Pauline Kussmann

Die Fahrt zur Hölle

Es geschah am letzten Donnerstag in den Ferien. Alle Kinder waren in guter Stimmung, wollten sie doch die letzten Tage noch im Freibad und in der Sonne verbringen. Aber meine Freundin Paulina und ich hatten etwas anderes vor. Wir gingen auf den Hamburger Dom! Ich liebe den Dom. An jeder Ecke riecht man etwas Anderes(das ist nicht nur positiv gemeint, manchmal stinkt´ s auch nach Betrunkenen).Immer gibt es etwas Neues zu sehen und alles ist bunt und voller Musik. Allerdings wird bei ungefähr jedem siebten Stand das Gleiche gespielt, da meistens nur die Top Ten aus den Charts laufen. Der erste Gang war vollgestopft von Händlern mit Ketten, Ohrringen und Bandanas. Ab und zu wehten Düfte von Schmalzgebäck und Zuckerwatte herüber. Es war schon sehr voll. Der Gang gabelte sich in zwei breitere Wege. „Lass uns rechts herum gehen, dann kommen wir gleich an Frisbee vorbei!“, schlug Paulina vor. Und so nahmen wir diese Richtung. Passend zu einer Bummelbahn für Kleine wurde gerade >Schnappi, das kleine Krokodil< gespielt. Wir gingen weiter. Plötzlich dröhnte etwas an uns vorbei, gefolgt von lautem Kreischen. Ich schaute mich um und zu meinem Entsetzen sah ich eine lila Achterbahn. Das war ja nicht das Entsetzliche, aber außer einem Looping waren da auch noch ein paar Schrauben zu sehen, das heißt, die Bahn drehte sich um die eigene Achse. Und die Menschen hingen in den Waggons! „Die Leute, die da rein gehen, müssen wahnsinnig sein. Sehr, sehr wahnsinnig sogar“, stöhnte ich. „Ach, wieso, das kleine bisschen...“, witzelte Paulina, „das schaffen wir doch locker!“ „Und ob“ höhnte ich nun mit, „das ist doch`n Klacks!“ Wir gingen weiter. Es war ein schöner Tag, wir machten uns in der Wildwasserbahn nass, wurden in Frisbee durchgeschüttelt bis Paulina schlecht war, und beim Dosenwerfen machte ich mir fast in die Hose, weil meine Freundin partout nicht den Stapel traf. Mit einem mitleidigen Lächeln gab der Budenbesitzer ihr den Trostpreis: „Und für die Mademoiselle, voilà ...“,  er zog einen Plastikkreisel hervor, woraufhin Paulina und ich uns halten mussten, denn sonst wären wir vor Lachen zu Boden gefallen. Als wir uns wieder eingekriegt hatten, rief sie außer Atem: „Mach du `s doch besser!“, und zeigte im Gehen auf eine große Losbude. „OK, wir werden ja sehen, dass ich der Champion bin!“, scherzte ich und gab einem der Losverkäufer ein Eurostück. Zehn Lose zog ich. Die ersten sieben waren Nieten. Paulinas Grinsen wurde immer breiter. Das achte Los gab mir einen Punkt, das neunte sogar zwei; doch bis zu den einen Meter großen Kuscheltieren fehlten mir immer noch 997 Punkte. Das letzte Los würde entscheiden. Ich riss die Kanten ab. Paulina war siegessicher. „Fünf Punkte!“, rief ich in einer sarkastischen Begeisterung aus und eilte damit zum Mikrofonsprecher. Der zeigte gerade sein tollen Waren und was man alles Tolles gewinnen konnte, wenn man nur das richtige Los zog. Ich zeigte ihm meine drei Papierschnipsel und er gab mir eines dieser Armbänder aus Gummi, die gerade ganz modern waren. „Jääh“ rief ich, „damit bin ich wohl der heutige Sieger, oder?“ Ich schaute Paulina herausfordernd an. „Gib mal her“ rief sie. Sie inspizierte die Packung. „Ha!“ rief sie plötzlich aus und bekam einen Lachanfall. Sie gab mir die Packung zurück. Während ich noch dumm guckte, entdeckte ich eine kleine Inschrift auf der Plastikpackung. Anstatt eines Nike-Zeichens, „Made in Taiwan“ prustete Paulina und ich stimmte mit ein...
 
