugleich spüren zu lassen, was für eine schändliche Aktion er doch gestartet hatte.

Die Familienidylle der Cavecis lag vorerst auf Eis, das Geschäft schrieb nach einem halben Jahr wieder schwarze Zahlen und die Treueaktion wurde bis Dezember des folgenden Jahres durchgezogen, danach allerdings für lange Zeit eingestellt. ENDE.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.01.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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