Gio Tushur

Wenn die Hoffnung geht

 Es ist dunkel draussen und man hört den Wind pfeiffen. Wir sind im Winter. Die Straßen überzogen von dem weißen Schnee, alles verhüllt, so dass man den ganzen Dreck nicht sieht.
Martin kommt aus der Dusche, er trocknet sich ab. Sehr gründlich jede einzelne Stelle seines Körpers. Das Handtuch berührt jede einzelne seiner Narben. Narben überall verteilt, auf den Händen, dem Bauch, auf der Stern und dem Hinterkopf. Sie machen ihm nichts mehr aus, jede ist eine Errinerung an vergangene Tage, aber er spührt keinen Schmerz dabei, über einige kann er fast schon lachen. Nur als er sein Handtuch über seine linke Brust bewegt, zuckt er zusammen, er spührt sein Herz duch das Handtuch schlagen, er beobachtet sich selbst im Spiegel und merkt, was echter Schmerz ist, kein Messer, keine Faust hat ihn so stark verletzt.
Er hat keine Narben auf der Brust, aber die braucht er nicht, um sich zu errinern und wieder denkt er darüber nach was bis gestern war und heute nur noch Schall und Rauch ist. Nach zwei Jahren war es vorbei, zwei Jahre in denen er alles für sie geopfert hat, sie geliebt hat, Tag und Nacht, ohne jemals zu glauben, dass es irgendwann vorbei sein würde. Er dachte er hätte es endlich gefunden, gefunden was jeder sucht, vielleicht ein Leben lang. Er wusste es gleich als er sie sah, er sah das ein Bild vor sich. Liebe auf dem ersten Blick.
Martin geht näher zum Spiegel. Seine linke Hand gleitet über sein Gesicht. Er ist nicht rassiert, dabei hatte er sich zwei Jahre lang jeden Tag rassiert, weil sie es mochte, wenn seine Haut so glatt war. Automatisch greift er zum Rasierschaum, trägt ihn auf und lässt es einwirken. Minuten vergehen, ohne dass er sich bewegt. Das Bild, was er damals sah. Er fand es selber ein bisschen lächerlich, er sah sie mit einem Kind in den Armen. Sie lächelte, ihre Augen leuchteten und das kleine Kind lag eingewickelt, in einem blauen Handtuch und schlief. Martin greift zum Rasierer. Er hat es nicht eilig, es ist Sonntag und er lässt sich viel Zeit.
Sie hat immer gesagt, dass wenn sie mal ein Kind haben würden, dass es ein Mädchen wird. Sie meinte es waren immer Mädchen bei uns und bei mir wird es nicht anders sein. Martin hatte einen Bruder, sein Vater hatte zwei. Sie stritten sich oft darüber, was es werden würde, sie stritten aus Spaß.
Als er fertig ist, greift er zum Gel, macht sich seine Haare, wie er sie am liebsten mag und verlässt das Bad.
Er hat das Fenster in seinem Zimmer aufgelassen und es ist kalt, es macht ihn nichts aus. Seine Schritte gehen direkt zum Schrank, er holt sich seinen Anzug raus: schwarz, ein Hemd: weiß Krawatte:schwarz. Dazu seinen lieblings Gürtel und die feinen, schwarzen Schuhe. Vor dem Spiegel stehend fängt er an sich anzuziehen. Als er bei der Krawatte ist, fängt er wie üblich an zu verzweifeln. Er ist nicht sehr geübt, er kann es, aber in den letzten zwei Jahren, hat er sie nie selbst gebunden. Er fragt sich, ob es etwas in diesem scheiss Zimmer gibt, dass ihm nicht an sie errinert.
Sein Blick streift, das Bett, die Bilder und Poster die dort hängen, seine Klamotten, verdammt echt alles errinert ihm an sie. Nochmal bleiben seine Augen an dem Poster hängen, es ist eine Kopie von Edward Hoppers „Gas“. Das Bild kennt jeder, es zeigt eine Tankstelle, mitten im Niegendwo, es ist sein lieblings Bild, er innert sich noch jetzt daran, als er es zum ersten Mal sah, es war im MOMA in Berlin, er wollte es sich als Poster holen, es war ausverkauft.
Sie schenkte es ihm zum ersten gemeinsamen Weihnachten.
Martin senkt den Kopf, er schaut an sich runter, sieht seine Hände, selbst seine Hände errinern ihn an sie. Martin hat immer kalte Hände, der Arzt sagt es liegt an den Zigarettern die er raucht, aber er mag seine Hände, es errinert ihm, wie es damals alles angefangen hat, als sie sich zum ersten Mal traffen. Sie kam hierher, sie schauten zusamme fern, sie griff nach seinen Händen und war erstaunt, wie kalt sie waren und sie fing an seine Hände zu wärmen, ihr erstes Date. Kopfschütteln. Die Krawatte ist gebunden, jetzt die Schuhe und er ist fertig.
Ein letzter Blick in den Spiegel, ihm gefällt was er sieht und für eine Sekunde huscht ein kleines Lächeln über sein Gesicht.
Er dreht sich weg und bewegt sich Richtung Wohnzimmer. Er nimmt die Flasche Whisky und ein Glas. Er schenkt sich etwas ein. Das erste Glas nimmt er mit einem Schluck, er füllt nach und setzt sich auf die Couch. Die Beine hoch, doch er errinert sich, dass er was vergessen hat. Zurück in seinem Schlafzimmer, öffnet er nochmal den Schrank, er zieht einen Gegenstand heraus, eingehüllt in einem schwarzen Tuch.
Zurück im Wohnzimmer, widmet er sich seinem zweiten Glas und schaut sich den Gegenstand mit festem Blick an. Sein Gesicht ist angespannt, er kaut an seinen Fingernägeln. Dann zieht er blitzschnell das Tuch weg und die Pistole liegt auf dem Tisch.
Sie ist schwarz, er hat sie sich heute gekauft, auf der Straße versteht sich. Er wusste gleich, wen er anrufen musste. Sie war teuer, aber das intressierte ihm nicht mehr, Geld bedeutet jetzt nichts mehr. Er schaut sie sich an und muss an die Frage denken, die der Verkäufer ihm stellte, er fragte wieviele Kugeln er haben wolle. Martin wusst es nicht.