Eine Weile später, wir hatten schon zwei Runden gedreht, zählten wir unsere letzten Euros zusammen. 7,75 hatten wir noch, als wir zufällig wieder an der Achterbahn vorbeikamen, wo ich nun in blinkenden Buchstaben den Namen „Eurostar“ lesen konnte. Ich ging zum Kassenhäuschen. Auf einem Schild stand: Kinder unter 12 Jahren: Nur mit Begleitung Erwachsener 3.00 Euro. Erwachsene (ab 12 Jahre): 4.00 Euro. „Aber stell dir mal vor Paulina“ meinte ich in Gedanken, „wir würden das wirklich machen, das wäre doch verdammt wild und cool, oder? Ich mein, man könnt voll gut angeben und so! “ „Mmmmh...“ meinte meine Freundin zweifelnd. Sie schaute gerade wieder den rasenden Waggons zu, „Wir haben doch eh nicht genug Geld.“ „Ich könnte ja mal fragen“ , sagte ich ironisch und steuerte auf die Kasse zu. Ich schaute die ältere Frau im Kassenhäuschen lieb an. „ Wir haben 35 Cent zu wenig, dürften wir trotzdem rein...?“ lächelte ich, immer noch im Scherz.  Die Verkäuferin brummte etwas und meinte dann mürrisch: „Na gut, aber geht schnell durch, es wollen noch andere rein.“ Eine Schlange hatte sich hinter mir gebildet. Ich fiel aus allen Wolken. „Paulina, komm schnell, wir haben die Karten!“  Sie kam angerannt. „Wir haben was?“ rief sie entgeistert und wurde von der Menge weitergeschoben. „Die Karten!“ rief ich ebenso bestürzt. „Na dann los!“  Wir schoben uns langsam durchs Eingangstor. Plötzlich wurde alles leise. Meine Schritte hallten dumpf auf dem Metallboden. Ich wunderte mich auch gar nicht, warum ein Eisverkäufer irgendwo merkwürdigerweise >heiße Ware> anpries. Wir suchten uns Plätze, und stiegen ein. Paulina musste außen sitzen, die Arme. Unsere Beine baumelten ein paar Zentimeter über dem Boden. „Au weia...“ zitterte ich, „ist das hoch.“ Wir zogen die Sicherheitsbügel über unsere Köpfe, die Achterbahn hob mit einem Ruck vom Boden ab. Wir baumelten unsicher mit den Beinen in der Luft. „Oh weh“ murmelte Paulina nur und schon ging es aufwärts, immer weiter und weiter. Für einen kurzen Moment stand die Bahn in 50 Metern Höhe still. Poch, poch, poch, machte mein Herz. Und tuck, tuck, tuck, machte die Achterbahn, als sie sich langsam dem Abgrund zuneigte. Dann ging es bergab, innerhalb von Sekunden. Wir schrien um unser Leben, doch bald ging uns der Ton aus und unsre Lippen formten nur noch einen stummen Schrei. Ich schloss die Augen. Als ich  dachte, der Looping wäre vorbei, öffnete ich die Augen und machte sie eine Sekunde später wieder zu. Ich sah meine Füße und meine Füße befanden sich gen Himmel. Das genügte mir. Mein Magen wurde bei den Achsen und Kopfübers durchgeschüttelt und ich dachte nur zwei Sachen:
 

ich will hier raus.
 
zum Glück hab ich vorher nichts gegessen.
 
So ging das mehrere Minuten. Doch dann begann es, Spaß zu machen und wir juchzten und rissen die Köpfe und Hände in die Luft. Plötzlich stoppte es. Ich dachte schon: was kommt jetzt?, doch es passierte nichts. Vorsichtig öffnete ich die Augen. Wir standen! Und wir hatten es überstanden! Die Gurte klappten hoch, wir plumpsten beinahe zu Boden und umarmten uns.“ Wir habens geschafft!!!“  rief Paulina. Wankend und mit unsicheren Schritten betraten wir die Metalltreppe, die uns wieder auf sicheren Boden bringen würde. Doch als wir wieder zurückblickten, sahen wir die neuen ängstlichen Gesichter und waren stolz wie Oskar... 
 
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.01.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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