Cathrine Tuschar

Stillleben I - In den Anfängen

28.11.05 Was macht Stille überhaupt aus? Leisigkeit [Ja, das ist gewollt!]? Geräuschlosigkeit? Wie leise, wie geräuschlos genau muss etwas sein, um ihm dieses Attribut zuschreiben zu können? Es ist still. Lacrimosa dringt aus dem Lautsprecher – LAUT, bombastisch, mich in die Klangwolke einhüllend. Die dumpfen Töne des Basses, ausgespuckt von meinem Subwoofer (nebenbei: klingt das Wort 'woofer' nicht unglaublich weich? Freundlich? Irgendwie still?), lassen den Raum zum Rhythmus beben. Es ist still. Ich höre die Musik nicht. Sie kriecht in mein Ohr, ja – aber internalisiert habe ich sie nicht. Es ist, als wären wir in zwei verschiedenen Räumen. Als wären wir zwei verschiedene Menschen. Sie lebt, um gehört zu werden. Sie will, dass ich sie wahrnehme. Lebe ich, um sie zu vernehmen? Ich stecke mir meine Finger in die Ohren. Ich höre sie nicht mehr. Aber mein Herz klopft weiter sein monotones Metrum. Ich lebe noch. Ich bin ein freier Mensch. Selbstbestimmt. Ich greife zum Mineralwasser. Nehme einen kräftigen Schluck. Das Hinunterschlucken geschieht leise. Das Hinstellen hinterlässt keinen Ton im Raum. Viel lauter kommt mir der erneute Blick auf die Flasche vor. Viel intensiver hämmert mir jener. Ich schalte das Lied weiter, es ist mir zu langsam, zu leise. Ich dröhne mich zu. Brauche das, kurz vor 00.00 Uhr. Will nicht schlafen, viel lieber in die Ewigkeit eingehen. Ein Klavier, sich leise erhebend aus dem Hintergrund einer Geige, zwischen zwei dumpfen Tönen wechselnd, die Geige ablösend und sich durch das Lied weiter windend. Immer die selbe Melodie. Einfach gehalten, ins Ohr gehend trotzdem. Schneller nun. Höher. Tiefer – tiefere Klänge. Mehr Töne, aufbrausend, über mich herein brechend. Plötzlich leise und ganz hoch werdend, wie eine Kinderstimme. Das Thema wiederholt sich. Gewinnt an Kraft dadurch. Ein Blick auf die Uhr – 2 min vergangen. Die Stimme setzt ein. Kraftlos und unter dem Klavierton zusammenbrechend. Eine Schwere in des Mannes Stimme, Schmerz. Angst scheint ihn zu besitzen. Seine Stimme wird unsagbar hoch, aber wird eindringlicher. Das Klavier ihn nun begleitend, nicht verschluckend. Mein Ohr juckt. Plötzlich die fröhliche Melodie, die sich in eine traurige, schnelle wandelt. Themenwechsel. Neue Strophe. Alles wieder von vorne. Nächstes Lied. Ein neuer Schluck von dem Wasser. Ein Ton, ein EKG das erbarmungslos sich mir ins Hirn bohrt. Eine krächzende, sterbende Stimme, die ihr Elend klagt. Das EKG hört nicht auf. Es tut mir weh, ich schalte weiter. Eine Orgel. Seelenbalsam. Langsam. Eine Stimme die sich hineinbohrt – 'einsam' schreit – und die Orgel mit einem Male schneller werden lässt. Keinen Gefallen an dem Stimmungswechsel findend, suche ich weiter. Ich stehe auf, um mir etwas an zu ziehen. Um mir meine Haare zu föhnen. Dabei merke ich, wie viel der Föhn an Geräuschen schluckt. Es war fast lautlos, als ich ihn an mein Ohr hielt. Nachdem ich ihn wieder abgeschalten hatte, kam die Geräuschkulisse zurück. Der Heizkörper. Der Computer, vor sich hin rauschend. Die Schritte meiner Eltern über mir. Der Atem des neben mir liegenden Hundes. Wer kam eigentlich auf die Idee ein Wort 'Stille' zu erfinden. Stille ist doch nichts anderes als das Fehlen jeglichen Geräusches. Warum eine eigene Bezeichnung dafür? Vor allem – macht Stille nicht selbst ihre eigenen Geräusche? Wenn absolute Stille in einem Raum herrscht, hat man nicht das Gefühl, man werde erdrückt?, man fängt an diese Stille wahrzunehmen. Man hört sie. Man sieht sie, man fühlt sie und verstärkt sie. Stille macht uns paranoid. Ich verstehe zunehmend, warum manche Menschen (vorurteilshaft alte Menschen) nicht alleine sein wollen, mit ihrer Stille. Kein Mensch um sie, haben sie diese als ihren einzigen Freund. Stille ist - Wasser trinkend - eine Illusion, die wir erfinden, um nicht zuhören zu müssen. Ich höre Schubert und finde mich in Träumen wieder. Phantasien bringen mich weiter, in andere Welten. Bringen mich meinem eigenen Herzen nahe. Ohne Musik, ohne Töne – wer könnt' da leben? Niemals die Sonne hören? Ja -sie hören. Sehen kann sie so mancher, aber hören – das ist ein schwierig Unterfangen. Blumen, aus dem Boden gelockt, sind ihre Klangkörper. Rufe aufgeweckter Tiere, Lachen des Menschen. Hellhörig wohl aus Langeweile. Hungrig und aufstehend, um die letzten Biskotten zu holen, die vom Tiramisu noch übrig geblieben. Das Rascheln beim Auspacken allein schon ein sättigender Genuss. 00.17, gerade eben 00.18 zeigt meine Uhr. Zum Bett winkt mich mein Hirn. Was hab ich denn schon zu verlieren? Warum sollte ich mich hinlegen? Träumen? Das tu ich hier auch. Schlafen? Kann ich morgen im Bus oder in der Schule auch noch. Nichts Schöneres als mit angezogenen Beinen hier zu sitzen, eine Decke umgeschlungen, noch -da faul- den Bademantel an, mit Gier nach den Zucker bergenden Biskotten abwechselnd mit dem lebenssprudelnden Mineralwasser greifend. Ein Warum tut sich bei mir mit der Zeit gar nicht mehr auf. So nun mal. Ich schreibe weil ich bin und erfahre im Schreiben auch für gewisse kurze Dauer ein Sein. Es nützt mir also etwas. Egoist. Epikureer. Und stolz darauf. Eine neue Playlist für Winamp zusammenstellen. Viel Schubert. Lacrimosa auch noch. Biskotten weg. Mineralwasser greifen und zum Bett hin. Zum Bücherkasten. Handke. Strg+s – Stillleben und speichern. Auf der Suche nach der eigenen Stille sich vorerst damit zufrieden gebend, sie zu leugnen. Schmerzliche Stimme, wunderschönes Versmaß. Letztes Schlucken und aufstehend. Morgen ist heute schon, es gibt noch einiges zu tun und einiges zu hören.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.01.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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