Heiko Schlör

Über den Wolken

Über den Wolken

 

 

Es war einmal ein Junge der auf dem Land lebte und gar nicht glücklich war. Er hatte es wirklich gut auf dem Hof seiner Eltern, doch die Bauernfamilien waren untereinander zerstritten. Die Spielkameraden für Sven suchten seine Eltern aus und sie achteten darauf, dass Sven nur mit Kindern spielen durfte deren Eltern genehm waren.

 

Eines Tages ein kühlender, nebliger Wind ging über das Land, umhüllte das hölzerne Landhaus und die gesamte weite Ebene. Sven mochte dieses Wetter. Der Nebel wurde immer dichter und dichter, so dass Sven kaum noch die Hand vor Augen sehen konnte. Gerade als er den Schutz des Hauses aufsuchen wollte hörte er eine Mädchenstimme. „Bleib hier Sven und folge mir“. „Wer bist du, ich kann dich nicht sehen.“ „Du kannst mich nicht sehen, gehe dorthin wo der Nebel am dichtesten ist.“ Als Sven vorsichtig tastend an der undurchsichtigsten Stelle ankam, spürte er plötzlich einen kräftigen, rauschenden Wind. Seine Umgebung, das Haus, schien sich von ihm wegzubewegen. Erschrocken nahm er wahr, dass er es war der sich bewegte. Er stand auf einer Wolke, die schnell gen Himmel schwebte. Ehe er sich versah war er im Himmel, inmitten eines Wolkenmeeres. Die anderen Wolken wichen zur Seite, sie schienen Respekt vor Svens sprechender Wolke zu haben. Nach einer Weile kamen sie zu einem riesigen weisen Wolkenturm. „Wo sind wir“ fragte Sven. „Im Wolkenheim, dort wo Wind und Wetter gemacht werden“, sprach die Wolke. „Gehe nun zur Wolkenburg, du wirst dort erwartet.“ Nachdem Sven von der Wolke herabgestiegen war bemerkte er erst das Gesicht der Wolke. Die sprechende Wolke hatte das Gesicht eines schönen Mädchens mit strahlend blauen Augen und rosa Mund.

 

Die Wolkenburg war mächtig groß, sie hatte die Größe eines irdischen Schlosses. Sie unterschied sich von den umliegenden hellgrauen Wolken durch leuchtend weise Mauern und Türme, die zu pulsieren schienen. Gerade als er am Eingangstor angekommen war und überlegte wie er das Schloss öffnen könnte, wurde er von einem Nebelschleier erfasst, durch das Tor gezogen bis er schließlich vor einer älteren Frau zum stehen kam. „Nun junger Mann, wenn du schon hier bist kannst du dich auch gleich nützlich machen. Die Ländereien unter uns sind schon recht trocken. Geh zu den anderen Regen machen.“ Daraufhin wurde er von einer vor sich hin kichernden Transportwolke zu einem riesigen Balkon gefahren.

 

 

„Ah, ein Neuer ohne Erfahrung, komm gleich her, ich zeige dir wie der Regen gemacht wird.“ Ein etwas älterer Junge nahm Sven an der Hand und sprang mit ihm zusammen in eine gut gefüllte graue Regenwolke. „Ups, jetzt kann ich’s nicht mehr halten“, kicherte die Wolke und fing an zu regnen. Sven und sein Lehrmeister hüpften nun von Wolke zu Wolke bis beide an der untersten ankamen. „So, das ist schon ein anständiger Landregen, der reicht um den Weizen wachsen zu lassen“, sprach der ältere Junge.“ „Ich führe dich ein wenig durch die Burg.“ Hier vor uns siehst du den Wolkenruheraum. Da erholen sich die Regenwolken, bis sie wieder Wasser aufnehmen können. Die Mädchen auf den Wolken sind für das Wohlbefinden verantwortlich, sie müssen streicheln, pflegen und gut zureden, denn die Regenwolken müssen bei Laune gehalten werden. Eine etwas mürrisch dreinblickende Transportwolke fuhr die beiden ins Innere der Wolkenburg. „Da zur linken siehst du unsere Wohnräume. Betten haben wir hier natürlich nicht, dafür nehmen wir unsere gut gelaunten Dienstbotenwolken.“ Sven war ganz erstaunt von den Räumen und endlos langen Gängen innerhalb der Burg. Er sah hier nur Kinder und wenige alte Menschen. Erwachsene im Alter seiner Eltern gab es scheinbar nicht. In der riesigen Küche versorgten sich die Kinder selbst. Wo kommen nur die ganzen Speisen her, fragte sich Sven. Er ging im Esszimmer umher, bestaunte die Zubereitung von Speisen, die Backöfen und Herde. Gerade als er die Küche verlassen wollte verspürte er einen starken Luftzug. Er sah sich um, die anderen Kinder reagierten gar nicht, gingen weiter ihren Tätigkeiten nach. „Da dort kommt es her“, sagte er zu sich selbst. Ein greiser Mann stand mit ausgestreckten Armen an einem Fenster hinter ihm, so als wolle er den Himmel zu sich einladen. Der Luftzug verstärkte sich zu einem Wind, zu einem singenden rasselnden Getöse. Sven traute seinen Augen kaum, denn das war nicht nur kühle Höhenluft die da herein strömte. Nach und nach schwirrten Weizen, Hafer, Obst und Gemüse durchs Fenster; es war auch etwas Unrat dabei, sogar ein kleiner Dackel flitze herein, noch ganz verwirrt ob seiner unfreiwilligen Himmelsfahrt verkroch er sich schnell unter einer der Öfen. Die ganzen Zutaten sausten in einen riesigen Trichter oberhalb einer großen Küchenmaschine. Der alte Mann schloss das Fenster und ging kichernd an ihm vorüber. „ Das reicht wieder für die nächste Woche“, sprach’ s und verschwand in der Hintertüre dieser eigenartigen Küchenapparatur.

 

 

Nach soviel Hexerei machte sich Sven auf in sein Schlafgemach, denn es war mittlerweile spät geworden. Auf dem Weg dorthin, in einem der langen Korridore blitze es plötzlich durch mehrere Außenfenster, gefolgt von kräftigem donnern. Als er sich verwundert umsah, hörte er schon Rufe: „Schnell ladet die Donnerwolken auf, den Sturmwolken werden wir es zeigen“. Die gesamte Burg wurde durchgerüttelt von aufschlagenden Blitzen der Angreifer. Sven konnte durchs Fenster sehen wie die alten Männer auf grimmig dreinblickende dunkelgraue Wolken kletterten, Fahrt aufnahmen und die angreifenden Wolkenverbände versuchten zu umzingeln. Blitze zuckten umher, grünlich giftige Wolkenschauer, eisige Hagel wurden auf beiden Seiten ausgeschüttet. Sven wusste bald nicht mehr wo der Freund und wo der Feind war. Sicher konnte er nur überall alte, schimpfende Männer in langen weisen Gewändern sehen. Die Wolken nahmen mit der Zeit ein helles Grau, schließlich die weiße Farbe an. „Für heute habt ihr noch einmal Glück, aber wir kommen wieder, ihr nehmt uns nur Platz am Himmelszelt weg!“ Mit nun deutlich entspannter Miene sausten die Sturmwolken davon.

 

 

Noch etwas wackelig auf den Beinen ging Sven zu Bett. Am darauf folgenden Tag war ihm nicht ganz wohl und er entschloss sich die alte Frau die ihn gestern empfangen hatte um Rat zu fragen. „Ja Junge wir leben hier mit den Sturmwolken, die du gestern erleben durftest, im Dauerstreit. Die sind ständig aufgeladen und wollen uns gemäßigte Wolkenverbände verdrängen. Wir erlauben unseren Kindern nicht mit denen zu spielen. Das gilt auch für dich Sven, versuche nicht dich mit ihnen gut zu stellen.“ „Aber vielleicht sind sie gar nicht so böse und sie handeln nur aus purer Not“, entgegnete Sven. „Nein. Nein, die wollen nur unsere Burg einnehmen und uns vertreiben.“

 

 

In Gedanken versunken erklomm Sven einen der äußeren Wachtürme um in Ruhe überlegen zu können was hier eigentlich vor sich ging. Als er schon eine Weile ins Leere starrte vernahm er plötzlich eine weiche Mädchenstimme: “Hey du da oben, kannst Du mir mal helfen. Ich bringe meine Wolke nicht los“. Sven musste nicht lange überlegen, die elfengleiche Stimme hatte es ihm angetan. Geschwind sauste er nach unten bis er das Mädchen mit den goldblonden Haaren vor sich hatte. Sie war etwa in seinem Alter, ihre leuchtend blauen Augen überstrahlten den Glanz ihres goldenen Kleides. „Du darfst nicht böse sein, ich gehöre zwar zu der Wolkenschar, die euch vorhin angegriffen hat, mit den giftigen alten Männern habe ich aber nichts zu tun. Ich bin auf der Suche nach dem Stab der Weisheit, den mir eine Seherin beschrieben hat. Nur mit dem tausende Jahre alten Stab soll Frieden in die Wolkenwelt kommen.“

 

Sven beruhigte zuerst die verbissen dreinblickende Wolke des Mädchens (den die Wolke glaubte sich ja noch in Feindesland), sprang dann auf und machte sich zusammen mit dem Mädchen auf die Suche nach dem Stab der Weisheit. Die beiden hatten schon lange große Teile des Horizonts abgesucht, es mochten schon Stunden vergangen sein und die Müdigkeit nahm überhand. Sven vernahm die tiefe mächtige Stimme zuerst: „Wer seid ihr ….., in den höchsten Himmelsregionen sind Menschen nicht willkommen“. Die beiden zuckten zusammen, sie konnten aber nichts und niemanden erkennen. Nur ein Schwirren war zu hören, es schwirrte, kurze Pause, dann schwirrte es wieder, kurze Pause und so weiter. Britt, so hieß das Mädchen, deutete auf einmal nach Osten. „Da schau ein riesiger Spiralnebel“. Die Nebelspirale schien zu pulsieren, zuerst nur als weiser Schleier zu erkennen, später als strahlender Strudel. Der Spiralnebel schleuderte etwas bläulich Schimmerndes nach Westen wo es urplötzlich aufgefangen wurde, kurz verharrte und sich wieder zurück nach Osten bewegte. Dieses etwas im Westen nahm nach und nach Gestalt an, es sah aus wie ein riesiger Spiegel dessen Glasoberfläche einem bewegten Wasser glich. „Äh, wir sind auf der Suche nach dem Stab der Weisheit“, sprach Britt zögernd und mit einiger Verlegenheit. „So“, ertönte es aus dem Bereich des wundersam wirkenden Spiegels, dann seid ihr die beiden jüngsten Mitglieder der verfeindeten Donner - und Sturmwolken, ganz so wie es die Seherin vorhergesagt hat. Nun, wenn ihr den Stab bekommen wollt müsst ihr folgende Aufgabe lösen: Seht beide in den Spiralnebel, der sie Vergangenheit ist und sagt warum die Menschen nicht in Frieden leben.“ Britt und Sven sahen sich eine Weile in die Augen, begaben sich dann auf ihrer Wolke zum Spiralnebel. Der schien sie regelrecht hinein zu ziehen, beiden wurde ganz schwindlig. Britt konnte sich zuerst lösen und zog Sven weg. „Geht jetzt zum Spiegel der Zukunft und sprecht zu zweit was ihr gesehen habt“, tönte es vom Spiegel her. Im Spiegel der Zukunft sahen beide von Innen nach Außen laufende Wellen die ihre gesprochenen Worte zu verschlucken schienen. Sie sprachen gemeinsam:„Die Menschen leben nicht in Frieden weil sie zu wenig Liebe bekommen“. Kaum waren die Worte gesprochen sauste der bläulich schimmernde Stab der Weisheit zu Britt und Sven herab, wirbelte um beide herum und zog sie in den Spiegel hinein.