Gestern ging er zu ihr. Er wusste gleich, dass etwas nicht stimmte, er kannte sie zu gut, um es nicht zu sehen. Als sie in ihrem Zimmer waren, fing sie gleich an zu reden, erzählte, dass sie ihm schon lange nicht mehr liebe erzählte, dass sie sich seit zwei Monaten schon mit jemand anderem treffe, sie sei verliebt in ihm. Martin ging gleich, sein Mund war trocken und die Tränen kamen, er wollte nicht vor ihr weinen, er schlug die Tür zu und verschwand.
Das zweite Glas wird runtergespühlt.
Er legt seine Füße auf den Tisch und schiebt die Pistole ein Stück weit weg. Er greift zur Fernbedienung der Sterioanlage und der Soundtrack zu „American Beaty“ fängt an zu spielen.
Er greift in die Hosentasche und kramt seine Zigaretten und sein Zippo raus. Der erste Zug schmeckt nach Benzin, aber es macht ihn nichts aus. Ein letztes Mal füllen sich seine Augen mit Tränen. Die Waffe ist geladen und er weiß, was er zu tun hat, der Verkäufer hat es ihm erklärt. Zwei Kugeln stecken drin.
Martin wird nicht Rache nehmen, er könnte es nicht und er weiß, dass es nicht richtig wäre.
Ein letztes Mal greift er zu seinem Hadny, er schaut sich ihre Bilder an, liest ihre letzte SMS, aber er ruft sie nicht an.

Er nimmt die Waffe in die Hand, sie ist schwerer als man es sich vorstellt. Er lässt das Magazin rausspringen und nimmt eine Kugel raus, er wird sie nicht brauchen. Martin hat keinen Abschiedsbrief geschrieben, er hätte ihr noch viel zu sagen, aber er hat die Hoffnung schon gestern begraben und wenn Hoffnung zu letzt stirbt, gibt es nichts mehr wofür es sich zu leben lohnt. Die Kugel springt in den Lauf, die Waffe ist entsichert. Er hällt sie in der rechten Hand. Der letzte Zug der Zigarette und er drückt sie im Aschenbecher aus, in ihrem Aschenbecher. Nochmal schaut er sich sein Spiegelbild im Fenster an, überprüft ob alles richtig sitzt. Perfekt. Seine Hand geht hoch, vorbei an seinem schnell schlagendem Herz, vorbe an den schwer atmenden Lungen, sie geht vorbei, an seinen trockenen Lippen, an dem Schweiß, der sich mit den Tränen im Gesicht vermischt, vorbei an den blutunterlaufenden Augen. Sie sitzt an seiner Schläfe. Sein Finger berührt den Abzug und er zuckt zusammen, der Abzug ist kalt, eiskalt.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Gio Tushur).
Der Beitrag wurde von Gio Tushur auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.01.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Gio Tushur als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Tote Augen - stumme Schreie: Vom Leid sexuell missbrauchter Kinder von Karin Varch



Dieses Buch ist eine Einladung zur Reise durch die Seele eines missbrauchten Kindes. Wagen Sie die Wanderung durch diese Ihnen unbekannte Welt, damit sie für Sie nicht länger fremd ist.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Alltag" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Gio Tushur

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Der Kampf gegen die panische Angst von Michael Reißig (Alltag)
Geschichten mit Pphiphph - Phür Phishing-Phreunde von Siegfried Fischer (Humor)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen