Florence Siwak

Roald Dahl lässt grüßen

Die Worte "verrecken soll er" kreisten ihr so hartnäckig im Kopf herum, dass sie sie im Supermarkt fast ausgesprochen hätte. Gerade so eben noch konnte sie sie zurück halten.
 
An der Kasse packte sie das Tiefkühlhähnchen, den Wein und ein paar Kleinigkeiten in eine Plastiktüte und verließ mit schleppenden Schritten das Geschäft.
Draußen empfing sie eine frühe Novemberdämmerung. Fröstelnd zog sie ihren Kragen etwas höher und sah auf die Uhr. Sie hatte noch Zeit bis zum Treffen mit Manfred, ihrem Noch-Ehemann, der so lange aus ihrem Leben verschwunden und ganz plötzlich wie ein Springteufel wieder aufgetaucht war.
 
Gestern war es erst gewesen. Sie hatte auf Herbert gewartet und es sich gerade gemütlich gemacht, als es klingelte. Vor der Tür standen 15 Jahre Vergangenheit, die sie so nach und nach begraben glaubte.
 
"Na, Moni, altes Mädchen, willst Du mich nicht reinlassen?"
 
Sofort hatte er mit seiner Masse den kleinen Flur und kurz darauf ihr Wohnzimmer völlig ausgefüllt.
Angewidert sah sie zu, wie er sich in ihren Sessel lümmelte und seine schiefgetretenen Absätze in den weichen Flor ihres hübschen Läufers bohrte.
"Der hat mich drei Gehälter gekostet!"
Grimmig wies sie mit dem Kopf auf das gute Stück, das bereits nach wenigen Minuten Bekanntschaft mit Manfred Bergmann viel von seiner Frische und Schönheit verloren hatte.
 
 "Das sieht man, Schätzchen. Scheint Dir ja gut zu gehen..."
 
"Komm zur Sache. Was willst Du?"
Fasziniert beobachtete sie, wie er mit seiner Zigarette herumfuchtelte und kleine Fünkchen durch die Luft wirbelte, die boshaft aufglimmten und auf der Sessellehne zerfielen.
 
"Na, willst Du nicht gleich losstürzen und einen Besen holen?"
Spöttisch blickte er sie aus halb geschlossenen Augen an und lachte hämisch.
"Du stehst doch schon auf dem Sprung!"
 
Sie versuchte sich zu entspannen und senkte wie ein ertapptes Schulmädchen die Augen.
"Was willst Du?" wiederholte sie.
 
"Warum so hastig? Passt Dir mein Besuch nicht?"
 
"Ungefähr so wie ein Loch im Kopf. Aber das hat Dich ja nie gestört."
 
"Gottlob war ich nie so empfindlich wie Du."
 
Er sah sich anerkennend um.
"Toller Schuppen. Gehört Dir die Wohnung? Sind doch alles Eigentumswohnungen hier."
 
"Einem Bekannten. Ich habe nur etwas beigesteuert" antwortete sie kurz. Ihr schwante Böses.
"Warum interessiert Dich das?"
 
Manfred seufzte theatralisch.
"Es geht nicht allen so gut wie Dir. Ich will nur etwas an Deinem Wohlstand teilhaben. 
Entweder ich ziehe hier ein...oder Du ermöglichst es mir, woanders einigermaßen zu leben."
 
Vor ihr begann es sich zu drehen. Sie würde ihn wieder am Hals haben. Erst einmal galt es, Zeit zu gewinnen.
"Geld habe ich kaum flüssig - und überflüssig schon gar nicht. Ich muss Herbert, meinen Bekannten, bitten. Mehr als 2-3000 kann er bestimmt nicht aufbringen. Und wenn er Dich hier traulich vereint mit mir findet,..." Vielsagend blickte sie von ihm zur Tür.
 
"Schon gut, ich weiß, wann ich überflüssig bin."
Er überlegte.
"3000 sind ein Anfang. Wann also? Ich bin nämlich schwer in Druck. Morgen abend ist der letzte Point."
Sie wich zurück, als er ihr dieses "Poäng" ins Gesicht spuckte.
 
"Gut, morgen, aber nicht hier."
 
"Das ist mir egal. Wo also?"
 
Sie überlegte kurz. "Am Fenn, so gegen 5 Uhr, an der letzten Bank."
 
"Bei diesem Wetter?" Er schüttelte sich. "Na egal, ich werde da sein.
Du hoffentlich auch, Liebling!"
Seine Stimme war in ihrer Sanftheit noch schrecklicher als seine rüde Grobheit.
"Ich nehme mal an, Dein Herbertchen weiß nichts von den kleinen Betrügereien aus Deinem früheren, ach so unsoliden Leben? Oder doch?"
 
Mit kalter Verachtung musterte sie ihn, wie er grinsend vor ihr stand, verschwitzt und säuerlich riechend.
 
"Vergiss dann aber nicht zu erwähnen, mein Lieber, dass ich das für Dich, nur für Dich getan habe. Bis ich dann endlich aufgewacht bin."
 
Endlich schaffte sie es, ihn hinaus zu manövrieren und lehnte sich aufatmend gegen die Tür.
Sie hatte noch etwas Bargeld, musste Herbert also erst einmal nicht bitten.
Als es erneut klingelte, riss sie sich mühsam zusammen, um Herbert herein zu lassen.
'Morgen werde ich weitersehen!' dachte sie. 'Morgen!'
 
Morgen war heute und sie schleppte sich mit ihrer Tüte und 30 Hundertern die Straße entlang und sah keineswegs weiter.
 
Ein feiner Nieselregen hatte eingesetzt und der vertraute Weg gehörte ihr allein; d.h. nicht ganz allein. Sie sah ihn schon von weitem auf der Bank sitzen.
 
"So ein faules Stück!" Es war typisch für ihn, dass er sich sogar bei diesem Wetter hingesetzt hatte. Seine Halbglatze leuchtete auf, als er seinen Hut abnahm.
Sie blieb stehen; ungefähr 20 Meter trennten sie noch von ihm.
Das Geld knisterte in  ihrer Manteltasche. Ihre linke Hand krampfte sich in den Trageschlitz der Plastiktüte, die hart an ihr Bein schlug.
HART?
Sie schluckte. Warum sollte sie nicht das gleiche tun wie schon einmal eine Frau vor ihr.
Der weiche Boden schluckte alle Geräusche. Sie griff in die Tüte, packte ihre Waffe und schlug zu.
Sie hielt die Luft an, um das erwartete Knacken nicht hören zu müssen.
Ungläubig sah sie zu, wie er langsam auf die Seite sank. So einfach war das also.
Sie schüttelte noch immer den Kopf, als sie wieder auf der Straße stand.
 
Daheim angekommen sank sie wie betäubt in einen Sessel.
Jetzt musste sie sich an den Gedanken gewöhnen, eine Mörderin zu sein.
Mühsam erhob sie sich, brachte ihre Einkäufe in die Küche und schob das Hähnchen in den Grill, nachdem sie es mit Hilfe von viel warmem Wasser aus der Plastikfolie gelöst hatte.
 
Nach dem Essen saß sie noch lange erschöpft da, als hätte sie alle Energie in diesen einen Schlag gelegt.
 
Als es plötzlich klingelte, zuckte sie zusammen.
'Das ging aber schnell, dass sie meine Adresse rausgefunden haben! Sie haben ihn sicherlich schon gefunden. Es ist nur natürlich, dass sie zuerst zu mir kommen' zwang sie sich zur Ruhe.
 
Trotzdem war sie kreideweiß, als sie die Tür öffnete und brachte nur ein gekrächztes "Ja, bitte?" heraus.
 
"Frau Bergmann?" Der freundliche ältere Mann lüftete seinen Hut, auf dem feine Wasserperlen lagen.
"Kommissar Heinertz und das ist mein Kollege, Wachtmeister Linke. Dürfen wir bitte reinkommen?
Es dreht sich um Ihren Mann."
 
"Was ist mit ihm? Ist er in Schwierigkeiten?"
 
"Wieso vermuten Sie das? Haben Sie ihn in letzter Zeit gesehen?"
Seine Stimme klang beiläufig. Sorgfältig reinigten die beiden Beamten ihre Schuhe, bevor sie Monikas Heim betraten.
 
Fieberhaft überlegte sie. Sie sollte wohl besser zugeben, dass Manfred sie gestern aufgesucht hatte. 
"Ja, gestern war er kurz hier - um der alten Zeiten willen - und da erwähnte er so etwas."
 
Sie musterte ihr Gegenüber wie ein Kaninchen die Schlange.
 
"Schwierigkeiten hat er nun wohl keine mehr..."
 
"Nein? Und warum ... wenn nicht .... was wollen Sie dann von mir?"
 
"Nicht mehr jedenfalls, Frau Bergmann. Ihr Mann wurde vor zwei Stunden von einem Spaziergänger auf einer Bank am Fenn - hier gleich in der Nähe - aufgefunden; erschlagen übrigens."
 
"Geht es Ihnen nicht gut, Frau Bergmann? Das tut mir leid.
Ich muss Ihnen aber trotzdem ein paar Fragen stellen....
Hm, das riecht aber lecker; brutzeln Sie gerade was?"
 
Kommissar Heinertz kräuselte genießerisch seine große fleischige Nase und schnupperte.
 
"Nein, ich bin schon fertig. Tut mir leid, ich habe vergessen, das Fenster zu öffnen."
 
Sie wollte aufstehen; wurde jedoch zurück gehalten.
"Bleiben Sie doch, Frau Bergmann, ein paar Fragen noch.
Waren Sie heute Einkaufen?"
 
Dieser plötzliche Gedankensprung verwirrte sie und sie antwortete zögernd.
"Ja, vorhin, warum?"
 
"Darf ich Ihre Einkäufe mal sehen?"
 
Da er schon abwartend in der Tür stand, musste sie ihm wohl oder übel folgen.
 
Er überprüfte langsam und gewissenhaft ihre spärlichen Einkäufe. Zum Schluss sah er sich suchend in der Küche um.
"Ah, da ist es ja!"
Er zeigte auf die abgenagten Hühnerknochen.
"Das haben Sie doch auch heute gekauft, nicht wahr?"
Sie konnte nur stumm nicken.
"3,99?"
Wieder nickte sie nur.
 
Mitleidig fasste der ältere Mann sie am Arm und führte sie zurück ins Wohnzimmer, wo sich sein Kollege  am Esstisch mit einem Notizbuch recht behaglich eingerichtet hatte.
 
"Sehen Sie, Frau Bergmann, ich will Sie nicht unnötig quälen.
Aber wenn man schon auf eine literarische Vorlage zurück greift, sollte man daran denken, Frischware zu kaufen und auch daran, den Kassenzettel nicht bei der Leiche zurück zu lassen.
 
Sie starrte ihn an. "Ich begreife nicht..."
 
"Wir haben uns gewundert, Frau Bergmann, wieso auf dem Mantel des Toten ein Kassenbon lag, er aber keine Einkäufe bei sich hatte. Dieser Zettel war durchweicht, obwohl er vom Körper verdeckt war; er muss wohl an dem Hähnchen geklebt haben.
Als wir uns dann die Wunde an der Schläfe angesehen haben, konnten wir sogar noch den roten Stempelaufdruck der Folie erkennen. Es war eine Kleinigkeit, anhand der Codenummern und der Preise festzustellen, was eingekauft worden war.
Und die Kassiererin erinnerte sich sogar noch an die nette junge Frau, die so durcheinander war.
Als wir dann routinemäßig nach der Ehefrau geforscht haben und Sie uns öffneten, war mir sofort klar, dass Sie diese wirklich nette junge Frau sind."
 
Resigniert nickte die ach so nette junge Frau und ging in ihr Schlafzimmer, um ein Köfferchen zu packen. 
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.01.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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