 

Ein ohrenbetäubender Lärm ging Sven durch den ganzen Körper, Schwingungen erschütterten ihn. Er hielt sich die Ohren zu und sah sich um. Um ihn herum waren riesige Zahnräder und hämmernde Glocken. Er konnte es kaum fassen. Befand er sich doch inmitten der Zentraluhr der heimischen Wolkenuhr punkt zwölf Uhr mittags. Wo waren Britt und der Stab? Er konnte sie nirgendwo entdecken. Schnell stieg er herab und machte sich auf den Weg zum Speisesaal, wo er damit rechnete auf Mitbewohner zu treffen. Schon von weitem hörte er Schreie und wütende Rufe. Kurz vor der Eingangstür zur Küche kam einer der alten Männer auf ihn zu, fuchtelte mit dem Stock und schimpfte auf Sven ein:“ Sie sagt du hättest sie mitgebracht. Wieso hast du so einer Spionin Eintritt verschafft?! Ich hau dir gleich auf die Hörner!“ Er wich dem Alten geschickt aus, schritt durch die Küchentüre und sah sich um. Auf der riesigen Küchenapparatur saß Britt, fuchtelte mit dem Stab der Weisheit umher, die jugendlichen Angreifer und die wütenden alten Männer von unten abwehrend. „Irgendwie bin ich in dieser komischen Apparatur gelandet, die scheinen mich hier nicht sonderlich zu mögen.“ Die Angreifer rüttelten und schüttelten so kräftig an der Maschine dass Britt das Gleichgewicht verlor, sich mit beiden Händen fest klammerte und dabei den Stab verlor. Der polterte in das Innere der Küchenapparatur, es gab ein knackendes Geräusch, ein Zischen und auf einmal war alles rings herum in weises Licht getaucht. Nach einer halben Ewigkeit verschwand das gleißende Licht. Alle blickten sich gegenseitig an, als wüssten sie nicht was gerade geschehen war. Doch die Gesichter der „Alten“ wie auch der „Jungen“ waren freundlich und entspannt, sie gingen nun sichtlich gut gelaunt ihren Tätigkeiten nach. Noch am gleichen Tag beschlossen die „Alten“ im Regierungsrat die Aufnahme von freundlichen Kontakten zu den Sturmwolkenbewohnern. Sven und Britt beobachteten das Treiben von einem der hoch gelegenen Aussichtstürme. Inmitten der neuen Freundlichkeit, erste Abgesandte der Sturmwolken betraten bereits das einst feindliche Gebiet, begann die gesamte Wolkenburg zu regnen. Ein angenehmer Landregen ergoss sich über Svens Heimat. Die gesamte Burg glitt langsam der Erde entgegen, Türme, Hauptgebäude und Mauern begannen zu zerfließen, Nebelschwaden lösten sich und bedeckten das Land. „Sven, das Essen ist fertig, beeile dich, sonst wird es kalt.“ Ungläubig sah sich Sven um, nach und nach konnte er durch den sich lichtenden Nebel den Hof seiner Eltern erkennen, seine Mutter verschwand gerade durch die Haustür.

 

Zögernd sah er sich um, außer ihm war niemand mehr zu erkennen. Etwas traurig ging er in sein Elternhaus, setzte sich, mit seinen Gedanken noch ganz in der Wolkenburg, an den Küchentisch zu seinen Eltern. Seine Mutter sah ihn freundlich lächelnd an. „Sven, heute waren wir bei unseren Nachbarn eingeladen, sind ja wirklich nette Leute. Spiel doch morgen Mal mit den Nachbarskindern …. .“

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.01.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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